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»Die Kriterien für gutes Design werden sich in Zukunft radikal verändern müssen«

Design spielt eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel. Aber sind Designer eigentlich dazu bereit und fähig, diese Verantwortung zu übernehmen? Ein Gespräch mit Designphilosophin Mara Recklies.

Foto: Timo Schuster

Mara Recklies ist Designphilosophin mit den Schwerpunkten Kritik und zeitgenössische Kultur, wobei ihr besonderes Interesse den politischen Dimensionen von Design gilt. Derzeit promoviert sie zum Thema Designkritik an der Christian-Albrecht-Universität in Kiel. Wir sprachen mit ihr über die Verantwortung von Designern angesichts des Klimawandels und darüber, welche Gültigkeit der Ansatz des Human-Centered Designs heute noch hat.

Was genau verstehst du unter den politischen Dimensionen von Design?

Mara Recklies: Es wird oft geäußert, dass Design politisch sei. Dabei wird aber selten erklärt, was damit genau gemeint ist. Es kann nämlich bedeuten, dass die Designerin oder der Designer als Person politisch sind oder Design als Disziplin. Es kann aber auch bedeuten, dass ein Designprozess politisch ist. Außerdem kann das Produkt politisch sein – auch ohne, dass der Urheber diese Intention hat. Nehmen wir zum Beispiel die PET-Flasche: Sie ist ein in sich schlüssiges Produkt, das günstig zu produzieren und gut transportierbar ist. Aber mit der Entsorgung gibt es ein großes Problem – und da fängt die PET-Flasche an politisch zu werden, ohne dass es die Designer und die Hersteller gewollt hätten. Die politischen Dimensionen von Design lassen sich also auffächern und dann einzeln analysieren.

Anknüpfend an das PET-Beispiel: Müssten Designer nicht vorausdenken und die Entsorgung in ihre Betrachtungen einbeziehen?

Absolut. Das ist gerade im Hinblick auf die Klimakatastrophe interessant: Alle fordern von Designern, Verantwortung zu übernehmen. Dabei wird aber oft vergessen, dass es nicht nur darum geht Verantwortung zu übernehmen, sondern sie auch zu tragen. Aber können Designer diese Verantwortung – die viele von ihnen ja auch gerne übernehmen möchten – überhaupt tragen? Es wird oft vergessen, dass es nicht nur ums Übernehmen geht, sondern auch ums Tragen.

Hier sehe ich die Designausbildung sowie die Designtheorie und -forschung in der Pflicht. Viele Studiengänge an renommierten Hochschulen stammen aus einer Zeit, in der es noch kein Bewusstsein für die Klimakatastrophe gab. Wäre es nicht an der Zeit, die Curricula in dieser Hinsicht anzupassen – zum Beispiel mit einem Grundkurs in Klimagerechtigkeit? Vielen Gestaltern fehlt schlicht das Instrumentarium dafür, gesellschaftliche Verantwortung zu tragen, weil sie für etwas anderes ausgebildet wurden: Sie lernen, wie sie anhand eines Briefings einen Auftrag ausführen, und zwar meist für Kunden mit wirtschaftlichen Interessen. Wie professionell könnten sich Designer noch verhalten, wenn sie nur klimagerecht gestalten würden? Das ist eine der großen Fragen, mit denen sich die Designpraxis auseinandersetzen muss.

Was können Designer also tun?

Diese Frage möchte ich nicht direkt mit konkreten Empfehlungen für die Entwurfspraxis beantworten, denn mein Ziel ist nicht, Handlungsanweisungen für Designerinnen und Designer zu geben – das können andere besser. Ich beschreibe und analysiere stattdessen auf einer Metaebene, was im und durch Design passiert. Dazu gehören auch viele Dinge, an denen Designer nicht unmittelbar beteiligt sind. Zum Beispiel, was Auftraggeber und Konsumenten tun, wie Produkte entsorgt werden und so weiter. Zu Fragen der Anwendung muss berücksichtigt werden, dass der Denkraum der Philosophie oft größer ist als der Handlungsraum der Designpraxis. Das macht die Philosophie des Designs wieder spannend für die Praxis: Sie kann Möglichkeitsräume eröffnen. Gerade im Hinblick auf die Klimakatastrophe wird deutlich, wie wichtig es ist, Dinge denken zu können, die praktisch noch nicht möglich sind.

Was heißt das genau?

Mich beschäftigt zum Beispiel die Frage, inwiefern wir im Design ein Bewusstsein für den Wert der Natur beziehungsweise der Umwelt entwickeln müssen, der über ihren Nutzen hinausgeht. In einer so angewandten Disziplin wie dem Design wird Dingen der Wert zugeschrieben, der ihrem vermeintlichen Nutzen entspricht. Jetzt gibt es aber plötzlich einen neuen großen Akteur: den Klimawandel, der in alle Überlegungen miteinbezogen werden muss …

Das ist relativ neu. Noch vor ein oder zwei Jahrzehn­ten war die Frage nach der Relation zwischen Umwelt und Entwurf nicht so drängend. Vielleicht muss man also die Beziehung Mensch und Entwurf um die­sen dritten Akteur erweitern.

Unsere Vorstellungen von gutem Design sind also überholt?

