
Auftragsvergabe: Wie Agenturen und Freelancer ihre Chancen erhöhen
Nach welchen Prinzipien in Unternehmen und im öffentlichen Sektor Aufträge erteilt werden, ist für viele Kreative ein Mysterium. Keine Vergabe ist wie jede andere – aber ein paar Abläufe sind doch ziemlich ähnlich. Wir geben Einblick und erklären, wie Agenturen und Freelancer ihre Chancen erhöhen
»Man hat es auf Konzernseite mit Verhandlungsprofis zu tun, deren vorwiegender Job es ist, möglichst gute Preise zu erzielen. Darauf sind viele nicht gut vorbereitet«
erklärt Andreas Winter-Buerke, der als Partner und Beratungschef bei der Kreativagentur Kolle Rebbe auch fürs Neukundengeschäft zuständig ist. Er berichtet von Fällen, in denen Agenturen sich zum Pitch-Ende in einer Art umgekehrter Auktionssituation preislich unterbieten sollten. »So etwas geht natürlich gar nicht.« Dennoch sollte man den Einkauf nicht nur als Hürde sehen, so Winter-Buerke: »Man muss die Leute ernst nehmen, involvieren und Verständnis für kreative Arbeit schaffen.«
Auch Designmanagerin Silke Bochat, die unter anderem bei PepsiCo, Beiersdorf und Mars gearbeitet hat, plädiert hier für mehr Empathie: »Die Kollegen im Procurement haben eine wichtige, jedoch oft undankbare Aufgabe. Es ist ihr Job, die Grundlage der Zusammenarbeit zu verhandeln, die Rechte des Unternehmens zu sichern und Kosten zu reduzieren – gerade in den Bereichen Werbung und Media sprechen wir von Millionen von Euro!« Dabei ist der Einkauf firmenintern für viele Abteilungsleiter genauso eine Blackbox wie für Externe. Aus gutem Grund: Dies soll sicherstellen, dass die Abläufe nicht beeinflusst werden können.
Marcom: Interne Exzellenzcenter
Um dem Problem der mangelnden Auftraggeberkompetenz zu begegnen, haben Konzerne mit mehreren Brands und Geschäftsfeldern eine Marketing-Communications-Abteilung (auch Marcom, IMC, Marketing Excellence genannt) aufgebaut. Diese bündeln Experten aus Werbung, Media, Digital, Insights und Design, die die Marketingfachleute des Unternehmens beraten und zusammen mit ihnen Projekte steuern. Das ist sinnvoll, weil Marketer heute so viele verschiedene und dazu komplexe Kommunikationskanäle bespielen und orchestrieren müssen, dass sie nicht in jedem Bereich Expertenwissen aufbauen können.
»Der Mehrwert von Marcom liegt nicht nur in einem besseren kreativen Qualitätsmanagement und mehr Produktionseffizienz«, erläutert Silke Bochat. »Sie haben auch das Potenzial, Unternehmen inhaltlich wie strukturell zu transformieren und zu innovieren, indem sie langfristige 360-Grad-Strategien entwickeln, Silos abbauen, Prozesse optimieren, den Dialog zum Konsumenten stärken, das Unternehmen auf neuestem fachlichem Wissensstand halten und somit bessere Entscheidungen bewirken.« Im Rahmen von Kreativprojekten arbeiten Marcoms also im Grunde wie Pitchberatungen – mit dem Vorteil, dass sie langfristig im Unternehmen verankert sind und die intern ablaufenden Prozesse und die Produkt-Pipelines genau kennen.
Die Entscheidung, welche Agenturen im Pool vertreten sind, fällt die Marcom-Abteilung in enger Abstimmung mit Marketing, Procurement, Resarch & Development, Legal und weiteren betroffenen Abteilungen. Bei der Auswahl zählen nicht nur kreative und fachspezifische Skills, sondern auch die Chemie zwischen Agentur, Marketing und Marcom. »Insbesondere dann, wenn sich eine Marcom-Abteilung noch im Aufbau befindet, kann es vorkommen, dass etablierte Agenturpartner ihre Beziehung zu den Marketern zu nutzen versuchen, um ihre Position und ihr Projektvolumen zu sichern. Der Auftrag von Marcom aber ist es, das beste Talent zu finden.« Das Beharren mancher Agenturen auf exklusivem und direktem Kontakt zum Marketingchef verlangsamt Prozesse im Unternehmen – und ist von vielen Marcoms nicht gern gesehen. Hier gilt es als Kreativer also vorsichtig zu sein, denn der Marketingmanager ist nicht unbedingt derjenige, der für den Agenturpool verantwortlich zeichnet.
