Nachhaltigkeit hat unterschiedliche Facetten. Am Beispiel des Wäscheherstellers Mey, der KfW Bankengruppe und der Deutschen Bahn zeigt die Peter Schmidt Group, wie vielschichtig und komplex das Thema sein kann.
Seit nunmehr 93 Jahren produziert Mey im schwäbischen Albstadt qualitativ hochwertige Wäsche. Das Familienunternehmen verarbeitet schon lange Biobaumwolle – inzwischen von eigenen, nachhaltig kultivierten Feldern in Peru –, lässt das verwendete Garn im Nachbardorf herstellen und alles, was möglich ist, in Europa fertigen. Rundum nachhaltig also. Die Kommunikation all dieser Werte fand allerdings kaum statt, und auch das grellorange-pinke Logo vermittelte wenig davon. Höchste Zeit also für einen Brand-Relaunch.
Heidrun Angerer, Executive Creative Director bei der Peter Schmidt Group, hatte keinerlei Zweifel, dass sich hinter Mey eine hochwertige Marke versteckt. Bei ihren Besuchen im Unternehmen war sie dann aber doch überrascht: »Die Kompromisslosigkeit und Akribie, mit der dort Qualität betrieben wird, ist für die Mitarbeitenden so selbstverständlich, dass niemand mehr auf die Idee kam, dies auch nach außen zu kommunizieren«, sagt Heidrun Angerer. Der Ansatzpunkt der Kreativen lautete: Wer so viel Wert und Mühe auf die Produktion legt, um am Ende ein hochwertiges, langlebiges Produkt zu haben, muss das zeigen – und komplett anders aussehen.
Branding: Vielfältige Toolbox
Den Anfang machte das Logo. Heidrun Angerer und ihr Team entwickelten es aus der Serifenschrift Bota, die zusammen mit der Serifenlosen Circular XX für die Kommunikation bei Mey zum Einsatz kommt. »Stickt man Buchstaben auf Stoff, entstehen automatisch Aussparungen – diesen Effekt haben wir auf das Logo übertragen«, sagt Heidrun Angerer. Von der alten Wortmarke blieb lediglich die Schräge des y. Der Zusatz »1928«, das Gründungsjahr von Mey, kommt in der Kommunikation der Dachmarke zum Einsatz, in Verbindung mit dem Produkt entfällt die Jahreszahl. Neu hinzugekommen ist der Markenclaim: »Speaking Quality« spiegelt die Werte des Unternehmens wider.
Die Farbpalette umfasst Pastell- und Kraftfarben, die saisonal erweitert werden können, um auf Trends einzugehen. Eigens entwickelte Icons heben die Besonderheiten der Produkte hervor und geben Orientierung. »Wir wollten für die Marke eine Toolbox entwickeln«, so Heidrun Angerer, »die eine große spielerische Vielfalt ermöglicht. Mit der man maximal unterhaltsam verschiedene Geschichten erzählen und unterschiedliche Muster generieren kann und die trotzdem immer wieder zurück zum Corporate Design der Marke führt.«
In den Bildwelten setzt Mey jetzt nicht mehr ausschließlich auf Models, sondern zeigt auch mal die Mitarbeitenden oder die Produktionsstätten. »Es ist heute absolut ungewöhnlich, dass man in ein deutsches Unternehmen kommt, in dem die Nähkräfte mit Vornamen bekannt sind, warum soll man das nicht auch nach außen kommunizieren«, sagt Heidrun Angerer.
Ökologisches Packaging: Qualität sichtbar machen
Ökologisches Optimierungspotenzial bestand beim Packaging. Verpackungen aus ungestrichenem, FSC-zertifiziertem Karton, bedruckt mit möglichst wenig Druckfarbe und veredelt mit Prägungen anstelle von Heißfolie, sollen die bislang verwendeten Polybeutel zunehmend ersetzen.
Die einzelnen Elemente des neuen Corporate Designs visualisieren die hohe Qualität sowie das absolute Commitment und die Fürsorge für das Produkt – vom Rohstoff bis zu den Menschen, die es erzeugen. Und das ist wichtig, denn Qualität hat ihren Preis. Will man Konsument:innen überzeugen, dass es sinnvoll und nachhaltig ist, für Unterhemden oder Boxershorts dreißig statt drei Euro auszugeben, muss man das visuell kommunizieren.
