Transaction Journalism sorgt dafür, dass Inhalte zu Interaktionen und Erlösen führen. Was man sonst noch wissen sollte …
Wenn Journalisten darüber entscheiden, welche Themen sie auswählen und wie groß sie Geschichten machen, welche Priorität sie Nachrichten beimessen und welche Schwerpunkte sie legen, dann orientieren sie sich meist an Erfahrung, Bauchgefühl und dem Urteil ihrer Kollegen. Das muss nicht falsch sein, greift aber zu kurz. Denn das Publikum hat heute so viel mehr Möglichkeiten als in der prädigitalen Ära, eigene Interessen kundzutun, an Informationen zu gelangen und sich mit anderen über Themen auszutauschen – das verändert die Rolle von (Massen-)Medien und ihrer Journalisten.
Sie sind nicht mehr der alleinige Gatekeeper, der darüber entscheidet, was veröffentlicht wird. Mehr noch: Wir erleben, wie der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sagt, »eine tektonische Verschiebung der Informationsarchitektur«. Jeder könne sich heute »barrierefrei an die Öffentlichkeit wenden« und »auf der Weltbühne des Netzes selbst publizieren«. Dort spielen zwar auch traditionelle Medien eifrig mit, aber nicht automatisch in der Hauptrolle. Onlineportale und -plattformen, soziale Netzwerke und Blogs, die mitunter vor ein, zwei Dekaden noch gar nicht existierten oder kaum beachtet wurden, gewinnen an Präsenz und Wirkung.
Die Digitalisierung hat unsere Kommunikation, die Nutzung von Medien und deren Funktion erheblich verändert
Dass die Auflage von Printmedien tendenziell sinkt, das klassische Fernsehen seltener Spitzenreichweiten erzielt, herkömmliche Verlage und Sender ihr Geschäftsmodell um- und ausbauen – das ist weder Zufall noch pure Experimentierlust, sondern eine Folge der Digitalisierung. Sie hat unsere Kommunikation, die Nutzung von Medien und deren Funktion erheblich verändert. Was bedeutet das für Verlage und ihre Arbeitsabläufe? Wie verändern sich dadurch die Aufgaben und das Profil von Journalisten?
»Produce and market it«
Bislang bestimmte der Redaktionsschluss den Arbeitsrhythmus von Journalisten. Jegliches Tun war darauf ausgerichtet, Inhalte zu schaffen, damit sie zu einem festgelegten Erscheinungstermin veröffentlicht wurden. Das fertige Magazin oder die Zeitung werden jedoch spätestens von der nächsten Ausgabe ins Vergessen gedrängt. »Print and forget« lautet das Muster, dem Printmedien lange Zeit folgten – und das oft eine große Verschwendung bedeutet. Denn all die benötigten Ressourcen – Redakteure planen und redigieren, Journalisten recherchieren und schreiben, Fotografen liefern Bilder, daneben sind Layouter, Drucker, Zusteller im Einsatz – richten sich auf den Tag X der ersten Veröffentlichung. Bald danach verliert diese Leistung dramatisch an Wert, weil die produzierten Medien ins Archiv wandern – oder ins Altpapier.
Heute ist das anders. Statt »Print and forget« gilt »Write and reuse« – oder besser noch: »Produce and market it«. Der Inhalt wird aus der Versenkung geholt (oder landet erst gar nicht dort), er kettet sich los vom Trägermedium, geht selbstständig auf Reisen, nutzt Medien und Plattformen, orientiert sich am Publikum statt am Papier. Dadurch manifestiert sich ein Abschied von der Produktdenke. Durch die digitalen Kanäle ist eine Infrastruktur entstanden, die es Nutzern ermöglicht, interessante Inhalte weitgehend unabhängig von Zeit, Ort, Gerät und Medium zu konsumieren. Der positive Effekt für Publisher: Stellen sie es richtig an, werden aus ihren Publikationen Medienmarken, deren Reichweite sich dank digitaler Distribution vervielfacht.
Aus klassischem Redakteur wird Transaction Editor
All das erfordert neue Fähigkeiten und Fertigkeiten von Journalisten. Inhalte recherchieren, analysieren und vermitteln – das bleibt ihre Kernkompetenz. Und doch braucht es künftig mehr. Der neue Schwerpunkt besteht darin, das Informationsbedürfnis des Publikums zu analysieren und zu erkennen, daraus redaktionelle Themen zu entwickeln und sie in journalistische Formate zu übersetzen, um sie dann zeit- und zielgerichtet über alle verfügbaren Kanäle zu verteilen.
Aus dem klassischen Redakteur wird der sogenannte Transaction Editor (TE). Ein Unterschied zwischen beiden liegt in der Herangehensweise: TEs verfolgen nicht zufällig eine Idee, sondern finden erst heraus, was ihre Leser interessiert. Sie bedienen also eine quantifizierbare Nachfrage. Dafür nutzen sie Onlinetools wie Searchmetrics, Google Analytics, Google Trends – und erkennen im Idealfall auch, für welche verwandten Themen sich ihre Zielgruppe interessiert und welche Suchmuster der Online-Traffic aufweist. Aus solchen softwaregestützten Analysen geht etwa hervor, für welche Keywords sich Nutzer wie stark interessieren. Eigene Einschätzungen lassen sich dadurch bestätigen und neue Blickwinkel öffnen.
