Interaction Designer Fabian Orthen und Creative Director Burkhard Müller von deepblue networks in Hamburg standen uns Rede und Antwort …
Fabian Orthen, 27, arbeitet seit drei Jahren als Interaction Designer bei der Kreativagentur deepblue networks in Hamburg. Wir sprachen mit ihm und Creative Director Burkhard Müller über Aufgaben, Herausforderungen und Abläufe im Alltag eines Interaction Designers.
PAGE: Wie kamst du zu deepblue networks, Fabian? Fabian Orthen: Ich habe an der Akademie für Kommunikationsdesign in Köln studiert – also eine eher klassische Ausbildung gemacht. Während des Studiums habe ich gemerkt, dass mich Digital sehr interessiert. Dieses Thema habe ich dann priorisiert und meine Bachelorarbeit über das Interaction Design für eine iPad-Anwendung geschrieben. Nach meinem Abschluss habe ich gezielt nach Stellen gesucht, wo ich dieses Thema weiter ausbauen konnte. 2013 bin ich dann als Trainee bei deepblue networks eingestiegen.
Burkhard Müller: Fabian war einer unserer ersten Trainees überhaupt im Bereich Interaction Design. Damals hatten wir festgestellt, dass wir Leute für komplexe digitale Themen brauchen, die nicht nur Wireframes bauen können, sondern auch ein Verständnis für Design und Informationsarchitektur mitbringen. Zu dieser Zeit fragten unsere Kunden verstärkt nach Mobile-Projekten. Wir hatten bereits ein paar Apps realisiert, allerdings eher kleinere Gadgets, die man gut inhouse umsetzen konnte, wie einen Pflanzenfinder für OBI. Als Fabian bei uns anfing, hatte uns kurz zuvor die Schweizer Unternehmensgruppe Migros mit einer umfangreichen App beauftragt. Mittlerweile besteht unser Team aus insgesamt 26 Interaction Designern, Entwicklern und Beratern.
Wie sieht der Ablauf aus, wenn ihr in ein neues Projekt startet? Orthen: In ersten Workshops mit dem Kunden versuchen wir herauszufinden, was die Vision und Mission hinter dem Projekt ist. Wir überlegen uns erste Features und eine Informationsarchitektur. Wenn der Kunde sein Go gibt, schreiben wir User Storys, überlegen uns einen Flow und steigen ins Prototyping ein. Besonders in dieser Phase ist es wichtig, sich in den Nutzer hineinzuversetzen.
»Ich versuche immer zu wissen, was technisch möglich ist, wie es funktioniert und wie aufwendig es ist« Fabian
Im Alltag probiere ich viel aus, baue Wireframes, pinne Konzepte an die Wand und gehe sie Schritt für Schritt durch. Sobald das Grobkonzept steht, geht es in die Designphase. In ihr definieren wir jede Funktion – vom Startscreen über Fehlermeldungen bis hin zum Ladeverhalten. Wir fragen uns: Was sieht der Nutzer, wenn er die App öffnet? Gibt es eine Animation? Was passiert im Hintergrund? All diese Dinge, die der Nutzer nicht bewusst wahrnimmt beziehungsweise gar nicht wahrnehmen soll, werden hier durchdacht und definiert. Parallel dazu beginnen die Entwickler mit der Umsetzung, um in iterativen Schleifen das Design anzupassen.
Wie wichtig ist Prototyping bei eurer Arbeit? Müller: Extrem wichtig. Wir setzen Prototyping so früh wie möglich ein, um unsere Entwürfe zu testen und dem Kunden eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie sich eine App später verhalten wird. Mit Tools wie InVision, Flinto und Marvel lassen sich schnell Klickdummys bauen, die man auf dem Smartphone testen kann. Dabei handelt es sich quasi um eine Verknüpfung von Bildschirmen und Ansichten. So überzeugt man Kunden viel besser von einem Konzept als mit zig PowerPoint-Slides. Die Prototyping-Software Framer geht schließlich mehr ins Detail. Hiermit lassen sich sehr gut komplexe und individuelle Animationen simulieren.
Orthen: Schon in der Ideenfindungsphase setzen wir Prototypen ein, um unser Konzept in kleiner Runde zu testen. Oft tauchen bereits Ungereimtheiten auf, wenn man nur zehn Leute befragt, und man kann das Konzept sofort verbessern. Bevor die Entwicklung startet und ein Release veröffentlicht wird, machen wir zusätzlich professionelle Usertests.
»Gute Interaction Designer bringen eine bestimmte Mischung mit: Erfahrung und Geschmack auf der einen Seite – Offenheit, Zuhören und Sich-selbst-infrage-Stellen auf der anderen« Burkhard
Codest du auch selbst? Orthen: Wenn ich einen sehr komplexen Prototyp baue, habe ich schon mal mit HTML und CSS zu tun. Einige Interaction Designer fangen dann an zu coden, um die Machbarkeit zu testen. Das lerne ich gerade. Ich versuche aber grundsätzlich zu wissen, was technisch möglich ist, wie es funktioniert und wie aufwendig es ist. So komme ich überhaupt nicht erst in die Verlegenheit, etwas vorzuschlagen, das gar nicht geht. Manchmal ist es andererseits auch gut, wenn man dieses Wissen ignoriert und trotzdem fragt. So können sich ganz neue Ideen oder Möglichkeiten ergeben. Meine alltäglichen Programme neben den Prototyping-Tools sind Photoshop, Illustrator und Sketch.