Pitches: Oft unumgänglicher Usus
Die Auftragsvergabe per Kreativwettbewerb ist etwas, womit vor allem Werbeagenturen konfrontiert sind, aber auch Designprojekte mit hohem Budget werden nicht selten darüber vergeben. Aus Unternehmensperspektive ist das verständlich: Immerhin geht es um große Investments, die auch ein großes Risiko bergen. Für Agenturen ist dieser Weg jedoch sehr kostspielig, da sie oft weit in Vorleistung gehen müssen. Einen großen Pitch zu verlieren ist schmerzhaft – das kann auch kein Pitchhonorar auffangen. Kein Wunder also, dass diese Praxis immer wieder Gegenstand von Diskussionen ist.
So berichtet Scholz & Friends Managing Director Christian Vorfahr, dass die Pitchkultur sich verschlechtere: »Über Jahre gab es einen Ehrenkodex mit unausgesprochenen Regeln, wie begrenzte Auswahl von Teilnehmern, klare Kommunikation über die Budgethöhe und ein Pitchhonorar als Zeichen der Ernsthaftigkeit und des Respekts.« Heute werde oft auch für kleine Projekte gepitcht, sodass der Aufwand für Agenturen nicht mehr im Verhältnis zum möglichen Ertrag stehe, so Vorfahr. Auch Andreas Winter-Buerke von Kolle Rebbe beobachtet eine Veränderung: »Der Einkauf hat in den letzten Jahren eine immer stärkere Position im Pitchprozess eingenommen. Manchmal steuert er ihn sogar komplett. Dann geht es neben der Kreation vor allem um den Preis und das Vergütungsmodell.«
Unternehmen sehen das – natürlich – anders. Sie verweisen darauf, dass sich der Markt gewandelt habe: Der globale Produktivitätsdruck nehme zu und münde in jährliche Kostenreduzierungsprogramme und Umstrukturierungen. Daher sei man auf der Suche nach neuen Modellen und Prozessen, um Geld im Agenturmanagement zu sparen.
»Im Design sind langfristige Partnerschaften viel angenehmer und effizienter – wobei ich leider aus Erfahrung sagen muss, dass kreative Kraft sich ohne gesunden Wettbewerb meist erschöpft«
sagt Silke Bochat. Aber kein Unternehmen habe Interesse daran, eine gute Agentur durch Preisdumping zu verlieren.
»Was Agenturen oft nicht bedenken: Ein Pitch dient selten der Kostenreduktion, sondern ist kreatives Risk Management. Schon die erste Pitchphase kann ein Unternehmen gut und gerne 50 000 Euro kosten – ohne Garantie für verwertbare Ergebnisse«, so Silke Bochat. Generell stehe ein Agenturhonorar aber in keinem Verhältnis zu den immensen Kosten, die einem Unternehmen entstünden, wenn ein Projekt sich zeitlich verschiebt oder gar ein Produktlaunch verschoben werden muss, wenn eine Agentur nicht oder nur durchschnittlich performt oder – im schlimmsten Fall – ein schlechtes Design gelauncht wird. Als Mittler bemühen sich Pitchberatungen wie Cherrypicker und The Observatory um Aufklärung, Transparenz und Fairness. Dabei begleiten sie nicht nur Pitchprozesse, sondern beraten auch allgemein bei der Agenturauswahl oder der Organisation von Marketingprozessen (siehe auch dieses Interview mit Felicitas Lentz und Ingrid Steffens).
KMU und Start-ups: Die Unkomplizierteren
m Vergleich zu Konzernen verhalten sich kleine und mittelständische Unternehmen meist wesentlich unkomplizierter und direkter bei der Auftragsvergabe. »Der Einkauf ist hier eher Support bei der Vertragsabwicklung als Entscheider über den Preis. Oft hat man als Agentur mit den Geschäftsführern und Inhabern auf Augenhöhe zu tun«, sagt Christian Vorfahr. Entscheidungen aus dem Bauch heraus sind entsprechend häufiger zu beobachten – und die Chemie zwischen den handelnden Personen und deren Vertrauensverhältnis haben noch einmal mehr Gewicht.
