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Design für Start-ups: Darauf kommt es an!

Start-ups als Kunden zu gewinnen, bedeutet für Agenturen oft erstmal eine gewisse Investition – meist aber eine sehr lohnende. Wir zeigen, wie die Zusammenarbeit und die Vergütungsmodelle aussehen können.

What’s for lunch? Wenn es nach dem Start-up Aitme geht, kommt das Mittagessen auf der Arbeit künftig von Robotern. Für das sympathische Branding und Design des Unter­nehmens war Arndt Benedikt verantwortlich.

Kurze Wege, direkter Kontakt zu Entscheider:innen, mehr Freiheiten in der Gestaltung und Teilhabe an Produktentwicklung und Geschäftsmodell – die Arbeit für Start-ups hat für Design- und Brandingagenturen viele Vorteile. Dazu kommt der zumeist sehr partnerschaftliche und unkomplizierte Umgang, verbunden mit extrem interessanten neuen Produkten und Business-Ideen. »Für unser Designteam sind Start-up-Projekte spannend, weil die Prozesse kürzer sind. So gibt es mehr Abwechslung«, sagt Thomas Elm, Managing Director bei Goodpatch in Berlin. »Und es geht ums Ganze: Das Design ist eng verwoben mit dem Produkt, und das Produkt ist eng verwoben mit dem Geschäftsmodell. Man hat einen viel größeren Hebel als bei etablierten Unternehmen.«

Die Start-up-Szene ist vielfältig und hält für Agenturen unterschiedliche Auftragsarten und Formen der Zusammenarbeit bereit. Während manche Start-ups in der frühen Gründungsphase viel Beratung benötigen – vor allem wenn es um digitale Produktentwicklung geht –, haben andere bereits eine Startfinanzierung und brau­chen einen professionelleren Markenauftritt, um weitere Investoren und Mitarbei­tende zu gewinnen. »Pitch Decks sind ein Riesenthe­ma«, so Falko Ohlmer, geschäftsführender Partner bei der Frankfurter Agentur Arndt Benedikt, die ihre Brandingexpertise vorrangig gut gefundeten Start-ups anbietet. DIO Studios in Köln sind dagegen gern ganz früh mit dabei und gehen mit ihrer Designarbeit auch in Vorleistung, um Produkte und Ideen voranzubringen, die sie selbst für unterstützenswert halten. Goodpatch wiederum ist seit 2020 mit einem eigenen Design Fund sogar selbst als Venture Capitalist tätig. »Das Bewusst­sein dafür, wie wichtig Design schon in der Frühphase eines Start-ups ist, ist bei Grün­de­rin­­nen und Gründern in den letzten Jahren stark gewach­sen«, sagt Boris Jitsukata, Director und Exe­cu­tive Of­­fi­cer bei Goodpatch. Gute Voraussetzungen für Krea­ti­ve also. Aber es gibt auch ein paar Dinge zu beachten.

Die Aitme-Identity verbindet das emotionale Thema Essen mit den technischen Komponenten der Kochroboter

Gestaltungsprozess: Agil, lean und flexibel

Da die Founder immer mit am Tisch sitzen, werden Designentscheidungen oft schon in Terminen selbst gefällt. Die Start-ups stehen häufig unter enormem Druck, denn Budgets sind begrenzt und die Zeit bis zur nächsten Fundingrunde oft knapp. Die Agentu­ren müssen sich darauf einstellen und ihre Strukturen und Prozesse entsprechend anpassen, falls diese noch nicht auf agile Zusammenarbeit ausgerichtet sind. Die Herausforderung besteht darin, den Gestaltungsprozess so lean wie möglich zu machen, ohne dabei an Qualität einzubüßen. »Bei der Arbeit mit Start-ups sind die Timings schneller und die Prozesse fordernder – und dadurch für das Team anstren­gender. Die hohe Drehzahl, die Sprunghaftigkeit und Ungewissheit in diesen Projekten können auch belastend sein«, warnt Markus Dunke, Chief Client Of­ficer bei Strichpunkt in Stuttgart.

