Fincker Font Cuisine: Buchstaben statt Schweinehälften
Eine richtige Typefoundry mit Onlineshop und allem drum und dran. Diesen Wunsch erfüllte sich jetzt der Artdirektor und Typedesigner Julien Fincker aus Stuttgart.
»Anstatt Schweinehälften serviert meine Silhouette Buchstaben – das finde ich appetitlicher.«
Julien Fincker, Artdirektor, Typedesigner und Gründer von Fincker Font Cuisine
Du hast ja schon eine ganze Menge Schriften gestaltet, die du bislang über MyFonts verkauft hast. Warum jetzt der Wunsch nach einer eigenen Foundry?
Der Wunsch war von Anfang an da, seit ich Anfang 2019 meine erste Schrift Bourget entworfen habe. Aber ich wollte erst Erfahrung sammeln und auch das Lizenzieren von Schriften etwas besser verstehen. Jetzt, fast sechs Jahre später, war die Zeit reif. Außerdem ist der Schriftenmarkt sehr volatil und ich wollte etwas mehr Unabhängigkeit von den Retailplattformen gewinnen, um mehr selbst steuern zu können.
Für eine neue Foundry braucht es ja nicht nur Schriften, sondern auch ein Branding. Wie bist du auf deine Familiengeschichte gestoßen?
Die Metzgerei meines Urgroßvaters und Urgroßonkels gibt es schon lange nicht mehr, mein Großvater hat sie irgendwann verkauft. Aber seit meiner Kindheit waren diese Silhouetten und Drucksachen immer präsent und im familiären Umlauf. Ihr verspielter Stil hat mich seit jeher fasziniert.
Nachdem ich mir schon eine Weile den Kopf über eine eigene Foundry und den Namen zerbrochen hatte, kam ich irgendwann auf den Metzgerei Bezug zurück und fand hier einen Ansatz, mit dem ich mich wirklich identifizieren konnte. Also habe ich das Branding und die Silhouette für meine Zwecke adaptiert und weiterentwickelt. Anstatt Schweinehälften serviert meine Silhouette jedoch Buchstaben – das finde ich doch etwas appetitlicher. Zum Glück werden die Fleischerbrüder nie erfahren, dass einer ihrer Nachkommen beschlossen hat, keine Tiere mehr zu essen.
Hat dich das alte Branding auch deswegen fasziniert, weil es mit Jean-Jacques Waltz von einem Profi gestaltet wurde? Das war für Metzgereien in den 1920er Jahren ja eher ungewöhnlich.
Das mag sein. Es war wirklich professionell gemacht. Die Silhouette wurde in ganz verschiedenen Ausführungen gespielt und kam auf sämtlichen Druckmaterialien wie Anzeigen, Rechnungen oder Etiketten vor. Außerdem ist sie sehr prominent auf einem Schild verewigt, das heute noch am damaligen Geschäftshaus hängt und tatsächlich mittlerweile eine Touristenattraktion in Colmar ist.
Und der Name deiner Foundry, Fincker Font Cuisine, spielt auch aufs Essen an.
Er nimmt den Bezug zur Küche auf, beinhaltet die damaligen Initialen der Metzgerei »Fincker Frères Colmar« und spiegelt auch die Parallelen zwischen dem Kochen und dem Schriftgestalten wieder – es sind immer die Details im Zubereitungsprozess, die den Unterschied ausmachen.
Du bietest die bereits erschienen acht Schriften und die neue Familie Nestor an, die ja auch einen Bezug zum Metzgerei-Branding hat. Welcher ist das?
Charakteristisch für die Nestor sind schmale Buchstaben mit abgerundeten Ecken. Solche Schriften habe ich auf verschiedenen Drucksachen der Metzgerei, wie zum Beispiel einer Rechnung gefunden. Zu sehr ins Detail habe ich mich allerdings nicht begeben. Ich wollte eher die Grundidee, die Anmutung übernehmen und in den Details dann einfach selber schauen, wohin die Reise geht um eben nicht einfach zu kopieren, sondern auch meine Handschrift mit einzubringen.
