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Alles fliegt

Wo man hinschaut, zeugen Bilder von der (unerträglichen) Leichtigkeit des Seins. Sechs Millionen Menschen, so die Statistik der International Civil Aviation Organization, erheben sich Tag für Tag in die Lüfte.

Mit ihrem Spot „Ability to Fly“ liefert DDB Chicago einen an Ironie kaum zu überbietenden Kommentar zum Werbetraum vom Fliegen

Sechs Millionen Menschen, so die Statistik der International Civil Aviation Organization, erheben sich Tag für Tag in die Lüfte. Ein erster Schritt dahin, unseren überfüllten kleinen Planeten und seine uns fesselnde Erdanziehungskraft langsam hinter uns zu lassen?

In der Realität funktioniert das ja noch plump, lautstark und luftverpestend mit Flugzeugen – in Werbebildern fliegen Leute immer öfter aus eigener Kraft. Leicht, elegant und dynamisch. Vorreiter für diese Bildwelten sind natürlich die Sportartikelhersteller. Ihre Schuhe und Klamotten, so suggerieren es unzählige Spots, Anzeigen und Plakate, helfen uns, die Schwerkraft zu durchbrechen und quasi durchs Leben zu fliegen. Schon lustig, diese Illusion von einem Dasein im Schwebezustand angesichts der Tatsache, dass sich weltweit immer mehr Übergewichtige mit der Last überflüssiger Kilos abschleppen. Aber vielleicht gerade deshalb ein so wirkungsvolles Versprechen. Tatsächlich greift ja auch man­ches der unzähligen Produkte, die uns dünner (oder zumindest nicht dicker) zu machen versprechen, das Motiv des Fliegens auf. Wer viel Mineralwasser einer bestimmten Marke trinkt, wird so schwerelos, dass er abhebt. Selbst vermutlich nicht gerade kalorienarme Schokoriegel wirbeln durch die Lüfte, um uns zu überzeugen, wie locker-luftig sie sind und dass wir sie keinesfalls nur schweren Gewissens genießen dürfen.

Ja, es gibt viele Gründe für flatterhafte Werbebilder. Da fliegen Laptops, weil sie rekordverdächtig wenig wiegen, da fliegen Mobiltelefone, weil sie ihre Besitzer so mobil wie Zugvögel machen. Aus dem Auspuff von Autos fliegen grüne Blätter, um das Öko-Engagement der Hersteller anzuzeigen. Oder ganze Autoteile vom Kotflügel bis zur Zündkerze trudeln durch die Lüfte und setzen sich wie durch Zauberkraft zusammen: will sagen, dieses Fahrzeug ist magisch und perfekt. Auch Finanzdienstleister nutzen gern mal schwebende Bildmotive, schließlich machen sie unser Leben leicht und unbeschwert und helfen, dass die Kurse unserer Aktien stets steil himmelwärts steigen. Dynamik, Leichtigkeit, Freiheit, Mobilität, Aufstieg heißen die durch Werbung fetischisierten Ideale unserer Zeit. Spiegeln diese Bildwelten tatsächlich unser Leben wider oder sind es nur schöne Träume, wie wir sie mit flugfähigen Helden wie Super- oder Spiderman träumen, die im wahren Leben ja auch nur arme Würstchen sind? Die derzeit so weit verbreiteten Darstellungen des Fliegens, Gleitens, Schwebens lassen sich jedenfalls auch ganz anders lesen.

Kürzlich stellte die so genannte Filiale in Berlin – eine Ko­operation der Galerien Conrads aus Düsseldorf und Römer­apotheke aus Zürich – die Fotoserie „weather“ von Rosemary Laing aus. Die bekannte australische Künstlerin schoss die Bilder im Windkanal eines Filmstudios. Auch hier sind Menschen in freier Schwebe zu sehen, die Frozen-Moment-Ästhetik erinnert durchaus an Puma- oder Nike-Anzeigen. Doch die Stimmung, die sich vermittelt, ist eine ganz andere, es werden globale existenzielle Fragen über unser Zeitalter aufgeworfen. Statt dynamisch zu fliegen, scheinen die Figu­ren in den Raum geworfen, willenlos „einem immer stärkeren Strudel unterschiedlichster Einflüsse ausgesetzt, dem der einzelne sich so wenig entziehen kann wie dem Wetter“, so beschreibt es Galeristin Helga Weckop-Conrads. Ein Fingerzeig, um die Reklamebilder mal umzudeuten und als heimliche Metapher dafür zu verstehen, dass wir alle die Bodenhaftung verloren haben? Die Werbung selbst konterkariert ihre eigenen Mythen manchmal noch drastischer. In einem Bud-Light-Spot von DDB Chicago, der dies Jahr beim Superbowl zu sehen war, verleiht das Bier einem Mann die ability to fly. Euphorisiert fliegt er durch die Wolken, bis ein Flugzeug auftaucht und die Düse ihn verschluckt. Aus dem Off heißt es: „The ability to fly is no longer available in Bud Light. The endless refreshment however remains.“ Hört sich doch viel bodenständiger an.

Nachtrag vom 15. April 2010: Alles fliegt auch in dieser Ausstellung in der Stuttgarter Galerie Paretta Contemporary Art bis 5. Juni 2010.

Seit 2005 interpretiert Lacoste in immer neuen Variationen das Thema „Un peu d’air sur terre“.

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Einem Sturm von Zeitungsfetzen ausgesetzt sind die Figuren in der Fotoserie „weather“ der australischen Künstlerin Rosemary Laing (siehe www.galerieconrads.de)

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