Dieser Beitrag wurde zuerst in PAGE 04.2013 veröffentlicht.
Autorin: Wiebke Lang
1 Corporate Publishing
2 Stan Hema: Konzeption aus der Marke heraus
3 hw.design: Unternehmensstrategien frei interpretieren
4 Rethink: Den Fokus der Marken öffnen
5 Hoffmann und Campe: Geschichten rund um die Marke inszenieren
6 Interview zu den Herausforderungen bei der Umsetzung digitaler Mitarbeitermagazine
Noch nie gab es so viele Einreichungen zu Corporate-Publishing-Wettbewerben wie 2012. Geschäftsberichte, Mitarbeiter- und Kundenmagazine in Print und Online haben ein hohes Niveau erreicht. Das mag daran liegen, dass Marken ihre Werte heute als nahbare Geschichtenerzähler transportieren und Gestaltung dabei eine wesentliche Rolle spielt. Ebenso wichtig sind eine emanzipierte Leserschaft, die Qualität verlangt, und Medienmacher, die im Zeitungssterben neue Geschäftsmodelle wittern.
Dennoch sind Qualitätsprodukte im Corporate Publishing noch lange nicht selbstverständlich. »Die Kulturstiftung der Länder konnte für ihr Mitgliedermagazin ›Arsprototo‹ deshalb renommierte Feuilletonjournalisten als Autoren gewinnen, weil diese vom neuen Design des Hefts begeistert waren«, berichtet Stefanie Kurz, eine der Partnerinnen von Stan Hema. Es gibt also immer noch Reibungsflächen zwischen glattgebügelten Markenpublikationen und unabhängigem Journalismus, und auch im Corporate Publishing streiten Text und Bild nach wie vor um Raum und Gewicht. Eher weniger gern reden Agenturen darüber, dass vielen Marketingverantwortlichen das Verständnis für den erheblichen Aufwand fehlt, den eine fundierte Redaktion und immer wieder überraschende Layoutinszenierungen verlangen.
Transparenz lautet eine der Forderungen, die Mitarbeiter, Investoren, Geschäftpartner und Kunden an die Unternehmenskommunikation stellen. Dazu gehört auch Klarheit über Geschäftsmodelle und Risiken, Berichte über Produktionsprozesse und -bedingungen. Doch noch denken viele Firmen in den Grenzen einer eng definierten CI. Das demonstrierte kürzlich eine Marke für Fertiggebäck, die mit einem Webmagazin jüngere Zielgruppen erobern wollte. Als die Agentur eine Reportage über die junge Berliner Konditorenszene plante, überlegte der Kunde kurz, das Porträt eines Konditormeisters zu streichen – mit der Begründung, das Tattoo auf seinem Arm entspreche nicht dem Markenverständnis. So vielfältig wie die Auffassungen von Corporate Publishing in Unternehmen, Agenturen und Redaktionen, so vielfältig sind auch die Ansätze und Produktionsprozesse. Fünf davon stellen wir Ihnen hier vor.
Das Berliner Designbüro Stan Hema entwickelt Corporate Media aus der Marke heraus und setzt sie gemeinsam mit den Redaktionen der Auftraggeber um. Im Zusammenhang einer Markenüberarbeitung für die Kulturstiftung der Länder hinterfragte die Agentur die Funktion aller vorhandenen Kommunikationsmedien. Es gab »Arsprototo« für Interessenten, Sponsoren und den Freundeskreis sowie einen regelmäßigen Ankauf-Report – die Stan Hema kurzerhand zusammenlegte, sodass die Pflichtberichte über Sponsoring und Ankäufe Teil eines lesenswerten Kulturjournalismus wurden. Und weil hier der Fokus auf den neu erworbenen Kunstwerken liegt, entstand ein opulentes Magazin, in dem kurze Texte um die großzügigen Bilder herum inszeniert werden.
Tipp: Lassen Sie schlechtes Bildmaterial weg, oder inszenieren Sie es konsequent großzügig, aber bilden Sie minderwertige Bilder niemals klein ab. Stephanie Kurz, Partnerin bei Stan Hema, Berlin
Für das Kundenmagazin der GLS Bank entwickelte Stan Hema für jeden Artikel rund um die Gesellschafts- und Finanzthemen der sozial-ökologischen Genossenschaftsbank visuelle Konzepte, zu denen diese das Bildmaterial liefert. »Die Bildqualität ist bei fast jeder Produktion eine Herausforderung«, sagt Stephanie Kurz. »Schlechte Vorlagen kann man weglassen oder großzügig inszenieren – aber niemals klein abbilden.« Zurzeit legt Stan Hema in Zusammenarbeit mit einem Fotografen einen Bilderpool an, aus dem die Bank ihre Medien dann zukünftig flexibel bestücken kann.