Produkt und Marke werden oft gemeinsam entwi­ckelt, wobei sich vor allem bei jungen Start-ups noch viel ändern kann. Deshalb müssen die Lösungen fle­xibel sein und Raum für kurzfristige Änderungen bieten. Das bedeutet auch, dass zunächst meist kein komplettes Corporate-Design-Paket notwendig ist. »Start-ups sollten am Anfang noch nicht zu viel in Branding investieren, sondern sich auf ihr Produkt konzentrieren. Meist reicht ein Lean Branding, das zu einem späteren Zeitpunkt ausgebaut und verfei­nert werden kann«, sagt Boris Jitsukata. Wichtig ist auch, dass sie schnell Werkzeuge und Branding-Assets an die Hand bekommen, mit denen sie unabhängig von der Agentur weiterarbeiten können.

Für Start-ups, die sich (noch) keine Kreativ­agentur leisten können, bietet Serious.Business ein niedrigschwelliges DIY Branding Kit an, mit dem sich für wenig Geld eine Basis für die Marke erarbeiten lässt

Deferred Payment, Success Fee, Sweat Capital

Gerade am Anfang ist das Geld bei den meisten Start-ups knapp, und viele können sich keine klassischen Kreativaufträge leisten. »Werkverträge, in denen man Arbeitsumfang und Zeitrahmen festlegt, eignen sich da nur bedingt, weil sich bei Start-ups zu vieles zu schnell ändern kann. Wir lassen uns daher meist nach Time and Material bezahlen, gekoppelt mit einem Retainer, also einem Abnahmeminimum, das Verbind­lichkeiten für beide Seiten schafft«, sagt Fred Fahlke, Mitgründer von Nice Outside.

Wer bereit ist, ein finanzielles Risiko einzugehen, kann alterna­tive Bezahlmodelle anbieten. Etwa einen Vorschuss an kreativer Leistung: »Wenn ein Start-up gerade kei­ne Liquidität hat, aber Unterstützung benö­tigt, um in die nächste Finanzierungsrunde gehen zu können, bieten wir manchmal Deferred Payment an – das heißt, unsere Arbeit wird im ersten Schritt nur zum Teil bezahlt, den Rest bekommen wir, sobald die Liquidität wiederhergestellt ist. Natürlich geht man als Agentur damit ein Stück weit ins Risiko«, so Markus Dunke. Ähnlich funktioniert eine Success Fee, bei der Agenturen – oft gekoppelt mit ei­nem vor­her gezahlten Basispreis – an Erfolgen wie weiteren Fundings oder Kundendeals beteiligt werden. »Das verändert das Mindset, mit dem man an ein Projekt herangeht: Man ist viel stärker involviert und trägt selbst Verantwortung«, erklärt Sebastian Degenhart, Mitgründer von Serious.Business. »Natürlich muss für eine solche Zusammenarbeit alles passen und wir von den Leuten sowie ihrer Idee vollkommen überzeugt sein. Außerdem muss man es sich als Agentur auch leisten können.«

Manche Kreative setzen auch auf Equity, also auf Unternehmensanteile als Bezahlung – auch Sweat Capital genannt. Dadurch wird die Kundenbeziehung noch mehr zur echten Partnerschaft. Für viele Agenturen ist diese Bezahlstrategie allerdings problematisch, denn von Anteilen können sie keine lau­fenden Kosten bestreiten. »Wird ein Start-up aber un­­gemein erfolgreich oder legt einen Mega-Exit hin, kann man sich als Agentur schon ganz schön ärgern«, sagt Boris Jitsukata. »Mittlerweile sind acht un­serer ehemaligen Kunden an die Börse gegangen, und unzählige weitere haben erfolgrei­che Fundingrunden durch­laufen oder wurden verkauft. Deshalb haben wir 2020 unseren Design Fund gegründet und unter­stützen damit gezielt Start-ups, denen wir mit unse­rer Designexpertise weiterhelfen können.« Leisten kann Goodpatch sich das, weil die Agentur 2020 in Japan an die Börse gegangen ist.

Kleinere Agenturen, die über weniger Kapital ver­fügen, sollten entsprechend abwägen, welches Engagement sich lohnt und wie viele Kapazitäten sie darauf verwenden können. Die Vorarbeit kann man auch als Investition fürs eigene Geschäft sehen: Man legt den Grundstein für eine weitere Zusammenarbeit, sammelt Erfahrungen und Kontakte – oder hat zumindest einen spannenden Case fürs Portfolio.