»Es ist heute absolut ungewöhnlich, dass man in ein deutsches Unternehmen kommt, in dem die Nähkräfte mit Vornamen bekannt sind, warum soll man das nicht auch nach außen kommunizieren?«
Heidrun Angerer, Executive Creative Director bei der Peter Schmidt Group
»Seit bald 100 Jahren beständig hochwertige Waren zu produzieren, die ewig lange halten – das ist eine brandaktuelle Art von Nachhaltigkeit, die moderne Menschen suchen«, erklärt Heidrun Angerer. Und so möchten die Kreativen der Peter Schmidt Group mit dem Brand-Relaunch ein Signal an die Verbraucher:innen senden: vor dem Kauf darüber nachzudenken, warum die Unterhosen beim Discounter zwei Euro neunzig kosten und ein ordentlich hergestelltes Markenprodukt eben ein bisschen teurer sein muss.
KfW: Barrierefreiheit als Qualitätskriterium
Barrierefreiheit ist ein zentrales Element in der nachhaltigen Unternehmensarbeit und hat bei der KfW, Deutschlands größter Förderbank, große Bedeutung. Bei der initialen Entwicklung des Corporate Designs vor einigen Jahren stand aber noch die Implementierung der Markenpositionierung und -werte im Fokus der Arbeit. Gemeinsam und von dieser Basis ausgehend entwickelten die Peter Schmidt Group und die KfW den Unternehmensauftritt weiter mit dem Ziel, die Herausforderung Barrierefreiheit zu meistern. »Nachhaltigkeit, Verantwortung sowie Verbesserung im Sinne des Gemeinwohls prägen die Aktivitäten der KfW. Diversity und Inklusion werden bei uns wirklich gelebt, sie sind nicht nur leere Worthülsen«, erläutert Dörte Fischer, Corporate-Design-Managerin bei der KfW, die große Motivation, das Design zu überarbeiten. Dazu kommt, dass die KfW als öffentliche Institution dem Bundesgleichstellungsgesetz unterworfen ist – Barrierefreiheit ist ihr also per Gesetz vorgegeben.
Der gestalterische Spagat, den die Peter Schmidt Group in diesem Projekt zu bewältigen hatte, bestand in der Aufgabe, einerseits das erfolgreich etablierte und visuell starke Corporate Design zu wahren und andererseits der Konformitätsstufe AA der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) gerecht zu werden. Denn genau diese ist gemäß der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) für öffentlich-rechtliche Unternehmen in Deutschland verpflichtend.
Barrierefreiheit: Hellgrün? Ja, aber …
Konkret ging es bei der Designanpassung vor allem um Farbkontraste. In einer vorangestellten Analyse identifizierten die Kreativen einige Problemstellen. »Als wir 2016 das Corporate Design entwickelten, war Nachhaltigkeit ein wichtiger Faktor, bezog sich aber eher auf die Wirkung der Gestaltung. Das helle Grün war hier die perfekte Wahl: In impliziten Tests mit Kunden und Entscheidern hatten wir festgestellt, dass es die gewünschten Attribute sehr gut vermittelt«, sagt Felix Damerius, Creative Director bei der Peter Schmidt Group. »Leider kommt es bei hellem Grün oder auch Blau zu schwachen Kontrasten, das heißt der von den WCAG vorgegebene Wert lässt sich nicht erreichen.«
Genau an diesen Stellschrauben musste gedreht werden – mit Bedacht: Denn trotz allem galt es, die Markentypik zu wahren. Eine Erleichterung war, dass im Auftritt der KfW bereits einige dekorative Elemente genutzt wurden. Diese müssen nicht zwangsläufig barrierefrei sein und konnten daher beibehalten werden – zum Beispiel illustrierende Grafiken oder der markante hellgrüne Dreierpfeil: Dieser leitet Überschriften ein oder kann als Gestaltungselement auf Themenschwerpunkte hinweisen.
Immer aber, wenn es um die Vermittlung von relevanten Informationen geht – und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Grafik oder um Text handelt –, muss Barrierefreiheit gegeben sein. Eine tabellarische Übersicht mit nutzbaren Farbwerten und Schriftgrößen gibt den Anwender:innen Orientierung. »Ein mühsames Stück Arbeit«, wie Felix Damerius betont. Aber für ein Design, das für alle zugänglich sein will, eben unverzichtbar.