Nicht selten fehlt es kleineren Unternehmen allerdings an Know-how, was die Zusammenarbeit mit Kreativen angeht. »Die Spezialisierungen im weiten Feld Kommunikationsgestaltung sind aus ihrer Sicht oft kaum nachvollziehbar«, erklärt Jakob Maser, Teamleiter Kreation bei Living Concept und Präsidiumsmitglied beim Berufsverband der deutschen Kommunikationsdesigner BDG. Hier muss man nicht selten erst mal Aufklärungsarbeit leisten – und prüfen, ob man überhaupt der richtige Ansprechpartner für das Problem des Kunden ist. Besonders wichtig ist eine klare Kommunikation, um sicherzugehen, dass man die gleiche Vorstellung hat, wenn man etwa von einem Flyer spricht – und der andere vielleicht eher ein Faltblatt meint.
Kleine Firmen und Mittelständler fahnden eher selten per Pitch nach Agenturen – oder lassen sich leichter davon abbringen. Verbreiteter sind Agenturscreenings, bei denen sie vor allem sehen wollen, dass sich die Designer schon mit ihrem Business auseinandergesetzt haben. Hier helfen Referenzen aus derselben oder einer angrenzenden Branche. Zudem ist Offenheit bei der Preisgestaltung hilfreich. Ist ein Kunde unerfahren und aus diesem Grund vorsichtig bei den Marketingausgaben, kann man zum Beispiel in Phasen oder modular kalkulieren, damit der Chef zu jedem Zeitpunkt die Reißlinie ziehen oder das Budget neu einteilen kann. Erklärt man die Schritte, die Team und Kunde bei einem Kreationsprozess durchlaufen, wächst generell die Bereitschaft, sich darauf einzulassen und entsprechend dafür zu bezahlen.
Der Umgang mit Start-ups unterscheidet sich davon nicht allzu sehr – hier gibt es zwei Typen von Anfragen: »In der frühen Phase wird meist eine schnelle Lösung benötigt, was das Thema Marke angeht, die Budgets sind dabei sehr überschaubar. Man agiert direkt mit den Gründern, und diese sind oft keine ausgewiesenen Marketingexperten«, erklärt Rupali Steinmeyer, Head of Growth bei MetaDesign. Die Kommunikation gestalte sich meist »hochfrequent und intensiv«, Entscheidungen fielen dafür sehr schnell, und die Zusammenarbeit sei eng und sehr iterativ.
Für den Fall, dass das Funding des Start-ups noch nicht abschließend gesichert ist, sollte man unbedingt in Projektphasen planen und kurze Zahlungsziele vereinbaren, um sicherzugehen, dass man nicht auf den Kosten sitzen bleibt. Eine weitere Möglichkeit ist, begrenzte Nutzungsrechte einzuräumen und bei Erfolg des Start-ups nachzuverhandeln. Anfragen des zweiten Typs kommen von Start-ups, die sich etabliert haben und ihre Marke justieren oder neu aufstellen wollen. Oft gibt es dann schon jemanden, der das Thema Marke verantwortet und steuert. »Bei diesen Projekten sind die Zeitfenster etwas größer – ebenso die Budgets«, so Steinmeyer.
Verständnis entwickeln und aktiv werden
Ob Start-up, Mittelstand oder Konzern: Für Agenturen besteht durchaus die Chance, Auftragsvergabe, Pitchverfahren, Kreativmanagement und Designentscheidungen zu beeinflussen. Laut Silke Bochat ist das sogar explizit erwünscht, doch leider träten sie viel zu selten aktiv mit Unternehmen in den Dialog, um Vorschläge zu diskutieren, wie man kreative Qualität steigern, Pitches optimieren oder Kosten sparen könnte.
