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Typo und Fußball: Kein Job wie jeder andere

Immer mehr Fußballklubs erkennen die Notwendigkeit eines konsistenten Brandings und entwickeln zusammen mit Designbüros professionelle Erscheinungsbilder – oft mit einem Corporate Font. Für Kreative eine spannende, weil hochemotionale Aufgabe.

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Neue Lilien: Der SV Darmstadt 98 bekam von der Agentur Arndt Benedikt ein neues Erscheinungsbild Bild: Stefan Holtzem | holtzem.com
Bild: Stefan Holtzem | holtzem.com

»Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.« Seit dieser Weisheit aus dem Mund des damaligen Bundestrainers Sepp Herberger in den 1950er Jahren hat sich der Fußball massiv verändert. Längst ist er nicht mehr nur ein Sport, sondern internationales Business. Die Vereine sind zu globalen Marken geworden, die neben den eingefleischten Fans eine breite Zielgruppe ansprechen wollen. Dafür brauchen sie ein zeitgemä­ßes Branding, das der Vielzahl an Kommunikations­kanälen und Touchpoints gerecht wird und im Stadium ebenso funktioniert wie in Social Media. Für die Kreativen, die in den letzten Jahren die Corporate Designs von Fußballvereinen aufgeräumt und erneuert haben, also ein Job wie jeder andere – wären da nicht die Fans. Die bewachen mit Argusaugen jede kleinste Veränderung im Erscheinungsbild ihres Vereins, insbesondere wenn es um das Logo, bei vielen Klubs gleichzeitig das Vereinswappen, geht.

»Das Wappen ist eine Art Heiligtum, als Fan hat man über die Jahre viele Trikots mit diesem Bildzeichen gesammelt, die Geschichten erzählen«, weiß Stefan Berndt, Designer bei Fuenfwerken in Berlin und selbst Union-Berlin-Fan. »Zusammen mit den Vereinsfarben schafft das Wappen die stärkste emotionale Bindung – und sorgt bei einem Rebranding für den größten Reibungspunkt.« Und wenn auch sein Designerherz das Wappen seines Clubs nicht so optimal findet, käme sein Fanherz nicht auf die Idee, es verändern zu wollen. »Wenn man es aber durch eine starke eigene Hausschrift und einen visuellen Auftritt schafft, Logo und Farben auf dem Spielfeld unterstützend in Szene zu setzen, kann man die Marke modernisieren und viele Fans mitnehmen.«

Emotional in beide Richtungen

Wesentlich weniger behutsam gingen Juventus Turin und die Agentur Interbrand 2017 bei der Gestaltung der neuen visuellen Identität des italienischen Serie-A-Klubs vor, die auch das Logo deutlich verän­derte. Nur noch zwei Farben (Schwarz und Weiß), der Schriftzug »Juventus« und zwei Zeichen, ein J und ein Irgendwas, das auch ein J sein könnte oder auch einfach einer der typischen Juve-Balken, wie man sie vom Trikot kennt. Die Reaktion der Fans auf diese tiefgreifenden Veränderungen reichten von tiefer Bestürzung bis zu großer Begeisterung.

Auch Mirko Borsche und sein Team bekamen die Reaktionen italienischer Fans zu spüren, als sie im Frühjahr 2021 das Wappen von Inter Mailand ziemlich dras­tisch veränderten (siehe hier). Während die eine Ultragruppe das neue Wappen großartig fand, lehnte eine andere es komplett ab und ging so­gar so weit, die Agentur mit beleidigenden E-Mails zu bom­bardieren. »Ich kenne jetzt fast jedes italienische Schimpf­wort«, so Mirko Borsche in einem In­terview mit der »Süddeutschen Zeitung«.

Kein Wunder, dass viele Vereine und die von ihnen beauftragten Designer Logo und Farben weitestgehend unangetastet lassen und sich stattdessen auf die Typografie konzentrieren. Wie die Frankfurter Agentur Arndt Benedikt, die aus der Lilie, dem Wappen des SV Darmstadt, eine Schrift ableitete, die den Verein künftig prägen wird (siehe hier).