Und wie kommt man an Aufträge von Start-ups?

Vieles läuft über persönliche Kontakte. Hat man einmal den Fuß in der Tür, läuft es fast von allein – sofern man seine Arbeit gut macht. »Bei Start-ups läuft viel über Mundpropaganda. Gründerinnen und Gründer sind unglaublich gut vernetzt, auch weil sie viel mehr auf Wissensaustausch von außen angewiesen sind als etablierte Unternehmen«, erklärt Sebastian Degenhart. Außerdem hilft es, die deutsche (oder auch internationale) Gründerszene im Auge zu behalten und Kontakte zu Investoren und Venture-Capital-Gesellschaften zu pflegen.

Oder man bietet niedrigschwellige Beratungsleis­tungen an wie Goodpatch mit ihrer kostenlosen Pro­duct Hour, die häufig in einen regulären Designauftrag mündet. Oder Serious.Business mit ihrem kos­tengünstigen DIY Branding Kit für junge Start-ups, die sich (noch) kein professionelles Design leisten können, aber auf diesem Weg schon mal mit der Expertise der Agen­tur in Berührung kommen. Dass es sich sowohl gestalterisch als auch finanziell lohnt, ins Ge­schäfts­feld Start-ups hineinzuschnuppern, zeigen die Beispiele auf diesen Seiten!

Arndt Benedikt: Die Brandingexperten

»Das Tolle an der Arbeit mit Start-ups ist, dass man dabei häufig direkt an der digitalen Transformation mitwirkt. Meist geht es um eine Digitalisierung von Abläufen und um spannende neue Geschäftsmodelle«

Falko Ohlmer, geschäftsführender Partner bei Arndt Benedikt, Frankfurt am Main

Arndt Benedikt hat schon für eine Vielzahl von Start-ups gearbeitet – das war keine bewusste Ausrichtung, sondern ergab sich über Weiterempfehlungen im Start-up-Kosmos. Die Frankfurter Brandingagentur wird vorrangig für junge Unternehmen aktiv, deren Geschäftsmodell sich bewährt hat und die ein Funding erhalten haben. Das können Start-ups sein, die schon am Markt sind und jetzt eine Consumer-Marke brauchen, oder auch solche, die sich noch im Stealth-Modus befinden – also noch geheim unterwegs sind – und um Investoren und Mitarbeitende buhlen. Die Aufträge werden stets regulär bezahlt.

Arndt Benedikt spürt die Werte, Visionen und den Purpose der Gründerteams auf und entwickelt darauf aufbauend die Marken­identität sowie das Corporate Design des Start-ups. Ihr frischer, verspielter Stil kommt in der Tech-Szene gut an. »Wir achten darauf, dass ein gewisses Verständnis für Marke und Design vorhanden ist. ›Schnelle Logos‹ machen wir nicht«, erklärt Falko Ohlmer, geschäftsführender Partner.

CASE Aitme: Kochende Roboter

Roboterarme, die schnell frische Mahlzeiten zubereiten – und das hochwertig, hygienisch und kosteneffizient. Mit dieser Idee will das Start-up Aitme die Kantinenszene aufmischen. Die beiden Gründer kamen 2019 aufgrund einer Empfehlung zu der Agentur Arndt Benedikt, da sie eine Marke brauchten, um auf Investoren und potenzielle Mitarbeitende zuzugehen. Ein initiales Funding war vorhanden, musste aber noch ausgeweitet werden. Arndt Benedikts Ziel war es, dem Start-up so schnell wie möglich eine Marke und Branding-Assets an die Hand zu geben, mit denen es eigenständig weiterarbeiten konnte.

