UX Design ist ein weites Feld, das in jeder Agentur unterschiedlich interpretiert wird. So sieht es bei der Digitalagentur und IBM-Tochter Aperto in Berlin aus …
Wir sprachen mit Creative Director UX Andrea Goebel, 43, und UX Designer Marcus Fries, 31, darüber, was UX Design bei Aperto bedeutet und wie sie es mit Fokus auf den Nutzer sowie auf interdisziplinäre und iterative Zusammenarbeit – auch mit dem Kunden – für erfolgreiche Lösungen einsetzen.
PAGE: Wie und warum seid ihr zu Aperto gekommen?
Andrea Goebel: Ich habe Publizistik studiert und bin seit 15 Jahren im Bereich Digitale Medien unterwegs, war in verschiedenen Digitalagenturen und Digitalablegern von Werbeagenturen tätig und habe frei gearbeitet. Zu Aperto kam ich vor drei Jahren durch einen Freelance-Auftrag. Mir hat die Projektvielfalt gefallen, genauso wie die Möglichkeit, Plattformen und Services von Grund auf mit zu entwickeln, statt nur Kampagnen digital zu verlängern.
»Mir gefällt die Projektvielfalt, genauso wie die Möglichkeit, Plattformen und Services von Grund auf mit zu entwickeln, statt nur Kampagnen digital zu verlängern« Andrea Goebel
Marcus Fries: Ich habe eine Ausbildung zum Mediengestalter gemacht und danach in Köln Integrated Design studiert. Währenddessen und danach habe ich als freiberuflicher Interface Designer für diverse Agenturen und Start-ups gearbeitet. In die Festanstellung bin ich gewechselt, weil ich keine One-Man-Show mehr sein, sondern in einem größeren Team arbeiten wollte. An Aperto fand ich neben dem Projektportfolio die Anbindung an IBM spannend, weil sie Zugang zu neuen Technologien gewährt. Außerdem hatte ich bei den Bewerbungsgesprächen einfach ein gutes Gefühl. Ich bin seit Juni 2016 dabei.
User Experience Design ist ein weites Feld. Was macht ein UX Designer bei Aperto?
Goebel: Bei Aperto arbeiten UX Designer in den verschiedensten Projektarten – von Plattformen und Websites über Marketingmaßnahmen und Kampagnen bis hin zu digitalen Produkten und Services. Die meisten haben ein Spezialgebiet, aber wir halten die Grenzen bewusst offen, damit jeder Einblick in alle Bereiche bekommen kann. So lernt man bei jedem Projekt dazu und kann die für sich passende Richtung einschlagen.
Was ist dein Schwerpunkt, Andrea?
Goebel: Ich arbeite vor allem strategisch-konzeptionell an Corporate- und Brand-Themen wie Unternehmens- oder E-Commerce-Plattformen. Als Creative Director bin ich insbesondere am Anfang eines Projekts dabei, schaue, wo das Problem liegt und in welche Richtung es gehen soll.
»Es ist keine Pflicht, aber technisches Grundwissen schadet nicht – besonders, wenn man in der Umsetzung mit dem Entwickler zusammensitzt« Marcus Fries
Marcus, du kannst HTML. Ist das ein Muss für einen UX Designer?
Fries: Es ist keine Pflicht, aber technisches Grundwissen schadet nicht – besonders, wenn man in der Umsetzung mit dem Entwickler zusammensitzt. Mein Schwerpunkt liegt zum Beispiel darin, die Informationsarchitektur für eine Website auszuarbeiten oder Interaktionsparadigmen für einen neuen Service zu definieren. Meine Tätigkeit variiert von Projekt zu Projekt – was mir sehr gut gefällt.
Wie sieht der klassische Karriereweg bei Aperto aus?
Goebel: Wir bieten Traineeships für Einsteiger ein, danach gibt es die üblichen Stufen Junior, Advanced, Senior bis hin zum Lead oder Creative Director. Es kommt darauf an, welche Komplexitätsstufe man eigenständig bearbeiten kann und wie viel Verantwortung man übernimmt.
Inwiefern hat sich mit der Übernahme von Aperto durch IBM etwas verändert für eure Arbeit?
Goebel: Durch IBM haben wir nun direkten Zugriff auf neue Technologien, wie IBMs künstliche Intelligenz Watson oder Internet-of-Things-Anwendungen. Das macht unsere Arbeit sehr abwechslungsreich. Außerdem hat IBM viele Kunden, die mitten in digitalen Transformationsprozessen stecken. Dadurch werden wir viel stärker als Begleiter von Change-Prozessen eingebunden. Aperto arbeitet mit daran, analoge Geschäftsbereiche zu digitalisieren, die Umstellung für alle Beteiligten so angenehm und einfach wie möglich zu machen und zu einem nutzbaren Ergebnis zu führen. Das erfordert eine wesentlich tiefere Beschäftigung mit den Problemen des Kunden sowie eine engere Einbindung in dessen interne Prozesse.