Sustainable Design: Konzentration und Sorgfalt
Zwar definieren die WCAG grundsätzlich Standards für Inhalte, die online bereitgestellt werden – dennoch musste aus verschiedenen Gründen das gesamte Design optimiert werden. »Wenn im Unternehmen Unterlagen erstellt werden, kann man nicht voraussehen, ob diese nur analog genutzt werden oder langfristig doch auf der Website landen«, sagt Dörte Fischer. »Also haben wir alles angefasst. Auch damit der visuelle Auftritt der KfW überall konsistent erscheint.«
»Die tabellarische Übersicht mit nutzbaren Farbwerten und Schriftgrößen war ein mühsames Stück Arbeit, aber für ein Design, das für alle zugänglich sein will, eben unverzichtbar«
Felix Damerius, Creative Director bei der Peter Schmidt Group
Es ging aber nicht allein um das Design, sondern auch um technische und redaktionelle Herausforderungen, beispielsweise den Aufbau von Office-Templates oder das unbedingte Einpflegen von Alternativtexten für Bilder und Grafiken. Und die Mitarbeitenden mussten für das Thema sensibilisiert werden – weil es im Alltag eine große Umstellung bedeutet: Bei der KfW arbeiten rund 6000 Leute. Sie müssen wissen, wie sie das Corporate Design korrekt anwenden können – in PowerPoint-Präsentationen, Factsheets oder Broschüren. Deshalb dürfen die Vorgaben nicht zu kompliziert umzusetzen sein. Niemand hat Lust, bei der Gestaltung einer Präsentation ständig in die Richtlinien schauen zu müssen. »Dokumente so aufzubauen, dass sie am Ende barrierefrei sind, erfordert viel Konzentration und Sorgfalt. Dafür haben wir eine Lösung gefunden, die unsere Markentypik erhält und eine gute Anwendbarkeit bietet«, so die Corporate-Design-Managerin. Inzwischen sind die Office-Templates für die Unternehmenskommunikation sowie Tutorial-Videos für die Mitarbeitenden fertig. Natürlich ist die Umsetzung von Barrierefreiheit ein fortlaufender Prozess, bei dem immer wieder Optimierungsbedarf entstehen kann.
Barrierefreiheit von Anfang an mitdenken
Ihr Corporate Design hinsichtlich seiner Barrierefreiheit zu überprüfen, wird demnächst auf viele Unternehmen zukommen. »Als Gestalter:in kann man darüber stöhnen, aber Barrierefreiheit geht uns alle an, denn sie hat eine Steigerung der Benutzer:innenfreundlichkeit zur Folge«, so Felix Damerius. »Wenn ich im Park in der Sonne stehe und auf mein Handy schaue, hilft mir ein gutes Kontrastverhältnis auch.«
Ein Stück weit könnte sich Barrierefreiheit auch zu einem Hygienefaktor in der Gestaltung entwickeln – das heißt, sie würde von User:innen erst dann bewusst wahrgenommen, wenn ihr Fehlen Unzufriedenheit auslöst. Von daher ist es sinnvoll, das Thema am Anfang eines Kundenprojekts anzusprechen. »Es ist deutlich einfacher, Barrierefreiheit von Anfang an zentral mitzudenken, als sie nachträglich umzusetzen«, weiß der Creative Director. »Sie beeinflusst natürlich auch das Design. Nicht umsonst verwenden Apple, Google und Co alle einen ähnlichen Blauton: Der Spielraum ist hier nicht groß.« Manche Gestalter:innen könnten jetzt befürchten, in ihrer Kreativität eingeschränkt zu werden. Im Sinne eines Zugangs für alle Menschen zu digitalen Inhalten kann man das wohl verschmerzen. Und dann gibt es ja noch die dekorativen Elemente …
Deutsche Bahn: Gleiches Recht für alle
Ökologisch ist die Deutsche Bahn schon sehr gut unterwegs. Die Verkehrswende gilt bei immer mehr Menschen als zentraler Ansatzpunkt, um CO₂-Emissionen zu senken, und entsprechend rückt das Unternehmen seine Nachhaltigkeitsinitiativen in den Mittelpunkt der Kommunikation, angefangen bei der Nutzung von Ökostrom im Fernverkehr bis hin zur Förderung der Biodiversität. Seit einiger Zeit widmet sich das Unternehmen verstärkt auch Aspekten der sozialen Nachhaltigkeit.
Was die Barrierefreiheit angeht, konnte die Peter Schmidt Group auf gute Grundlagen zurückgreifen, beispielsweise die sorgfältig von Erik Spiekermann gezeichnete Hausschrift. »Wir haben sie lediglich etwas für den Bildschirm optimiert und einen Medium-Schnitt hinzugefügt«, sagt Creative Director Felix Damerius. Und auch das Rot der Deutschen Bahn benötigte nur eine ganz leichte Anpassung, um die Anforderungen der WCAG zu erfüllen.
