Was ein Mix! Zum 20. Jubiläum hat die Pictoplasma einmal mehr um die Welt geführt und das mit wummerndem 3D-Design und knallbunten Illustrationen, mit lyrischer Keramik und somnambuler Film-Kunst und mit Tipps, Tricks und persönlichen Geschichten. Ach ja, um KI ging es auch. Aber das auf eigene Weise und abseits des Hypes.
Knalligen Sonnenschein gab es auf der diesjährigen Pictoplasma Berlin, die gleichzeitig die Jubiläumsausgabe war. Zum 20. Mal hat das Festival of Contemporary Character Design and Art zu Talks, Ausstellungen, Workshops, Partys und Performances nach Berlin geladen.
Und das erneut ins Silent Green, dem ehemaligen Krematorium im Wedding samt großer Wiese, Ateliers und Bogengängen – und jeder Menge Platz zum Networking. Und vor allem mit einem aufgeschlossenem und fröhlichem Vibe, der das so einfach macht.
Es gehe um die Community. Das haben die Macher Lars Denicke und Peter Thaler (hier im Interview) zum Abschluss der Konferenz noch einmal betont. Und es ist enorm, was ihr dort geboten wurde, um den eigenen Weg weiterzugehen.
Es gab es die Portfolio Review mit Vertretern von Netflix, Adult Swim, Areaware, Disney, The Different Folk und einigen mehr, denen Festival-Teilnehmer:innen bei einem sechsminütigen Speed Pitching ihre Arbeit vorstellen konnten und darüber hinaus drei Tage lang Pechakucha Sessions zur eigenen Präsentation.
Gleichzeitig führten 18 Talks quer durch Illustration und Animation, 3D-Design, Performance, Kunst und Grafikdesign, waren randvoll mit Inspiration, mit Tipps und Tricks und persönlichen Geschichten, mit Houdini-Insights, Arbeitsprozessen, Tool-Hacks und Business-Ratschlägen.
Emotionale und Künstliche Intelligenz
Hat Parn Aniwat (hier im Interview) mit seinen Holzschnitzereien und seiner Geschichte, die von Bangkok nach Houston, Texas führt, die Konferenz eröffnet, gab der Brite Peter The Roman (o.) Einblicke in seinen Weg, weg von der klassischen zur digitalen Kunst und begleitet von Ängsten, die es ihm schwer machen, das Haus zu verlassen.
Should go outside Other people are outside Rather stay inside But should go outside But stay inside
beschreibt er sein Ringen, dass dazu geführt hat, dass er einmal zwei Jahre lang zu Hause blieb.
Mit seinen spannenden Objekten, in denen geometrische Formen auf bewegliche Materialien wie Fäden trafen, war er eine lange und erfolgreiche Zeit Teil der Kunstszene, hat er sich dann aber irgendwann so stark zurückgezogen, dass der Computerscreen sein Fenster nach draußen wurde.
Seither experimentiert er mit aufgeblasenen und sich auflösenden und schmelzenden Formen, mit Blobs und Figuren, die gleichzeitig neue bilden. Die Last der Kunstgeschichte hat er in seinen digitalen Arbeiten hinter sich gelassen und sich als Peter The Roman neu erfunden.
Und das mit einer kraftvollen und eindrücklichen Formensprache und mit einer Vehemenz, die unter Haut geht. Dazu gehören auch die Antikriegs-Skulpturen, die schmelzende Soldaten zeigen und deren Erlös an die Geflüchteten des Angriffskriegs in der Ukraine ging.
KI hat er lange nicht gemocht, dennoch hat es ihn interessiert, damit zu experimentieren. Und mittlerweile seien die jenseitigen und außerweltlichen Elemente, die sich dabei ergeben, den Visionen in seinen Kopf näher als diejenigen, die in seiner Arbeit mit Photoshop entstanden sind.
Die meisten seiner Prompts sind Listen von Materialien und gleichzeitig arbeitet er auch mit GANs eigener Datensets und schätzt den Kontrollverlust und die Unberechenbarkeit, die mit KI einhergeht.
Inneres Leuchten – und Glühen
In ganz eigene Welten entführte auch Clémentine Bal, die sich weitab von der Stadt und in einer alten Schlachterei ganz dem Prozess hingibt, der zu Wesen führt, die zwischen Mensch, Tier und Natur changieren, von Wolken umgeben sind oder sich in Berge und Sonnen verwandeln. Und das mit zarten Gesichtern und mit viel Gefühl und so Geschichten aus Bals Kindheit und von ihrer Familie erzählen, von Liebe, Freunde und Verbundenheit.
Ihre Arbeiten seien wie ein Spiegelbild, sagt die Französin, für die Mouseklicks und Scrollen Teil ihrer taktilen Arbeit sind, die aber genauso gerne selbst Hand anlegt und nach Jahren, in denen sie einzig Weiß benutzte, jetzt mit Farben experimentiert und auch mit Reliefs.