Wie sieht das genau aus?
Fries: In vielen Projekten arbeiten wir sehr eng mit den Kunden zusammen. Kürzlich war ich Teil eines Teams, das zur Hälfte aus Mitarbeitern von Volkswagen Nutzfahrzeuge und aus Aperto-Kollegen bestand. Wir haben vier Wochen hier bei uns in der Agentur intensiv zusammengearbeitet, konnten uns direkt austauschen, Insights teilen und schnell Entscheidungen treffen.
»Es ist enorm wichtig, den Kunden zum Teil des Prozesses zu machen« Andrea Goebel
Goebel: Dieses Modell schlagen wir immer mehr Kunden vor, weil wir so gute Erfahrungen damit gemacht haben. Man spart sich diverse Abstimmungszyklen und kommt schneller zu einem Ergebnis, hinter dem das gesamte Team steht. Gerade beim initialen Workshop ist es sehr wichtig, nah am Kunden zu sein und die richtigen Fragen zu stellen, denn hier wird die Basis für die weitere Entwicklung gelegt. Es ist enorm wichtig, den Kunden zum Teil des Prozesses zu machen.
Wie groß ist die Bereitschaft für solche Modelle auf Kundenseite?
Goebel: Viele Unternehmen hinterfragen derzeit ihre gewohnten Arbeitsprozesse, brechen Silos auf und fördern interdisziplinäre Zusammenarbeit. Deshalb sind sie entsprechend offen, auch dafür, mit Agenturpartnern auf neue Art zusammenzuarbeiten. Wir stehen ihnen dann als Mitgestalter, Impulsgeber und Enabler zur Seite. Natürlich gibt es auch Kunden, für die wir noch nach klassischen Prozessen wie dem Wasserfallmodell arbeiten.
Agile Prozesse benötigen ein Rahmenwerk. Womit arbeitet ihr?
Goebel: Unser kreativer Prozess basiert auf Design Thinking, das heißt wir arbeiten konsequent nutzerzentriert, analysieren erst einmal die Nutzerbedürfnisse – und bringen diese mit den Business- und Markenzielen unserer Kunden zusammen. Unsere Ideen testen wir anhand von Prototypen und führen letztlich alles in einer Design Vision zusammen, die wir auch zur Abstimmung mit unseren Kunden nutzen. In der Umsetzung überführen wir die Design Vision dann in einen agilen, iterativen Prozess, in dem wir in interdisziplinären Teams eng zusammenarbeiten. Konkrete Abläufe und die Rollenverteilung passen wir je nach Kunde und Projekt an.
Was sind alltägliche Abläufe und Aufgaben für euch?
»Die meisten Tage beginnen mit einem Daily Stand-up im jeweiligen Projektteam« Marcus Fries
Fries: Die meisten Tage beginnen mit einem Daily Stand-up im jeweiligen Projektteam. Alles, was danach kommt, hängt davon ab, in welcher Projektphase man sich befindet. Das kann das Erstellen von Personas sein, die Auswertung von User Tests oder das Ausarbeiten von User Storys für die agile Entwicklung.
Arbeitet ihr immer nur an einem Projekt oder auch mal an mehreren gleichzeitig?
Fries: Idealerweise nur an einem Projekt, höchstens zwei – und dann meist mit einer Aufteilung von 80 zu 20 Prozent.
Wie lang dauern Projekte ungefähr?
Goebel: Das ist sehr unterschiedlich. Großprojekte wie der Launch einer komplexen, internationalen Unternehmenswebsite können schon mal über ein bis zwei Jahre laufen plus anschließender Weiterentwicklung. Kampagnen und schnelle Prototypentwicklungen sind dagegen eher kurzfristig.
Mit welchen Tools und Programmen arbeitet ihr regelmäßig?
Fries: Die wichtigsten Programme sind Sketch fürs Wireframing, Slack zur Kommunikation, Confluence und JIRA für die Projektdokumentation und -steuerung sowie gängige Prototyping-Tools wie zum Beispiel InVision.
Goebel: Ich arbeite nach wie vor auch viel mit Stift und Papier oder mit Whiteboard und Post-its, um Anforderungen aufzunehmen oder erste Ideen zu skizzieren. Und Kundenpräsentationen bereiten wir in PowerPoint oder Keynote auf, etwa wenn wir nach der ersten Konzeptionsphase unsere Design Vision beim Kunden vorstellen.
Präsentiert ihr selbst vor Kunden?
