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So funktioniert Society-Centered Design in der Praxis

Damit der gemeinwohlorientierte Designansatz nicht bloß ein hehres Ziel bleibt, hat Mutabor eine klare und anwendbare Methodik dafür entwickelt.

Gemeinsam stark Bei Mutabor hat Kollaboration einen hohen Stellenwert – sowohl intern im Team als auch mit Kund:innen. Denn für wahres Society-Centered Design braucht es diverse und inter­disziplinäre Sichtweisen.

Um Society-Centered Design erfolgreich umzusetzen, braucht es einen ganzheitli­chen Ansatz, der den breiteren Kontext unserer Lebenswelt betrachtet. »Schaut man sich die heute gebräuchlichen Workflows, Frameworks und Canvases aus dem User-Centered Design an, wird recht schnell deut­lich: Die gesellschaftliche und um­welt­orientier­te Betrachtung sowie die Antizipation mög­licher Folgen kommen dabei zu kurz«, erklärt Daniel Kränz, User Experi­ence Director bei Mutabor. »Weder in den Phasen Discover und Define noch beim späteren Develop und Deliver des klassi­schen Double-Diamond-Designprozes­ses werden die kollateralen Auswirkungen des zu entwickelnden Produkts oder Services berücksichtigt oder aktiv in die Konzep­tion miteinbezogen. Der Fokus liegt allein auf den User Needs und Business Goals – die Folgen für Gesellschaft und Umwelt bleiben außen vor.«

Die Prozesse und Methoden des User-Centered Designs bilden laut Kränz zwar nach wie vor eine wichtige Grundlage, aber um ganzheitlicher und society-centered zu gestalten, müssen sie an manchen Stellen um eine neue Perspektive erweitert werden – und das möglichst anwendbar in der täglichen Designarbeit. Dafür ist es wichtig, schon in der Anfangsphase von Projek­ten das richtige Mindset im Unternehmen, im Projektteam und bei den beteiligten De­signer:innen zu etablieren. »Ähnlich wie bei einer Zielformulierung oder einer Visionsentwicklung sollte eine Strategie ent­stehen, die gesellschaftliche Bedürfnisse und gemeinnützige Interessen berücksich­tigt«, sagt Daniel Kränz.

Erweiterter Designprozess Society-Centered Design kann an diversen Stellen im Double-Diamond-Prozess zum Tragen kommen.
Connect Booklet »Society-Centered Design bei Mutabor«

Herausforderungen für Gestalter:innen in der Praxis

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In welcher Phase kommt Society-Centered Design zum Tragen?

Natürlich kann nicht in jedem Projekt Society-Centricity an oberster Stelle stehen. Sowohl der Zeitpunkt im Gestaltungsprozess, an dem über gesellschaftliche und umweltbezogene Aspekte nachgedacht wird, als auch die Intensität, mit der diese Aspek­te aktiv gestaltet werden, haben maß­geb­li­chen Einfluss darauf, wie society-centered ein Projekt am Ende ausfällt. Mutabor unterscheidet daher zunächst drei verschiedene Startpunkte im klassischen Double-Diamond-Prozess:

»Upfront«: Society-Centered-Ziele wer­den vor Projektbeginn formuliert. Eben­so wie User- und Business Goals wer­den zum Projektstart auch gemeinnützige Zie­le definiert, die im späteren Gestal­tungs­prozess als Leitplanken dienen und der Ausarbeitung eine klare Richtung geben. Das strategische Zielbild des Produkts oder Services enthält also von Anfang an eine Society-Centered-Dimension.

»In-between«: Lösungsansätze werden im Gestaltungsprozess bewertet. Nach­dem in den ersten beiden Phasen des Designprozesses Erkenntnisse zur Zielgruppe, zu ihren Problemen und Bedürfnissen sowie zu ihrem Kontext gesammelt und kon­solidiert wurden, folgt nun die Über­prü­fung der ers­ten Lösungsansätze auf ih­re Aus­wirkun­gen auf Gesellschaft und Umwelt. Absehbare Schwachstellen können iterativ optimiert oder durch neue Lösungs­vorschläge ergänzt werden, was mitunter die Aus­rich­­tung des Projekts maßgeblich verändert. Abhängig davon, wie stark der Society-Cen­te­red-Aspekt gewichtet wird (siehe »In­tensität × Zeitpunkt«, Grafik unten), muss hier die Society Experience aktiv mit­­gestaltet werden.