Dafür muss man sich natürlich mit den Unternehmensprozessen und -strukturen auskennen. Hier hilft eine enge Beziehung zu den Stakeholdern, um Entscheidungswege zu verstehen, mögliche Barrieren zu kennen, früh in Projekte eingebunden zu werden und eventuell sogar Einblick in die Projekt-Pipeline zu erhalten, um sich rechtzeitig einbringen zu können. Eine verständnis- und vertrauensvolle Beziehung zum jeweiligen Auftraggeber ist die beste Basis für eine produktive Zusammenarbeit – sowie für Folgeaufträge und Empfehlungen. Gegenseitiges Meckern über die andere Seite hat jedenfalls noch nie geholfen.
DAX-Unternehmen mit über 20 000 Mitarbeitern: Vergabe nach Procurement-Vorschrift
Anonym, Fachbereichsleiter
Bei uns gibt es nicht eine einzige Anlaufstelle für Designer, sondern verschiedene, je nach Disziplin und Fachbereich – etwa UX Design, Werbung, Innovations- oder Service Design. Wir schreiben selten aus, sondern wenden uns meist gezielt an bestimmte Dienstleister. Unter einem bestimmten Budget dürfen wir Aufträge ohne Vergleichsangebote vergeben, aber meist müssen wir gemäß Procurement-Vorschrift mehrere Angebote einholen. Wenn wir uns nicht für den günstigsten Anbieter entscheiden, müssen wir das ordentlich begründen. Das geht beim Design oft ganz gut, weil es hier viele Spezialdisziplinen gibt und fast jeder Anbieter einzigartig ist. Wir suchen immer nach dem bestmöglichen Angebot – der Preis ist dabei aber nur ein Aspekt unter mehreren. Das versteht auch der Einkauf. Pitches machen wir im Design weniger, weil es hier mehr darum geht, auf persönlicher Ebene langfristig gut miteinander arbeiten zu können.
Große Unternehmen wie unseres haben generell Interesse an Core-Partnern, mit denen sie Rahmenverträge und Auftragsvolumen zu Festpreisen vereinbaren können. Das erleichtert die internen Bestell- und Abrechnungsprozesse. In dieses Roster kommt man vor allem durch wiederholt gute Leistung – im Gegenzug fällt man bei schlechter Arbeit wieder heraus. Klar ist es angenehm, mit Partnern zu tun zu haben, die Expertise für meinen Bereich aufgebaut haben. Aber ich arbeite auch gerne mit einem Set von drei bis fünf Agenturen und hole ab und zu neue Anbieter als Challenger dazu. Die brillantesten Köpfe arbeiten nun mal nicht alle in derselben Agentur. Ich bekomme gefühlt täglich zehn Anfragen von Designagenturen via XING und LinkedIn. Ich versuche, sie mir alle anzugucken und mich zurückzumelden. Die interessantesten merke ich mir und nehme Kontakt auf, wenn Bedarf besteht.
Deezer: Pitch für langfristige Zusammenarbeit
Christoph Urban, Director Marketing DACH bei Deezer, Berlin
Den Musikstreamingdienst Deezer gibt es seit zwölf Jahren. Mit knapp 600 Mitarbeitern weltweit sind wir heute eher ein Großunternehmen, doch an unserem Berliner Standort mit etwas mehr als 20 Mitarbeitern ist der Start-up-Spirit noch deutlich zu spüren. Wir arbeiten mit Agenturen aus diversen Disziplinen. Gerade haben wir einen Pitch um eine langfristige Zusammenarbeit mit einer Kreativagentur abgeschlossen. Am Anfang stand ein ausführliches Marktscreening, bei dem wir darauf geachtet haben, dass die Agentur einen Standort in Berlin hat und nicht zu groß ist. Im nächsten Step erstellten wir eine Shortlist und führten Gespräche mit den Agenturen. Neben Referenzen, Vorgehensweisen und Budget ging es dabei um die persönliche Ebene. Diejenigen, die nicht in die nähere Auswahl kamen, habe ich telefonisch informiert und auch Feedback gegeben, warum es nicht gepasst hat.
