Unser Kolumnist Jürgen Siebert überlegt, wie sich Marie Kondos Aufräumtechnik auf den Kreativalltag übertragen lässt.
Seit vier Wochen ist meine Wäsche nicht mehr gestapelt, sondern Unterhemden und -hosen stehen – auf Taschenbuchgröße gefaltet – nebeneinander in einer Schublade. So habe ich den gesamten Bestand im Blick und blättere ihn morgens durch wie einst die LPs im Plattenladen. Früher griff ich einfach zu den gleichen fünf Wäschestücken, die ganz oben lagen und nach dem Waschen auch wieder dort landeten. Nun kommen alle Teile gleichberechtigt zum Einsatz.
Die neue Methode habe ich mir bei Marie Kondo abgeguckt. Die Japanerin ist Ordnungsberaterin, hält Vorträge und ihr Buch »Magic Cleaning« ist ein Millionen-Seller. Weltweit bekannt wurde sie durch die am 1. Januar gestartete Netflix-Serie »Aufräumen mit Marie Kondo«, in der sie Häuser und Garagen kalifornischer Paare entrümpelt. Dies passiert nach ihrer KonMari-Technik, die angeblich Elemente des Shintoismus beinhaltet: »Nimm jedes einzelne Teil in die Hand und frage, ob es dich glücklich macht; was keine Freude in dir auslöst, muss gehen.«
Während sich die Kaiserin des Aufräumens aufs Private konzentriert, stelle ich mir die Frage: Eignet sich ihre Technik auch für den Arbeitsplatz?
Nur die wenigsten können sich im Job einen Spruch erlauben wie: »Das macht mir keine Freude.«
Erik Spiekermann vielleicht, der auf Postern damit prahlt, »nicht für Arschlöcher« zu arbeiten. Leicht gesagt, wenn man seinen Beruf zum Hobby gemacht hat. Anscheinend hat er auch – den nach wie vor mit beiden Beinen bei EdenSpiekermann im Agenturleben stehenden – Paul Woods infiziert, dessen Buch »How To Do Great Work Without Being An Asshole« am 12. März erscheint. Dort ist von »schwierigen Kunden« die Rede. Ja, die gibt es, und als Kreativer, der ein Büro leitet oder Familie hat oder beides, muss man mit ihnen auskommen.
Unordnung am Arbeitsplatz, da denkt jeder sofort an den eigenen Schreibtisch. Inzwischen haben wir zwei davon: den aus Holz und den im Rechner. Oft sind beide übersät mit Dokumenten. Doch wie sortiere ich sie weg? KonMari funktioniert prima bei der Frage, ob ein verwaschenes T-Shirt noch einen Funken Freude auslöst. Doch was mache ich mit dem Locher, der mich emotional nicht anspricht und eigentlich auch nur einmal im Jahr Verwendung findet?
Arbeitsforscher sind der Ansicht, dass »ordentliche Kolleginnen und Kollegen« gezielter auf Anreize reagieren, diese klarer wahrnehmen und dadurch leistungsstärker sind. So die Theorie. In der Realität sage der Zustand des Arbeitsplatzes aber wenig über seinen Besitzer aus, meint Udo Konradt, Professor für Arbeitspsychologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Zwar seien die Aufgaben von Facharbeitern oft so komplex, dass Durcheinander eher schadet, aber in kreativen Berufen sind chaotische Schreibtische kein Problem.
Die Berliner Diplompsychologin Tanja Schuhmann von der Humboldt-Universität hält zumindest eine von Kondos Techniken für sinnvoll: alle Dinge auf einen Haufen werfen und anschließend sortieren nach »Behalten«, »Verkaufen«, »Verschenken« oder »Wegwerfen«. In Büroratgebern wird Ähnliches seit Jahrzehnten als Eisenhower-Prinzip empfohlen. Gemeint ist ein Ablagesystem, das Kategorien wie »dringend«, »demnächst«, »Warte auf Rückmeldung« oder »Papierkorb« anbietet.
Dass manche Unternehmen ihre Angestellten verpflichten, ihren Arbeitsplatz täglich leer zu verlassen (Clean Desk Policy), ist übertrieben. Ordnung sollte nicht so wichtig werden, dass sie zur Ersatzreligion wird oder ihre Verwaltung kaum noch Zeit für das Erledigen der Aufgaben lässt. Wie sagt der Volksmund? »Ordnung ist das halbe Leben.« Die andere Hälfte wird vom Chaos regiert. Und nur das bringt uns auf neue Ideen.