Ganz anders verlief der Relaunchprozess bei der »Politischen Meinung«, publiziert von der Konrad-Adenauer-Stiftung. »Als reines Textheft aus hochkarätigen, oft wissenschaftlichen Texten stellt das Periodikum ein wichtiges Produkt der Stiftung dar, das von vorne bis hinten gelesen wird«, erläutert Stephanie Kurz. Mit Respekt für die Inhalte gaben die Gestalter den Artikeln in großen Textblöcken viel Raum und mit typografischen Details, Farbe und Schriftrhythmus neuen Schwung. »Wir legen viel Wert auf Mikrotypografie«, sagt die Designerin. »Zu Beginn eines Magazinprojekts erstellen wir ein typografisches Konzept für alle Rubriken und Artikelformen. Es muss langfristig funktionieren, flexibel und abwechslungsreich sein und für optimale Lesbarkeit sorgen.« Darüber hinaus bringt sich die Agentur inhaltlich ein: Sie ermunterte die Stiftungsredaktion, die Artikelreihenfolge mit einem Wechsel von akademischen und unterhaltenden Beiträgen leserfreundlicher zu gestalten. »Die meisten Kunden sind froh darüber, in uns einen inhaltlichen Ansprechpartner zu finden.«
Neu in dem bislang reinen Textheft sind die Bildstrecken, die das Schwerpunktthema eigenständig und unabhängig vom Text interpretieren. »Es ist sinnvoll, bei der Magazinentwicklung Fotografen mit ihrer spezifischen visuellen Perspektive zurate zu ziehen«, so Stephanie Kurz. Für die erste Ausgabe nach dem Relaunch zum Thema »Jugend« fragte Stan Hema verschiedene Fotografen nach bereits vorhandenen Porträts von Jugendlichen, um diese – mit Rücksicht auf das geringe Budget – günstig zweitverwerten zu können. So entstand eine Bildstrecke, die allein durch Nahaufnahmen von trotzigen Mienen und verschüchterten Gesten von völlig unterschiedlichen Charakteren erzählt. Das großzügig und konsequent gestaltete Magazin schafft ein modernes, selbstbewusstes Bild der CDU-nahen Stiftung.
Wie eng Konzeption, Redaktion und Gestaltung miteinander verschränkt sind, demonstrieren Branchennews aus München: Hw.design, spezialisiert auf die Gestaltung von hochwertigen Unternehmenspublikationen, baut die interne Redaktion für Projekte im Corporate-Publishing weiter aus. »Wir arbeiten seit Langem mit freien Textern. Indem wir jetzt allerdings bei bestimmten Projekten mit einem festen Autorenstamm enger kooperieren, können wir Prozesse schneller steuern, was die Qualität positiv beeinflusst«, erklärt Angelika Schröger, Redaktionsleiterin bei hw.design. Ein Beispiel: Den Pitch um den Geschäftsbericht für Linde gewann die Agentur, weil sie erkannt hatte, wohin sich der Konzern in Zukunft entwickeln möchte. Das Konzept hatte die Unternehmensstrategie bereits mitgedacht, die sich in dynamischen, pointierten Texten widerspiegeln sollte.
