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»Die Klimakrise lösen wir nicht allein mit kreislauffähigen Produkten«

Christian Bason vom Danish Design Center fordert eine Ausweitung unseres Design­verständnisses.

Christian Bason, CEO des Danish Design Center (DDC) in Kopenhagen
Christian Bason, CEO des Danish Design Center (DDC) in Kopenhagen

Christian Bason ist CEO des Danish Design Center (DDC) in Kopenhagen, einer von der Regierung un­terstützten gemeinnützigen Stiftung, deren Ziel darin besteht, Design in Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern. Er ist Autor diverser Bücher über Design, Innovation und Führung. Zuletzt erschien »Expand: Stretching the Future by Design«, das er gemeinsam mit dem Designer und Unternehmer Jens Martin Skibsted geschrieben hat.

Am 13. September wird Christian Bason in Hamburg bei den Design Business Days von PAGE und W&V auf der Bühne stehen. Wir sprachen mit ihm vorab darüber, wie sich unser Verständnis von Design verändern muss, um den aktuellen Problemen unserer Welt etwas entgegensetzen zu können.

Sie plädieren für eine Ausweitung des Designbegriffs. Was meinen Sie damit genau? Was ist Ihre Definition von Design?
Christian Bason: Design ist für mich eine grundlegende menschliche Fähigkeit, mit der wir unsere Welt formen, unsere Bedürf­nisse erfüllen, Herausforderungen angehen und Werte schaffen können. Diese Fä­higkeit wurde professionalisiert, sodass wir heute einen entsprechenden Berufsstand haben. Aber im Grunde ist Design etwas, an dem alle mitwirken können.

Allerdings wird unsere traditionelle Herangehensweise im Design nicht mehr den Herausforderungen gerecht, mit de­nen wir heute konfrontiert sind. Klima­wandel, Mental Health, militäri­sche Konflikte, steigende Energiekos­ten – die Probleme werden immer umfassen­der. Daher kommt der Gedanke, dass sich auch Design erweitern muss. In unserem Buch schlagen wir sechs Bereiche vor, in denen wir unser Denken beim Gestalten infrage stellen sollten.

 Christian Bason ist Speaker bei den Design Business Days von PAGE und W&V am 13. September in Hamburg. Mehr dazu lest ihr auf www.designbusinessdays.de

Könnten Sie diese Bereiche kurz umreißen?
Der erste ist Zeit. Im traditionellen Design Thinking wird generell der Zeithorizont vernachlässigt, für den man gestaltet. Da wir uns dabei meist in einem Unternehmenskontext befinden, geht es um eher kurzfristige Spannen wie Geschäftsquartale oder maximal eine Fünfjahresstrategie. Die komplexen Prob­le­me, vor denen wir heute stehen, erfordern aber ein viel längerfristiges Denken.

Dann geht es um Nähe: Wie können wir uns den Menschen, für die wir gestalten, nahe fühlen und mit ihnen in Kontakt treten? In der Vergangenheit haben wir in der Gestaltung oft Menschen ausgeschlossen, Frauen, Minderheiten und alle, die keine typischen Durchschnittsnutzer:innen sind. Und es geht noch weiter: Wie können wir uns anderen Lebewesen und der Natur nahe fühlen?

Ein weiterer Punkt ist Leben. Einerseits werden Menschen immer älter, was große Auswirkungen auf Lebensstile, Märkte und Rentensysteme hat. Auf der anderen Seite verändert sich unsere Definition von Lebendigsein – sei es in Form eines digita­len Lebens nach dem Tod oder der Frage nach dem Bewusstsein von künstlicher Intelligenz.

Die vierte Expansion bezieht sich auf Wertschöpfung, in der Wirtschaft ebenso wie in Gesellschaft und Politik. Früher ging es in der Wirtschaft nur ums Geschäft, also um Umsatz, Gewinn und Rendite. Immer mehr Unternehmen fragen sich aber, wie sie den wirtschaftlichen Wert mit sozialem und ökologischem Wert in Einklang bringen können. Und die Politik besinnt sich zunehmend auf Werte wie Vertrauen und Demokratie.

Im Bereich Dimensionen hinterfragen wir unser Denken mit Blick auf Größenordnun­gen – von Nanotechnologie bis zur Besiedelung des Mars. Dazu gehört auch die Überlegung, wie Mensch und Maschine künftig zusammenarbeiten werden.

Die letzte Expansion betrifft Sekto­ren, verbunden mit der althergebrachten Vor­stel­lung, dass der private Sektor Geld verdient, der öffentliche Sektor es ausgibt und der zivile Sektor es verteilt. Heu­tzutage interessieren sich Privatun­ternehmen immer mehr für Werte jenseits der Wirtschaft, während der öffent­liche Sektor innovativer und agiler wird. Wir sehen enormes Potenzial darin, über Sektoren hinauszudenken und unsere Gesellschaft als ein vernetztes Ökosys­tem mit unterschiedlichsten Akteuren zu betrachten.