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Für Hertha BSC entwickelten Jürgen Huber und Martin Wenzel von Supertype die Fonts Hertha HaHoHe für Headlines und Hertha in fünf Schnitten für alles andere. Inspiration fanden die beiden Typedesigner auch in Hertha-Graffitis in Berlin

Fußballvereine mit eigenem Font

Auch Hertha BSC bekam einen Customfont, entwickelt im Sommer 2020 von der Berliner Agentur Supertype, die übrigens auch die Corporate Type für den Deutschen Fußball-Bund zeichnete. Die Type­de­sig­ner Jürgen Huber und Martin Wenzel ge­stalte­ten eine von Berlin und seiner Fansze­ne ins­pi­rierte Schrift, die den Verein, die Fans und die Stadt widerspiegelt: souverän, ambitioniert, welt­of­­fen und viel­fältig. Es entstanden Hertha HaHoHe für Head­lines und Hertha für alles andere. »Die neue Type passt zu Her­tha und Berlin – sie hat Herz und Schnauze«, sagt Jürgen Huber. »Aus den Graffitis der Fans und der Vielfalt der Hauptstadt entstanden 120 Buchstabenalternativen, die wie Ein­wech­sel­­spieler dem grafischen Auf­tritt von Hertha jederzeit neue Impulse geben und das Schriftbild mal offensiv, mal defensiv prägen.«

Der FC Bayern München bekam von der Foundry TypeMates im Auftrag von Interbrand Köln den Cor­porate Font FC Bayern Sans in acht Schnitten auf den Leib geschneidert, und für Fortuna Düsseldorf gestaltete das ortsansässige Designbüro Morphoria Collective die Fortuna Sans mit markantem F.

Das Versale M ist der Star im Rebranding des 1. FSV Mainz 05, für das die Agenturen ONE8Y und Done by People verantwortlich zeichnen (siehe unten). Sie hol­ten den Typedesigner Christoph Koeberlin ins Boot (siehe Interview). »Eine geometrische Seri­fenlose sollte es werden, aber eben eine Schrift wie ein gutes Team, durch eine homogene Mischung aus Teamplayern und einigen herausragenden Akteu­ren – mit dem M an der Spitze«, berichtet Koeberlin. So entstanden das kompakte Versalalphabet M05 Headline für alles, was groß und auffällig sein soll, sowie die gemäßigtere Variante M05 Text. Als drittes Familienmitglied kam M05 Jersey für die Trikotbeschriftung dazu. Der Font enthält lediglich die Nummern 0 bis 9 und greift mit den eckigen Ziffern die Charakteristik der M05-Schrift auf.

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Der auffällige Displayfont M05 ist der Kern des Corporate Fonts für den 1. FSV Mainz 05. Der Versatz in den Spitzen des M leitet sich vom Vereinswappen ab, die Glyphen sind im Zweifel extravagant. Die eckigen Ziffern entstanden speziell für die Trikots

Fußballmarken: Mehr Sport bitte

2021 war kein gutes Jahr für den Fußball, was vor al­lem daran lag, dass finanzielle Aspekte zu oft die sportlichen verdrängten. Erst im April die schwachsinnige Idee der Einrichtung einer Super League, dann der Korruptionssumpf beim DFB und schließlich eine EM, bei der es hauptsächlich ums Geld ging. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Spiele der Pandemie zum Trotz in ganz Europa verteilt waren und im Corona-Hotspot London rund 60 000 Zuschauen­de ins Stadion durften – ohne Masken, versteht sich … Mit dem Verbot der Regenbogenfarben in München, Baku und St. Petersburg setzte die UEFA ein Zeichen gegen Diversität – um osteuropäische Potentaten und Sponsoren nicht zu vergraulen. Die parallel laufende UEFA-Hochglanzkampagne Equal Game gegen Dis­kriminierung, Homophobie und Rassismus wirkte da ziemlich unglaubwürdig. Den Clubs ist zu wünschen, dass sie sich mit zunehmendem Marken­be­wusst­sein auch wieder auf das besinnen, was Fußball schon immer war und auch bleiben sollte: die schönste Nebensache der Welt. 

