Circular Design bedeutet, dass wir uns von Anfang an mit dem Ende beschäftigen müssen. Eine neue Kolumne von Designer Karel Golta.
Wir alle tun uns mit dem eigenen Ende schwer. Trotz aller Weltreligionen und ihren Narrativen zum Ende des irdischen Lebens, die viel Tröstliches und Schönes versprechen. Wir vermeiden, über das Unausweichliche zu sprechen. Nicht mal über das Ende ihres Arbeitslebens wollen junge Menschen nachdenken und sorgen finanziell kaum vor. Lieber heute in den Urlaub, als sich den Kopf über morgen zu zerbrechen.
Dass sich über diesen Umstand gleichzeitig lachen und weinen lässt, zeigt Adam McKay’s Film »Don‘t Look Up«. Die Story: Obwohl wissenschaftlich erwiesen ist, dass die Erde innerhalb von sechs Monaten von einem Kometen zerstört werden wird, empfinden die Menschen das Leugnen des Endes als deutlich angenehmer – und es verkauft sich auch besser. Eine Allegorie auf das Bestreiten des Klimawandels genauso wie auf den politischen Umgang mit der Pandemie.
Wir haben Angst vor der Ungewissheit des Endes, schon klar. Wenn ich jedoch genau wüsste, wann und wie mein Leben zu Ende geht, dann würde ich garantiert anders leben. Das Wissen um das Ende würde mein Leben heute gestalten. Zu blöd, dass die Wissenschaft mir zu meinem persönlichen Ende nichts sagen kann.
Doch zu die planetaren Grenzen gibt es Fakten. Und diese Grenzen zeigen auch ein Ende für uns Menschen auf. Das kann man uncool finden oder leugnen – ändern tut das aber am Ende nichts.
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Auch die Wirtschaft ignoriert das Ende
Das Unvermögen, sich um das Ende zu kümmern und entsprechend zu leben, spiegelt sich auch in unserer linearen Wirtschaft wider: Denn liegt nicht nach wie vor der ausschließliche Fokus von Unternehmen mit ihren Design-, Produktentwicklungs-, Produktions- und Marketingaktivitäten auf diesem einen Moment, der »Verkaufen« heißt? Egal ob analog, digital, B2C, B2B oder D2C: verkaufen, verkaufen, verkaufen. Dann wieder zurück auf Los und wieder Neues gestalten. So dreht sich das Hamsterrad. Wir kennen es alle.
Was passiert mit all dem, was am Ende einer Transaktion beim Kunden verbleibt? Nach mir die Sintflut! Überstrapaziertes und doch sinnbildliches Beispiel: die Verpackung eines jeden Produktes. Notwendiges Übel, vom Hersteller zu Verfügung gestellt, vom Kunden bezahlt. Und der hat jetzt selbst dafür Sorge zu tragen, dass es ein Ende findet.
Hach, zum Glück gibt es ja den Himmel für Verpackungen – samt Versprechen auf Wiedergeburt: die Gelbe Tonne. Allerdings wird nur wenig, was in der Tonne landet, tatsächlich wiedergeboren… (Notiz an mich selbst: Darüber lässt sich eine separate Kolumne schreiben.)
Und was passiert mit dem Rest? Den Kleidern, den Computern, Wasserkochern, Möbeln? Bloß nicht ans Ende denken, es hat doch keinen Wert.
Dem Ende ein Ende setzen
Das gut 20 Jahre alte Konzept der Circular Economy will dem entgegen wirken. Es beschreibt die Notwendigkeit, auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen diese in Kreisläufen zu behalten, weil sie sonst irgendwann weg sind. (Merke: Aus einer verbrannten Nespresso-Kapsel wird nie wieder Aluminium.)
Das Konzept, dem Ende ein Ende zu setzen, ist gut. Aber es ist sehr technisch und wir Menschen dagegen sehr emotional – und so bleibt das Problem mit unserer Beziehung zum Ende.
Doch so, wie wir an unserem Leben hängen, können wir auch an Artefakten hängen. Zu gewissen Gütern entwickeln wir eine richtige Beziehung. Wir geben unseren Autos (oder Mäh-Robotern) Kosenamen, ehren ein vererbtes Möbelstück der Ur-Großeltern und tragen das gewisse T-Shirt so lange, bis mehr Löcher als Stoff unsere Haut bedecken, nur weil es uns an dieses eine Rockkonzert erinnert.
Wir tun dies aber nicht mit allen Gütern. Was mache ich mit meiner Apple Watch Series 3? Habe ich mehr gestreichelt als Hamster Willi, als ich fünf war. Hat länger meinen Schlaf überwacht als meine Mutter und Großmutter zusammen. Egal, kommt in die Schublade zu Series 2, 4, 5 und 6. Emotional bedenkenlos. Und dort schlummern jetzt Edelmetalle und Seltene Erden.
Lasst uns Endineering betreiben!
Warum nutzt die Wirtschaft diesen sonderbaren Sachverhalt nicht stärker aus? Warum investiert sie nur in den Anfang einer Produktbeziehung, nicht aber in ihr Ende? Und warum nehmen Marken dieses Thema nicht für sich in Beschlag und gestalten auch das Ende einer Beziehung, wie der britische Designer Joe Macleod in seinem Buch »Endineering« vortrefflich ergründet. Welche neuen Narrative würden sich daraus stricken lassen? Verbirgt sich hier etwa ein ungeheuerlicher Schatz? Einer, der das Ende der Linearität einläuten könnte?
Wenn wir das Ende gestalten, können wir es zu einem neuen Anfang machen, einen Kreis schließen. Die Designindustrie müsste dann End-Centric Design betreiben und könnte so dem Thema Circular Design eine völlig neue Bedeutung geben.
Wenn der Anfang nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern nur Mittel zum Zweck ist, dann muss der Designprozess maßgeblich verändert werden. Neue Tools und Methoden werden gebraucht, die die Beziehung zwischen Nutzer und Artefakt mit einem bewussten Ende gestalten. Welchen Einfluss hätte dies auf UX, eine Customer Journey, auf den Life Time Value eines Kunden?
Ein Beispiel, wenn auch nur ein Anfang des Möglichen: Ikea zeigt mit seinem »Circular Hub«-Konzept oder dem »Buyback Friday«, was es bedeutet, nicht nur alles auf den Anfang zu setzen, sondern das Ende bewusst in die Erlebnisstrategie mit dem Kunden zu integrieren.
Worauf wartet Ihr noch? Rebelliert gegen den Anfang und setzt das Ende in den Mittelpunkt eurer kreativen Bemühungen! Vielleicht schließt sich so, wie in der Natur, der Kreislauf des Lebens und ermöglicht der Menschheit ewiges Leben.
Der Autor: Karel Golta ist Founder und CEO der Hamburger Designagentur Indeed Innovation. Er tritt außerdem als Sprecher und Experte für Innovation im Digitalen Zeitalter auf.
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Circular Design: Prozess und Projekte – Das Fortschrittsdenken kommt an seine Grenzen. Zeit für eine neue Art, die Welt zu denken – und zu gestalten.
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