Die Herausforderung bestand darin, dem stark technik- und produktbezogenen Start-up – Arbeitstitel: »Roboterküche« – eine emotionale Komponente zu geben und beide Aspekte in einer Markenidentität zu verbinden. In Workshops mit den Gründern erarbeitete das Team sowohl den Markenkern als auch den Namen: »Aitme« nimmt gleichzeitig Bezug auf eat und AI und ist zudem

in vielen Sprachen gut aussprechbar. Beim Design setzte Arndt Benedikt auf eine Balance zwischen den Aspekten Emotion und Technik. Der Schwung im A der reduzierten Wortmarke erinnert an die Bewegung der Roboterarme, farbige runde Formen entspre­chen den organischen Zutaten. Dazu kommt ein umfangreiches Icon-Set, das eher technisch wirkt, aber spielerisch eingesetzt wird. Die Primärfarbe Grün steht für Frische, weitere Farben greifen die Nuancen von Obst und Gemüse auf.

Während die Markenentwicklung innerhalb weniger Wochen abgeschlossen war, dauerte es mit dem offiziellen Start am Markt bis 2021. Heute kann man den Kochroboter – von den Gründern liebevoll »Robi« genannt – am AI Campus in Berlin in Aktion erleben. Bis 2025 sollen 100 Robis in Europa kochen.

Nice Outside: Teil des Teams

»Wir wissen, dass Start-ups chaotisch sein können. Wir lieben das!«

Fred Fahlke, Co-Founder bei Nice Outside, Hamburg

Nice Outside gibt es zwar erst seit einem halben Jahr, aber das Design- und Technologiestudio hat schon mit einigen Start-ups gearbeitet. Entstanden sind die Kontakte vor allem durch das Netzwerk der Gründer, die davor in Tech-Unternehmen wie Instagram, About You, R/GA und Wunder Mobility gearbeitet haben. Die Agentur ist offen für die gesamte Bandbreite an Start-ups, was Größe, Finanzierung und Branche angeht. Ihr Fokus liegt jedoch auf Unternehmen mit einer technologischen Komponente – idealerweise mit internationaler Reichweite. »Am spannendsten finden wir Early-Stage-Start-ups, also noch vor Series A, weil wir Spaß daran haben, Produkte und Unternehmen fundamental mitzugestal­ten. In späteren Finanzierungsrunden – ab Series C – wird es weniger interessant für uns«, so Mitgründer Fred Fahlke.

Nice Outside bietet Produkt-, Branding- und Technologieexper­tise aus einer Hand. »Die meisten Start-ups brauchen in mehreren Bereichen Unterstützung – auch wenn sie es noch nicht wissen. Das ist auch ein Grund dafür, warum wir uns als Agentur so auf­ge­stellt haben«, sagt Brand Designer und Mitgründer Felix Gebauer. Oft ginge es auch darum, Verständnis und Offenheit für Design und Design Thinking zu schaffen. »Viele denken immer noch, dass Design nur bedeutet, wie es aussieht. Aber es geht eben vor allem darum, wie es funktioniert«, so Fahlke.

Die Zusammenarbeit verläuft in der Regel sehr eng. Nice Outside versteht sich als Teil des Teams, nimmt an regulären Stand-up-Meetings teil und integriert sich so stark wie möglich. Das ist auch deshalb notwendig, weil die Agentur tief in die Produktentwicklung involviert ist. »Uns ist wichtig, Produkt und Geschäfts­mo­dell so umfassend wie möglich zu verstehen. Das ist bei sehr technischen Start-ups manchmal gar nicht so leicht«, sagt Fahlke. Gelegentlich hilft die Agentur ihren Kunden auch dabei, interne Designabteilungen aufzubauen. »Ein Inhouse-Designteam ist auf lange Sicht meist die bessere Lösung für Start-ups. Wir selbst bleiben durch unsere Außenperspektive und unsere Begleitung von Anfang an immer ein wertvoller Partner«, meint Fahlke. In Zukunft möchte sich Nice Outside auch an Start-ups beteiligen – aus partnerschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen.

CASE Plumerai: Deep Learning leicht gemacht

als 10 Milliwatt Strom verbrauchen. Klingt anspruchsvoll – und ist es auch. Die Aufgabe von ­Nice Outside war es nun, diese in­no­va­tive Techno­logie in leicht verständliche Inhalte und visuelle Formen zu übersetzen. Gemeinsam mit dem Start-up Plumerai entwickelte Nice Outside die Marke und die Website, die das Produkt­versprechen des Start-ups eindrücklich kommunizieren: Making deep learning tiny. Die 3D-Visualisierungen stammen von Kommunikationsdesigner Devran Taskesen.

