
Darum ist das Internet of Things ein Wachstumsmarkt für Designer
Von Küchengeräten über Autos bis zur Hightech-Medizin: Dank immer mehr smarter Geräte gibt es für UX- und UI-Designer:innen viel zu tun. Wir zeigen, was die Gestaltung von Interfaces für das Internet of Things so interessant macht und welches Know-how man für die Gestaltung der Interfaces für all die smarten Devices benötigt.
Eigenentwicklung hin oder her, die Bedienung des Interfaces soll sich vertraut anfühlen, schließlich will man nicht für jedes Gerät eine neue Bedienung erlernen müssen. Für Frank Rausch ist deshalb eins unerlässlich: »Wer fürs Internet of Things gestaltet, sollte sich sehr gut mit den Bedienkonzepten von Smartphones und Desktop-Betriebssystemen auskennen und sich daran orientieren.« Christoph Ortmann kann dem nur zustimmen, denn die Bedienung der Geräte spiele eine immer größere Rolle bei der Kaufentscheidung: »Vertraut müssen aber nicht nur die digitalen Elemente sein, wir brauchen auch die analoge Vertrautheit von gelernten Bedienmustern, wie eben ein Drehschalter für die Bedienung von Öfen gelernt ist.«
Zwei Welten verschmelzen
Wie man analog und digital optimal zusammenbringt, zeigt der Bosch Digital Ring. Die vertraute Form des Drehreglers wurde in die Glasscheibe der Ofenfront geschnitten und poliert und dann mit einem dahinterliegenden Touchdisplay verschmolzen. So hat man ein digitales Display, durch den Glasschliff aber auch noch ein physisches Element. Ein intuitives Design mit bekannten App-Interaktionsmustern wie Karussells, Listen oder digitalen Drehreglern führt die User:innen durch die Einstellungen.
Der Digital Ring kommt in diversen Hausgeräten zum Einsatz, um nicht bei jedem Gerät wieder bei null anzufangen, arbeiten Christoph Ortmann und sein Team gerade an der Entwicklung eines Designsystems in Figma und QML. Was im Kommunikationsdesign längst selbstverständlich ist, beginnt sich für Produktinterfaces gerade erst durchzusetzen. Der Ring ist zugleich ein Schlüsselelement der Marke Bosch. Ein weiteres ist die Hausschrift, die 2005 von Erik Spiekermann und Christian Schwartz gestaltete Bosch Sans. »Bislang haben wir ausschließlich den Light-Schnitt verwendet, jetzt kommt für Headlines noch die Bosch Sans Medium hinzu – das sorgt für Prägnanz und Klarheit«, so Ortmann.
Schrift passt sich an
In digitalen Displays von Autos spielt Schrift eine besondere Rolle. Anzeigen müssen ausgezeichnet lesbar sein, damit die Aufmerksamkeit des Fahrenden schnell wieder zum Straßenverkehr wandert. Zugleich soll die Typo die Marke transportieren. Gut gelungen ist das bei der von Hannes von Döhren gestalteten VW Schrift, die im Zuge der von MetaDesign entwickelten neuen Brand Identity des Autokonzerns entstand. »Für die digitalen Displays haben wir die Schrift etwas bearbeitet«, erklärt der Berliner Typedesigner. »Damit am System selbst nicht viel geändert werden musste, haben wir die Laufweite so angepasst, dass etwa Zeilenumbrüche erhalten blieben.«
Unterschiedliche Automodelle haben unterschiedliche Displays und die wiederum oft unterschiedliche Renderingsysteme. »Da mussten wir wirklich genau hinschauen, wie die Schrift in welchem Auto dargestellt wird, um die Fonts entsprechend hinten zu können.« Das alles passierte im engen Zusammenspiel mit dem Inhouse-Designteam bei Volkswagen. Anpassungen gab es auch bei den Zahlen, die vor allem auf dem Tacho sehr präsent und meist im Kreis angeordnet sind. »Für einen harmonischen Eindruck und eine bessere Lesbarkeit haben wir zum Beispiel aus der ursprünglich geschlossenen 4 eine offene gemacht«, erklärt von Döhren.