Für die Bahn spielen aber auch Themen wie Diversity eine wichtige Rolle – sie ist ein großer Konzern, der für alle gleich gut zugänglich sein will. Das betrifft etwa die Icons, die unbedingt gendersensibel sein sollen. Und so wird man an den Türen des Familienabteils künftig keine Icons einer Frau und eines Kindes sehen, sondern zwei große Personen und eine kleine.
Aber auch bei Avataren, den virtuellen Assistent:innen der Bahn, ist Gendergerechtigkeit von Bedeutung. Zunächst machten die Kreativen eine Bestandsaufnahme und stellten fest: Das Thema wurde im Unternehmen sehr unterschiedlich interpretiert. Vom netten Roboter Kai über den sprechenden Zug Kio und die freundliche Sekretärin oder hilfsbereite Servicekraft bis zum ziemlich realen 3D-Kopfmodell. »Die entsprechenden Abteilungen bei der Bahn hatten sich eher mit der Technik und weniger mit dem Design beschäftigt – es gab hier keine zentrale Strategie, wie ein virtueller Assistent aussehen soll«, erklärt Felix Damerius die Vielfalt.
Zu Sprachinterfaces als relativ neuem Medium gibt es nur wenige Untersuchungen, was Gendergerechtigkeit angeht, am umfangreichsten ist die von der UNESCO herausgegebene Studie »I’d blush if I could«. »Die wenigsten Menschen hinterfragen virtuelle Assistenten, Siri spricht halt, wie sie spricht«, sagt Felix Damerius. »Gleichzeitig haben sie ganz gefestigte Meinungen im Kopf, was eine weibliche und eine männliche Stimme ausmacht und was sie kommuniziert. Weibliche wirken beruhigend, optimistisch, sympathisch und zugänglich, männliche kompetenter, aber auch autoritär und durchsetzungsfähig.«
»Es war schön für uns, zu sehen, wie sich nach und nach alle von der netten Servicekraft mit dem Halstuch verabschiedeten und mit unserem abstrakten, aber sympathischen Chatbot anfreundeten«
Felix Damerius, Creative Director bei der Peter Schmidt Group
Neutrale Stimmen
Ist also ein weiblicher Avatar besser für die Deutsche Bahn geeignet, weil man den Rat suchenden Leuten ja weiterhelfen und sie nicht autoritär bevormunden will? Obwohl die UNESCO-Studie feststellt, dass die Auswahl weiblicher Stimmen die Vorurteile gegenüber Frauen verfestigen kann? »Der Königsweg wäre, komplette Neutralität in der Stimme und in der Ausformulierung hinzubekommen. Es gibt hier schon synthetische, neutrale Ansätze wie zum Beispiel genderlessvoice.com«, so Felix Damerius. »Eine andere Option ist, dialogisch aufzutreten, mit zwei Stimmen, die sich – etwa in Warteschleifen – abwechseln.«
Auf visueller Ebene haben die Kreativen eine ebenso geschlechtsneutrale wie logische Lösung gefunden: DB Smile. Schon 2020 entwickelte die Peter Schmidt Group für die Deutsche Bahn ein digitales Designelement, den »Puls«: eine lebendige rote Linie, die durch ihr Verhalten – etwa schnelles Pulsieren – Informationen und Emotionen zugleich vermittelt (siehe www.page-online.de/empathic-branding-praxis). DB Smile ist eine Sprechblase mit einem lächelnden Puls darin – eine Lösung, die auf der Hand liegt und doch einen sehr weiten Weg hinter sich hat. »Viele Bahnmitarbeiter:innen kennen die digitalen Assistenten schon seit Jahren und haben sie richtig lieb gewonnen. Es war schön für uns, zu sehen, wie sich nach und nach alle von der freundlichen Servicekraft mit dem Halstuch verabschiedeten und mit unserem abstrakteren, aber sympathischen Chatbot anfreundeten«, sagt Felix Damerius.
Corporate Design, Packaging, Barrierefreiheit, Diversity: Die Projekte der Peter Schmidt Group haben einmal mehr deutlich gemacht, dass der Beruf von Designer:innen vielfältig und spannend ist. Und sie beweisen: Letzten Endes hat alles mit Nachhaltigkeit zu tun.
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