Analytisch arbeiten, nachmessen, anpassen
Der Begriff Transaction Editor weist schon darauf hin: Informationen, die er publiziert, verfolgen das klar definierte Ziel, Transaktionen auszulösen. Leser sollen nach der Lektüre weitere Informationen – kostenpflichtig oder gegen Registrierung per Mailadresse – herunterladen oder vielleicht ein Seminar buchen, sich für einen Kongress anmelden, ein Magazin oder einen Newsletter abonnieren. Ein Ansatz, der vielen Journalisten fremd ist oder den sie zumindest als ungewohnt empfinden. Auch deshalb, weil mit der beabsichtigten Transaktion ein kommerzielles Interesse verbunden ist. Das rührt an dem traditionellen Selbstverständnis, wonach sich Journalismus vom Geldverdienen frei macht, worum sich Anzeigenverkäufer und Werbevermarkter kümmern.
Inhalte recherchieren, analysieren und vermitteln – das bleibt die Kernkompetenz von Journalisten. Und doch braucht es künftig mehr
Doch im Digitalen gibt es mehr und andere Zugänge zu Zielgruppen, deren Interessen und Informationsbedürfnisse sich besser identifizieren lassen. Erfahrungen aus dem Content Marketing eröffnen Redaktionen einen neuen Blick, erweitern ihren publizistischen Werkzeugkasten und verfeinern die Methoden ihres Schaffens. Das erfordert von Transaction Editors, äußerst analytisch zu arbeiten. Was sie tun, wird permanent gemessen, um zu erkennen, ob sie erfolgreich unterwegs sind oder gegebenenfalls umsteuern müssen. Sie sind bereit, sich schnell an sich verändernde Umfelder anzupassen, ganz gleich, ob das nun wechselnde Social-Media-Moden, SEO-Algorithmen oder Trends in der Zielgruppe sind.
Inhalte zerteilen, neu bündeln, mehrmals ausspielen
Was Transaction Editors deutlich von Journalisten alter Schule unterscheidet: Sie verinnerlichen, dass ihre Arbeit nach der Erstveröffentlichung längst nicht getan ist. Dann geht es eigentlich erst richtig los. Denn TEs kümmern sich darum, dass Inhalte umfassend über sämtliche Touchpoints und Kanäle verbreitet werden, sei es in Magazin und Zeitung, auf Portalen und Blogs, in Newslettern und Tablet-Ausgaben, auf Smartphone-Apps, Facebook, Instagram, Pinterest und YouTube bis hin zu Netzwerken wie LinkedIn oder XING.
Die Inhalte müssen sie jeweils mediengerecht verpacken. Was im Magazin zur mehrseitigen Reportage taugt, stößt auf Twitter nach 140 Zeichen an seine Grenzen. Was sich als Checkliste im Blog anbietet, lässt sich im Newsletter vielleicht besser als »Tipp des Tages«-Serie darstellen. TE-Profis sind versiert darin, Informationen zu portionieren, Inhalte zu entbündeln und neu zusammenzustellen. Dabei haben sie stets den jeweiligen Kommunikationskanal und die Zielgruppe vor Augen.
Transaction Editors verfolgen nicht zufällig eine Idee, sondern finden erst heraus, was ihre Leser interessiert. Sie bedienen eine quantifizierbare Nachfrage
Ein Schlüsselbegriff in diesem Kontext ist die »Minimum Information Unit«, kurz MIU. MIUs stehen für das Konzept, Texte in sinnvolle Einzelteile zu zerlegen. Das beschriebene Problem, dass Ressourcen verschwendet werden und Inhalte nach erstmaligem Erscheinen schon bald in der Versenkung verschwinden, wird dadurch beseitigt. Denn Informationen lassen sich auf diese Weise mehrfach verwerten, sind deutlich länger haltbar und können höhere Wirkung entfalten. Ein klassischer Magazinbeitrag lässt sich oft in acht bis zwölf Einzelteile gliedern, die man über verschiedene Kanäle ausspielen kann.
Dies regelt nicht Kollege Zufall, sondern ein im Vorfeld festgelegter Plan, auf dem steht, welche Inhalte zu welchem Zeitpunkt in welchem Medienkanal veröffentlicht werden. Ein Kongressbericht auf der Website, eine Bildergalerie auf Instagram, eine Video-Interview-Reihe im Newsletter und so weiter – die einzelnen Bestandteile eines Inhalts lassen sich über verschiedene Kanäle mehrfach verbreiten, natürlich immer zielgerichtet und mit dem klaren Anliegen, Interaktionen und Transaktionen zu erzeugen.
Fazit: Zum Profil des Transaction Editors gehört nach wie vor journalistisches Handwerkszeug, und doch muss er mehr beherrschen: Zielgruppen analysieren, Inhalte kuratieren und orchestrieren, ein Thema in zahlreiche einzelne Informationseinheiten zerlegen, digitale Messmethoden und Werkzeuge einsetzen, mit Lesern und Nutzern via Social Media kommunizieren. Diese Fähigkeiten und Fertigkeiten sind für die künftige Kommunikation in Verlagen, Agenturen und Unternehmen unerlässlich.
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