Making-of: Gestaltung der Schriftfamilie Plakato
Plakato als Schriftfamilie zu bezeichnen ist ein Understatement. Die Foundry Underware gestaltete und programmierte einen typografischen Baukasten, mit dem sich sowohl schöne statische als auch extravagante dynamische Artworks realisieren lassen.
- PROJEKT Gestaltung der Schriftfamilie Plakato
- DESIGNER Akiem Helmling, Bas Jacobs, Sami Kortemäki, Gründer der Foundry Underware in Den Haag, Amsterdam und Helsinki
- TOOLS Spraydose, Schere, Papier, Glyphs, Vektorgrafiktool Inkscape, Python-Library fonttools, Python, RoboFont, regl für WebGL, JavaScript
- ZEITRAUM Mai 2020 bis Ende 2021
Low-Level- und High-Level-Achsen
Die Variable Fonts der Plakato haben zwei Arten von Achsen, eine Idee, die im Prozess der Schriftentwicklung entstand. Während man mit den Low-Level-Achsen wie bei anderen variablen Schriften zum Beispiel die Größe verändern kann, lassen sich mit High-Level-Achsen bestimmte Dynamiken erzeugen. Wie viele verschiedene Möglichkeiten aus der Kombination der Basis-Variable-Fonts und der High-Level-Achsen entstehen können, zeigt das »Plakato Play Compendium« mit 26 programmierten Anwendungen.
»In die Anwendung ›Plakato Flash‹ zum Beispiel haben wir 107 verschiedene Low-Level-Weight-Achsen eingebaut, die die Buchstaben dicker oder dünner machen«, erklärt Akiem Helmling. »Sie zu steuern ist für den User natürlich sehr umständlich, darum haben wir die zwei High-Level-Achsen Length und Position entwickelt. Mit ihnen lässt sich einstellen, wie lang die dickste Stelle sein und wo sie sich befinden soll. Diese zwei High-Level-Achsen steuern dann automatisch die 107 Low-Level-Achsen an.« Wer die Schrift lizenziert hat, kann die 26 Plakato-Play-Animationen direkt in eine Website einbauen – oder auch selbst kreativ werden. So hat etwa der US-amerikanische Designer und Developer Rob Stenson ein Tool programmiert, mit dem er die Variable Fonts der Plakato in Bewegung brachte. Das Ergebnis zeigte er auf Twitter, den Code veröffentlicht er auf GitHub.
Farbe erobert OpenType
Als Ende 2021 die Betaversion des neuen Color-Font-Formats COLRv1 herauskam und Google ankündigte, es mit Chrome zu unterstützen, war für Underware klar, dass es auch eine Farbversion der Plakato geben würde. Anders als bei speicherintensiven OpenType-SVG-Fonts, bei denen Nutzer:innen die festgelegte Farbe nicht verändern können, ermöglicht das in OpenType 1.9 eingebaute COLRv1 Farbverläufe, Compositing und Blending – und das bei gestochen scharfen Schriften und kleinen Dateigrößen. OpenType-COLRv1-Fonts beinhalten zwei Arten von zusätzlichen Informationen: eine Farblogik, die mit der COLR-Tabelle definiert, wo und wie eine Glyphe koloriert wird, sowie die Tabelle mit der Farbpalette.
»Bei COLRv1 geht es aber gar nicht nur um Farben, sondern darum, dass man als Schriftgestalter jetzt bestimmen kann, was in den Buchstaben passiert«, so Akiem Helmling. »Wir können zum Beispiel ein O gestalten und sagen: Die obere Hälfte ist durchsichtig, die untere nicht. Und natürlich kann man diese Information auch für eine Darstellung von Farben nutzen.« Der Wermutstropfen: Bislang unterstützt nur Chrome 98 das neue Format, Apple zögert noch, aufgrund von Sicherheitsbedenken. Akiem Helmling denkt aber, dass sich COLRv1 in absehbarer Zeit durchsetzen wird. »Die Möglichkeit, Schriften zu gestalten, in denen man nicht nur Flächen definieren kann, sondern auch, was in diesen Flächen passiert, zum Beispiel Übergänge zu schaffen, bietet so viele neue Anwendungsmöglichkeiten, die wir uns noch gar nicht alle vorstellen können. Für Emojis natürlich, aber auch für normale Buchstaben.«
Plakato Color: Spielen erwünscht
Plakato Color umfasst 24 vorgefertigte statische Stile, mit denen sich Hingucker-Headlines für Print und Web gestalten lassen. Mit der Variante Plakato Color Grade können Anwender:innen ihre eigenen Farben und Stile definieren. »Um in den radialen Verläufen möglichst viel Abwechslung zu bieten, haben wir tatsächlich 1360 Farben definiert«, sagt Akiem Helmling. Anders als im SVG-Format kann man in COLRv1 die Farben verändern. Allerdings bleiben hinsichtlich der Umsetzung noch einige offene Fragen, denn bislang gibt es noch keinen Fonteditor, in den diese Technologie integriert ist. Für Plakato Color schrieb Underware deshalb ein Python-Script, das die Verläufe in den Buchstaben errechnet und die COLR-Tabelle erstellt. Und auch für die Steuerung der Farbpalette gibt es momentan noch keine Standardlösung.