Das Ergebnis ist eine softe Serifenlose, die durch ihre geschlossenen Formen aber auch sehr selbstbewusst, kompakt und klar wirkt. Sie hat sechs Strichstärken und passende Obliques, also schräg gestellte Varianten. Warum hast du keine echten Kursiven gezeichnet?
Wenn ich ehrlich seien soll – aus Faulheit. Der Prozess eine Schrift zu zeichnen dauert schon sehr lange, insbesondere neben dem eigentlichen Job und der Familie. Bei echten Kursiven fängt man fast wieder von vorne an. Diesen Kraftakt habe ich nicht mehr hinbekommen. Auch, da ich im Austausch mit vielen Designern herausgehört habe, dass das Interesse an Kursiven leider sehr gering ist. Mit etwas mehr Zeit und dem richtigen Konzept würde ich künftig aber auch gerne richtige Kursive machen.
In welcher Anwendung würdest du Nestor gerne mal sehen?
Auf einem Food-Packaging wäre es schön oder auch auf Sporttrikots. Das wäre mal eine spannende Anwendung.
Planst du regelmäßige Neuerscheinungen, oder kommt das wie es kommt und die Zeit zulässt?
Mein Plan ist, zwei Schriften pro Jahr zu veröffentlichen. Sklavisch daran halten will ich mich aber nicht, es hängt ja auch davon ab, was sonst so zu tun ist.
Das heißt Fincker Font Cuisine bleibt erstmal ein Nebengeschäft?
Im Moment ist es mein Nebengeschäft, neben meiner Anstellung als Artdirektor bei campra, einer Agentur für Unternehmenskommunikation. Das ist eine recht komfortable Situation, um mit der Foundry starten zu können. Natürlich wäre es schön, die Schriften irgendwann zum Hauptbusiness zu machen. Im Moment wäre das aber nicht möglich.
Hinsichtlich der Lizenzierung hast du dich an dem übersichtlichen System von Moritz Kleinsorges Foundry Identity Letters orientiert. Was ist der größte Unterschied zu anderen Modellen?
Es gibt bei mir nur zwei Varianten: die Standardlizenz, die die Nutzung von Desktop- und Webfonts umfasst und die erweiterte Lizenz, die zusätzlich die Nutzung von Ebooks, (mobilen) Apps und Broadcasting erlaubt.
Was bedeutet »User specific« bei der Desktop Lizenz?
Viele Modelle berechnen die Lizenzen nach der Anzahl von Desktops beziehungsweise Arbeitsplätzen. Das heißt, eine Person kann die Schrift vielleicht auf nur zwei Devices nutzen. Mein Lizenzmodell bezieht sich auf die Personenanzahl nicht auf die der Devices. Will also jemand aus irgendwelchen Gründen fünf Laptops gleichzeitig nutzen, kann er das mit nur einer Lizenz tun.
Hast du vor, auch Schriften von anderen Typedesignern zu veröffentlichen?
Irgendwann vielleicht ja. Im Moment aber konzentriere ich mich erstmal auf meinen eigenen Output und versuche die Foundry zum Laufen zu bringen. Ich will ja nicht nur Schriften anbieten, sondern auch Services wie Schrifterweiterungen und Custom Fonts. Wenn mal alles soweit läuft, bin ich auch offen für Zusammenarbeit. Allerdings müsste das auch persönlich sehr gut passen.
Was machst du, wenn du mal keine Buchstaben zeichnest?
Vor allem Zeit mit den Kindern verbringen. Ich bewege mich gerne draussen, mache etwas Sport, spiele in Gesellschaft gerne Pétanque – da kommt der Franzose durch – und versuche mich ein bisschen am Gemüse anbauen. Bislang eher mit mäßigem Erfolg.