Marion Blomeyer gestaltet Cover für Belletristik und Sachbücher, Buchreihen und Jugendbücher. Wir sprachen mit ihr über ihren Werdegang, ihren Gestaltungsprozess, Trends im Buchdesign und Tipps für angehende Buchgestalter:innen.
Faszinierendes Cover, schöner Umschlag, angenehmes Papier und Aufschlagverhalten: Nicht nur der Inhalt macht ein gutes Buch aus. Das wissen Gestalter natürlich. Für unseren Artikel über Buchdesign in PAGE 5.21 haben wir mit unterschiedlichen Buchdesignern gesprochen.
Darunter war auch Marion Blomeyer, die mit ihrem Büro Lowlypaper in München für Agenturen und Verlage Bücher gestaltet.
Wie bist du zum Buchdesign gekommen?
Marion Blomeyer: Ich habe an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe Grafikdesign, Medientheorie und Fotografie studiert. Das Studium war damals noch sehr klassisch und analog. Das kommt mir beim Buchdesign zugute. Das heutige schnelle Recherchieren im Netz hindert einen oft daran, eigene Bildideen zu entwickeln. Nach dem Studium habe ich als freie Grafikerin fürs »SZ«-Magazin« gearbeitet und danach – ebenfalls frei – bei der Designagentur Anzinger und Rasp, wo ich bei einem Pitch für Rowohlt erstmals mit Covergestaltung in Berührung gekommen bin. Ich habe gemerkt, dass mir das liegt und großen Spaß macht. Heute arbeite ich mit meinem eigenen Büro Lowlypaper sowohl für Anzinger und Rasp als auch direkt für Verlage.
Was ist dein Schwerpunkt?
Ich gestalte vor allem Cover für Belletristik und Sachbücher, Buchreihen und Jugendbücher.
Was gefällt dir besonders am Buchdesign?
Die starke inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen. Sowohl bei Sachbüchern als auch bei Belletristik muss man teilweise sehr präzise recherchieren. Und mir gefällt, dass sich beim Buchtitel die klassischen Disziplinen des Grafikdesigns – Typografie, Fotografie, Illustration – auf sehr engem Raum vereinen. Letztlich ist Coverdesign eine Transferleistung: Ich muss die Kernaussage des Inhalts sowie die Stimmung des Buches vermitteln. Mir ist es außerdem wichtig, das Buch als Objekt zu begreifen. Es gibt den Schnitt, den Buchrücken, die Rückseite, und auch Größe, Material und Haptik spielen eine Rolle. Je nach Verlag kann ich Vorschläge einbringen, die über den Titel hinausgehen, etwa bei der Büchergilde. Bei »Mr. und Mrs Derdon« von Maeve Brennan (2017) haben wir zum Beispiel den Schnitt mit einem Muster und den Vorsatz farbig bedruckt.
Bild: lowlypaper
Vorgehen bei der Buchgestaltung
Wie gehst du an die Gestaltung heran?
Allen Büchern liegt ein Briefing des Verlags zugrunde, das neben Titel, Autor, Genre und einer kurzen Zusammenfassung formale Angaben wie Format und Ausstattung umfasst sowie Zielgruppe, Referenzen, Abgrenzungscover, Stimmung und gegebenenfalls Bildvorgaben. Ich schaue zuerst, wie die Bücher des Autors in anderen Ländern aussehen und steige dann in die Bildrecherche ein, die immer vom Inhalt getrieben ist. Jeder Titel ist eine kleine Reise an unterschiedliche Orte, in andere Zeiten und eröffnet neue Perspektiven. Die Recherche kann schon mal länger dauern als die Gestaltung selbst. Für jedes Buch gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ich lege den Verlagen meist fünf unterschiedliche Entwürfe vor (Beispiel »Nie« von Linn Strømsborg, siehe www.page-online.de/buchgestalter). Das ist oft ein Balanceakt: Natürlich muss man den Geschmack und die Wünsche des Kunden treffen, aber man sollte auch nicht immer nur Bekanntes wiederholen. Sonst entstehen Klischeecover wie etwa die blutige Rose auf dem Krimi.