Serious.Business: Die Marken-Enabler

»Das Aufregendste an der Arbeit mit Start-ups ist, dass man wirklich kollaborieren und eine Marke formen kann. Man nimmt nicht nur kleine Verbesserungen an einem bestehenden Branding vor«

Helga Ósk Hlynsdottir, Co-Founder und Spiritual Leader bei Serious.Business, München

Serious.Business, deren Gründer:innen sich an der Hyper Island School kennenlernten, gibt es seit 2015. Seit 2020 legt die Agentur für Branding und Digital Design ihren Fokus bewusst auf Start-ups. »Die beste Entscheidung, die wir je treffen konnten! Es gibt unserem Portfolio eine klare Ausrichtung«, meint Mitgründerin Hel­ga Ósk Hlynsdottir. »Die Kultur und das Mindset von Start-ups passen gut zu uns. Wir arbeiten auch gerne iterativ, prototypen viel und sind remote aufgestellt«, ergänzt Co-Founder Sebastian Degenhart. Die Start-up-Kunden von Serious.Business sind in der Regel zwei bis drei Jahre alt, haben ein handfestes Geschäfts­mo­dell und eine Seed- oder Series-A-Finanzierung in der Tasche. »In dieser Phase sind sie meist stark produktgetrieben. Was ihnen oft fehlt, ist eine klare Kommunikation. Da kommen wir ins Spiel«, erklärt Hlynsdottir. Serious.Business verbindet Markenstrategie und kreative Umsetzung und hat dabei häufig auch Einfluss auf die Produkte. »Einer der größten Fehler von Start-ups besteht darin, am Anfang ihre Brandingstrategie zu vernachlässigen. Damit verschenken sie erhebliches Potenzial und verpassen Wachstums­chancen«, ist Hlynsdottir überzeugt.

Um die Hürde zu senken und auch Start-ups helfen zu können, die sich (noch) keine Agentur leisten können, hat Serious.Business Anfang 2022 ein DIY Branding Kit herausgebracht. Dieses bietet je nach Paket (Pro: circa 120 Euro, Premium: circa 1100 Euro) einen Step-by-Step-Branding-Guide, Videokurse, virtuelle Whiteboards in Miro sowie zusätzliche Beratungsgespräche mit der Agentur. »Das Kit ist interaktiv und macht wirklich Spaß – es ist kein weiterer langweiliger Canvas«, verspricht Sebastian Degenhart. Langfristig eig­net sich das Tool auch zur Akquise, weil es die Expertise von Serious.Business deutlich macht. »Man wird mit dem Kit kein komplettes Corporate Design gestalten, aber man kann eine gute Grundlage für die Ausrichtung der Marke schaffen. Diese kann dann wiederum dabei helfen, ein gutes Designbriefing zu formulieren«, sagt Hel­ga Ósk Hlynsdottir.

CASE Zellerfeld: Democratizing Footwear

Kein Fuß ist wie der andere – selbst die am selben Körper. Das Hamburger Start-up Zellerfeld ermöglicht es erstmals, komplett individualisierte Schuhe per 3D-Druck herzustellen, basierend auf einem Scan, den man selbst via Smartphone durchführen kann. Darüber hinaus bietet es eine Plattform, über die Schuh­de­si­gne­r:innen aus aller Welt zukünftig ihre Modelle produzieren können. Serious.Business erarbeitete die Vision, Story und Strategie der Marke und gestaltete eine Identity, die mit der Idee der Einzigartigkeit spielt. Diese wird vor allem durch ein dynamisches Logo symbolisiert, das anhand der eingegangenen Daten seine Form verändert und auf jedem Schuh anders aussieht. Das Start-up befindet sich noch in der Betaphase, im Oktober sorgte eine Kollaboration mit Designer Heron Preston für viel Aufsehen.

