»Going digital bedeutet nicht Going boring«: Eine Designkritik von Ruediger Goetz von der Peter Schmidt Group.
Bild: Fotograf Andreas Klingberg
Johnson & Johnson hat sich einen neuen Markenauftritt zugelegt: Nach sage und schreibe 136 Jahren wirft das Pharma-Unternehmen seinen handgeschriebenen Schriftzug über Bord. Ein richtiger Schritt? Nein, findet Prof. Ruediger Goetz, Managing Director der Peter Schmidt Group. Aber einer, der sehr viel über das Unternehmen erzählt. Vielleicht sogar zu viel.
Eine Konsens-Lösung, die zu schwach ist, um einen Purpose zu vermitteln
Ich schreibe eigentlich lieber über gutes Design. Sich an Negativbeispielen abzuarbeiten und an ihnen genüsslich herumzukritisieren, wirkt schnell wie besserwisserische Kollegenschelte. Daher gleich zum Anfang: Ich habe zutiefst Respekt vor der Arbeit von Wolff Olins. Für mich ist sie eine der herausragenden Agenturen unserer Zunft. Aber auch eine solche ist eben nicht davor gefeit, zwischen die Mühlsteine der Unternehmenspolitik zu geraten. Und ich vermute, genau dies ist bei Johnson & Johnson geschehen.
Aber der Reihe nach. 1887 führte Johnson & Johnson einen in Schreibschrift verfassten Schriftzug als Wortmarke ein. Exakt 136 Jahre hat dieser überdauert und man darf sich gerne vor Augen führen, welche Krisen das Unternehmen mit ihm durchgestanden hat. Nun wischt man ihn fort – und mit ihm auch das Branding von Janssen, der pharmazeutischen Sparte, die nun unter die Konzernmarke Johnson & Johnson eingegliedert wird.
An beider Stelle tritt eine serifenlose Lösung mit einem ausgeprägten &. Weil man Pharma- und Medizinsparte stärker zusammenführen will? Ich finde: Diese Intention rechtfertigt weder Bruch noch die Aufgabe bestehender visueller Equity! Sie macht auch das Ergebnis nicht besser.
An drei Punkten klemmt es nämlich gewaltig:
1. „Going digital“ bedeutet nicht „Going boring“
„Die Marke muss digital funktionieren“ ist eine Binsenweisheit. Aber daraus Schlichtheit oder Reduktion zu machen, ist ein massiver Übersetzungsfehler. Das Gegenteil ist richtig: In digitalen Medien wächst die visuelle Konkurrenz und die Aufmerksamkeitsspanne bei Konsument:innen sinkt. Zugleich geben uns aber Technologien und Übertragungsraten nie dagewesene Möglichkeiten für kreative, spannende Darstellungen – es gibt also keinen Grund für Pragmatismus, wenn man aus der Masse herausstechen will.
Doch genau diesen pragmatischen Weg geht Johnson & Johnson: Das Unternehmen opfert einen Schriftzug voller Charakter sowie die ikonische Janssen-Bildmarke, für eine Lösung, die digital sicher gut darstellbar ist, aber keinerlei Emotionen auslöst und keine visuelle Kraft besitzt.
2. Verlier das Publikum nicht aus dem Blick
Auch dieser Spruch ist ein Klassiker: „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“ Branding ist immer auch Markenkommunikation: omnipräsent, unterschwellig und mächtig. Dabei sollte man aber immer eine klare Strategie verfolgen, wen man eigentlich erreichen möchte. Für mich ist augenscheinlich, dass auf dem Weg des Designprozesses die Zielgruppe völlig aus dem Blick geraten ist.
Wolff Olins war für mich immer ein Vorbild für mutiges Branding, daher möchte ich die Agentur hier nicht allein für die Gestaltung verantwortlich machen. Vielmehr wirkt es so, als hätte man sich für die politisch bequemere und nicht für die kommunikativ stärkere Lösung entscheiden müssen.
Für den Finanzmarkt – der viel emotionaler tickt, als man ihm gemeinhin unterstellt – ist der Relaunch eine verpasste Gelegenheit der strategischen Kommunikation. Für Mitarbeitende und potenzielle neue Talente sogar ein Schlag ins Gesicht: Man nimmt ihnen eine Marke voller Tradition und gibt ihnen eine neue voller Mittelmäßigkeit und Unentschlossenheit.
Eine Konsens-Lösung, die zu schwach ist, um einen Purpose zu vermitteln. Die keine Antwort darauf findet, was es einzigartig macht, bei Johnson & Johnson zu arbeiten. Die das, worauf Generation Z und Alpha achten, nicht kommuniziert.
3. Buzzwords erzeugen keine Wirkung
Bei der Vorstellung des neuen Markenauftritts geizt Johnson & Johnson nicht mit detaillierten Beschreibungen der kommunikativen Ziele und wie diese durch den neuen Schriftzug erreicht würden. Rhetorisch werden alle Buzzword-Register der Marketing- und Markenkommunikation gezogen: ein weiterer Versuch, gestalterische Mutlosigkeit durch Verbal-Akrobatik zu kompensieren.
Die Behauptung, der neue Schriftzug sei eine moderne Interpretation des Originals, ist visuell nicht nachvollziehbar. Auch »Überraschung und Menschlichkeit« sehe ich hier nicht: der Schriftzug ist durchschnittlich und charakterlos.
Der Gipfel der Rhetorik ist jedoch das Feiern des &-Zeichens als Symbol für Offenheit und den hohen Anspruch, sich für das Wohl von Menschen einzusetzen. Wahrnehmungspsychologisch ist all das selbst mit bestem Willen nicht nachvollziehbar. Es ist die Karikatur einer gestalterischen Herleitung.
Ein visueller Spiegel der Mittelmäßigkeit
All diese handwerklichen und kommunikativen Fehler sind umso erstaunlicher, weil Johnson & Johnson nicht irgendein hinter den Kulissen agierender B2B-Konzern ist, sondern eine echte Größe im Bereich der Konsumgüter. Die Verantwortlichen sollten also die Macht von Branding kennen.
Man mag einwenden, dass es keine leichte Aufgabe ist, einen so vielschichtigen Konzern wie Johnson & Johnson – auch visuell – weiterzuentwickeln, aber vergleichbare Unternehmen wie Unilever und erst kürzlich GSK, haben gezeigt, wie es gehen kann.
Dass es bei Johnson & Johnson eben nicht gelingt, deutet weniger auf ein Versagen der Agentur hin. Vielmehr legt es den Kern des Unternehmens oder seiner Strukturen auf Führungsebene offen: Ein Markenauftritt als Spiegel der Mittelmäßigkeit.
Danke an Johnson & Johnson, dass Kund:innen, Öffentlichkeit, Investor:innen, Mitarbeitende und potenzielle neue Talente nicht mit einer glitzernden Hülle getäuscht werden. Sondern dass man mit einer neuen Identität offen zugibt, dass man offensichtlich keine ernsthaft mutigen Ambitionen für die Zukunft hat. Lesson learned.
Prof. Ruediger Goetz ist Managing Director der Peter Schmidt Group, Mitglied im ADC, DDC und Professor an der Akademie für Mode & Design (AMD). Er ist als Juror in Kreativwettbewerben aktiv, unter anderem in der Design-Jury des ADC Wettbewerbs sowie den Cannes Lions 2017.
Ich habe meinen Kommentar schon (auf englisch) bei LinkedIn gepostet.