Bei Buchreihen muss man eine visuelle Klammer finden. Für die Romane von Donna Leon der Büchergilde Gutenberg (2015 ff.) habe ich beispielsweise ganz auf den Namen der Autorin gesetzt, ein Farbkonzept entwickelt und nutze nur grafische Flächen und Linien. So lässt sich die Reihe ewig fortführen. Für eine Reiseführer-Reihe vom Insel Verlag arbeite ich mit einem Illustrator zusammen, der für jede neue Ausgabe ein passendes Motiv anfertigt, was einen durchgehenden Stil gewährleistet. Bei begrenzten Reihen ist die Gestaltung freier: Die Titel der Sci-Fi-Trilogie von Jeff VanderMeer (Verlag Antje Kunstmann, 2014 ff.) in der es darum geht, dass die Natur sich ihren Platz zurückerobert, zeigen zusammen ein einziges Gemälde aus dem 17. Jahrhundert. Sie bilden also eine geschlossene Einheit.
Welche deiner Bücher magst du besonders und warum?
»Das Verschwinden des Josef Mengele« von Olivier Guez (Büchergilde Gutenberg, 2019): Der Titel mag zunächst nach wenig aussehen, aber es steckt viel drin. In dem Buch geht es nicht um die Gräueltaten des KZ-Arztes, sondern hauptsächlich um sein unbescholtenes Leben danach in Südamerika. Nach verschiedenen Entwürfen habe ich mich für eine Visualisierung von Leerstellen entschieden, indem ich Buchstaben weggelassen oder auseinandergezogen habe. Dabei musste ich darauf achten, welche Lettern man kognitiv leicht ersetzt – wie das O bei Josef. Durch das Auseinanderrücken entstehen außerdem neue Wörter – wie Enge oder Engel. Wer weiß, dass Mengele im KZ »der Todesengel« genannt wurde, bekommt so eine weitere inhaltliche Ebene.
»Das hier ist Wasser/This is Water« von David Foster Wallace (Büchergilde Gutenberg, 2019): Dieses Buch zeigt eindrücklich, dass man auch mal Fehler zulassen muss. Wir wollten eine blaue Fläche auf Leinen drucken, stellten aber fest, dass das nicht funktioniert. Cosima Schneider, die Herstellerin der Büchergilde, und ich fanden das Ergebnis trotzdem toll und sind dabei geblieben. Jetzt ist jedes Buch ein Unikat, da die Fläche immer anders aussieht. Missgeschicke können eine großartige Inspirationsquelle sein!
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Gibt es andere Buchgestalter, deren Arbeiten du bewunderst?
Klar, etwa David Pearson oder Peter Mendelsund. Meine Inspiration ziehe ich aber aus anderen Bereichen wie der bildenden Kunst, Musik oder Texten.
Tipps für angehende Buchgestalter
Welche Trends beobachtest du gerade im Buchdesign?
Es wird wieder mehr Wert auf die Qualität der Herstellung gelegt. Das liegt zum einen daran, dass man sich vom E-Book-Markt absetzen will. Zum anderen gab es in den letzten Jahren große Fortschritte bei der Drucktechnik, sodass etwa das Bedrucken von Schnitten heute günstiger ist. Gestalterisch waren Typo-Cover und Handlettering zuletzt ein großer Trend. Derzeit sehe ich viele Collagen und Strukturen. Generell sind Trends sehr genrespezifisch. Beim Krimi verändert sich weniger als bei der Belletristik.
Was sind deine Tipps für angehende Buchgestalter?
Man braucht ein großes Wissen über Bildtheorie und Bildgeschichte. Motive unterliegen einem permanenten gesellschaftlichen, kulturellen und historischen Wandel. Damit kann man spielen – oder total danebenliegen. Ein Beispiel: Während ein Foto von Hochhäusern und einem Flugzeug aus der Froschperspektive in den 1970er Jahren ein Sinnbild für Modernität war, denkt man heute sofort an Terrorismus. Außerdem muss man sich immer bewusst sein, dass man Dienstleister ist. Wenn ein Entwurf zurückkommt, muss man den Titel noch mal neu ansehen und denken. Aber das gilt im Grunde für alle Designdisziplinen.
Dieser Beitrag ist erstmals am 3. Mai 2021 erschienen.