Aus den Innenwelten hinaus und hin zu ihren Murals führte das mexikanische DuoLos Calladitos, deren Ästhetik zwar eng mit den Traditionen ihrer Heimat verbunden ist, sich aber dennoch jenseits von Klischees bewegt. Nach einem Grafikdesignstudium und einigen Jahren in der Werbung, überziehen sie seit 2015 gemeinsam Wände weltweit mit ihren Bildern, die wie Buchillustrationen wirken und aufs Schönste von innen leuchten.
Animations-Freude
Was es bedeutet, äußerst erfolgreich in Animation zu sein, zeigte sowohl der Joe Bennett aus LA, gefeiert für sein Science-Fiction-Drama Scavengers Reign auf HBO Max und Philip Hunt, Partner und Kreativdirektor des Londoner Studio AKA, Oscar-nominiert und gerade gefeiert für Here We Are: Notes For Living On Planet Earth auf Apple TV+.
Auf Nachfrage aus dem Publikum, für wichtig er es fände, sich in KI einzuarbeiten, riet er, es nicht zu lernen, da KI sowieso irgendwann zu einem kommen würde und man ihr dann noch immer einen Tritt versetzten könnte. Gleichzeitig betonte er, dass es aber natürlich ein gewaltiges Thema sei, aber er empfehlen würde: »Zeichne und lass dich von dir selbst leiten und nicht von dem Markt.« Auch bei AKA würden sie immer davon ausgehen, was ihnen selbst gefällt. Das sei ihr wichtigstes Kriterium.
Freudlose KI
Wie Kunst als Aktivismus aussieht, zeigte die französische Künstlerin Bora, die in ihr queeres Universum aus Performances, 3D-Animation und Objekten einführte während Genie Espinosa aus Barcelona mit derselben Leidenschaft, die ihre Illustrationen versprühen, ihre Arbeiten für Die Zeit, für Apple, Google oder Nike vorstellte und Christopher Rutledge, CG Artist und Animationskünstler aus LA nicht nur zeigte, wie seine ausgelassenen Character und Spots für Nike, Apple oder Lil Nas X entstehen, sondern auch erzählte, wie er jahrelang mit seinen Filmen von allen Festivals abgelehnt worden sei und erst mit einem Vimeo Staff Pick erste Erfolge kamen. Seither kollaboriert er immer mal wieder auch mit den VR Sculpting Künstlern von Yonk, hat das Grin Studio gegründet und betreibt die Houdini Nerd Website mit ihren Tricks und Tutorials.
Und KI? Das wäre zu 99 Prozent ein trister und freudloser Prozess und am Ende gäbe es 1 Prozent guten Output.
Aufbäumen digital
Wie man KI zumindest nutzen kann, um seinen Prozess an einigen Stellen zu begleiten oder ihn ad absurdum zu führen, zeigte schließlich Sophie Koko Gate, Artist und Animation Director aus London, mit ihren faszinierend somnambulen Arbeiten, die einen an Orte führen, an denen man garantiert noch nicht war.
Nachdem sie jahrelang sehr erfolgreich für die Werbung gearbeitet hat, wurde sie zuletzt von fast allen Produktionsfirmen fallengelassen und konzentriert sich jetzt ganz auf ihre Arbeit als Animationskünstlerin und darauf, KI mit Menschlichkeit zu füllen – und entwickelt gerade zudem eine Serie mit Sony Pictures Animation und Adult Swim.
Nicht von dieser Welt sind ihre ätherischen Wesen, die vom Begehren und von unerfüllter Sehnsucht erzählen, manchmal an ihre Freundesclique angelehnt sind oder an vergangene Lieben und die in der Whitechapel Gallery, in der Tate Modern oder in Sundance gezeigt wurden.
Neuanfang in Japan
Kurz holte einen Joe Taylor dann wieder mit seinen kunterbunten, illustrierten Loops für Apple, TED, Netflix und Co ein wenig in die Realität zurück, bevor Mila Useche die Konferenz mit ihrer Reise aus Kolumbien über Berlin nach Japan, wo sie heute lebt, beschloss – und mit ihrer Geschichte, die durch ihren Mut zur Veränderung beeindruckt.
Mit 19 Jahren ist sie aus Kolumbien nach Berlin gekommen, war viele Jahre in der Animations- und Game-Industrie, unterbezahlt, überarbeitet und ausgebrannt nach Jobs für große Studios wie Disney, Nickelodeon oder Netflix, bis sie irgendwann Bilanz zog und sich gefragt, wohin der Weg führen soll – und sich einen Satz Künstler-Wachsmalkreiden kaufte und zum Malen und Zeichnen zurückkehrte, analog, expressiv und selbstbestimmt.
Und das mittlerweile aus einem kleinen Dorf in Japan aus, wohin sie mit ihrer Frau gezogen ist, eine Firma gegründet hat und eigene Prints verkauft, an einem Film über ihre kolumbianische Großmutter arbeitet, die sich während der Pandemie mit einem Entenküken angefreundet hat – und ein wesentlich entspannteres und friedlicheres Leben führt, wie sie sagt.
Wir hingegen freuen uns auf die nächsten 20 Jahre Pictoplasma!