Bei Plakato Color Grade löste Underware das Problem, in dem die drei ein kleines Programm zum Selbermixen entwickelten. Per Schiebereglern kann man auf ihrer Website in Chrome 98 die Farbintensität von Rot, Grün und Blau verändern, aber auch den Hintergrund anpassen oder der Schrift einen etwas anderen Stil geben. Die Typedesigner konzipierten das im Kopf, schrieben dann den Code und sahen das Ergebnis erst, als die Schrift generiert und zusammen mit dem Tool in die Website integriert war. Für die drei ein Aha-Moment: »Uns wurde klar, dass wir bislang immer noch zu viel in den Möglichkeiten gedacht haben, die Programme uns anbieten, anstatt uns zu fragen, was wir wollen, und dann zu versuchen, das umzusetzen.« Mit ihren 1360 Farben hat Plakato Color Grade als WOFF2-Font im Übrigen eine Größe von rund 16 Kilobyte – ein überzeugendes Argument für COLRv1.
Hat man genug mit den Slidern gespielt und so eine individuelle Version der Plakato Color Grade erstellt, dann lässt sie sich wie jeder andere Webfont einbetten. Da dies momentan aber nur in Chrome funktioniert, bietet Underware ebenfalls an, die gewünschte Version als SVG-Font umzubauen. Der ist dann zwar groß und nicht mehr dynamisch, lässt sich dafür aber in anderen Browsern und Adobe-Programmen verwenden.
Farbe trifft Dynamik
Nun wäre Underware nicht Underware, wenn sich die drei an dieser Stelle entspannt zurücklehnen und schauen würden, was die Leute mit ihrer Plakato anstellen. »Im Moment probieren wir aus, wie sich die Farbinformationen von COLRv1 für Animationen verwenden lassen«, sagt Akiem Helmling. Wie das aussehen könnte, zeigen die Experimente auf Seite 66, die sie bislang noch nicht veröffentlicht haben. Zusätzliche Schieberegler legen Auflösung, Höhe, Breite, Opazität oder den Maßstab von Elementen fest. Buchstaben können beispielsweise aus einem Raster von Dreiecken bestehen. Zieht man an den aus dem Plakato-Color-Grade-Tool bekannten Slidern, verändert sich die Visualisierung, die Dreiecke bewegen sich in die Richtung, in der auch die Farbverläufe der Plakato Color definiert sind. Für die Übersetzung der Farbe in Dynamik renderten die Typedesigner die Schrift in einer WebGL-Umgebung. Diese Schnittstelle programmierten sie mit dem Tool regl, das die WebGL-Programmierung vereinfacht.
»Das Ganze ist ein Baukasten, der die Farbschrift als Input nutzt«, erklärt der Gestalter Akiem Helmling. »Wenn man ihn einmal erstellt hat, kann man aus den Dreiecken problemlos Vierecke, Pfeile oder sonst etwas machen.« Und hat damit wieder ein Füllhorn an Möglichkeiten, fließend von lesbar bis unlesbar zu gestalten. Einige der Visualisierungen erinnern tatsächlich eher an Kunstwerke als an Typografie. »Wir würden uns freuen, wenn unser Baukasten so flexibel ist, dass wir erkennen, dass ihn jemand benutzt hat, aber das Resultat uns überrascht«, so Helmling.
Rund fünf Jahre nach Einführung der Variable Fonts sieht man sie in animierter Form immer noch sehr selten. »Vielleicht weil es uns Schriftgestaltern noch nicht gelungen ist, das tatsächliche Potenzial dynamischer Schriften mit relevanten Anwendungen zu zeigen«, meint Akiem Helmling und gibt zu bedenken, dass es von den Anfängen des Internets letztendlich mehr als 30 Jahre gedauert habe, bis man die Möglichkeiten erkannt, und sie dann in Anwendungen wie Social Media umgesetzt habe. Ob es mit dynamischen Schriften ähnlich lange dauern wird? Mit der Plakato haben Akiem Helmling, Bas Jacobs und Sami Kortemäki jedenfalls schon mal ein großartiges Werkzeug für eine neue Typografie bereitgestellt, jetzt ist es die Aufgabe der Kreativen, es auch anzuwenden.
Auf der Underware-Website kann man für rund 140 Euro (Einzelschnitt etwa 40 Euro) die 16 statischen Plakato-Schnitte lizenzieren. Für alle anderen Varianten bitten die drei Typedesigner, mit ihnen Kontakt aufzunehmen
Dieser Artikel ist in PAGE 05.2022 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.