Zum Pitch haben wir vier Agenturen eingeladen, die vor mir als Marketingchef für die DACH-Region, der Brand-Verantwortlichen aus der Zentrale in Paris und drei Berliner Mitarbeiterinnen – Designerin, Copywriter, Marketingmanagerin – präsentierten. Unsere Top-3-Entwürfe haben wir im Rahmen eines internen Votings dem Berliner Team gezeigt und zudem mit dem Chief Commercial Officer und der globalen Marketingchefin abgestimmt. Jetzt, da der Pitch entschieden ist, gibt die Agentur ihr Angebot entsprechend der abgesprochenen Leistungen ab, und es geht in die Vertragsverhandlung. Diese übernimmt das Controlling. Sobald sich alle einig sind, beginnt die Zusammenarbeit.
Verlag Hermann Schmidt: Auftragsvergabe auf Augenhöhe
Karin und Bertram Schmidt-Friderichs, Verleger, Mainz https://typografie.de
Viele unserer Autoren sind selbst Gestalter. Deshalb kommt es nicht oft vor, dass wir jemanden suchen müssen. Aber wenn das der Fall ist, setzen wir uns gemeinsam mit den Autoren zusammen und sprechen darüber, was wir uns für das Buch vorstellen können, und erarbeiten daraus ein Briefing. Dann überlegen wir, welcher Designer zum Auftrag passen würde. Wir scannen regelmäßig Wettbewerbe, Fachpresse sowie Werkschauen an Hochschulen und Instagram, um unseren Pool zu erweitern. Wir schauen uns dann das aktuelle Portfolio des Gestalters an, und wenn das Bauchgefühl stimmt, rufen wir ihn an.
Uns ist es wichtig, uns Zeit für das Briefing zu nehmen und sicherzugehen, dass alle ein gemeinsames Verständnis von der Aufgabe haben. Wir bitten immer um zwei bis drei Ideen, aber nicht um zig fertige Entwürfe. Beim Budget sind wir transparent: Bei experimentellen Buchprojekten ist es geringer; bei großen Projekten, von deren Erfolg wir überzeugt sind, höher. Meist starten wir beim Produkt und gucken dann, welches Honorar machbar ist. Das können Fixpreise, Erfolgsbeteiligungen oder auch Mischformen aus beidem sein. Wir bekommen viele Portfolios geschickt, die wir in einer Datenbank sammeln. Eine weitere Möglichkeit, auf unserem Radar
aufzutauchen, ist die Teilnahme an Designwettbewerben wie Die Schönsten Deutschen Bücher.
So läuft die Auftragsvergabe bei öffentlichen Ausschreibungen
Ob Ministerium, Behörde, Landesmuseum oder gesetzliche Krankenkasse: Der öffentliche Sektor muss Aufträge ausschreiben
Von Corporate Design über Kataloge, Kampagnen und Jahresberichte bis hin zu Websites oder Ausstellungen – gerade die bei Gestaltern so begehrten Projekte aus dem Kulturbereich werden von Institutionen in Auftrag gegeben, die ganz oder teils von öffentlichen Geldern finanziert sind. Und diese müssen ausgeschrieben werden. Auch Unternehmen nutzen diese Form der Auftragsvergabe, sind aber nicht verpflichtet, sich an die formalen Regeln des Vergaberechts zu halten. Da diese für verschiedenste Branchen gelten, decken sie viele Eventualitäten ab und sind für Kreative mitunter recht ungewohnt – und vor allem sehr komplex und oft unübersichtlich.
Das fängt schon bei dem Problem an, relevante Ausschreibungen zu finden: In Deutschland gibt es über 30 000 Vergabestellen von Bund und Ländern – und nur ein Bruchteil davon betrifft Projekte, die mit Design zu tun haben. Um das Angebot zu filtern, gibt es Plattformen zur Recherche und Bearbeitung von Ausschreibungen. Büro Schramm für Gestaltung in Offenbach nutzt beispielsweise den Anbieter DTAD. Für rund 1800 Euro im Jahr erhält Projektmanager Michael Merkle täglich einen Newsletter mit rund zehn Vorschlägen: »Im Schnitt ist einmal pro Woche etwas Interessantes dabei, manchmal aber auch wochenlang nichts.« In anderen Agenturen durchstöbern Mitarbeiter gezielt bestimmte Vergabeseiten, größere haben dafür sogar eine eigene Abteilung.