Goodpatch: Die Start-up-Profis

»In großen Unternehmen muss man oft viel Zeit und Arbeit ins Stakeholder-Management stecken. Start-ups sind viel kleiner und agiler, meist hat man direkt mit den Gründern selbst zu tun«

Thomas Elm, Managing Director bei Goodpatch, Berlin

Die Designagentur Goodpatch mit Sitz in Japan und Deutschland hat nicht nur Hunderte Unternehmen bei der Produktentwicklung und beim Start in den Markt begleitet, sondern ist 2020 selbst in Japan an die Börse gegangen. Dank dieser Erfahrungen kann Goodpatch Gründer:innen sehr ganzheitlich beraten. Die meisten Start-ups im Portfolio haben gerade ein Funding bekommen und stehen unter dem Druck, schnell Erfolge zeigen und neue Produktideen umsetzen zu müssen. Das Team unterstützt sie sowohl bei der digitalen Produktentwicklung als auch bei der De­sign­strategie. Zur Beratungsleistung gehöre auch, sehr überzeug­ten Gründer:innen mal die Stirn zu bieten, so Director und Executive Officer Boris Jitsukata: »Am besten lässt man die Fakten sprechen und nimmt sie mit ins User-Testing. Das ist meist sehr überzeugend.« Goodpatch hilft ihnen auch, eigene Designkompetenzen aufzubauen und Gestalter:innen einzustellen.

Mit der Product Hour bietet die Agentur zudem eine einstündige kostenlose Designberatung an, bei der sich Start-ups Feedback zu ihren digitalen Produkten und Services holen können. »Wir ­sehen das als ›Pay it forward‹, wie es im Silicon Valley heißt«, erläutert Managing Director Thomas Elm. »Wir unterstützen die Community, knüpfen dadurch Kontakte und bekommen irgendwann Folgeaufträge oder werden weiterempfohlen.« Das Format zeige, welchen Wert Design selbst in kurzer Zeit stiften könne. Au­ßerdem bildet es einen guten Übergang zu dem Agenturangebot Designathon, bei dem Goodpatch innerhalb von vier Tagen einen Designprozess im Schnelldurchlauf durchzieht – von der Pro­blem­analyse über die User-Definition und das Prototyping bis hin zu User-Tests. Mit vielen Kunden geht Goodpatch danach in einen mehrwöchigen Designprozess über.

Seit 2020 ist die Agentur mit ihrem Goodpatch Design Fund sogar selbst als Venture Capitalist tätig. Sie beteiligt sich mit Beträgen zwischen 100 000 und 400 000 Euro an Start-ups und unterstützt diese darüber hinaus mit ihrer Designexpertise. »Das ist dann kein klassisches Kunde-Agentur-Verhältnis mehr, sondern eine echte Partnerschaft«, sagt Boris Jitsukata. Bislang hat sich Goodpatch an sechs japanischen Start-ups beteiligt, darunter die Healthcare-App FiNC und die Investment-Beratung 400F. Demnächst soll auch in europäische Start-ups investiert werden.

CASE Avi Medical: Reibungslose Terminvergabe

Die modernste Hausarztpraxis Deutschlands – so lautet das Markenversprechen von Avi Medical. Das Start-up kam auf Goodpatch zu, um die Interaktion zwischen Patient und Praxis zu verbessern. Im Rahmen einer kostenlosen Product Hour arbeitete das Team zwei Kernaufgaben heraus: Wie können Patient:innen einfach Termine buchen? Und wie können Arztpraxen Termine bes­ser verwalten? In einem anschließenden Designathon analysierte die Agentur die User Journey, generierte Produktideen, baute einen App-Prototyp und führte erste Nutzertests durch.

Im darauffolgenden Designprozess entwickelte Goodpatch den Prototyp zu einem fertigen Produktkonzept weiter. Dabei legten die Gestalter:innen großen Wert auf Accessibility. Farben und Schrift bilden deutliche Kontraste, die Inhalte werden visuell und sprachlich klar strukturiert dargestellt. Auch die Website und die Branding-Assets des Unternehmens passte Goodpatch an das App-Design an. Derzeit betreibt Avi Medical fünf Arztpraxen in München, weitere in Berlin und Hamburg sind geplant.