Design für die Zukunft: Skill Set und Ausbildung

Was bedeutet das für Designerin­nen und Designer? Welche Skills brauchen sie heute und in Zukunft?
Dazu haben wir kürzlich gemeinsam mit dem dänischen Industrieverband eine nationale Umfrage durchgeführt. Dabei haben wir besonders darauf geschaut, welche Kompeten­zen es für den ökologischen Wandel braucht. De­si­g­ne­r:innen sehen hier vor allem Nachholbedarf beim Wissen um Materialien für nachhaltige Produkte und beim Verständnis, wie neue Geschäftsmodelle aussehen könnten. Außerdem sehen sie die Notwendig­keit, sich eingehender mit dem Verhalten von Nut­zer:innen und Konsument:innen zu beschäftigen. Ebenfalls ein wichtiger Bereich ist digitales Design und KI. Hier gibt es einen wahnsinnig großen Bedarf an ethischem und verantwortungsbewusstem Handeln. Das ist eine wichtige Aufgabe für Desig­ne­r:innen, an der wir arbeiten müssen.

In den meisten Designschulen herrscht eine relativ enge Definition von Design. Wie muss sich die Ausbildung Ihrer Meinung nach verändern?
Viele Designschulen leisten großartige Arbeit, aber es ist eine echte Herausforderung, mit den globalen Veränderungen Schritt zu halten sowie mit der Rolle, die Design dabei spielt oder spielen sollte. Ich den­ke, die Zusammenarbeit zwischen Design und ande­ren Disziplinen wie Technologie, Wirtschaft, Politik und Regierung muss intensiviert werden. Es braucht neue Formen der Transdisziplinarität und mehr hybride Ausbildungsmodelle, bei denen es we­niger um individuelles Design geht als darum, wie man in Teams arbeitet und verschiedene Fähigkeiten disziplinübergreifend zusammenbringt.

Ich bin selbst Vorstandsmitglied der Royal Dan­ish Academy – Architecture, Design, Conservation in Kopenhagen. Dort haben wir in Partnerschaft mit der Copenhagen Business School den Masterstudiengang Strategic Design and Entrepreneurship ins Leben gerufen. Und an der University of Technology Sydney gibt es beispielsweise einen Innova­tionsstudiengang für Führungskräfte, der nicht mal mehr »Design« im Namen trägt. Denn das ist für einige ein Hinder­nis – sie denken dann nur an hübsche Produkte und nicht an Prozesse oder Transformation.

Andersherum könnten sich aber auch Menschen abgeschreckt fühlen, die Design machen möchten. Welche Rolle spielen Handwerk, Form­gebung und Ästhetik heute noch?
Das wird häufig als Widerspruch dargestellt: Vision, Konzept, Innovation und Prozess auf der einen, Handwerk und Ästhetik auf der anderen Seite. Aber es handelt sich nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. Formgebung, Modellbau und Vi­sualisierung sind wesentliche Be­stand­tei­le beim Bearbeiten von Problemen oder Möglichkeiten, genauso wie physische Materialität und Ästhetik. Wenn man die Welt verändern will, muss man Sys­teme, Verhalten und Erlebnisse beeinflussen und gestalten. Dafür braucht es Handwerk und Formgebung.

Design und Politik

Der Deutsche Designtag, die Dachorgani­sation der Fach- und Berufsverbände im Design, fordert eine »Design Policy« für Deutschland, um »die Potenziale von Design für die gesellschaftliche Ent­wicklung und wirtschaftliche Prosperität umfassend zu nutzen«. Dabei dient auch Dänemark als Vorbild. Haben Sie einen Rat, wie die Integration von Design in Regierung und Wirtschaft funktionieren kann?
Es ist nicht einfach – vor allem dann nicht, wenn die Prioritäten der Regierung anderswo liegen. Auch in Dänemark gibt es einen Vorschlag für eine neue De­signpolitik, den interessanterweise der dänische In­dustrieverband vorgelegt hat. Wenn es von der Wirt­schaft kommt, hören Politikerinnen und Politiker vielleicht besser zu. In den Niederlanden geht die Initiative dagegen von der Regierung selbst aus, die kürzlich eine Studie in Auftrag gegeben hat, um zu erfahren, wie sie die Entwicklung von Design für den öffentlichen Sektor und für die Gesellschaft im Allgemeinen fördern kann. Ein wichtiger Aspekt ist meiner Meinung nach, den Designsektor zusammenzubringen: Verbände, Berufs­gruppen, Universitäten, relevante Mi­nis­­terien und Institutionen. Diese Akteu­re an einen Tisch zu bekommen und den Dialog zu ermöglichen, ist an sich schon ein Designprozess.

Und was machen Sie am Danish Design Center?
Wir sind ein Labor für Design – für Dänemark, aber im weitesten Sinne auch für die ganze Welt – und forschen an neuen Anwendungsmöglichkeiten von Design. Wir haben eine Reihe von Schlüsselherausforderungen identifiziert, bei denen Design unserer Auffassung nach eine wichtige Rolle spielen wird. Eine davon ist der ökologische Wandel, der für uns im Mittelpunkt steht. Weitere sind digitale Verantwortung und Ethik, wie bereits erwähnt, sowie sozialer Wandel. Derzeit arbeiten wir zum Beispiel an einem Projekt zur Verbesserung der psychischen Gesundheit von jungen Menschen.