So entstand der Corporate Font  für SV Darmstadt

Für den SV Darmstadt leitete Arndt Benedikt einen Corporate Font aus dem Vereinswappen ab

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Die dekorativen Muster leiten sich von Fanfahnen ab, auch in ihnen lassen sich Teile der Lilie erkennen

Das Wappen, die Lilie, bleibt unverändert, ebenso die Farbe Blau. Darüber wurde nicht lange diskutiert, als der SV Darmstadt 98 die Frankfurter Agentur Arndt Benedikt beauftragte, ein neues Corporate Design zu entwickeln, um den Verein stärker als Mar­ke zu präsentieren. »Fußball ist sehr traditionsbehaf­tet, da ist es schwer, mal eben die Vereinsfarbe oder das Logo zu verändern«, sagt Artdirekorin Mimi Park. Stattdessen schauten die Krea­tiven, was man aus dem Vereinswappen herausholen könnte, und gestalte­ten den Corporate Font Lilie, der auf den Schrägen und den Einschnitten der Lilie basiert. »Wir wollten nicht nur eine Headlineschrift gestalten, sondern eine Fa­milie, die sich für die gesamte Kommunikation einsetzen lässt«, erklärt Art Director Marc Bötzius. Es entstanden drei Schnitte: Regular für Fließtexte, Bold für Auszeichnungen und Hervorhebungen sowie die eng laufende fette Display, die sich mit ihrem sportlich-massiven Charakter für alles Große und Inspirierende empfiehlt. »Die tiefen Einschnitte, das Mar­kenzeichen der Lilie, gibt es in allen drei Fonts, aber in der Display sind sie am markantesten und lassen sich wunderbar plakativ nutzen«, so Marc Bötzius.

Die zweite wichtige Säule des neuen Corporate De­signs, das nun nach und nach implementiert wird, sind die Muster. Sie leiten sich aus der Historie des Vereins und aus den Fanfahnen ab. Wer genau hinsieht, erkennt auch in ihnen immer wieder Formen der Lilie. Eingesetzt werden die Muster zu dekorativen Zwecken und schaffen auf allen Touchpoints gleichermaßen einen Wiedererkennungswert – von digitalen Anwendungen über klassische Medien bis zur Inszenierung im Raum.

Arndt Benedikt ist es gelungen, die Marke des Vereins SV Darmstadt 98 aufzuräumen und fit für digitale Medien zu machen, ohne sie zu sehr umzumodeln. »Uns war auch wichtig, eine gewisse Aufbruchstimmung zu verbreiten, schließlich will der Verein wieder in die erste Liga«, sagt Marc Bötzius, der selbst gerne Fußball schaut und sowohl mit dem SV Darmstadt 98 als auch mit Eintracht Frankfurt sympathisiert. »Für mich sind das beides noch sehr echte und traditionsreiche Vereine.« Mimi Park dagegen ist kein Fußballfan: »Der Job hat mir trotzdem sehr viel Spaß gemacht, auch weil Fußball ein so hochemotionales Thema ist. Letzten Endes liegt unsere Expertise aber nicht im Fußball, sondern in der Markenberatung.«

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Ganz klar nimmt die Schrift Lilie auf das Wappen Bezug. Besonders deutlich wird das in der Displayversion mit ihren tiefen ink traps, die künftig auch auf den Trikots zum Einsatz kommen soll. Drei Schnitte umfasst die Schriftfamilie: Regular und Bold für Texte und Auszeichnungen sowie Display in Bold Condensed für alles, was auffallen soll
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Hunderte von Skizzen waren nötig, bis die Kreativen von Bureau Borsche ein Wappen gestaltet hatten, das riesengroß auf Fahnen oder LED-Screens ebenso gut funktioniert wie klein auf Merchandise-Artikeln oder in Social Media

Neues Wappen für Inter Mailand: Zwei statt vier

Wer dem Wappen eines Traditionsklubs wie Inter Mailand zwei Buchstaben klaut, muss mit harschen Reaktionen der Fans rechnen