DIO Studios: Die Starthelfer

»Bei Start-ups hat man oft mehr Möglichkeiten, das Unternehmen direkt und bis in den Kern hinein mitzugestalten«

Raoul Döring, Head of Brands bei DIO Studios, Köln

Das Kölner Designstudio DIO wurde selbst erst 2020 gegründet und spricht neben vorrangig mittelständischen Unternehmen bewusst Start-ups an. »Wir schätzen deren Innovationskraft und die Freiheiten bei der Gestaltung sowie die Nähe zum Kunden, die es möglich macht, intensiv zu beraten«, erklärt DIO-Mitgründer Raoul Döring. Die Agentur ist offen für Start-ups in allen Phasen, besonders spannend seien solche, die ganz am Anfang stehen. »Wir agieren dann ein bisschen wie ein Investor: Sind wir überzeugt von der Idee und passt sie zu unseren Werten, gehen wir mit unserer Arbeit in Vorleistung«, so Döring. Das sei zwar ein Risiko, aber verloren hätten sie dadurch noch nie: »Denn in jedem Fall haben wir gemeinsam Erfahrungen gesammelt, einen Case für unser Portfolio und Kontakte geknüpft.« Ist ein Produkt erfolgreich, ergibt sich daraus meist eine weitere, regulär bezahlte Zusammenarbeit. DIO arbeitet hier gerne mit einem »Letter of Intent«, einer gegenseitigen Bekundung, dass man weiter zusammenarbeiten möchte. Generell achte die Agentur darauf, die Balance zwischen riskanteren und sicheren Aufträgen zu halten.

Der Schwerpunkt von DIO liegt in ganzheitlicher Markenbildung und deren praktischer Umsetzung; dazu gehören Leistungen wie Branding, Strategie oder Digital Design. Bei Start-ups arbeitet das Team häufig mit schlankeren Prozessen, verzichtet zugunsten der Effizienz auf umfangreiche Dokumentationen und gibt den Gründer:innen schnell Werkzeu­ge an die Hand, mit denen sie ein Design selbst anwenden können. »Wir setzen hier eher auf schnelle, nutzbare Ergebnisse, als alle Designphasen hintereinander zu durchlaufen, und optimieren dann gemeinsam mit dem Kunden in iterativen Schleifen«, so Döring. Langfristig könne sich DIO vorstellen, sich auch an Start-ups zu beteiligen.

CASE Plastic2Beans: Kaffee gegen Plastik

Das Geschäftsmodell von Plastic2Beans ist etwas kompliziert: Ziel der Firma ist es, Recyclinganlagen in Äthiopien zu bauen. Da die Währung dort so instabil ist, lässt sich das Start-up für seine Leistungen in Kaffeebohnen bezahlen, die es in Europa weiterverkauft. So wurde aus einer Re­cyc­lingfirma auch ein Kaffeehändler. Zusätzlich will Plastic2­Beans auf Zero Waste umstellen – hier kam die Expertise von DIO ins Spiel.

Die Agentur entwickelte gemeinsam mit den Gründern das Konzept und Design für die Verpackungen: Der Impact Coffee wird in Deutschland zum einen in braunen Mehrwegflaschen vertrieben und zum anderen in Monoplastikbeuteln, die zu 100 Prozent recycelt werden können. Illustrationen äthiopischer Landschaften zu verschiedenen Tageszeiten stehen für die diversen Sorten des Kaffees und stellen einen klaren Bezug zum Herkunftsland her. Zuletzt entwickelte die Agentur ein Kommunikationskonzept und Produktdisplays für den Point of Sale.

Die Zusammenarbeit läuft größtenteils projektbasiert, DIO Studios ist aber auch schon in Vorleistung gegangen. »Das handhaben wir flexibel. Es hängt immer davon ab, wie viel Kapazität bei uns vorhanden ist. Wir sehen das als Investition in eine langfristige Zusammenarbeit«, erklärt Raoul Döring. Darüber hinaus sei Plastic2Beans ein Traumkunde: sinnstiftend, nachhaltig und innovativ.