Wie bereitet ihr die Workshops mit den Kunden auf? Müller: Wir holen zuerst die Erwartungshaltung vom Kunden ein, um den Workshop individuell auf seine Bedürfnisse zuzuschneiden. Die Vorbereitung machen wir gemeinsam, die Präsentation übernehme meistens ich. Uns ist extrem wichtig, dass die Interaction Designer hier mit am Tisch sitzen. So sieht der Kunde, wer dahinter steckt, und die Kreativen können ihre eigenen Ideen vorstellen und mit dem Kunden diskutieren. Wir gehen immer in einen offenen Dialog mit den Kunden. Nur so findet man am Ende zu selbsterklärenden, intuitiven Lösungen, die begeistern und Spaß machen.
Offenheit und Kritikfähigkeit sind also wichtige Eigenschaften für einen Interaction Designer? Orthen: Ja. Aber das lernt man vergleichsweise schnell. Es gibt nie die eine Idee, sondern immer verschiedene Möglichkeiten. Durch Techniken wie A/B-Testing, Umfragen, Scribbles, Flowcharts und Prototyping lässt sich die möglichst beste Lösung für ein Problem finden.
Müller: Gute Interaction Designer bringen eine bestimmte Mischung mit: Erfahrung und Geschmack auf der einen Seite – Offenheit, Zuhören und Sich-selbst-infrage-Stellen auf der anderen. Bei der Entwicklung von digitalen Services geht es darum, den Menschen das Leben leichter zu machen. Es braucht einen bestimmten Charakter, um sich für so etwas zu motivieren. Der Werber, der sich über große Viral-Hits und prämierte Kampagnen definiert, ist hier fehl am Platz.
»Im Alltag probiere ich viel aus, baue Wireframes, pinne Konzepte an die Wand und gehe sie Schritt für Schritt durch« Fabian
Muss ein Interaction Designer vorm Kunden präsentieren und seine Ideen verkaufen können? Müller: Es schadet nicht, wenn man das mitbringt, aber es ist kein Must-have. Häufig kristallisiert sich innerhalb eines Teams erst heraus, wer welche Stärken hat und entsprechende Aufgaben übernimmt. Interaction Designer vereinen Konzeption, Design und einen Teil der Entwicklung in einer Person. Wenn sie dann auch noch gute Verkäufer, Teamplayer und Manager sein müssen, sucht man nach der eierlegenden Wollmilchsau.
Wo und wie lasst ihr euch inspirieren? Orthen: Ich gucke jeden Morgen, was es Neues gibt und was andere so machen – zum Beispiel bei Dribbble oder Behance. Momentan sind Virtual Reality und das Thema Chatbots, Live Chats und Messenger-Plattformen ganz heiß – also Interfaces, die auf Konversation beruhen.
Müller: Wir haben eine Facebook-Gruppe, in der wir interessante Artikel und Links posten. Das ist eine gute Basis, um zu wissen, was gerade angesagt ist. Es überlegt also nicht jeder still für sich, sondern wir teilen und diskutieren über die Themen.
Was sind so richtig öde Aufgaben, die man als Interaction Designer machen muss? Orthen: Texte pflegen und Testing. Sobald ein Feature entwickelt ist, muss man es gründlich gegenchecken, alles ausprobieren und quasi versuchen, die App kaputtzumachen – und das Ganze in Tabellen dokumentieren.
Und was war dein absolutes Highlight bisher? Orthen: Als die Migros-App live gegangen ist! Der Prozess selbst war gegen Ende sehr stressig. Aber dann zu sehen, wie die Arbeit eines Jahres live geht und wie die Leute damit umgehen, war extrem spannend. Das Feedback und die Bewertungen im Netz zu lesen – und anschließend zu überlegen, wo wir noch mal ranmüssen. Toll ist aber auch die Phase ganz am Anfang eines Projekts, wenn man noch so gut wie gar nichts weiß und in alle Richtungen denken kann. Man kann ein Produkt von der Pike auf mit formen und seine eigenen Visionen einbringen.
»Interaction Designer können nicht nur Wireframes bauen, sondern haben auch ein Verständnis für Design und Informationsarchitektur« Burkhard
In welche Richtung wird sich der Beruf Interaction Designer eurer Meinung nach entwickeln? Müller: Im Grunde verändert sich der Beruf jeden Tag. Ständig kommen neue Tools und Softwareversionen dazu, die man beherrschen muss. Auch das Aufgabenfeld wird immer breiter. Unsere Unit heißt bewusst nicht »Mobile«, weil ich es gar nicht so sehr eingrenzen möchte. Wir versuchen möglichst nah am Nutzer zu sein und für ihn Services bereitzustellen – egal ob das auf dem Smartphone stattfindet oder in der Virtual Reality. Sobald wir glauben, dass ein Trend Potenzial hat und sich etablieren wird, entwickeln wir erste Ideen und versuchen diese bei unseren Kunden zu platzieren. Zum Beispiel waren wir beim Thema Smartwatch sehr proaktiv und haben bereits früh Kundenprojekte dafür entwickelt, etwa für Migros und Gerolsteiner.
Fabian, hast du ein Wunschprojekt, das du unbedingt mal umsetzen möchtest? Orthen: Das wechselt ständig. Im Moment würde ich gerne was mit Virtual Reality machen. Oder etwas im Bereich Self-Driving Cars: Wie sieht eigentlich das Interface in einem selbstfahrenden Auto aus? Was macht der Mensch darin, wenn er nicht mehr auf die Straße gucken und lenken muss? Et cetera. Irgendwann würde ich gern ein eigenes Produkt entwickeln und vielleicht ein Start-up gründen.
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