Je größer der Auftrag, desto formaler der Vergabeprozess
Das Auswahlverfahren selbst hängt von der Höhe des Budgets ab sowie vom Standort und dem jeweiligen Ausschreiber. Zwar unterliegen alle der »Verfahrensordnung über die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte« (UVgO), aber die Schwellenwerte sind von Bundesland zu Bundesland und von Behörde zu Behörde unterschiedlich. Nur ein Wert gilt für alle: Ab einem Budget von 221 000 Euro muss man einen Auftrag europaweit ausschreiben.
Grundsätzlich lässt sich sagen: Je höher das Budget, desto reglementierter das Verfahren. Hier ein Beispiel aus der aktuellen Hamburger Beschaffungsordnung: Aufträge unter 1000 Euro dürfen freihändig, also ohne förmliches Verfahren, direkt an einen Designer vergeben werden. Unter 50 000 Euro ist eine Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb möglich. Für Aufträge unter 100 000 Euro ist eine beschränkte Ausschreibung mit oder ohne Wettbewerb vorgesehen, und ab 100 000 Euro muss eine öffentliche oder beschränkte Ausschreibung mit Wettbewerb stattfinden. Sowohl bei einer Verhandlungsvergabe als auch bei einer beschränkten Ausschreibung müssen mindestens drei Unternehmen zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden. Diese Regeln haben einen guten Grund: Sie sollen Klüngelei, Bestechung und Benachteiligung verhindern.
Öffentliche Ausschreibungen mit Pitch
Bei Ausschreibungen mit Teilnahmewettbewerb gibt es meist ein mehrstufiges Verfahren, das damit beginnt, dass Agenturen Interesse bekunden. Dafür müssen sie relativ viele Angaben machen – etwa zum Jahresumsatz und zur Zusammensetzung der Mitarbeiter (Stichwort Diversity) – sowie Referenzen nachweisen. »Manchmal muss man sich ganz schön ausziehen. Das kann sehr aufwendig sein«, sagt Michael Merkle. »Wir haben mittlerweile Vorlagen, die wir je nach Ausschreibung anpassen.« Sowohl das Aussieben der Projekte als auch das Ausfüllen der Formulare kosten viel Zeit und müssen sorgfältig erledigt werden. Schon beim kleinsten Formfehler kann alles hinfällig sein. Deshalb beruft man am besten einen Mitarbeiter, der dies übernimmt und entsprechende Expertise aufbaut.
Der Auftraggeber wählt im Gremium zumeist drei bis vier Agenturen aus, die ein Kreativbriefing bekommen. Im besten Fall findet zudem ein persönliches Treffen statt. Bei großen Projekten können kleinere Büros oder selbstständige Designer Bietergemeinschaften bilden. Eine weitere Besonderheit bei öffentlichen Aufträgen: Alle Bewerber müssen über denselben Kenntnisstand verfügen. Stellt man eine Frage zum Briefing, geht die Antwort auch an alle anderen Bewerber. Am besten überlegt man also gut, welche Fragen man stellt, um nicht zu viel über den eigenen Ansatz zu verraten. Für den Pitch gibt es – auch hier im besten Fall – ein Honorar. »Das ist so gut wie nie kostendeckend«, sagt Michael Merkle, signalisiert aber Wertschätzung für die Arbeit der Kreativen.
Bei ihrer finalen Entscheidung zur Projektvergabe müssen sich öffentliche Auftraggeber für den »wirtschaftlichsten« Anbieter entscheiden. »Das bedeutet nicht für den billigsten! Es geht um die beste Qualität zum besten Preis«, erklärt Egbert Rühl, Geschäftsführer der Hamburg Kreativ Gesellschaft. Allerdings können nicht alle Gestaltungsqualität so gut beurteilen wie seine Einrichtung, die ja genau für Kreative da ist. So bekommt oft doch das günstigste Angebot den Zuschlag – es sei denn, es gelingt, die Auftraggeber von der eigenen Expertise zu überzeugen. »Entscheiden wir uns nicht für das günstigste Angebot, müssen wir das begründen und dokumentieren«, so Rühl. In den meisten Fällen überlassen die Beschaffungs- oder Finanzabteilungen den Fachabteilungen die finale Entscheidung. Wer keine exorbitanten Preise aufruft und mit guten Ideen überzeugen kann, hat also gute Chancen auf einen Auftrag.
