Typo und Fußball: Kein Job wie jeder andere
Immer mehr Fußballklubs erkennen die Notwendigkeit eines konsistenten Brandings und entwickeln zusammen mit Designbüros professionelle Erscheinungsbilder – oft mit einem Corporate Font. Für Kreative eine spannende, weil hochemotionale Aufgabe.
Auch Mirko Borsche und sein Team bekamen die Reaktionen italienischer Fans zu spüren, als sie im Frühjahr 2021 das Wappen von Inter Mailand ziemlich drastisch veränderten (siehe hier). Während die eine Ultragruppe das neue Wappen großartig fand, lehnte eine andere es komplett ab und ging sogar so weit, die Agentur mit beleidigenden E-Mails zu bombardieren. »Ich kenne jetzt fast jedes italienische Schimpfwort«, so Mirko Borsche in einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung«.
Kein Wunder, dass viele Vereine und die von ihnen beauftragten Designer Logo und Farben weitestgehend unangetastet lassen und sich stattdessen auf die Typografie konzentrieren. Wie die Frankfurter Agentur Arndt Benedikt, die aus der Lilie, dem Wappen des SV Darmstadt, eine Schrift ableitete, die den Verein künftig prägen wird (siehe hier).
Fußballvereine mit eigenem Font
Auch Hertha BSC bekam einen Customfont, entwickelt im Sommer 2020 von der Berliner Agentur Supertype, die übrigens auch die Corporate Type für den Deutschen Fußball-Bund zeichnete. Die Typedesigner Jürgen Huber und Martin Wenzel gestalteten eine von Berlin und seiner Fanszene inspirierte Schrift, die den Verein, die Fans und die Stadt widerspiegelt: souverän, ambitioniert, weltoffen und vielfältig. Es entstanden Hertha HaHoHe für Headlines und Hertha für alles andere. »Die neue Type passt zu Hertha und Berlin – sie hat Herz und Schnauze«, sagt Jürgen Huber. »Aus den Graffitis der Fans und der Vielfalt der Hauptstadt entstanden 120 Buchstabenalternativen, die wie Einwechselspieler dem grafischen Auftritt von Hertha jederzeit neue Impulse geben und das Schriftbild mal offensiv, mal defensiv prägen.«
Der FC Bayern München bekam von der Foundry TypeMates im Auftrag von Interbrand Köln den Corporate Font FC Bayern Sans in acht Schnitten auf den Leib geschneidert, und für Fortuna Düsseldorf gestaltete das ortsansässige Designbüro Morphoria Collective die Fortuna Sans mit markantem F.
Das Versale M ist der Star im Rebranding des 1. FSV Mainz 05, für das die Agenturen ONE8Y und Done by People verantwortlich zeichnen (siehe unten). Sie holten den Typedesigner Christoph Koeberlin ins Boot (siehe Interview). »Eine geometrische Serifenlose sollte es werden, aber eben eine Schrift wie ein gutes Team, durch eine homogene Mischung aus Teamplayern und einigen herausragenden Akteuren – mit dem M an der Spitze«, berichtet Koeberlin. So entstanden das kompakte Versalalphabet M05 Headline für alles, was groß und auffällig sein soll, sowie die gemäßigtere Variante M05 Text. Als drittes Familienmitglied kam M05 Jersey für die Trikotbeschriftung dazu. Der Font enthält lediglich die Nummern 0 bis 9 und greift mit den eckigen Ziffern die Charakteristik der M05-Schrift auf.
Fußballmarken: Mehr Sport bitte
2021 war kein gutes Jahr für den Fußball, was vor allem daran lag, dass finanzielle Aspekte zu oft die sportlichen verdrängten. Erst im April die schwachsinnige Idee der Einrichtung einer Super League, dann der Korruptionssumpf beim DFB und schließlich eine EM, bei der es hauptsächlich ums Geld ging. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Spiele der Pandemie zum Trotz in ganz Europa verteilt waren und im Corona-Hotspot London rund 60 000 Zuschauende ins Stadion durften – ohne Masken, versteht sich … Mit dem Verbot der Regenbogenfarben in München, Baku und St. Petersburg setzte die UEFA ein Zeichen gegen Diversität – um osteuropäische Potentaten und Sponsoren nicht zu vergraulen. Die parallel laufende UEFA-Hochglanzkampagne Equal Game gegen Diskriminierung, Homophobie und Rassismus wirkte da ziemlich unglaubwürdig. Den Clubs ist zu wünschen, dass sie sich mit zunehmendem Markenbewusstsein auch wieder auf das besinnen, was Fußball schon immer war und auch bleiben sollte: die schönste Nebensache der Welt.
So entstand der Corporate Font für SV Darmstadt
Für den SV Darmstadt leitete Arndt Benedikt einen Corporate Font aus dem Vereinswappen ab
Das Wappen, die Lilie, bleibt unverändert, ebenso die Farbe Blau. Darüber wurde nicht lange diskutiert, als der SV Darmstadt 98 die Frankfurter Agentur Arndt Benedikt beauftragte, ein neues Corporate Design zu entwickeln, um den Verein stärker als Marke zu präsentieren. »Fußball ist sehr traditionsbehaftet, da ist es schwer, mal eben die Vereinsfarbe oder das Logo zu verändern«, sagt Artdirekorin Mimi Park. Stattdessen schauten die Kreativen, was man aus dem Vereinswappen herausholen könnte, und gestalteten den Corporate Font Lilie, der auf den Schrägen und den Einschnitten der Lilie basiert. »Wir wollten nicht nur eine Headlineschrift gestalten, sondern eine Familie, die sich für die gesamte Kommunikation einsetzen lässt«, erklärt Art Director Marc Bötzius. Es entstanden drei Schnitte: Regular für Fließtexte, Bold für Auszeichnungen und Hervorhebungen sowie die eng laufende fette Display, die sich mit ihrem sportlich-massiven Charakter für alles Große und Inspirierende empfiehlt. »Die tiefen Einschnitte, das Markenzeichen der Lilie, gibt es in allen drei Fonts, aber in der Display sind sie am markantesten und lassen sich wunderbar plakativ nutzen«, so Marc Bötzius.