»Post«: Das bereits erschaffene Produkt wird evaluiert. Der späteste Zeitpunkt, um die möglichen Folgen eines Produkts oder Services zu untersuchen, ist nach dessen Launch. Auch wenn der initiale Gestal­tungsprozess bereits abgeschlossen ist, ist dies eine wichtige und erkenntnisreiche Pha­se für Society-Centered Design. Pro­duk­te können in ihrer realen Benutzung durch die Zielgruppe sowie in größeren Kontexten untersucht werden und fördern so aussagekräftige – und vielleicht unvorhergese­hene – Erkenntnisse zutage. Auch im Vorfeld formulierte Ziele und Wirkungsgrade lassen sich jetzt abgleichen. Mitunter müs­sen Produkte auf dieser Basis überarbeitet oder verändert werden.

Intensität × Zeitpunkt Der Zeitpunkt, an dem Society-Centered Design zum Tragen kommt, und das Intensity Level hängen unmittelbar zu- sammen und beeinflussen einander.

 

»Die gesellschaftliche und umweltorientierte Betrachtung sowie die Antizipation möglicher Folgen kommen bei den heute gebräuchlichen Workflows, Frameworks und Canvases aus dem User-Centered Design zu kurz«

Daniel Kränz, User Experience Director bei Mutabor

 

Wie stark wird Society-Centricity gewichtet?

Nicht alle Projekte sind gleichermaßen stark aufs Gemeinwohl ausgerichtet – und müssen es auch nicht sein. Bei einem gemeinnützigen Produkt einer nicht profitorientierten NGO wird Society-Centered Design naturgemäß eine größere Rolle spielen als bei einem Service für ein DAX-Unternehmen. Daher formuliert Mutabor drei unterschiedliche Intensity Levels:

»Min«: User und Produkt stehen im Fokus. Auf dem kleinsten Intensitätsniveau des Society-Centered Designs wird stark nutzer- beziehungsweise produktzentriert ge­arbeitet, potenzielle Auswirkungen wer­den erst im Nachgang evaluiert (»Post«). Dieses Vorgehen ist der heutigen Produkt­entwicklung noch sehr ähnlich – sie wird lediglich durch eine nachgelagerte sys­tem­­übergreifende Untersuchung ergänzt.

»Mid«: Gesellschaftliche Aspekte werden miteinbezogen. Auf der mittleren Stufe werden durch bestimmte Vorgehensweisen im Prozess oder durch einzelne Features des Produkts positive Impulse für die Gesellschaft oder die Umwelt gesetzt. So­ci­ety-­Cen­tricity spielt im Gestaltungsprozess ei­ne größere Rolle (»In-between«).

»Max«: Das Gemeinwohl steht im Zentrum. Auf dem höchsten Intensitätsniveau wird das volle Potenzial des Society-­Cen­tered Designs ausgeschöpft. Das zu ge­stal­tende Produkt wird explizit darauf aus­ge­legt, etwas Gutes für die Gesellschaft oder die Umwelt zu tun. Dafür müssen zu Projektbeginn das Mindset aller Stakeholder entsprechend etabliert sowie Leit­plan­ken für die Gestaltung gesetzt werden (»Upfront«).

Der Zeitpunkt im Verlauf des Design­pro­zesses, an dem Society-Centered Design zum Tragen kommt, sowie das Intensity Level hängen unmittelbar zusammen und beeinflussen sich gegenseitig.

