Aus der Wand gefaltet
Für das Toni-Areal in Zürich entstand ein Leitsystem, bei dem die Beschriftung mit Perspektivveränderung spielt.
In der PAGE 07.2016, stellten wir kurz das Orientierungssystem für das Toni-Areal vor. Hier gibt es nun mehr zu dem spannenden Projekt: Im September 2014 eröffnete offiziell das Toni-Areal, der Campus für die Hochschulen der Künste und der angewandten Wissenschaft (ZHdK und ZHAW). Auf diesem Areal verarbeitete bis 1999 der grösste Milchverarbeitungsbetrieb Europas unter anderem Joghurt im Glas. Der Gebäudekomplex liegt inmitten des ehemaligen Industriequartiers im Westen der Stadt Zürich.
Mit viel Aufwand bauten die Architekten EM2N diesen Industriebau in einen markanten Campus um. Der Auftrag für die Signaletik ging an Bivgrafik, Visuelle Gestaltung, Zürich zusammen mit Hi – Visuelle Gestaltung, Luzern. Die Beschriftung wurde spezifisch für das Gebäude und die damit verbundenen Bedürfnisse entwickelt. Sie wird als Teil der Architektur verstanden: »Wenn wir eine Wand gestalten, gehen wir nicht, wie das in der Grafik üblich ist, in die Fläche, sondern positionieren die Schrift in Bezug zur räumlichen Situation.« Diese Haltung spiegelt sich auch in der finalen Realisierung und ihren Anwendungen wider. Die Beschriftung der Haupterschliessungsachsen spielt mit der Perspektivenveränderung. Markante Buchstaben falten sich als Relief aus den Wänden, sie tauchen auf und verschwinden wieder. Als Informationsträger oszillieren sie in ihrer Körperlichkeit als räumlicher Buchstabe zwischen aufgemalter Zweidimensionalität und dreidimensionalem Raumobjekt. Formal erinnern die entstandenen Zeichen an Tarnkappenflugzeuge.
An anderen Stellen werden die individuellen Materialen der jeweiligen Untergründe aufgenommen, so wird zum Beispiel eine Betonschrift auf Sichtbeton montiert. Der Ansatz ist ein funktionierendes Paradoxon. Zeichen lösen sich je nach Blickwinkel auf oder werden fragmentarisch, sie scheinen sich aber als Bezeichnung zu bewähren.
Die Schrift wurde eigens für das Orientierungssystem im Toni-Areal entwickelt. Ihre charaktervolle Form verdankt sie vielleicht dem, was für ein Projekt Dilemma und Chance zugleich sein kann. Bei ersten Entwürfen setzten die Gestalter die DIN-Schrift für Untersuchungen ein. Die Eigenschaften waren stimmig. Jedoch war sie dem Designteam deutlich zu besetzt, strapaziert und abgenutzt. So wurden ihre spezifischen Eigenschaften zur Vorgabe für die Areal-Schriftentwicklung. Daraus ist eine Schrift mit schmalen Versalzeichen, in die Ecken getriebene Rundformen und eine insgesamt grafisch gehaltene Formensprache entstanden. Die Mischung aus kompakten Buchstabenformen, flachen Unterlängen in Verbindung mit der runden Interpunktion prägen ihren Charakter.
Die Anmutung und Ausstrahlung der folglich daraus entwickelten Textschriftversion Areal-BL erinnert in ihrem Schriftbild frei interpretiert an die eng laufenden amerikanischen Grotesk-Schriften der 1950er und 60er Jahre, wie die News Gothic oder Trade Gothic. Entworfen wurde das Grundalphabet von Claudio Barandun (Hi). In Kollaboration mit Binnenland (Mika Mischler und Nik Thoenen) wurde die Schrift erarbeitet und ausgebaut und ist nun auch bei Binnenland für 200 Euro zu lizenzieren. Wer sie zunächst ausprobieren möchte, kann sich hier einen Trial Font herunterladen.
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