ürgen Siebert über »Dogfooding« – der einfachste und effizienteste Weg für ein Unternehmen, das Vertrauen in die eigenen Produkte zu demonstrieren.
Der britische Geschäftsmann Alan Sugar hat sich mit zwei Lebensleistungen in die Geschichtsbücher eingetragen. 1968 gründete er in Brentwood ein legendäres, nach ihm selbst benanntes Homecomputer-Unternehmen: Amstrad, wie Alan Michael Sugar Trading. Die Amstrad-Rechner – in Deutschland liefen sie unter dem Namen Schneider – waren für meine Generation neben dem Commodore 64 die Einstiegsdroge fürs Private Computing.
37 Jahre später landete Sugar mit der Aussage »Next Christmas the iPod will be dead, finished, gone, kaput« in den Top Ten der missglückten Industrieprognosen. Tatsächlich wurden bis heute über 400 Millionen iPods verkauft, und die Zahlen gehen vor allem deshalb zurück, weil das iPhone die Funktion des Musikplayers übernommen hat.
Die Zukunft ist schwer vorherzusagen, selbst visionäre Industriekapitäne scheitern daran. Der Grund: Häufig konzentrieren sie sich auf die falschen Parameter. Die einen verlieren sich in technischer Hochrüstung – schneller, stärker, kleiner –, anderen schielen auf die Wettbewerber, um sie zu kopieren. Marktführer verlieren die Bodenhaftung im Rausche des Erfolgs.
Tatsächlich ist es das Verhalten der Verbraucher, das Industrien verändert. Werfen wir nur einen Blick in die Medienlandschaft, mit der wir kreativen Gestalter auf unterschiedliche Weise beruflich verbunden sind. Über Jahre folgte sie ihren technischen Jahresplänen: größere Bildschirme, mehr Pixel, fettere Boxen, besserer Sound. Dann geschah das Unvorstellbare. Anstatt Super-Audio-CDs luden sich Musikfreunde MP3-Dateien in Miniplayer. Und noch bevor die Blu-ray-Disc zu Hause die Regale füllte, gefiel uns das Downloaden und Streamen von HD-Filmen viel besser. Wir Konsumenten haben den Qualitätspfad verlassen und erachten auf einmal Komfort und Vernetzung als wertvoller.
Ein großer Meister in der Disziplin, den Verbrauchern die Wünsche von den Augen abzulesen, war Steve Jobs. Selbst drei Jahre nach seinem Tod bewegen sich viele technische Innovationen noch auf Gleisen, deren Weichen er gestellt hat. Selbstverständlichkeiten wie das kostenlose Messaging, zum Beispiel mit WhatsApp, oder das kostenlose Teilen von Fotos und Filmen wären ohne die von ihm erdachte Hard- und Software zuzüglich seines Einflusses auf die Netzbetreiber kaum möglich gewesen. Wer schon mal im Telekom-Netz eine kostenpflichtige (!) Multimedia Message (MMS) versendet hat, hat eine Vorstellung davon, was eine Spaßbremse ist.
Was befähigt einen Menschen dazu, solche technischen Veränderungen vorauszusagen? Der logische, aber bisweilen schwierigste Weg ist, selbst zum Konsumenten zu werden. Das mag für den Hersteller von Herzschrittmachern schwieriger sein als für ein Internetunternehmen, aber selbst dort gibt es bewundernswerte Interesselosigkeit an den eigenen Produkten. Von Google-Chef Eric Schmidt ist bekannt, dass er seinen Büroalltag mit einem Blackberry managt, anstatt mit einem Smartphone aus dem eigenen Stall, also mit dem Betriebssystem Android.
In den USA gibt es den Ausdruck »Dogfooding« oder »Eating your own dog food«. Dies ist der einfachste und effizienteste Weg für ein Unternehmen, das Vertrauen in die eigenen Produkte zu demonstrieren. Diese Haltung ist auch der Grund dafür, dass bei Apples Produktvorstellungen die Senior Vice Presidents höchstpersönlich die Neuheiten vorführen, während bei Samsung oder Microsoft immer die Techniker ranmüssen, wenn eine Live-Demo eingeschoben wird. Selbst der Name der Apple-Show ist Programm: Keynote heißt die verwendete Präsentationssoftware, die Apple inzwischen ihren Kunden mit OS X schenkt.
Auch bei PAGE haben wir von der ersten Stunde an Dogfooding betrieben. Bereits die erste Ausgabe wurde mit der Technik produziert, die unser Thema war: Desktop-Publishing. Und deswegen waren unsere Berichte fundiert und ehrlich (und sind es immer noch), die Gestaltung leidenschaftlich und das Themenspektrum praxisnah. Klingt ganz einfach, oder? Probieren Sie es doch selbst aus. Endlich mal die Homepage auf Stand bringen, in die Rolle eines Auftraggebers schlüpfen oder das eigene Produkt testen … das wären erste mögliche Schritte.