Remote Work ist mehr als Homeoffice. Wir sprachen mit Beraterin Juliana Danner darüber, wie eine echte Remote-Kultur aussehen sollte.
Juliana Danner bringt mit ihrer Recruiting- und Beratungsfirma On and Offer Kreative und Arbeitgeber zusammen – fest oder frei, vor Ort und zunehmend auch remote. Sie findet, dass die eigentlich zukunftsgewandte Kreativbranche in puncto Remote Work noch ziemlich am Anfang steht. Wir sprachen mit ihr darüber, was Agenturen tun können, um eine echte Remote-Kultur zu etablieren – und sich so auch als Arbeitgeber besser zu positionieren.
Die Option, remote zu arbeiten, taucht in immer mehr Stellenanzeigen der Kreativbranche auf. Warum hast du ein Problem damit?
Juliana Danner: Zunächst einmal bin ich keine Verfechterin der klassischen Stellenanzeige. Recruiting ist ein andauernder Prozess: Statt punktuell Stellen zu besetzen, sollten Agenturen und Unternehmen stets genau wissen, welche kreativen Kräfte und Skills ihnen gerade fehlen – und dafür gezielt die richtigen Leute suchen. Remote Work an sich finde ich großartig. Doch wird der Begriff viel zu undifferenziert verwendet und etwa mit Homeoffice gleichgesetzt.
Was macht denn echte Remote Work aus?
Sie setzt eine ganz andere Arbeitskultur voraus, als wir sie in den meisten Agenturen sehen. Wer seine Belegschaft ins Homeoffice schickt, gibt ihr die Arbeit mit nach Hause – und erwartet, dass sie sie nach einer bestimmten Zeit wieder in das Unternehmen zurückträgt. Genau das meint remote nicht! Remote Work ist asynchron und selbstbestimmt. Sie basiert auf Vertrauen statt auf Kontrolle und hat nichts damit zu tun, an welchem Schreibtisch man sitzt oder nicht sitzt.
Wie funktioniert das in der Praxis?
Der erste Schritt ist die Bereitschaft der Führungsebene, eine entsprechende Haltung einzunehmen. Workshops und externe Beratungen können dabei sehr hilfreich sein, denn sie bringen uns dazu, festgefahrene Strukturen zu überdenken. Außerdem sind klare Spielregeln in Form eines Kommunikationsleitfadens unumgänglich. Es muss festgelegt sein, über welche Kanäle zu welchen Anlässen kommuniziert wird oder wie lange die Antwortzeiten sein dürfen. Wenn zum Beispiel ein Chat, der sich um ein bestimmtes Problem dreht, länger als zehn Minuten dauert, ist es effizienter, sich per Videocall zusammenzuschalten. Wenn die Spielregeln allgemein anerkannt sind und jeder gelernt hat, sich zu organisieren, Dringlichkeiten einzuschätzen oder auch Aufgaben abzugeben, fühlt sich die Zeit zwischen einer Frage und einer Antwort auch nicht mehr wie Wartezeit an, sondern lässt sich selbstbestimmt nutzen.
Wie müssen Chefs und Chefinnen ihren Teams in einer Remote-Kultur begegnen?
Remote zu arbeiten heißt nicht, dass man mit seinem Team nichts zu tun hat – ganz im Gegenteil. Es ist entscheidend, wie gut man sich kennt. Ich kann mir vorstellen, dass sich mit der Zeit neue Jobprofile etablieren, beispielsweise das eines internen Community Managers. Das Feedback – sowohl fachlich als auch menschlich – muss in ganz kurzen Schleifen stattfinden.
Ist Remote Work genauso effizient wie die Arbeit im Büro?
Nach meiner Erfahrung ist sie sogar effizienter. Agenturen beschreiben sich ja gerne als Umfeld, das die Kreativität und Produktivität besonders fördert. Das sehe ich nicht so. Es gibt viele Studien, die zeigen, dass man in einem Großraumbüro, in dem viele Personen zusammenarbeiten, im Schnitt alle drei Minuten aus seiner Arbeit »rausgerissen« wird. Danach braucht man eine Minute, um wieder zurückzufinden. Um aber wirklich kreativ zu werden, muss man sich 20 Minuten am Stück konzentrieren. Deep Work ist also in der Agentur gar nicht möglich. Diese als Ort hochzuhalten, an dem die besten Ideen entstehen, rührt aus dem Bedürfnis nach Kontrolle – und genau das ist der Pain Point.
Wie lässt sich das verändern?
Durch Selbstreflexion! Während der Lockdowns haben wir öfter gehört, dass Projekte mit mehr Tempo vorangingen, weil die Chefs vor dem Hintergrund der Reisebeschränkungen verfügbar waren und schneller Entscheidungen getroffen haben. So etwas kann man zum Anlass nehmen und fragen: Warum muss eine Führungskraft so viel Macht an sich binden, dass ihre Freigaben zum Bottleneck werden? Remote Work bedeutet auch, alte Strukturen loszulassen.
Für viele Kreative ist eine Agentur umso attraktiver, je mehr man dort lernen kann. Wie kann man das remote abbilden?
Der Schulterblick, das Abschauen, das Zuhören bei einem Telefonat, kurz: Situationen, aus denen gerade Junior:innen viel lernen, fallen erst einmal weg. Das lässt sich durch Shared Screens auffangen, durch kurze Videos, in denen die Erfahreneren im Team zeigen, was zum Beispiel ein gutes Briefing enthalten muss oder wie man bestimmte Vorlagen verwendet. Und durch eine lückenlose Dokumentation der eigenen Arbeit. Voraussetzung ist auch hier ein grundsätzliches Bekenntnis zu Remote Work, denn diese Dinge kosten natürlich Zeit. Mittel- und langfristig machen sie aber viel essenzielles Wissen zugänglich. Zudem sorgen sie für mehr Transparenz.
Trotz all dieser Vorteile haben viele Kreative das Bedürfnis, für bestimmte Aufgaben wieder physisch zusammenzukommen.
Remote Working schließt ein Zusammenkommen in der Gruppe – wo auch immer – nicht aus. Stattdessen lässt es zu, dass wir uns für jeden Aufgabentyp den optimalen Ort und die passende Zeit wählen.
Mehr zum Thema Hybrid Work finden Sie in unserem Artikel »Hybrid Work: Wie werden wir in Zukunft arbeiten?«, den Sie in PAGE 07.2021 ab Seite 88 oder in unserem P+-Artikel lesen können.