
Making-of: Genderneutraler Variable Font
Schriften haben kein Geschlecht. Um das zu untermauern und mit herrschenden Stereotypen aufzuräumen, gestaltete Beatrice Caciotti den Variable Font Bumpy.
Bei ihren Forschungen stieß die 31-Jährige auf Texte von Marketingexperten, die referierten, wie gut sich solch eingefahrene Muster für den Verkauf von Produkten eigneten, aber auch auf kritische Stimmen wie die der US-Typedesignerin Victoria Rushton, die sagt: »Stereotypes are a poor choice for describing letters. At best they’re vague and careless, and at worst they’re perpetuating harmful, false ideas about how different genders have innately different capabilities«. Aus ihren Recherchen schloss Beatrice Caciotti, dass die Verwendung von Geschlechterattributen in typografischen Kontexten nicht auf der Linienführung der Lettern, sondern auf kulturellen Aspekten beruht.
Genderneutrale Typen
Beatrice Caciotti ist nicht die erste Designerin, die sich mit diesen Fragen beschäftigt. Die Plattformen Alphabettes und Femme Type greifen sie immer wieder mal auf, und die in London lebende Typedesignerin Marie Boulanger widmete ihnen 2019 ebenfalls ihre Masterarbeit, ein Buch mit dem Titel »XX, XY: Sex, Letters and Stereotypes«, in dem sie Interviews mit sechs Designer:innen führte.

Sarah Gephart, Partnerin bei mgmt.design in New York, entwickelte eine genderneutrale Glyphe, die inzwischen als Ligatur in dem Google Font Source Sans 3 enthalten ist. Ihre Idee war es, die Glyphe so in iOS zu integrieren, dass beim Tippen von »he« oder »she« automatisch das neue Zeichen auftaucht. Das Stockholmer Sakaria Studio gestaltete die Queertype-T-Shirts, die Stereotype umkehren, indem sie Sätze wie »I wear flowers« in einer fetten Serifenlosen setzen und »Trouble is my middle name« in einem schnörkeligen Scriptfont.
Nicht zuletzt Kris Sowersby, Gründer der neuseeländischen Foundry KlimType, setzte sich mit Gender-Zuschreibungen auseinander und stellt sie mit seiner kürzlich erschienenen Schrift Epicene infrage ( https://is.gd/klim_epicene ). Epicene Text und Epicene Display sind Barock-Antiqua-Typen, inspiriert von zwei berühmten Schriftschneidern des 18. Jahrhunderts: J. F. Rosart und J. M. Fleischmann. Epicene sei aber kein Revival, betont Sowersby: »It is an experiment in modernising Baroque letterforms without muzzling their ornamental idiosyncrasy nor falling into the trap of gender codifications. It’s a firm statement that fonts have no gender.« Und so ist seine Epicene sowohl streng als auch ornamental, und auch der Name ist passend gewählt, bedeutet das englische epicene doch »geschlechtslos« oder »androgyn«.
PROJEKT Gestaltung des Variable Fonts Bumpy
DESIGNERIN Beatrice Caciotti, Rom
TOOLS Papier, Bleistift und Kuli, Glyphs 3.0
ZEITRAUM Anfang 2019 bis Herbst 2021
Zwei gegensätzliche Master
Beatrice Caciotti wollte ihren Font möglichst neutral halten und größtmögliche Distanz zu geschlechtsspezifischen Vorurteilen herstellen. Es genügte ihr nicht, diese einfach umzudrehen, wie es etwa Sakaria Studio mit den Queertype-T-Shirts gemacht hat: »Eine Schrift zu entwerfen, die die typischen Assoziationen nur umkehrt, bedeutet ja, die verquere Perspektive des Stereotyps selbst einzunehmen: Wenn du nicht pink bist, bist du blau oder umgekehrt. Aber was, wenn ich mich lila fühle?«
Zunächst einmal begann sie mit der Gestaltung sehr komprimierter Buchstaben. »Für ein Individuum ist es unmöglich, sich herrschenden Stereotypen völlig zu entziehen«, erklärt Beatrice Caciotti. »Geht man von einer gewissen Parallelität zwischen Typografie und Gesellschaft aus, wird der Buchstabe zu einer Metapher für den Einzelnen innerhalb eines komplexen Systems.« Die komprimierte Schrift visualisiert die gesellschaftlichen Einschränkungen, man spürt förmlich den äußeren Druck, die Zwänge und Erwartungen, denen die einzelne Person ausgesetzt ist. Aber: Jeder kann sich entscheiden, ob er oder sie sich diesen Einflüssen und Zwängen anpasst oder einen eigenen Weg geht.

Ein variabler Font schien der Typedesignerin das beste Mittel zu sein, um dies zu visualisieren. Caciotti zeichnete zwei sehr gegensätzliche Master: einen mit angepasstem, geometrischem Charakter und einen mit unerwarteten, fließenden Buchstabenformen. Die beiden Master haben die gleiche Anzahl an Punkten und Kurven, Bedingung für eine funktionierende Interpolation. Dem kantigen, der Norm entsprechenden Master gab sie den Wert 700 und den Namen Rigid. Der Gegenpart heißt Fluid, er hat einen Wert von 300. Aus der Interpolation dieser beiden Extreme entstehen eine Reihe von Variablen, Bumpy 310 zum Beispiel ist etwas starrer als Bumpy 300, und Bumpy 500 liegt auf halbem Weg zwischen den beiden Extremen. »Hier hält sich der Font an das äußere Raster und beinhaltet dabei trotzdem ein paar unkonventionelle Elemente«, meint Beatrice Caciotti. Nutzer:innen können so selbst und bewusst über die Form der Schrift bestimmen, anstatt vorgegebene Stereotype zu verwenden.
Regelmäßig unregelmäßig
Den Namen für ihre Schrift wählte Beatrice Caciotti, weil dieser geschlechtslos ist und etwas bezeichnet, was nicht bis ins Letzte ausformuliert ist, etwas, das seine Form abhängig von der jeweiligen Perspektive verändern kann. »Außerdem hat bumpy einen gesellschaftlichen Kontext. Denn um unregelmäßig zu sein, muss es etwas oder jemanden geben, der entscheidet, was regelmäßig ist.«

Bumpy ist ein klares gesellschaftliches Statement und dazu auch einfach ein schöner Displayfont, mit dem man wunderbar Plakate, Editorial Designs, Websites oder Packagings gestalten kann. Es gibt ihn in den drei Schnitten Fluid, Mid und Rigid für rund 50 Euro pro Schnitt bei Type Department. Die ganze Familie kostet ungefähr 120 Euro, dazu gibt es den Variable Font.
Eine Frage musste ich Beatrice Caciotti dann aber doch noch stellen: Ist es schon vorgekommen, dass Leute den Schnitt Rigid als männlich und Fluid als weiblich bezeichneten, obwohl sie genau das verhindern wollte? »Zum Glück nicht«, sagt sie. »Ich habe aber auch wirklich sehr viele Worte darauf verwendet, die Idee des Projekts deutlich zu machen.« Mich hat sie überzeugt.
Gerade erst tappte Antje Dohmann in die Genderfalle: Für ein neugeborenes Mädchen kaufte sie eine rosa Glückwunschkarte mit Schnörkelschrift. Das passiert ihr nach dieser Recherche so schnell nicht mehr.
Dieser Artikel ist in PAGE 03.2022 erschienen. Den kompletten Artikel können Sie hier runterladen.