»Schönheitsideale sind extrem vielfältig – und sie verändern sich schnell«
Anna Ginsburg hat einen bezaubernden Animationsfilm über die unendlichen Facetten weiblicher Schönheit produziert. Im Interview erzählt sie von den Hintergründen und ihrer Vorgehensweise.
Anna Ginsburg hat als Animatorin und Regisseurin bisher etliche Musikvideos (u. a. für Bombay Bicycle Club) umgesetzt. Zum Weltfrauentag erschien ihr Film »What is beauty«, der ikonische Frauen der Kunst- und (Pop-)Kultur-Geschichte zeigt – von der Skulptur Venus von Willendorf über Picassos Marie-Thérèse Walter bis zur Rapperin Nicki Minaj. Wir haben die 28-Jährige, die in London lebt, dazu interviewt.
Dein Film »What is beauty« ist anlässlich des Weltfrauentags erschienen – hat aber auch an allen anderen Tagen des Jahres eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Welche Idee steckt dahinter?
Anna Ginsburg: Meine 20-jährige Schwester leidet seit langer Zeit unter Anorexie. Ich habe mich dadurch viel mit Schönheitsidealen und Körperbildern auseinandergesetzt. Wir haben etwa darüber gesprochen, welche Frauen sie zu Beginn ihrer Krankheit als Vorbilder empfand. Dazu gehörte die Schauspielerin Keira Knightley, die damals selbst sehr dünn war. Auch mit meiner anderen Schwester, sie ist 17, habe ich über Vorbilder gesprochen. Sie hat heute ganz andere Schönheitsideale und findet beispielsweise die kurvigen Figuren von Kylie Jenner und Kim Kardashian toll. Ich habe viel zu dem Thema recherchiert und herausgefunden: Vorbilder ändern sich mit der Zeit, und zwar teilweise in sehr kurzen Abständen. Dennoch bleiben sie oft unerreichbar. Als Frau fühlt man sich davon unter Druck gesetzt. Es fällt nicht leicht, den eigenen Körper zu lieben. Mit dem Film wollte ich zeigen, dass Schönheitsideale extrem vielfältig sind und sich sehr schnell verändern – etwas, das heute als schön gilt, wird in ein paar Jahren schon wieder ganz anders wahrgenommen. Man muss also gar nicht versuchen, mitzuhalten.
Wie hast du die Frauen ausgewählt, die in dem Film vorkommen?
Zuerst bin ich auf die Venus von Willendorf gestoßen, eine der frühesten Skulpturen von Menschen, die jemals gefunden wurde. Sie ist schätzungsweise 30.000 Jahre alt. Das Alter war nicht das einzige, das mich an ihr faszinierte, sondern auch ihr starker, voluminöser Körper. Ich setzte mich dann mit weiteren Fruchtbarkeitsgöttinnen und Ikonen auseinander, die es in den unterschiedlichen Epochen auf der ganzen Welt gab und bis heute gibt. Das war sehr beeindruckend – auch, weil die Körperdarstellungen früher teilweise ganz anders waren als heute. Ob Twiggy in den Sechzigern oder Grace Jones in den Achtzigern, sie sind beide unglaublich schön und dabei so anders.
Der Film in voller Länge:
Wie bist du beim Zeichnen vorgegangen?
Einiges stand bereits, als der Fernsehsender CNN mich fragte, ob ich nicht zufällig eine Idee für einen Animationsfilm zum Weltfrauentag hätte. Ich musste dann allerdings alle Zeichnungen noch mal anpassen, weil sie sich ja bewusst an bestehenden Kunstwerken oder Fotos orientieren. Ich habe sie nachträglich alle zu einem gewissen Grad abgeändert, damit sie nicht als Kopie gelten. Man sollte aber natürlich trotzdem noch erkennen können, um welche Frauen es sich handelt. Das war extrem viel Arbeit, die sich rückblickend aber sehr gelohnt hat.
Die Musik passt perfekt zu den Bewegungen der Animationen. Wie hast du das hingekriegt?
Das Stück für den Film wurde extra von Father geschrieben, einem Kompositions- und Sound-Design-Duo aus London. Ich habe ihnen ein sehr detailliertes Storyboard mit über 300 Zeichnungen geschickt, außerdem ein paar Referenzstücke. Mir war es wichtig, dass die Musik Wärme vermittelt und gleichzeitig Energie. Sie haben sich extrem verausgabt, um die Töne perfekt auf die Bilder abzustimmen – was man dem Ergebnis anmerkt. Bevor der Beat einsetzt, sind die Darstellungen etwas weniger extrem, etwas ruhiger. Dann wird alles schneller und wilder. »What is beauty« war für mich der erste Film, bei dem das Bild die Musik bestimmt. So hatte ich auf der visuellen Ebene und in Bezug aufs Timing mehr Freiheit. Das war toll.
Bisher hast du Animationen für Musikvideos erstellt, bei denen der Ton schon stand, oder?
Genau. Das gefällt mir auch sehr gut, ich mag es, mit den Grenzen zu spielen, die der Ton vorgibt. Ich sehe die Musik dann als eine Art Skelett, an dem ich mich für die Bilder entlanghangele.
Weitere Filme gibt’s auf Anna Ginsburgs vimeo-Seite zu sehen. Ein paar Eindrücke ihres Stils zeigt auch unsere Galerie:
Anna Ginsburg wird auf der diesjährigen see-Conference sprechen. Die Konferenz zur Visualisierung von Information findet am 21. April 2018 in Wiesbaden statt. Auch Vera-Maria Glahn von field.io sowie Stefan Kaegi von Rimini-Protokoll werden u. a. dabei sein. Am 22. April gibt es Workshops, etwa mit Mobilitätsexperte Mikael Colville-Andersen. Das ganze Programm ist hier zu finden.
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