Das Münchner Bureau Borsche, das sich im Pitch um das Rebranding von Inter Mailand durchsetzen konnte, entfernte aber nicht nur das FC aus dem Vereinswappen, sondern ging noch einen Schritt weiter und veränderte auch die Farbigkeit. »Inter Mailand ist längst mehr als ein reiner Fußballklub, es ist eine Sport- und Lifestyle-Marke, die Menschen auch über das Fußballfeld hinaus ansprechen soll. Das Entfallen der Buchstaben FC ist also eine klare Botschaft«, sagt Kolja Buscher, Designer im Bureau Borsche. Dazu kam, dass Inter Mailand seit 2016 mehrheitlich dem chinesischen Großkonzern Suning Hol­dings Group, Hersteller von Haushaltsgeräten, gehört, und dieser auch das Ziel verfolgt, den asiatischen Markt anzusprechen.

Das neue Logo enthält jetzt nur noch die Buchstaben I und M, was sich englisch ausgesprochen wie »I’m« anhört und so gleich ein Bekenntnis zum Verein enthält. Die Form der Buchstaben veränder­ten Mirko Borsche und sein Team nur wenig, das M etwa durfte seine überhängenden Arme behalten. Auch das Verhältnis zwischen Lettern und Weißraum blieb annähernd gleich, sodass das neue Wappen in seiner Anmutung dem alten sehr ähnelt, nur eben moderner und weniger komplex.

Hinsichtlich der Farben sind Blau und Schwarz geblieben, das Gold aber musste weichen. Im Wappen ganz, im sonstigen Erscheinungsbild zuguns­ten eines leuchtenden Gelbs. »Ziel der gesamten Neuausrichtung war es, digitaler zu werden. Deshalb ist das Blau jetzt intensiver und das Gold zu einem kräftigen Gelb geworden. Das sorgt für mehr Kontrast und damit für mehr Barrierefreiheit«, so Kolja Buscher. Da, wo richtiges Gold möglich ist, etwa gestickt auf den Trikots oder als Veredelung, wird es weiterhin eingesetzt, aber eben nicht mehr als beige Druckfarbe.

Neben den empörten gab es übrigens auch jede Menge begeisterter Fans, die das neue Erscheinungsbild aufgeräumter und moderner fanden. Mir per­sön­lich gefällt das neue Wappen auch besser als das alte. Es ist viel klarer und nimmt mit seiner Farbigkeit so schön Bezug auf einen oft verwendeten Spitznamen des Klubs: Nerazzurri.

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Die ursprüngliche Version des alten Inter-Mailand-Wappens stammt aus dem Jahr 1908, dem Gründungs­jahr des Vereins und wurde im Laufe der Jahre mehrfach teils stark verändert (hier die von 2014 bis 2021 gültige Variante). Die Typo ist zweifellos schön, aber auch sehr komplex. Das neue Logo ist auf die Buchstaben I und M reduziert. So schafft es sofort eine Verbindung zum Verein Inter Mailand und macht gleichzeitig klar, dass es um mehr geht als Fußball. Das fehlende Gold tut dem Wappen gut, wirkte es in Print und Digital doch immer eher wie schmutziges Beige

Schriften auf Trikots: Das wird oft falsch gemacht!

Interview mit Christoph Koeberlin, Type­designer, Font Engineer und Experte in Sachen Schrift und Sport. Er verrät in unserem Interview zum Thema Typografie und Fußball, was eine gute Schrift für Trikots auszeichnet.

 

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Toller Artikel!

    Bei den erwähnten Logos muss ich leider sagen, dass sie jeweils aus Sicht eines Typedesigners nicht spitze umgesetzt sind. Juve wie auch Inter könnten mit der selben Designidee besser aussehen, hätten die Agenturen da noch jeweils ein bisschen was dran machen lassen — von Schriftgestalter:innen 😉
    Die hier erwähnten Schriften für die Klubs sind nämlich allesamt klasse geworden. Das Können und die Erfahrung von Schriftexpertinnen und Experten kann aber eben auch bei Logos noch das Quäntchen an Qualität bringen, ohne das sie schnell eher billig aussehen.
    Und ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber das neue Inter Mailand Wappen ist echt nix, rein aus der Sicht der technischen und optischen Detailumsetzung.

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