Tipp: Brechen Sie Regeln – selbst konservativ wirkende Kunden sind häufiger offener als vermutet. Angelika Schröger, Redaktionsleiterin bei hw.design, München
»Es ist nicht einfach, gute Autoren mit Gefühl für die richtige Tonalität zu finden«, meint Angelika Schröger. Viele ließen sich zusätzlich nicht gern über die Schulter schauen. Dies sei jedoch nötig, um die feinstofflichen Aspekte der Kommunikation in der Entwicklung von Text und Bild herausarbeiten zu können. »Dazu gehört, als Autor Textteile, beispielsweise ein Zitat oder eine Bildunterschrift, auch als visuelles Stilelement zu verstehen«, berichtet die Redakteurin. »Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Leser es goutiert, wenn ihm bestimmte Textteile schnell erfassbar oder beispielsweise in Form überraschender ›Pseudografiken‹ serviert werden.«
Journalisten haben oft die Befürchtung, die Arbeit für Firmenmedien könnte sie korrumpieren. »Dabei erlebe ich ohnehin immer seltener, dass Journalisten Aussagen kritisch hinterfragen und durch Zweitmeinungen verifizieren«, sagt Angelika Schröger. Anders als die krisengebeutelten Zeitungshäuser biete das Corporate Publishing gute Bedingungen für hochwertigen Journalismus, der über Markenwerbung hinausgehe. »Ein Kunde aus der Pharmabranche zum Beispiel veröffentlichte eine Reportage über Krankheiten, gegen die er Arzneien entwickelt hat«, erzählt sie. »Wir haben sie nicht mit freundlichen Werbeaufnahmen, sondern mit dokumentarischen, berührenden Patientenporträts illustriert.« Es lohne sich, in Überzeugungsarbeit zu investieren, auch schwierige Aspekte eines Unternehmens, Brüche und Herausforderungen zu kommunizieren – denn Vertrauen entsteht durch Offenheit. Schröger konstatiert: »Als Agentur fungieren wir für unsere Kunden auch als eine Art Trainer.«
»Wahre Geschichten über reale Menschen haben beim Leser den größten Erfolg. Das belegen Studien«, sagt Markus Albers, Journalist und Mitgründer der Berliner Agentur Rethink (siehe PAGE 01.13, Seite 26). »Die Herausforderung beim Storytelling im Corporate Publishing ist, den Fokus der Marken thematisch zu öffnen und in einen größeren gesellschaftlichen Kontext zu setzen.« Zum gegenwärtigen Zeitpunkt berät Rethink die Abteilung für Design der Telekom bei der Entwicklung hochwertiger digitaler Contentformate, um sie beim Recruiting von Gestaltertalenten zu unterstützen.
Dazu recherchierte das Rethink-Team zunächst auf den wichtigsten Designplattformen, über Social Media und mittels Umfragen unter Kreativen nach brennenden Branchenthemen: Zum Beispiel die Diskussion um Skeuomorphismus – unter Gestaltern eine Art Glaubensfrage, ob sich die Formgebung digitaler Produkte in Form von visuellen Metaphern auf bereits existierende Gegenstände beziehen sollte oder nicht. »Es geht immer darum, gelesen, also zunächst einmal gefunden zu werden. Wir glauben an Suchmaschinenoptimierung mithilfe relevanter Inhalte und starker Thesen, die die Lebenswelten der Zielgruppen berühren. Nur so werden sie von den Lesern über die verschiedenen Kanäle verbreitet«, sagt Albers.
Tipp: Arbeiten Sie nie mit Stockfotos! Bilder, die wahre Geschichten illustrieren, sollten Ecken und Kanten zeigen. Markus Albers und Brian O’Connor, Gründer von Rethink, Berlin
Ein überzeugendes Argument für viele Unternehmen: Über digitale Medien lässt sich ihr Erfolg mittels Onlinescreening endlich messen. Das aktuelle Schlagwort heißt Content-Marketing, das digitales Corporate Publishing als eine heilsbringende Werbemaßnahme schmackhaft macht. Dabei gilt medienübergreifend: Je weniger glatt und markenbezogen ein Corporate Medium wirkt, je freier Marken ihre Themenkomplexe interpretieren, desto mehr interessanten Journalismus traut der Leser ihnen zu.
»Für Designer lautet die erste Frage: Worauf will ein Beitrag hinaus? Das beeinflusst dann auch Bildsprachen und -motive«, sagt Brian O’Connor, ebenfalls Rethink-Geschäftsführer und Editorial Designer. Die Story sollte bis in die Typografie hinein sichtbar werden. »Wir arbeiten nie mit Blindtext. Bei der Entwicklung des Layouts für eine Wirtschaftsreportage beispielsweise verwenden wir einen Wirtschaftstext mit seinem spezifischen Wortschatz. Und für einen englischsprachigen Artikel setzen wir einen Text auf Englisch ein, um auf die sprachlichen Eigenheiten eingehen zu können.« So eignen sich laut O’Connor für die deutsche Sprache Serifenschriften wie die Times, während das Englische klare, serifenlose Fonts verträgt. Eine Herausforderung sei deshalb auch der Umgang mit Corporate Design-Vorgaben. »Warum gibt es eigentlich oft kein eigenes Corporate-Publishing-CD?«, fragen sich die Rethink-Gründer. So bedurfte es einiger Überzeugungsarbeit bei den Verantwortlichen, Porträts im Kundenmagazin des Büromöbelherstellers Lista mit Handlettering zu schmücken. »Wiedererkennungsmerkmale sind wichtig für die Kommunikation, sollten aber für ein gut lesbares, spannungsreiches Layout aufgebrochen werden«, so O’Connor.