Genau. Die Kriterien für gutes Design werden sich in Zukunft radikal verändern müssen. Denn die meis­ten kommen aus einer Zeit, in der die Welt vollkommen anders aussah. Die Klimakatastrophe erfordert plötzlich ein radikal neues Fundament für das Nach­denken über Design – und damit auch für die De­sign­praxis. Vielleicht ist es künftig die Aufgabe der Gestaltung, den Menschen aus dem Zentrum des Entwurfs zu nehmen und den Planeten Erde dorthin zu setzen – der ja die Grundlage für alles ist. In aller Konsequenz hieße das zum Beispiel, dass Ansätze wie Human-Centered Design überdacht und refor­mu­liert werden müssen.

Was bedeutet das konkret für professionelle Designer? Wo können sie ansetzen?

Da fallen mir spontan zwei Aufgabenbereiche ein: Zum einen gilt es, die Transformation selbst zu gestal­ten. Zum anderen geht es darum, die Gesellschaft auf globalem Level widerstandsfähig zu machen, damit sie den Folgen des Klimawandels begegnen kann. Es muss beispielsweise massive Umstellungen in der Agrarwirtschaft und der Mobilität geben. Außerdem werden in Kürze zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben, die ernährt, gekleidet und ausgebildet werden müssen.

Wie sollen wir das nach aktuellen Standards gewährleisten – noch dazu mit radikal weniger Emissionen als heute? Das ist eine ungeheu­re Aufgabe, und ich glaube, dass Design dabei einer der wichtigsten Akteure überhaupt ist, denn Design ist wahnsinnig mächtig. Das sieht man auch daran, wie stark die Disziplin zur Klimakatastrophe beigetragen hat. Design als Teil des Problems, kann – und muss – genauso Teil der Lösung sein.

Die Aufgabe speziell von Kommunikations­designern könnte auch darin liegen, aufzu­klären und Probleme sowie Handlungs­möglichkeiten verständlich zu machen.

Ja, das ist ein wichtiger Aspekt. Einige Philosophien beschreiben den Klimawandel als »Hyperobject« – also als eine Sache, die so groß, zeitlich ausgedehnt und komplex ist, dass wir sie gar nicht mehr fassen können, wie beispielsweise auch den Kapitalismus. Wir können ja gar nicht vollumfänglich verstehen, wel­che Auswirkungen die Klimakatastrophe für uns haben wird. Diese Unfassbarkeit führt dazu, dass wir die Problematik ver­­drän­gen. Das zu thematisieren und es anschaulich und greifbar zu machen ist tatsächlich eine unglaubliche Herausforderung für das Kommunikationsdesign.

Kreative fürs Klima, Zukunftsgewandtheit & neue Studiengänge

Der Designberuf befindet sich im Wandel – die Designausbildung ebenfalls. Das komplette Interview samt vieler Tipps und Beispiele, wie sich Kreative für den Klimaschutz engagieren (können) gibt’s in PAGE 01.20, die ihr direkt hier runterladen könnt:

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Eine Möglichkeit Waren oder Produkte zu hinterfragen ist z.B. die Liste von Kriterien, die der Schweizer Soziologe und Designkritiker Lucius Burckhardt schon 1977 für neues (gutes) Design zusammenstellte.  Und die m. M. nach auch heute immer noch passt!

    Er fragte:

    • Besteht es aus Rohstoffen, die ohne Unterdrückung gewonnen werden?

    • Ist es in sinnvollen, unzerstückelten Arbeitsgängen hergestellt?

    • Ist es vielfach verwendbar?

    • Ist es langlebig?

    • In welchem Zustand wirft man es fort, und was wird dann daraus?

    • Lässt es den Benutzer von zentralen Versorgungen oder Services abhängig werden, oder kann es dezentralisiert gebraucht werden?

    • Privilegiert es den Benutzer, oder regt es zur Gemeinsamkeit an? 

    • Ist es frei wählbar, oder zwingt es zu weiteren Käufen?

  2. Der Ansatz von Mara Recklies ist nicht neu: Klaus Krippendorff zeigt Wege in ein Human-Centered-Design, Friedrich von Borries spricht von unterwerfendem und entwerfendem Design, auch andere Akteure zeigen die Verantwortlichkeiten künftiger Designschaffender für Ihre Entwürfe auf. Ich folge Recklies’ Auffassung, dass bereits in der akademischen Designlehre die Grundlagen geschaffen werden müssen, um Designschaffende auf ein Tragen-Können dieser Verantwortung vorzubereiten. Hier verweise ich auf das Manifest der akademischen Designlehre: http://manifest-der-akademischen-designlehre.de/

  3. Hier widerspreche ich: es gibt nicht nur gerade ausgebildete Designer*innen, und nicht nur oberflächliche Ausbildungen (die übrigens an den Herren Professoren liegt und deren Auswahl)
    Es gibt noch ältere Designer*innen mit einer sehr soliden Ausbildung. Meine Designausbildung (Industriedesign an der Staatlichen Akademie der bild. Künste, Stuttgart) betraf als Teil des Ganzen immer die Reparatur, einfacher Zugang und die klare Materialtrennbarkeit und das Entsorgen/Wiederverwertbarkeit der Materialien – damals noch nicht Recycling genannt und noch nicht nachhaltig.

    Verantwortung wurde und wird übernommen.
    und Klimawandel ist auch nicht neu – damals hiess es u.a. saurer Regen …

    Allerdings ist der Stellenwert von Design als Modebegriff und Marketingtool ohne Inhalt verkommen – wie auch dem eher aktuellen “design thinking” – nicht von Designerseite, sondern von Möchtegerns.

    Pauschalisierungen haben in einem wissenschaftlichen Kontext nichts zu suchen.

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