Ausschreibungen: Wann sich eine Teilnahme lohnt
Bei Ausschreibungen sind alle gleich: ob große Netzwerkagentur oder kleines Designbüro, alle durchlaufen denselben Prozess. Während sich der Aufwand etwa für Scholz & Friends Agenda in Berlin laut Managing Director Christian Vorfahr auf jeden Fall lohnt, urteilen andere kritisch. So sagt Rupali Steinmeyer, Head of Growth bei MetaDesign in Berlin: »Betrachtet man Aufwand und Nutzen, überwiegt leider oft der Aufwand.« Für das kleinere Büro Schramm ist das Ganze erst mal ein einjähriger Test. »Wenn wir bei zehn bis zwölf Teilnahmen ein bis zwei Jobs bekommen, lohnt es sich für uns«, sagt Michael Merkle. »Die Trefferquote ist zwar gering, aber es sind oft interessante Aufträge dabei, die für Sichtbarkeit und Bekanntheit sorgen – und im besten Fall für Folgeaufträge.«
Lars Kreyenhagen, Geschäftsführer der Designagentur Karl Anders in Hamburg, sieht einen deutlichen Vorteil öffentlicher Ausschreibungen darin, dass die Vergabe oft transparenter verläuft als bei Unternehmenspitches: »Alle Unterlagen sind frei zugänglich, und das Anforderungsprofil ist klar definiert. Zudem fallen Entscheidungen zumeist zügig, weil Fristen eingehalten werden müssen, da die Ausschreibung sonst neu aufgesetzt werden muss.« Allerdings kennen sich viele öffentliche Kunden mit Designaufgaben und entsprechenden Abläufen nicht aus – und können den Aufwand nicht richtig einschätzen und honorieren. Teilweise werden Agenturen aufgefordert, sehr weit in Vorleistung zu gehen, im ersten Schritt quasi fertige Entwürfe einzureichen und noch dazu sämtliche Rechte an ihrer Arbeit abzutreten (siehe PAGE 06.19, Seite 96 ff.).
Der Deutsche Designtag, Dachverband von Fach- und Berufsverbänden wie AGD und BDG, will hier Abhilfe schaffen und bringt im Herbst einen Ratgeber mit Vergaberichtlinien für Ausschreiber heraus. Die AGD bietet zudem Seminare und Webinare an (siehe Interview auf www.page-online.de/ausschreibungen).

Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft: Mustergültiger Auswahlprozess
Am 30. Januar 2019 schrieb die Hochschule Karlsruhe eine »Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb« für ein Corporate Design aus. Mit einem Budget von circa 120 000 Euro fiel dieses unter die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO). Veröffentlicht wurde die Ausschreibung auf der Website des Bundes sowie auf der Website der Hochschule Karlsruhe. Die Agentursuche lief zweistufig ab: Zuerst konnten Agenturen sich in einem offenen Teilnahmewettbewerb vorstellen. Gefordert waren Referenzen – gerne aus dem Bereich öffentliche Institutionen, insbesondere Hochschulen –, Informationen zu Unternehmensgröße und Umsatzzahlen sowie ein Projektplan und das erwartete Honorar. Welches Gewicht diese Kriterien jeweils hatten, war in der Ausschreibung aufgeführt: Referenzen = 50 Prozent, Unternehmensgröße und Umsatzzahlen = 10 Prozent, Projektplan und Honorare = 40 Prozent. Die Unterlagen mussten am 15. Februar vorliegen.
Die ausgewählten Agenturen bekamen ein ausführliches Briefing und wurden zu einem Treffen am 28. Februar für den persönlichen Austausch und für Rückfragen eingeladen, zu denen sich auch Mitglieder der Jury (die namentlich samt ihren Funktionen in den Ausschreibungsunterlagen aufgelistet waren) einfanden. Dieser Termin ist Stephanie Schramm, Geschäftsführerin des teilnehmenden Büros Schramm für Gestaltung aus Offenbach, besonders in Erinnerung geblieben: »Wir konnten nicht nur Fragen stellen, sondern haben mit den Ansprechpartnern auch eine Tour über das Gelände gemacht. So konnten wir ein gutes Gefühl für den Kunden und die Aufgabenstellung gewinnen.« Eher ungewöhnlich war dagegen, dass bei dem Termin auch die vier anderen Agenturen mit am Tisch saßen: »Das habe ich so noch nicht erlebt.« Damit erfüllte die Hochschule Karlsruhe die Anforderung, dass bei öffentlichen Ausschreibungen alle Wettbewerber denselben Kenntnisstand haben müssen.
