So sieht die Cloud wirklich aus
Katharina Neubauer hat sich an die abgelegenen Datenspeichergebäude der Internetriesen in Europa herangewagt.
Was gar nicht so einfach ist, denn im Fall von Google und Facebook befinden sich diese Hochsicherheits-Datenspeicher durchweg irgendwo im Nirgendwo des nördlichen Europas – auf einer abgelegenen finnischen Landzunge an der Ostsee, in einem verlassenen Steinkohleabbaugebiet in Belgien et cetera. Alle Datenspeichergebäude der beiden Firmen in Europa hat Katharina J. Neubauer aufgesucht, die Bauten und ihre Umgebung fotografiert und detailliertest beschrieben. Soweit ihr dies von außen möglich war, denn Besucher sind unerwünscht.
Die scheinbar trockene Materie bringt Überraschendes und Skurriles ans Licht, wirft aber auch jede Menge Fragen auf. Vor allem interessiert Neubauer der Widerspruch, den sie im Untertitel des Buchs anspricht: das »Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Relevanz und räumlicher Präsenzlosigkeit«.
Der Kontrast zu den sich doch so bunt und offen gebenden Headquartern der Datenriesen ist wirklich erstaunlich. Sind die abweisenden Datensilos Ausdruck ihrer Unlust, sich in die Karten schauen zu lassen – wie sie es etwa im Umgang mit Algorithmen tun? Oder können wir froh sein, dass unsere Daten so gut untergebracht sind? Neubauer beleuchtet diese Fragen von vielen Seiten und stellt zum Vergleich auch ganz anders geartete, nahbarere Beispiele vor. Zum Beispiel Bahnhof Pionen, ein von diversen Firmen genutzer Datenspeicher in einem ehemaligen Atomschutzbunker mitten im Stockholmer Hipster-Stadteil Södermalm.
Insgesamt hat das Thema eine deutliche größere Bedeutung als es die äußere Unscheinbarkeit der Datenspeicher ahnen lassen möchte … Allein in Deutschland soll die gesamte Serverfläche schon 2020 rund 2,5 Millionen Quadratmeter betragen haben. Tendenz stark steigend.
Katharina J. Neubauer:
Datenspeichergebäude. Im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Bedeutung und räumlicher Präsenzlosigkeit.
Jovis Verlag, Hamburg 2022
432 Seiten
38 Euro
978-3-86859-737-0
Leseprobe: Wo die Cloud sichtbar wird
Ihre Beobachtungen am Google Data Center bei Eemshaven schildert Neubauer in ihrem Buch so …
»Der Standort des Datenspeichergebäudes befindet sich am nordöstlichsten Punkt der Niederlande, dort, wo die Ems in die Nordsee mündet und zugleich die Grenze zu Deutschland markiert. Groningen, ca. 30 Kilometer weiter südlich, ist die nächste größere Stadt. Das Grundstück befindet sich südöstlich im erweiterten Hafenbereich von Eemshaven. Bei Eemshaven handelt es sich um eine große künstlich angelegte Hafenanlage, die fast ausschließlich als Güter- und Umschlaghafen dient. Einen Sporthafen gibt es nicht, der einzige Grund, warum Menschen hierherkommen, sind Fährverbindungen oder an den Hafen angegliederte Arbeitsstätten. Vor der Küste liegt das Wattenmeer mit kleinen vorgelagerten Inseln wie Borkum. Das Festland ist ein eingedeichter Bereich, wie er häufig in den Niederlanden zur Landgewinnung vorzufinden ist. Wegen des Deiches ist auch kein direkter Weitblick auf das Meer möglich. Die gesamte Gegend ist geprägt von extrem großen industriellen Anlagen, es gibt mehrere Kraftwerke mit enormen Dimensionen. Schon von weitem sichtbar sind die vielen Windräder, die, soweit das Auge reicht, über diese Gegend verteilt stehen, bis hin zu großen Offshore Windanlagen.
Die Landschaft ist extrem flach und durchzogen von einigen kleinen und zerstreut liegenden Landhöfen, zwischen denen sich große landwirtschaftlich genutzte Ackerflächen erstrecken. Natürliche Bereiche existieren nicht mehr, alles, auch die Landschaft, ist hier vom Menschen gestaltet, obwohl der Mensch selbst in dieser Gegend kaum auftaucht. … Eine physische Annäherung an die Gebäude ist kaum möglich, sie lassen sich nur aus einer gewissen Entfernung betrachten. Das Gelände benötigt im Grunde noch nicht einmal Zäune als Grenze, auf drei Seiten übernehmen räumliche Barrieren die Abgrenzung.«
Auch bei St.-Ghislain in Belgien hat Katharina J. Neubauer über die Zäune einer Google-Serverfarm gespäht. Viel ist von außen nicht zu sehen, da rund um das Gebäude »ein etwa drei Meter hoher Erdwall aufgeschüttet ist«, wie sie berichtet.
Das etwa 20 Kilometer von Dublin entfernt liegende Google Data Center ist ein Ausnahmefall: Eines der Gebäude ist großflächig bemalt.