In digitalen Autodisplays spielt die Typografie eine große Rolle. Um lange Ablenkung zu verhindern, müssen Informationen sofort erfassbar sein, und auch als Projektion auf die Windschutzscheibe bei Head-up-Displays funktionieren. Typedesigner Hannes von Döhren passte deshalb seine für VW entwickelte Schrift für die Displays an (Bild: Volkswagen AG)
Komplex und menschlich zugleich
Ein wichtiger und besonders sensibler IoT-Bereich ist die Medizintechnik. »Von einem medizinischen Gerät darf kein Risiko für die Patient:innen ausgehen, darauf zielt die gesamte Produktentwicklung ab«, sagt Anja Kaiser. Sie leitet bei Siemens Healthineers den Designbereich, der nicht nur die visuelle Gestaltung von Softwareoberflächen umfasst, sondern die komplette User Experience inklusive des Designs der Geräte selbst. Bei Siemens Healthineers findet ein Großteil der Arbeit inhouse statt, denn die Entwicklung von Medizinprodukten ist stark reguliert und sehr komplex – ein Feld, in das man sich als externe Agentur nicht mal eben so einarbeitet.

Bei der Gestaltung von Interfaces für medizinische Geräte achtet Siemens Healthineers darauf, bekannte Elemente aus Web- und Appdesign zu verwenden. So erinnert etwa die Oberfläche der Software Syngo Carbon Space, mit der Radio-log:innen Röntgen-, MRT- oder CT-Bilder beurteilen, an ein Smartphone-Interface.
Beim Interfaces Design achtet das Team darauf, bekannte Elemente aus Web- und Appdesign zu übernehmen. »Unsere Nutzer, vor allem Ärzt:innen oder Pflegepersonal, sind ja nicht per se IT-affin«, sagt Kaiser. »Aber im privaten Bereich haben sie mit ihren Smart Devices Routine entwickelt, wie sie mit digitalen Systemen interagieren. Diese Erfahrung wollen wir auf unsere Geräte übertragen, damit der Zugang so einfach wie möglich wird.« Denn was Design im Gesundheitswesen so besonders macht – und Kaiser sehr wichtig ist: »Wir gestalten für Menschen in einer sehr sensiblen Lage. Unsere Geräte sollen das Personal nicht beschäftigen, sondern entlasten. Damit sie den Fokus auf den Patienten legen können und sich die Situation für alle menschlich anfühlt.«
Darüber hinaus soll natürlich die Marke Siemens Healthineers erkennbar sein. Dazu verwendet das Designteam die Hausschriften Siemens Sans und Siemens Healthineers Bree in allen Applikationen, auch in den Gerätedisplays. Ebenso die Hausfarben Petrol (Siemens) und Orange (Healthineers). Nach Möglichkeit geht das global agierende Unternehmen auch bei der Interfacegestaltung auf die Bedürfnisse der verschiedenen Märkte ein. »Funktionalität hat aber immer Vorrang, es wird jetzt nicht quietschbunt, nur um kulturgeprägte Sehgewohnheiten zu berücksichtigen«, berichtet Anja Kaiser.
Ein langes Leben
Worauf müssen Kreative sich im Bereich IoT einstellen? Im Gesundheitswesen etwa muss man Komplexität mögen. »Wir können nicht so frei gestalten wie jemand, der eine Website für eine Consumer Brand entwickelt«, sagt Anja Kaiser. »Es gibt einfach wahnsinnig viele Anforderungen – technische, fachliche und regulatorische. Die alle unter einen Hut zu bringen und dabei noch ein cooles Design hinzubekommen macht viel Spaß, ist aber auch herausfordernd.«
Christoph Ortmann erklärt, dass man Freude daran haben sollte, mit reduzierter Rechenleistung zu arbeiten. Animationen etwa seien nicht immer möglich. Zudem brauche es den Blick fürs Ganze. »Man muss das Produkt verstehen und eine Passion dafür mitbringen. Nicht nur aufs schwarze Kästl gucken, sondern das Gerät als Ganzes betrachten mit allem, was dahintersteckt.« Das schöne am Job sei, dass so ein Produkt dann dastehe und den Alltag der Menschen präge. »Wir gestalten extrem langlebige Dinge, die nicht nach dem nächsten Update, schwups, einfach verschwunden sind.«
»Das beste Interface ist kein Interface«
Die Niederländerin Lieke Ypma studierte Design und Engineering. Nach Stationen bei Audi und Vodafone gründete sie im April 2022 das auf UX Design spezialisierte Telling Studio in Berlin. Wir sprachen mit ihr darüber, worauf es bei der Gestaltung für Mobility-Systeme ankommt.
Du bezeichnest dich als Product Designer. Was steckt dahinter?
Lieke Ypma: Dass wir über das Display hinausdenken müssen. Wenn wir IoT-Interfaces gestalten, gestalten wir ein System. Der amerikanische Begriff Product Designer, der das Produkt als die Summe von Funktionalitäten und Visualisierungen versteht, die die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer befriedigen, finde ich passend.
Welche Skills braucht es dafür?
Es geht immer um dasselbe Ziel – egal, ob wir Apps gestalten oder proprietäre Interfaces. Das Interface kommuniziert den Systemstatus an den Nutzer. Es geht nicht um ein ingenieurmäßig korrektes Systemdiagramm, sondern um eine nutzbare Schnittstelle. Ist die Maschine an? Ist die Bluetooth-Box connected? Sind die Sicherheitssysteme aktiv? Dabei hilft es, die gut erforschten Standards aus App- und Webdesign zu kennen.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Bei mit dem Internet verbundenen Fahrrädern ist zum Beispiel das Schloss eine Herausforderung. Ob es abgeschlossen ist oder nicht, kann man direkt am Rad und in der App signalisieren. Wir müssen herausfinden, wann Nutzer:innen wo hinschauen. Dazu kommen praktische Überlegungen: Entscheidet man, es am Fahrrad zu signalisieren, dauert die Umsetzung bestenfalls ein halbes Jahr, in der App wenige Wochen. Aber wenn das Handy keinen Empfang hat oder der Akku leer ist, kann ich das Fahrrad nicht auf- oder abschließen. Idealerweise sind Fahrrad und App immer online, signalisieren dasselbe zur selben Zeit, und das Abschließen funktioniert auch ohne Netz.
E-Bikes sind dein Steckenpferd. Was fasziniert dich daran?
Hier gibt es noch so viel Luft nach oben. Zum Beispiel die Integration intelligenter Systeme wie ein Antiblockiersystem – dafür bräuchte es gar nicht unbedingt ein großes Display. Die Funktion könnte einfach im Hintergrund Sicherheit geben. So, wie ich weiß: Fahre ich einen Volvo, ist das Licht an, immer und zuverlässig.