 

Der Society-Centered Design Canvas

In Anlehnung an den Product Vision Canvas hat Mutabor ein Framework für So­cie­ty-Centered Design entwickelt, das sämtliche we­sentlichen Aspekte der Produkt­entwicklung auf einen Blick sichtbar macht und dabei auch die Auswirkungen auf passive Stakeholder und Systeme aufzeigt (siehe Grafik oben). Die einzelnen Felder gilt es bei jedem Projekt inhaltlich zu füllen. Im Zentrum werden die aktiven Nutzungsgruppen benannt, im daran anschließen­den Produktfeld Probleme sowie Lösungsansätze. Im Bereich der passiven Use­r wer­den zum einen die Auswirkun­gen auf diese Gruppe beschrieben und zum anderen die Vorteile, die das Produkt für sie haben könn­te. Im Außenbereich des Canvas werden interne Faktoren wie Markenwerte und Business Goals festgehalten sowie externe Aspekte wie gesellschaft­li­che Werte und die Produktvision.

»Um den Society-Centered Design Canvas zu füllen, müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Viele der bereits existierenden Methoden aus dem User-Centered Design sind hier gut anwendbar, aber einige Felder des neuen Frameworks erfordern neue Perspektiven und Ansätze«

Burkhard Müller, Chief Digital Officer bei Mutabor

Um die einzelnen Felder des Canvas mit Leben zu füllen, hat Mutabor bestehende Übungen und Methoden gesammelt sowie neue entwickelt. »Um den Society-Centered Design Canvas zu füllen, müssen wir das Rad nicht neu erfinden«, erklärt Burkhard Müller, Chief Digital Officer bei Mutabor. »Viele der bereits existierenden Methoden aus dem User-Centered Design las­sen sich hier gut anwenden, wie etwa die Problemdefinition durch W-Fragen (Wer? Warum? Was? Wo?) oder die Ideenfindung mittels ›How Might We‹. Aber einige Fel­der des neuen Frameworks erfordern neue Perspektiven und Ansätze.«

 

Anwendungsbeispiel: Urbane Lebensqualität

Der Society-Centered-Designansatz soll da­zu dienen, innovative Ideen und Projek­te zu entwickeln, die sich mit größe­ren Kontexten befassen. Die Ergebnis­se können dabei sehr unterschiedlich sein – von Apps und Web Services über physi­sche Produkte bis zu Konzepten für die Stadt der Zukunft. Um zu zeigen, wie Society-Centered Design funktionieren kann, wählte Mutabor ein ex­em­plarisches Thema, zu dem wir alle ei­nen Zugang haben: die Lebensqualität in Städten und hier speziell Sauberkeit bezie­hungs­weise Müllentsorgung als ent­schei­den­der Faktor für eine lebenswerte Umgebung.

Die Hindernisse in diesem Bereich sind bekannt: So hat etwa der Verpackungsmüll durch den stärkeren Onlinehandel der letzten Jahre, auch pandemiebedingt, enorm zugenommen. Zugleich wissen viele Kon­sument:innen nicht, wie sie den Müll korrekt entsorgen, was mit ihm geschieht und wie man ihn wiederverwertet. Die richti­ge Entsorgung ist aber eine wichtige Basis, um Ressourcen zu extrahieren und gege­be­­nen­­falls wei­ter zu nutzen. Hier spielt auch die Entsorgungsinfrastruktur eine entscheidende Rolle: Müllcontainer sind oft nicht ausreichend verfügbar und entsprechend über­füllt. Das führt zu Schmuddelecken, die die Attraktivität einer Stadt schmälern.

Der Ansatz von Mutabor: Alle Bewohner:innen einer Stadt sollten sich als Teil der Lösung verstehen, um ihren Lebensraum so lebenswert wie möglich zu gestalten. Dafür müssen sie über die richtigen Informationen und Ressourcen verfügen. Ziel des Projekts ist es daher, Services zu entwickeln, die ein Mitmachen ermöglichen, positive Impulse setzen und einen Mindshift anregen, etwa durch Handlungs­anweisungen, die zur richtigen Müll­ent­sor­gung anregen und diese erleichtern.