Für den Pitch am 15. April forderte die Hochschule »die Darstellung verschiedener Medien, die ein ganzheitliches Konzept abbilden und eine objektive Bewertbarkeit des Entwurfs gewährleisten«. Die Agenturen erhielten dafür jeweils 3000 Euro Honorar. Die Entscheidung fiel ziemlich schnell nach dem Präsentationstermin – auch weil bereits mehrere Stichtage feststanden: Am 15. Mai sollte auf dem Hochschulfest ein Zwischenstand des neuen Corporate Designs präsentiert werden. Die erste Projektphase (Basiskonzept, Markensystematik, Mediengestaltung, digitaler Styleguide) musste bis zum 15. Juli abgeschlossen sein, die zentralen Medien müssen zum Semesterbeginn am 1. Oktober vorliegen. Ein knackiges Timing.
Durch das direkte Aufeinandertreffen der Wettbewerber ergab sich die Gelegenheit, sich auszutauschen: So nahm DITHO Design aus Köln über Instagram Kontakt zu Büro Schramm auf, woraus sich der Plan für eine Art Nachtreffen ergab. Am 15. August trafen sich vier der fünf Agenturen – inklusive des Gewinners Capitale aus Berlin – bei Büro Schramm und präsentierten sich gegenseitig ihre Entwürfe. »Man fragt sich bei Pitches ja immer, was die anderen so gemacht haben. Wieso nicht einfach mal seine Arbeit teilen?«, so Dirk Büchsenschütz, Geschäftsführer von DITHO Design. Eine schöne Idee für mehr Transparenz, Austausch und Solidarität unter Agenturen!
Senckenberg Naturmuseum: Gebunden an die Vergabeordnung der Länder
Philipe Havlik, Ausstellungsmanager im Stab Zentrale Museumsentwicklung der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt am Main

Das Senckenberg Museum folgt der Vergabeordnung der Länder, weil es von Bund und Ländern finanziert wird. Wir Ausstellungsmacher müssen uns also an die hessischen Schwellenwertvorgaben halten. Designaufgaben für ganze Ausstellungsbereiche inklusive Ausführungsplanung und Bauüberwachung liegen üblicherweise im Bereich über 50 000 Euro und erfordern ein mehrstufiges Ausschreibungsverfahren. Kleinere Umfänge unter 10 000 Euro betreffen vor allem grafische Dienstleistungen wie ein Grunddesign. Diese Aufträge können wir freihändig vergeben, müssen aber mindestens fünf Anbieter anfragen. Noch kleinere Beträge fallen nur bei einzelnen Infografiken oder Designmodulen an – die können wir an Gestalter unserer Wahl vergeben.
Die Entscheidung für einen Dienstleister fällen wir gemeinsam mit Vertretern aus dem Beschaffungsmanagement. Dabei kümmern sich diese ums Administrative und schauen auch auf den Preis. Wenn wir Ausstellungsmacher uns für einen Anbieter entscheiden, der wesentlich teurer ist als die anderen, müssen wir das gut begründen. Bei großen Projekten legen wir vorab intern fest, nach welchen Kriterien wir bewerten und wie wir sie gewichten – also wie wichtig der Preis ist, die kreative Idee oder Kriterien wie Nachhaltigkeit et cetera. Das ist notwendig für die Rechnungsprüfung und schützt vor Compliance-Problemen.
Wir arbeiten sowohl mit großen als auch mit kleinen Agenturen zusammen. Für besonders umfassende oder zeitkritische Projekte greifen wir auf größere, bekannte Dienstleister zurück, bei denen wir sicher sind, dass sie das stemmen können. Ich beauftrage aber auch gerne Newcomer, die neue Ansätze und Perspektiven miteinbringen und sich dann mit uns weiterentwickeln können. Pro Jahr schreiben wir vier bis fünf Projekte für Gestalter aus, in der Hauptphase des laufenden Umbaus werden es voraussichtlich mehr. Die Ausschreibungen findet man auf der Vergabeplattform des Landes Hessen.
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