Strichpunkt: Die Vielseitigen

»Bei der Gestaltung für Start-ups muss man sich darauf einstellen, dass sich vieles wieder ändern kann, weshalb man eine gewisse Flexibilität einbauen sollte«

Tanja Freudenthaler, Creative Director bei Strichpunkt, Stuttgart

Strichpunkt hat über die Jahre schon mit zahlreichen Start-ups zusammengearbeitet. Für Markus Dunke, Studiolead Stuttgart, un­terscheiden diese sich vor allem durch ihre Gründungsgeschichte: Die erste Kategorie seien die Idealisten, die mit ihrer Idee einen Traum verwirklichen oder die Welt retten wollen. Sie hätten oft hohe Fachkompetenz, aber wenig Erfahrung in der Unternehmensführung und kümmerten sich in erster Linie ums Produkt. Die zweite Kategorie seien Menschen mit Berufserfahrung, die eine Marktlücke entdeckt haben und eine Business Opportunity wittern (siehe Case unten). Sie hätten nicht unbedingt die nötigen fachlichen Skills, ergriffen aber die Chance und seien auf der Suche nach Kompetenzen und Investoren. Die dritte Kategorie bilden laut Dunke die Vollprofis und Seriengründer, die den Exit im Blick hätten und oft schon sehr gut gefundet seien.

»All diese Start-ups haben unterschiedliche Anforderungen und Erwartungshaltungen an eine Agentur«, sagt Dunke. »Die Profis wis­sen genau, was sie wollen, und haben entsprechende Budgets. Die Prozesse sind oft wahnsinnig agil und schnell. Mit Unternehmen aus der zweiten Kategorie geht es mehr um Exploration und Strategie. Der Austausch ist oft sehr offen und partnerschaftlich. Die Idealisten sind meist etwas chaotisch. Sie müssen wir oft davon überzeugen, dass es neben dem Produkt noch andere wichtige Bereiche gibt, um die man sich kümmern sollte.«

Die Zusammenarbeit mit Start-ups entstehe hauptsächlich über Empfehlungen und persönliche Kontakte. Strichpunkt nutze diese Mandate auch, um sich selbst auszuprobieren, sagt Creative Direc­tor Tanja Freudenthaler: »Wir haben hier oft mehr Freiheiten in der Gestaltung, einen größeren Handlungsspielraum und arbeiten mit den Kunden auf Augenhöhe.« Dabei achte die Agentur darauf, dass die Geschäftsideen mit den eigenen Werten übereinstimmen. »Wir präferieren Start-ups, die nachhaltig sind und einen positiven Impact anstreben – und die nicht mit willkürlichen Ideen Kohle machen wollen«, erklärt Tanja Freudenthaler. Digitale Start-ups unterstützt Strichpunkt auch beim Produktdesign und entwickelt hieraus die Marke. Bei der Gestaltung liegt der Hauptfokus oft zunächst auf Investoren, wobei das Team die Endkund:innen aber nicht aus dem Blick verliert.

CASE finCraft: Investment-Tipps für Selbstentscheider

Eine Investment-Advice-Plattform, mit der alle den eigenen In­vestoren-Archetyp finden und informierte Anlageentscheidun­gen treffen können: Das verspricht finCraft. Strichpunkt war hier von Anfang an mit im Boot und brachte als Anteilseigner ihre Expertise in UX Design und Branding mit ein – eine gute Ergänzung zum bereits vorhandenen Fachwissen in Finanzen und Technologie der Gründer. Gemeinsam erarbeitete man das Produkt, aus dem heraus Strichpunkt dann die Marke entwickelte.

Das Designteam musste eine Lösung finden, die das hochkomplexe Thema möglichst leicht und spielerisch präsentiert, aber gleichzeitig so seriös auftritt, wie es sich für ein Finanzprodukt gehört. Das Team entschied sich für eine schlichte Wortmarke, elegantes Dunkelblau als Primärfarbe, für abstrakte Illustratio­nen und für Fotocollagen zur Auflockerung. Im UX Design stand das Onboarding im Fokus, außerdem variiert es je nach Wissensstand der Nutzerinnen und Nutzer. »Das Designsystem musste so flexibel sein, dass die Komplexität der Anwendung hoch- oder heruntergefah­ren wer­den kann«, erklärt Markus Dunke. Die Produkt- und Markenentwicklung dauerte circa ein Jahr, die Agentur arbeitet weiterhin mit dem Unternehmen zusammen.

Dieser Artikel ist in PAGE 05.2022 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PDF-Download: PAGE 5.2022

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