Unser Kolumnist Jürgen Siebert hält den Influencer-Hype für ein Vabanquespiel.
Irgendwie hatte sich Bianca Heinicke diesen Tag anders vorgestellt. Ein Herzenswunsch sollte am 5. Mai mit dem Klick auf den Upload-Button in Erfüllung gehen: Der Start ihrer Musikkarriere. Fünf Monate zuvor hatte sie ihren 4 Millionen YouTube-Abonnenten diesen Schritt angekündigt, was durchaus gut ankam: »Ja, mach’ unbedingt mal einen Song« und »Wie cool! Ich freue mich schon darauf«, hieß es in zwei von über 300 000 Kommentaren. Bei dieser Rückendeckung … was sollte da schiefgehen?
Das dachte sich auch Warner Music. Das Label produzierte mit Bibi Heinicke den Song »How It Is (Wap Bap …)« und half beim Dreh des Videos. Doch die Erstausstrahlung des dreieinhalbminütigen Clips auf Bibis Channel nahm keinen guten Verlauf. Nach nur wenigen Minuten wurden die Daumen-hoch-Wertungen vom Abwärts-Daumen überholt. Am 14. Mai betrug die Zahl der Dislikes über 2 Millionen, was dem Song den traurigen Rekord des unbeliebtesten Musikvideos auf YouTube bescherte. Immerhin machte der Rummel die 23-jährige Vloggerin auf einen Schlag auch außerhalb der YouTube-Szene bekannt.
Seit Ende 2012 widmete sich die Kölnerin in ihrem Kanal »BibisBeautyPalace« mit rasch wachsender Zuschauerzahl den Themen Mode, Kosmetik, Lifestyle und Popkultur, maßgeschneidert für eine junge Zielgruppe. Binnen zwei Jahren stieg ihr Schönheitspalast in die Liga der meistabonnierten deutschsprachigen YouTube-Channels auf, was ihr ein üppiges Einkommen bescherte. Schätzungen zufolge werfen AdSense, Sponsoring, Testimonials, Werbeartikel und Provisionen aus Affiliate-Marketing über 100 000 Euro im Monat ab.
Kein Wunder also, dass die Werbeindustrie zunehmend die Zusammenarbeit mit Online-Meinungsmachern sucht. Influencer Marketing gilt als Königsweg zu einer Zielgruppe, die mit klassischen Mitteln nur schwer erreichbar ist. Darum binden auch etablierte Brands und Unternehmen Social-Media-Größen in ihre Markenkommunikation ein.
Doch die Kritik wächst. So moniert etwa Jan Böhmermann die versteckte Werbung und das schamlose Product-Placement einiger YouTuber. Als Beispiel zeigte er einen Ausschnitt, in dem Bibi ihrem jungen Publikum eine überteuerte Uhr für 250 Euro empfiehlt. Der frühere YouTube-Star Oguz Yilmaz (Y-Titty), inzwischen mit seiner Kölner Agentur whylder selbst in der Werbekommunikation aktiv, ließ vor Kurzem in einem Interview durchblicken, dass Influencer Marketing nur in seltenen Fällen ein empfehlenswertes Tool sei. Yilmaz beklagt die »gefühlte Anarchie«, die mangelnde Kennzeichnung von Werbung, die auch seriöse Konzepte in Verruf bringe: »Ich mag lieber gute Ideen.«
Seit Bibis Musik-Flop steht fest: Influencer Marketing ist eine riskante Wette. Marken und Agenturen sollten den direkten Vermarktungsdraht zu Internet-Sternchen sorgfältig prüfen. Denn YouTuber sind keine Filmschauspieler oder Sportstars, deren Marktwert auf klar definierten Leistungen basiert und nachvollziehbar zu kalkulieren und zu steuern ist. Im Netz wird Glaubwürdigkeit auch Personen zugesprochen, deren Talent darin besteht, einfach nur ihren Konsum zu verkaufen. Der »Spiegel« spricht von der »Feldbuschisierung der Medienwelt«.
Natürlich gab es auch vor dem Internet schon professionelle Konsumenten – Film- oder Gastrokritiker zum Beispiel. Aber die werden in der Regel nicht vom Objekt der Berichterstattung bezahlt. Influencer schon. Vor allem sollte man die Abozahlen von YouTubern nicht mir den Auflagen von Zeitschriften oder der Einschaltquote einer TV-Sendung verwechseln. Bibis Dislike-Desaster hat gezeigt, wie schnell aus 4 Millionen Fans 2 Millionen Spielverderber werden können.
Was wir gerade erleben, ist die Demokratisierung der Werbung
Auch andere Disziplinen mussten da durch: die Musik, die Fotografie, das Grafikdesign und das Publizieren . . . Letzteres hat PAGE in den fünf Jahren nach ihrer Gründung 1986 protokolliert. Am Ende dieser Umwälzungen gibt es ein Profi- und ein Amateurlager. Und die Profis wissen, was sie den Laien voraushaben. So wird es auch in der Werbung ausgehen.
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