Das Interface am Dance-Bike kommt mit wenigen farbigen Status-LEDs und Tasten aus. Eindeutig gestaltet, erlauben solche einfachen proprietären Interfaces am IoT-Gerät – ganz ohne Display – eine Nutzung ohne Ablenkung.
Aber für andere Dinge wie die Akkuladung braucht man ja schon ein Display …
Natürlich muss absolut klar sein, ob der Akku voll oder leer ist, das Licht an oder aus. Aber dafür reichen ein paar Status-LEDs und Icons, sodass man sich aufs Fahren konzentrieren kann. Ich finde, wo es geht, müssen wir weg von großen Displays.
Zumal gewöhnliche Fahrradcomputer ja häufig auch visuell nicht gerade überzeugend sind.
VanMoof hat eine sehr schöne Lösung entwickelt und die Anzeige in den Rahmen integriert. Beim neusten Modell ist das Interface auf vier Tasten und mehrere Status-LEDs reduziert. Dazu gibt es eine Halterung für das Smartphone, sodass die App als zusätzliche Schnittstelle zur Maschine gilt. Die E-Bike-Brand Dance geht einen ähnlichen Weg, wobei hier die Tasten mit einem Icon beschriftet sind.

Beim VanMoof X3 ist die Anzeige in den Rahmen integriert und zeigt dort die gleichen Inhalte wie die App.
Die Kombination aus Status-LEDs und Smartphone-App bietet also für jeden, was er braucht. Wer gar nicht so viele Infos haben will, kann das Handy einfach in die Tasche stecken.
Richtig. Die App bietet volle Kontrolle und Details für Tech-Verliebte. Das Fahrrad-Interface ohne App bietet alles Notwendige, ohne Ablenkung. Wir sollten mit IoT-Geräten nicht das anbieten, was technisch möglich, sondern das, was für eine gute Erfahrung wünschenswert ist. Nicht die Technik entwickeln und sie dann den Nutzer:innen erklären, sondern das System aus Nutzer:innensicht designen und die Anforderungen an die Technik daraus ableiten.

Dieser Artikel ist in PAGE 07.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.