»Es ist höchste Zeit, dass Gesellschaft und Umwelt mehr Beachtung bei der Produktentwicklung finden«

Daniel Kränz, User Experience Director bei Mutabor

 

Methoden: Von der Problemdefinition bis zum Prototyp

Es gibt eine ganze Reihe von bekannten so­wie neuen Methoden, die in den verschiedenen Phasen dieses Society-Centered-Designprozesses eingesetzt werden können. Exemplarisch sind hier einige heraus­ge­grif­fen, die sich für die Erarbeitung des vorliegenden Problems eignen und neue Per­spek­tiven einbringen, die aus bisheri­gen Design­prozessen noch nicht bekannt sind. Jede dieser Übungen ist dazu da, ein Feld des Society-Centered Design Canvas zu füllen – welches es jeweils ist, zeigen die Icons rechts oben auf den Methodenkarten (siehe hier).

In der ersten Phase geht es darum, den Status quo zu erfassen und Pro­bleme he­rauszuarbeiten. Neben schon be­kann­ten Methoden zur Erkenntnisgewinnung, wie der Problem Statement Map, ergänzt Muta­bor den Werkzeugkasten für So­ciety-Centered Design um Übungen wie »Society Re­view« für den Blick von außen und »So­­cial Impact« für die Innenperspektive.

Im nächsten Schritt geht es darum, die Produktvision zu formulieren und Ideen zu entwickeln. Auch hier schlägt Mu­tabor eine neue Methode vor, die über bestehende Übungen wie »How might we?« hinausgeht: die »Society Service Disrup­tion« .

Danach ist es Zeit, die Idee zu verfeinern und sie einem Reality Check zu unterziehen – beispielsweise mit einem Product ­Vi­sion Template. Laut Mutabor ist dies außerdem ein guter Zeitpunkt, um in einer Teamübung das »Intensity Level« zu bestimmen. In der letzten Phase des Prozes­ses erstellt das Team Prototypen und sammelt Feedback dazu. Neben klassi­schem »Test and learn« kommt bei Mutabor hier auch ein »Experiment Action Board« hinzu, in dem das Team erörtert, was es benö­tigt, um die Produktvision in ein einfa­ches, testba­res Experiment zu überführen, und wie die Erfolgskriterien aussehen könn­ten. Weitere Methodenkarten gibt’s auf Miro un­ter  https://is.gd/mutabormethoden,  Pass­­wort »PAGE_2022«.

Mithilfe der beschriebenen Methoden lässt sich nun der Society-Centered Design Canvas für das Beispielprojekt »Lebenswer­te und saubere Stadt« füllen – von Kon­su­ment:innen, die wenig über Mülltrennung wissen, über das Problem her­um­liegen­den Mülls und die damit einher­ge­hende Beeinträchtigung der Bewoh­ne­r:in­nen bis hin zu wünschenswerten Ergebnissen wie sauberem Grundwasser und besseren Recyc­ling­möglichkeiten. Ergänzt wird der inne­re Kreis des Canvas durch Business Goals wie den Weiterverkauf recycelter Rohstof­fe, durch Markenwerte wie Schnelligkeit, durch die Produktvision einer lebens­wer­ten Stadt für kommende Generationen und durch gesellschaftliche Werte wie Nachhaltigkeit. Neu ist hierbei die Beschäftigung mit den passiven Nutzer:innen – also der Gesellschaft. Das Problem wird nicht nur aus der Perspektive städtischer Müllbetrie­be betrachtet, sondern etwa auch aus der Sicht künftiger Generatio­nen. Damit han­delt es sich um Society-Cen­tered Design auf höchs­­tem Intensity Level, bei dem das Ge­mein­wohl von Beginn an im Zentrum steht.

Die nächste Herausforderung besteht darin, den Society-Centered-Designprozess in realen Projekten mit Unternehmen einzusetzen. »Denn es ist höchste Zeit, dass Ge­sellschaft und Umwelt endlich mehr Beachtung bei der Produktentwicklung finden«, so Daniel Kränz.

Erweitertes Methodenset

Wir stellen hier einige Methoden vor, die in verschiedenen Phasen eingesetzt werden können und dazu dienen, die Felder des Society-Centered Design Canvas zu füllen.

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Unglaubliches Fachgeblapper mit zu vielen englischen “Fachbezeichnungen”. einfach ungeniessbar.

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