Julia Fiedler nimmt die Leser:innen mit auf eine ganz persönliche Reflexionsreise – unterfüttert mit Theorie und aufbereitet in sehr durchdachtem Design.
Hochschule Pforzheim. Rassismus ist Alltag – auch in Deutschland. Was es bedeutet, als weißer Mensch die eigenen Privilegien zu erkennen und zu hinterfragen, das zeigt Julia Fiedler sehr eindrucksvoll in ihrer Bachelorarbeit »576 Seiten Alltäglicher Rassismus in Deutschland« im Studiengang Visuelle Kommunikation an der Hochschule Pforzheim.
Sie nimmt uns darin mit auf ihre ganz persönliche Reise, ihren eigenen rassismuskritischen Reflexionsprozess. Wut, Erkenntnis, Traurigkeit, Verzweiflung, Scham, Schuld und eine große Leere: All diese Emotionen er- und durchleben wir als Lesende gemeinsam mit der Designerin.
Rund zwanzig Bücher las Fiedler, um sich unter anderem die historischen Hintergründe von Rassismus zu erschließen, führte eine Online-Umfrage durch, interviewte Betroffene und Nichtbetroffene und erstellte täglich einen Pressespiegel mit rassistischen Begebenheiten.
»Ich möchte Alltagsrassismus in Deutschland thematisieren und die meist unsichtbaren Äußerungsformen sichtbar werden lassen. Um dies zu erreichen, offenbare ich mich als reproduzierende Mittäterin und begebe mich auf meinen eigenen, ganz persönlichen Weg der Reflexion, der (meinen) Blickwinkel verändert«, so Fiedler.
Durch diese entwaffnende Offenheit motiviert sie die Leser:innen dazu, ihr eigenes Denken und Handeln zu hinterfragen. Die Publikation biete keine Lösung an, sondern sei vielmehr ein Startpunkt für eine fortlaufende Veränderung.
Inhalt und Form sind in Julia Fiedlers Arbeit eng miteinander verknüpft. Das fängt schon bei der Wahl des Mediums an: Das Buch – und mit ihr der Alltagsrassismus – ist sichtbar und physisch anwesend, erklärt sie. Die Seitenzahl im Titel lässt das Ausmaß erahnen und die seitenübergreifende Umschlaggestaltung verdeutlicht, dass das Thema nicht abgeschlossen ist. »Das Ende wird zum Anfang«, so die Gestalterin.
Auch das ungewöhnliche Format (16 mal 21,2 Zentimeter) hat eine konzeptionelle Bewandtnis: Es steht für die 16 Bundesländer und 21,2 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben.
Typografisch stellt die Designerin die Halyard und Times New Roman gegeneinander. Halyard wurde von einem Schwarzen Typedesigner – Joshua Darden – entworfen und steht für Empowerment und Sichtbarmachung nicht weißer Designer:innen. Times New Roman, Deutschlands beliebteste Standardschrift, soll hierarchische Machtverhältnisse widerspiegeln. Mit ihrer konservativen Anmutung repräsentiert sie zudem alte Denkmuster.
Eine ähnliche Gegenüberstellung findet sich bei den Papieren: Fakten hält sie auf einer ungestrichenen Sorte fest, ihre im Verlauf der Recherche gesammelten »101 weißen Privilegien« stehen auf Ultra-Gloss-Papier, um ein Gefühl von Resistenz, Abweisung und vermeintlicher Höherstellung auszudrücken. »Rassismus ist in Deutschland real und wir alle haben eine Verantwortung. Als Gesellschaft«, sagt Fiedler.
Mit ihrer Arbeit vermittelt sie diese Erkenntnis sehr klar und eindringlich.
Wie rassistisch bin ich selbst? Das war Julia Fiedlers Einstiegsfrage für ihre Bachelorarbeit. Sie will sich auch in Zukunft komplexen sozialen Problemen widmen und versuchen, »die Welt ein wenig menschlicher zu gestalten« (Bild: foleys GmbH)
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