»Bei Aperto ist nicht allein der Projektmanager das Gesicht zum Kunden« Andrea Goebel
Goebel: Ja, unbedingt. Bei Aperto ist nicht allein der Projektmanager das Gesicht zum Kunden. Wir stecken am tiefsten in der Materie und sind deshalb diejenigen, die unsere Ideen am besten präsentieren und verteidigen können.
Welche Disziplinen sind noch Teil eurer Projektteams?
Fries: Den engsten Austausch habe ich mit dem Visual Designer, mit dem ich gemeinsam am Interface Design arbeite. Dazu kommt eine enge Absprache mit den Entwicklern – sowohl bei der technischen Umsetzung als auch im Vorfeld, um mich zu vergewissern, dass eine Idee umsetzbar ist. Andere beteiligte Disziplinen sind außerdem unser Content-Team sowie die Kollegen aus dem Strategy-Data-Performance-Team, die uns etwa bei SEO-Fragen unterstützen.
Goebel: UX Designer bilden eine Schnittstelle: Wir analysieren die Kundenanforderungen, stimmen uns zum Look-and-feel eng ab und klären die Machbarkeit mit der Technik.
»UX Designer bilden eine Schnittstelle: Wir analysieren die Kundenanforderungen, stimmen uns zum Look-and-feel eng ab und klären die Machbarkeit mit der Technik« Andrea Goebel
Was braucht es dafür – fachlich und charakterlich?
Goebel: Einen klassischen Werdegang oder Ausbildungsweg gibt es (noch) nicht. Letztlich sind wir alle Quereinsteiger. Man braucht analytische Fähigkeiten, und das Beherrschen der wichtigsten Methoden ist in jedem Fall von Vorteil. Wenn dieses Wissen nicht im Studium vermittelt wurde, lernt man das bei uns on the Job oder in verschiedenen Trainings. Ab einem gewissen Einstiegslevel setzen wir es aber voraus. Mir ist außerdem wichtig, dass die Leute Begeisterung fürs Digitale und die Lust zur ständigen Veränderung mitbringen. Und Empathie! Sie müssen sich in alle Stakeholder hineinversetzen können – in den Endnutzer ebenso wie in den Auftraggeber. Ganz grundlegend ist der Wille zur Gestaltung, man muss etwas erschaffen wollen.
Fries: Außerdem sollte man Teamplayer sein und akzeptieren können, dass die Ideen von anderen auch mal besser sind als die eigenen. Egomanen schaden jedem Team.
Was macht euch am meisten Spaß an eurem Job?
Fries: Die ständig wechselnden Aufgaben und Herausforderungen. Wir haben es immer wieder mit neuen Kunden, neuen Teams und neuen Usern zu tun. Außerdem gefällt mir, dass wir Projekte aufsetzen, die tatsächlichen Impact haben. Man trägt eine große Verantwortung, was den Job sehr spannend macht.
Goebel: Ich schätze besonders die enge Zusammenarbeit mit meinen Kollegen und unseren Kunden. Am fröhlichsten verlasse ich das Büro, wenn wir nach einem intensiven Workshoptag zu tollen Ergebnissen gekommen sind und jeder denkt: Wow, wir haben richtig was geschafft.
Trotzdem: Jeder Job hat auch Nachteile oder nervige Seiten. Was ist das bei euch?
Goebel: Administrative Aufgaben sind wohl für alle Kreativen eher unschön – also Stunden buchen, Zeitpläne ausarbeiten und so weiter. Aber das muss auch sein, um wirtschaftlich arbeiten zu können.
Wie wird sich das Berufsbild UX Designer eurer Meinung nach weiterentwickeln?
Fries: Ich denke, es wird noch breiter und interdisziplinärer werden. Das erfordert gleichzeitig mehr Spezialisierung – etwa auf Themen wie Virtual Reality oder künstliche Intelligenz. Man wird als UX Designer nicht mehr alle Spezialdisziplinen abdecken können.
Goebel: Ich bin überzeugt, dass UX Designer in Zukunft noch gefragter sein werden – schon heute ist gutes UX Design ein echter Wettbewerbsfaktor. Wenn sich Produkte und Services kaum noch unterscheiden, setzt sich das Angebot durch, das dem Nutzer das beste Erlebnis bietet.
»Ich bin überzeugt, dass UX Designer in Zukunft noch gefragter sein werden – schon heute ist gutes UX Design ein echter Wettbewerbsfaktor« Andrea Goebel
Habt ihr ein Traumprojekt, das ihr irgendwann mal umsetzen wollt?
Goebel: In vielen unserer Projekte beschäftigen wir uns schon mit großen Zukunftsfragen – wie werden wir leben, arbeiten, wohnen? Diese Entwicklungen ein Stück weit mitgestalten zu können – darauf freue ich mich besonders.
Fries: Ich freue mich auf die nächsten neuen Technologien und die Möglichkeit, einer der Ersten zu sein, der damit arbeiten darf.
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