Außerdem erforschen wir, wie man moderne Organisationen so gestalten kann, dass Menschen sich in ihnen wohlfühlen, kreativ und innovativ sein kön­nen, alle eine Stimme haben und das Beste aus sich machen können. Im DDC arbeiten wir nach einem selbst verwalteten und radikal dezentralisierten Arbeitsmodell: Alle können ihren Arbeitsbereich und ihre Vorgesetzten wählen und selbst Führung übernehmen. Das ist nicht leicht zu implementieren – wir befinden uns mitten im Prozess und teilen fortlaufend unsere Erfahrungen.

Wicked Problems: Design und Komplexität

Wie definieren Sie denn die zukünftige Rolle von Designer:innen?
Es wird nach wie vor individuelle Stars geben – vor allem im Möbel- und Modedesign. Aber dazu kommen viele andere Rollen, etwa als eine Art Hüter von Nachhaltigkeit und Ethik. Unsere Aufgabe wird zunehmend darin bestehen zu fragen, ob neue Technologien und Produkte wirklich gut für die Menschheit und den Planeten sind.

Wenn ich davon ausgehe, was ich im DDC erlebe und was verschiedene Studien von McKinsey zeigen, nimmt Design auch eine zunehmend strategische Rolle auf sehr hohem Niveau ein. Designerinnen und Designer sind schon heute in vielen Unternehmen Teil des Dialogs rund um systemischen Wandel. Viel­leicht kann man sogar sagen, dass sich eine neue Disziplin entwickelt, die man Transition Design nen­nen könnte. Das ist im Grunde das, was wir im DDC proben: Wir widmen uns langfristigem Wandel und der Gestaltung neuer Systeme, die jene Art von Lösungen hervorbringen können, die wir heute brauchen. Die Klimakrise lösen wir nicht allein mit kreis­lauffähigen Produkten. Wir müssen auch neue Märkte, rechtliche Rahmenbedingungen, die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik, Bürger:innen­be­teiligung, Forschung und Technologie im Blick haben. Es herrscht eine immen­se Komplexität, und ich sehe darin eine große Aufgabe für Designer:innen.

Wo soll man denn bei solch komplexen Problemen konkret ansetzen?
Es hilft, eine Heuristik zu haben, also eine Art, die Dinge zu betrachten – wie unser eben umrissenes Expand-Framework. Im nächsten Schritt geht es darum, daraus prak­tische Designwerkzeuge abzuleiten. In unserem Buch schlagen wir deshalb konkrete Fragen und Prompts für jede Expansion vor, die man sich im Designprozess stellen kann. Im DDC arbeiten wir viel mit partizipati­ven Workshops und Foresight-Methoden wie Scenario Planning. Wir schaffen einen Raum, in dem viele In­teressengruppen zusammenkommen und ver­schie­dene Varianten von Zukunft erforschen können. Hier­bei übernehmen De­signer:innen die Rolle von Mo­de­rator:innen und Facilitators.

KI hat sich in letzter Zeit rasant entwickelt. Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand?
KI kann unglaublich hilfreich sein und in vielen Bereichen Gutes bewirken – gleichzeitig handelt es sich um eine Tech­nologie, deren Endpunkt wir nicht kennen und bei der wir nicht sicher sind, wie viel Kontrolle wir tatsächlich haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass es dringend globale Entscheidun­gen und Regulierung braucht – ohne dabei so naiv zu sein, zu glauben, dass sich die Entwicklung noch aufhalten ließe. Die Frage ist letztlich: Treiben Men­schen die technische Entwicklung voran, oder lassen sie sich davon treiben? Ich stehe nach wie vor auf der Seite der Menschen.

Was macht Sie so optimistisch, dass die Menschheit die Wicked Problems lösen kann, vor denen wir aktuell stehen?
Wir haben keine andere Wahl! Das derzeitige System ist schlicht nicht nachhaltig. Selbst ein fortschrittliches Land wie Dänemark hat im März dieses Jahres seinen Earth Overshoot Day erreicht. Wir verbrauchen hierzulande also jährlich das Äquivalent von vier Erden!

Was mich optimistisch macht, ist der Glaube an die menschliche Kreativität und unsere Fähigkeit zur Kollaboration. Beides haben wir schon mehrfach un­ter Beweis gestellt, zum Beispiel bei Atomenergie und Gentechnik – sowohl den vermehrten Einsatz von Nuklearwaffen als auch die Manipula­tion von Babys vor der Geburt haben wir bisher verhindert. Wir sind also durchaus in der Lage, vernünf­tige und pragmatische Lösungen für große Proble­me zu finden. Und wir sind unsere einzige Chance. Außer uns wird uns niemand retten.

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