Unser Kolumnist Jürgen Siebert grübelt über den Sinn von Katastrophen-Logos im Netz.
Am 13. November wurde die französische Hauptstadt Paris zum zweiten Mal in diesem Jahr das Ziel von Terroristen. In den Stunden darauf nutzten die Menschen das Netz nicht nur, um Neues zu erfahren, sondern auch, um sich mitzuteilen. Man gönnt sie sich nicht mehr, die kurze Zeit des Luftanhaltens, des Verarbeitens. Noch in das kollektive Entsetzen hinein fangen die Ersten an, das Unfassbare auszuschlachten und umzumünzen. Sie werfen Hashtags wie Schleppnetze aus, um ihren eigenen Gedanken im Nachrichtenmeer Gewicht zu geben.
Das Rennen um das offizielle Logo zum Terroranschlag ging noch schneller zu Ende als bei »Je suis Charlie«. Binnen weniger Stunden hatte sich das Eiffelturm-Peace-Zeichen als Brand der internationalen Solidaritätsbekundung auf dem Newsmarkt durchgesetzt. Micky Beisenherz fragte sich auf Twitter: »Ist es nötig, dass alle sofort reflexartig ihr Profilbild publikumswirksam ändern?«
»Ist es wirklich nötig, dass alle sofort reflexartig ihr Profilbild publikumswirksam aktualisieren?«
Der Schöpfer des Zeichens, der Grafikdesigner Jean Jullien, weilte am Abend der Anschläge im Urlaub, weit entfernt von seiner Heimat. Erst um Mitternacht erschien seine spontane Illustration »#PeaceForParis« auf Instagram, fast drei Stunden nach Bekanntwerden der Attentate. Den ersten Kommentar verfasste ein CNN-Redakteur, der um eine Abdruckgenehmigung für alle Kanäle des Nachrichtensenders bat. Jullien erteilte sie umgehend. In den Stunden darauf passierte das, was in den sozialen Netzen üblicherweise mit einem treffenden Statement passiert: Es wird gestohlen, entführt und weitergereicht, bis es 24 Stunden später in der ganzen Welt bekannt ist. Dann ist der Urheber zwar enteignet, steht allerdings im Rampenlicht und gibt erste Interviews.
»Nachdem ich mich vom Wohlbefinden meiner Pariser Freunde überzeugt hatte, fing ich ganz spontan zu zeichnen an … Es war der erste und einzige Entwurf, der aus meinem Stift kam«, beschrieb Jean Jullien dem Webmagazin »Slate« die Entstehung des Symbols am Tag nach den Pariser Verbrechen. Gegenüber »Wired« sagte er: »Es war eine Spontanreaktion. Erst kam mir der Wunsch nach Frieden in den Sinn. Dann suchte ich nach einem Symbol für Paris, da kommt man am Eiffelturm nicht vorbei. Schließlich musste ich die beiden Gedanken nur noch miteinander verbinden. Das Ganze war eine instinktive menschliche Reaktion, keine Illustratorenreaktion.«
»Das Ganze war eine instinktive menschliche Reaktion, keine Illustratorenreaktion«
Im letzten Satz liegt das Geheimnis für den Erfolg von Jean Julliens Zeichnung. Sie ist nicht kalkuliert, sie ist nicht geplant und schon gar nicht detailliert ausgearbeitet. Spontan mit dem erstbesten Werkzeug in einem zerfledderten Notizheft festgehalten, »auf dem Schoß«, wie er nachträglich betont.
Ich wollte mehr wissen über spontane grafische Äußerungen und ihre virale Verbreitung und rief Christoph Niemann an, den renommierten deutschen Illustrator. Er erlebte den 11. September 2001 nur 1000 Meter entfernt in seiner Brooklyner Wohnung. »Ich habe das zweite Flugzeug mit eigenen Augen gesehen. Meine Frau saß in ihrem Büro in Midtown, schwanger.« Solche Momente seien fundamental anders als die klassischen Arbeitssituationen eines Illustrators. Auf einmal geht es darum, widersprüchliche Gefühle in einem Bild zusammenzuführen. »Man hat gleichzeitig Angst, ist verärgert und dazu auch noch unsicher. Diese Emotionen in einer Grafik festzuhalten, die Zuversicht oder Trauer ausdrückt, darum geht es.« Seiner Ansicht nach könne eine Illustration in diesem Zusammenhang eine stärkere Wirkung entfalten als eine Fotografie, »weil sie persönlich ist und Gefühle bündeln kann«.
Wie lebt ein prominenter Gestalter mit dem Erfolg einer Arbeit, die aus dem Leid anderer Menschen entstanden ist? »Das ist eine Sache, über die ich persönlich sehr stark nachdenke. Wenn ich zu solchen Ereignissen zeichnerisch Stellung nehme, habe ich ganz große Schwierigkeiten mit mir selber, denn das Zeichnen hat stets auch eine Komponente der Eitelkeit. Eine starke Zeichnung entsteht nur, wenn ich meine eigene Person einbringe und mich ständig frage, was kann ich jetzt zu dieser Sache beitragen?«
Wie lebt ein prominenter Gestalter mit dem Erfolg einer Arbeit, die aus dem Leid anderer Menschen entstanden ist?
Christoph Niemann ist sich der Gefahr bewusst, dass ein Selbstauftrag nach und mit einer Katastrophe als Kalkül missverstanden werden kann. Warnend fügt er an, dass kein professioneller Zeichner der Versuchung erliegen sollte, seine Seele mit den Likes oder Favs für eine Illustration zu balsamieren, die auf der Welle der Unglücksberichterstattung um die Erde reitet. »Der eitle Wunsch, viele Retweets einzufahren, ist ein falscher Motivator.«
Das Pariser Peace-Zeichen von Jean Jullien hält Niemann allerdings für einen ehrlichen und authentischen Wurf. »Es entspringt Julliens natürlicher Art, ständig das Leben zeichnerisch zu begleiten. Es steht absolut im Einklang mit seiner Philosophie … da ist nichts kalkuliert.«
Sich heute Gedanken über ein Attentat auf deutschem Boden zu machen, lehnt Christoph Niemann ab. Am 11. September hat er selbst miterlebt, dass es bei einer Katastrophe erst mal um ganz andere »Dinge und Dimensionen« geht, als sie zu kommentieren. Tatsächlich können auch weit entfernte Attacken sehr dicht einschlagen. »Charlie Hebdo habe ich persönlich am bedrohlichsten empfunden, weil es so dicht an meinen Beruf herantrat. Bei 9/11 waren viele, zufällig ausgewählte Menschen in Gefahr, während die Ansage im Januar 2015 war: Wir wissen, wo du dich aufhältst, und kommen zu dir, wenn du etwas Falsches machst.«
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