Karl Wolfgang Epple reist durch Asien, um Menschen und Märkte besser kennenzulernen. Diesmal: Wie Instagram unser Reiseverhalten beeinflusst.
Hongkong ist der dritte Stopp auf der Asien-Reise von Karl Wolfgang Epple, zuletzt Executive Creative Director bei thjnk. Bei der Erkundung der Stadt denkt er über die Rolle nach, die Instagram mittlerweile im Tourismus-Marketing spielt – und wie die Plattform neue Sehenswürdigkeiten schafft. Seinen ersten Stopp machte er in Südkorea, seinen zweiten in Taiwan.
Tausend Bilder sagen mehr als tausend Worte
Seitdem es bei Facebook diese Snooze-Funktion gibt, dank der man bestimmte Leute 30 Tage lang nicht mehr ertragen muss, ist mein Leben auf jeden Fall angenehmer geworden. Ich persönlich nehme mir besonders oft eine Auszeit von politischen Stammtischparolen. Laut einer Britischen Umfrage des Reiseportals Sunshine sind aber für 21% aller Stummschalter angeberische Urlaubsfotos der ausschlaggebende Grund. Und mal ehrlich: Extra ein Urlaubsbild posten, nur um die anderen anzuärgern – wer liebt es nicht! Aber irgendwie ist es auch seltsam, dass uns diese ganze Social-Media-Sache wirklich so kümmert, oder? Dass uns das so wichtig ist.
Social Media spielt auch hier in Hongkong eine tragende Rolle: Die Demonstranten organisieren sich überwiegend in zwei Apps: Ein Drittel nutzt LIHKG (Hongkongs Reddit-Pendant), um Märsche zu planen. 7 Mio. Hongkong Dollar (über 800.000 €) haben die Aktivisten auf LIHKG schon gesammelt, um ihre Botschaften als Werbeanzeigen in internationale Zeitungen zu bringen. Noch mehr Demonstranten (50%) nutzen Telegram, den verschlüsselten Instant-Messenger, auf dessen Server die Behörden nicht zugreifen können. Auf chinesischer Seite hingegen spricht man bei Weibo von Vandalismus und auf WeChat verschwinden Fotos der Proteste. Der Hongkong-Konflikt ist auch ein Social-Media-Konflikt. Um die Unsicherheit des Webs zu umgehen, nutzen viele Demonstranten sogar eine dritte App: Bridgefy verbindet sich nicht mit dem Internet, sondern per Bluetooth. Alle User werden in einem Mesh-Netzwerk verflochten, sodass sie auch dann miteinander chatten können, wenn sie sich in einem anderen Teil der Stadt befinden – indem die Nachricht von Telefon zu Telefon anderer Benutzer springt, bis sie die Zielperson erreicht.
Aber jetzt sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich nicht mehr über Politik spreche. Ich kenne mich mit Social Media und Tourismus Marketing einfach besser aus, verstehen Sie. Und ja, auch im Tourismus nimmt Social Media eine Schlüsselrolle ein. Und ich meine nicht nicht die Reviews auf Yelp und TripAdvisor, um die Sie hier jeder Kellner bittet. Ich meine den enormen Einfluss von Photo-Sharing-Plattformen, allen voran Instagram. Wenn Sie wie ich ein Millennial sind (Jahrgang 81–96), stehen die Chancen ganz gut, dass Instagram an der Wahl ihres Urlaubsziels nicht ganz unbeteiligt ist. Die Strategin Anna Winkler erzählte mir unlängst, dass laut einer WeSwap-Studie aus dem letzten Jahr 61% der Millennials die Instagrammability des Reiseziels berücksichtigen. Kann auch sein, dass sie sich bloß bei Instagram inspirieren lassen, daran erinnere ich mich nicht genau, aber eins ist klar: Wetter, Lage und Preis sind nicht mehr alles.
So bescheuert es sich anhören mag: Dank Instagram gehen Orte viral. Der norwegische Felsvorsprung Trolltunga hatte 2010 noch 800 Besucher, 2018 waren es dank Instagram 100.000. Auch ich würde gerne mal an einige Orte reisen, die ich nur von Instagram kenne, z.B. Le Sirenuse in Positano oder Soneva Jani (Google Bildersuche lohnt sich!). Und ich bin mir sicher, dass auch die Architekten des neuen Changi Airport Terminals 4 in Singapur die Instagrammability im Sinn hatten, als sie einfach mal eine Rutsche in die Halle bauten, durch die man in die Transit-Area gelangt.