Die zweite wichtige Säule des neuen Corporate Designs, das nun nach und nach implementiert wird, sind die Muster. Sie leiten sich aus der Historie des Vereins und aus den Fanfahnen ab. Wer genau hinsieht, erkennt auch in ihnen immer wieder Formen der Lilie. Eingesetzt werden die Muster zu dekorativen Zwecken und schaffen auf allen Touchpoints gleichermaßen einen Wiedererkennungswert – von digitalen Anwendungen über klassische Medien bis zur Inszenierung im Raum.
Arndt Benedikt ist es gelungen, die Marke des Vereins SV Darmstadt 98 aufzuräumen und fit für digitale Medien zu machen, ohne sie zu sehr umzumodeln. »Uns war auch wichtig, eine gewisse Aufbruchstimmung zu verbreiten, schließlich will der Verein wieder in die erste Liga«, sagt Marc Bötzius, der selbst gerne Fußball schaut und sowohl mit dem SV Darmstadt 98 als auch mit Eintracht Frankfurt sympathisiert. »Für mich sind das beides noch sehr echte und traditionsreiche Vereine.« Mimi Park dagegen ist kein Fußballfan: »Der Job hat mir trotzdem sehr viel Spaß gemacht, auch weil Fußball ein so hochemotionales Thema ist. Letzten Endes liegt unsere Expertise aber nicht im Fußball, sondern in der Markenberatung.«
Neues Wappen für Inter Mailand: Zwei statt vier
Wer dem Wappen eines Traditionsklubs wie Inter Mailand zwei Buchstaben klaut, muss mit harschen Reaktionen der Fans rechnen
Das Münchner Bureau Borsche, das sich im Pitch um das Rebranding von Inter Mailand durchsetzen konnte, entfernte aber nicht nur das FC aus dem Vereinswappen, sondern ging noch einen Schritt weiter und veränderte auch die Farbigkeit. »Inter Mailand ist längst mehr als ein reiner Fußballklub, es ist eine Sport- und Lifestyle-Marke, die Menschen auch über das Fußballfeld hinaus ansprechen soll. Das Entfallen der Buchstaben FC ist also eine klare Botschaft«, sagt Kolja Buscher, Designer im Bureau Borsche. Dazu kam, dass Inter Mailand seit 2016 mehrheitlich dem chinesischen Großkonzern Suning Holdings Group, Hersteller von Haushaltsgeräten, gehört, und dieser auch das Ziel verfolgt, den asiatischen Markt anzusprechen.
Das neue Logo enthält jetzt nur noch die Buchstaben I und M, was sich englisch ausgesprochen wie »I’m« anhört und so gleich ein Bekenntnis zum Verein enthält. Die Form der Buchstaben veränderten Mirko Borsche und sein Team nur wenig, das M etwa durfte seine überhängenden Arme behalten. Auch das Verhältnis zwischen Lettern und Weißraum blieb annähernd gleich, sodass das neue Wappen in seiner Anmutung dem alten sehr ähnelt, nur eben moderner und weniger komplex.
Hinsichtlich der Farben sind Blau und Schwarz geblieben, das Gold aber musste weichen. Im Wappen ganz, im sonstigen Erscheinungsbild zugunsten eines leuchtenden Gelbs. »Ziel der gesamten Neuausrichtung war es, digitaler zu werden. Deshalb ist das Blau jetzt intensiver und das Gold zu einem kräftigen Gelb geworden. Das sorgt für mehr Kontrast und damit für mehr Barrierefreiheit«, so Kolja Buscher. Da, wo richtiges Gold möglich ist, etwa gestickt auf den Trikots oder als Veredelung, wird es weiterhin eingesetzt, aber eben nicht mehr als beige Druckfarbe.
Neben den empörten gab es übrigens auch jede Menge begeisterter Fans, die das neue Erscheinungsbild aufgeräumter und moderner fanden. Mir persönlich gefällt das neue Wappen auch besser als das alte. Es ist viel klarer und nimmt mit seiner Farbigkeit so schön Bezug auf einen oft verwendeten Spitznamen des Klubs: Nerazzurri.
Schriften auf Trikots: Das wird oft falsch gemacht!
Interview mit Christoph Koeberlin, Typedesigner, Font Engineer und Experte in Sachen Schrift und Sport. Er verrät in unserem Interview zum Thema Typografie und Fußball, was eine gute Schrift für Trikots auszeichnet.
Toller Artikel!
Bei den erwähnten Logos muss ich leider sagen, dass sie jeweils aus Sicht eines Typedesigners nicht spitze umgesetzt sind. Juve wie auch Inter könnten mit der selben Designidee besser aussehen, hätten die Agenturen da noch jeweils ein bisschen was dran machen lassen — von Schriftgestalter:innen 😉
Die hier erwähnten Schriften für die Klubs sind nämlich allesamt klasse geworden. Das Können und die Erfahrung von Schriftexpertinnen und Experten kann aber eben auch bei Logos noch das Quäntchen an Qualität bringen, ohne das sie schnell eher billig aussehen.
Und ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber das neue Inter Mailand Wappen ist echt nix, rein aus der Sicht der technischen und optischen Detailumsetzung.