Die Gier nach dem viralen Foto nimmt besonders bei den Usern immer bizarrere Formen an: Wenn Sie z.B. den Hashtag #exclusionzone bei Instagram eingeben, finden Sie über 25.000 Fotos von Influencern und Möchtegerns, die in Tschernobyls Sperrzone verbotenerweise Selfies knipsen. Das wurzelt freilich anteilig in der HBO-Serie, tiefer aber noch im Bedürfnis, von einem Ort zu posten, an dem die anderen noch nie waren. Ich ertappe mich gelegentlich selbst dabei: Das erfolgreichste Foto auf meinem Instagram-Kanal habe ich auf einem Basketballplatz im Choi Hung Estate geschossen – einer Wohnanlage, fernab der Touri-Orte in Kowloon, dem nördlichen Teil Hongkongs. Damit mir das keiner so schnell nachmachen kann, habe ich als Geotag aber nur das unpräzise »Hongkong« eingetippt. In der Post-Foursquare-Epoche ist es eben manchmal schicker, nicht zu viel zu verraten.
Moment mal; sagte ich eben fernab der Touri-Orte? Eigentlich stimmt das ja eben genau nicht: Social Media schafft neue Sehenswürdigkeiten. Zwar besuchen die Massen auch weiterhin die Klassiker wie Victoria Peak und die Star Ferry, doch Instagram-Hotspots reihen sich ein in die Riege der meistfotografierten Attraktionen: die Murals in der Graham Street, das blaue Haus in Wan Chai und die architektonischen Symmetrie-Wunder des majestätischen Yik Cheong Gebäudekomplexes (siehe Foto ganz oben). Mithilfe von Geotagging kann man diese Hotspots ganz leicht finden.
Die daraus resultierende Flut an Smartphone-Pilgern bringt natürlich auch Probleme mit sich. Und das überall. So regt etwa die Initiative »Leave No Trace« die 78 Mio. jährlichen Besucher Colorados dazu an, bewusst auf Geotags zu verzichten, um Geheimtipps vorm Überlaufenwerden zu schützen – und allen seinen Folgen wie Umweltverschmutzung, Waldbrand und Gefährdung der Tierwelt. Es ist ein bisschen wie beim Ende von»Bibi Blocksberg auf der Märcheninsel«, als alle beschließen, den Ort lieber geheim zu halten, damit keine Touris kommen und alles kaputt machen. Die Stadt Wien findet die Smarphonerei sogar so zaach, dass sie sich mit der Kampagne »Unhashtag Vienna« zur Wehr setzt. Sie ist eine Einladung, Österreichs Hauptstadt statt durch einen Filter mit den eigenen Sinnen zu erleben und so eigene einzigartige Erinnerungen zu schaffen.
Unhashtaggen würde ich Hongkong nicht. Schließlich ist es nicht Social Media allein, das die weißen Flecken auf der Landkarte verschwinden lässt. Chinas wachsende Mittelschicht und weltweit boomende Billigfluglinien verursachen jährlich 1 Mrd. Flugreisen. Das nun Instagram anzuhängen wäre wohl etwas kurz gesprungen. Aber der Ansatz ist interessant: Man sollte als Besucher nicht immer nur dem Foto hinterherjagen. Es muss auch mal Zeit sein für ein echtes Erlebnis, für ein Wertschätzen der Geschichte und der Kultur, die einen »Hotspot« umgibt. Vielleicht kann man ja nach dem Besuch eines Murals oder eines Tempels wenigstens kurz bei einem Yuanyang (drei Teile Kaffee, sieben Teile Milchtee) innehalten. Den French Toast kann man ja ruhig posten.
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Der Autor
Karl Wolfgang Epple war zuletzt ECD und Partner bei thjnk. Aktuell bereist er sieben asiatische Länder, um ihre Menschen und Märkte näher kennenzulernen. Seine Erkenntnisse teilt er in dieser Kolumne. Hier geht’s zum ersten Teil: Südkoreaund zum zweiten Teil: Taiwan.
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