Mit dem Know-how aus dem Verlagswesen bereichert Hoffmann und Campe das Corporate Publishing. Auch hier stehen strategische Fragen wie die Aufgabe der Publikationen und eine Zielgruppenanalyse am Anfang. Das neue lifestylige BMW-Magazin »Driven« zum Beispiel porträtiert Kreative wie einen Schauspieler, eine Schneiderin und eine Künstlerin bei einer Tour mit dem BMW ActiveE durch Los Angeles – passend zu den Lebenswelten der Leser. Unabhängig vom Medium stehen die Geschichten im Vordergrund, die rund um die Marke inszeniert werden. Je nachdem, ob es Mitarbeiter zu rekrutieren oder neue Zielgruppen zu erschließen gilt, werden diese im Web durch Bildergalerien, Filmreportagen, interaktive Infografiken und Spiele ergänzt, während Social Media die Kommunikation zusätzlich öffnet.
»Geschichten müssen portioniert und in verschiedenen Navigationsformen gedacht werden«, sagt Christian Breid, Geschäftsführer Digital bei Hoffmann und Campe Corporate Publishing. »Dazu haben wir Prozesse entwickelt, mit denen sich journalistische Inhalte medienneutral erstellen lassen.« Für einen Konzern inszenierte der Verlag die Eröffnung eines neuen Firmenwerks in den USA. Den Autor, der die Reportage schreiben sollte, begleitete eine Filmcrew, die eine Videodokumentation und Einzelinterviews drehte, aber auch atmosphärische Fotos im Werk aufnahm. Um einen einheitlichen Look zu schaffen, legten die Gestalter vorab Standards fest, zum Beispiel extreme Nahaufnahmen für Porträts. Das so produzierte Material verwaltet der Verlag in einem formatunabhängigen Content-Pool, um es von dort aus an die verschiedenen Medienkanäle zu verteilen. »Viele Unternehmen trennen interne und externe Kommunikation nicht mehr«, sagt Christian Breid. »Solche Content Pools machen es möglich, der Medienvielfalt Herr zu werden.«
Tipp: Denken Sie in mehreren Dimensionen und entwickeln Sie Geschichten individuell für die verschiedenen Kanäle. Die Aufbereitung muss korrespondieren, aber immer dem Medium entsprechen. Christian Breid, Geschäftsführer Digital von Hoffmann und Campe Corporate Publishing, Hamburg
Um Markenwerte und -vorgaben vielfältig und zeitgemäß interpretieren zu können, arbeitet Hoffmann und Campe mit Spezialisten zusammen: für Wempe mit Mario Lombardo, für BMW mit Dirk Linke und Adriano Sack. »Das enge Zusammenspiel der Gewerke, von Inhalt und Design, ist nicht einfach«, so Breid. Immer wieder komme es vor, dass Designer Vorlagen erzeugten, ohne sich Gedanken über Themen, Rubriken oder Artikelformate zu machen. »Es ist absurd, auf Zeichen genaue Textlängen festzulegen.« Autoren wiederum müssen darauf achten, knappe, SEO-optimierte Texte zu produzieren, die zugleich durch journalistische Qualität überzeugen. Bei der Entwicklung eines neuen Konzepts arbeitet der Verlag jeweils ein Thema als realitätsgetreuen Prototyp umfassend auf. »Das ist anfangs sehr aufwendig, rentiert sich aber hintenraus«, verrät Breid. »Dabei darf man nicht müde werden, für unabhängigen Journalismus und gestalterische Regelbrüche zu kämpfen. Und es gibt nichts Schöneres, als dass ein Kunde einen neuen Look anfangs skeptisch beäugt – und später für eigene Medien anwendet.«
Verleger müssen lernen, wie Agenturen zu denken, mahnen Medienspezialisten in der aktuellen Verlagskrise. Tatsächlich machen die flexiblen, anwenderorientierten und unbedarft-verspielteren Erzählweisen von Kreativen Informationen zugänglicher. Aber auch die kritisch-distanzierte Haltung von Journalisten bereichert die Agenturarbeit bei der Entwicklung eigenständiger Inhalte, im Widerstand gegen allzu werberischen Content oder zu viel Einfluss der Crowd. Sichtlich an Bedeutung gewinnt die Rolle des Konzeptioners, der die Richtung für Redaktion, Design, Marketing und Technik vorgibt. Schön, aus der Branche zu hören, dass das Fremdeln zwischen den Gewerken im Corporate Publishing abnimmt und der Respekt für die Perspektiven des Gegenübers wächst.
Claudia Mislin, Design/Konzeption Online, und Jan-Piet van Endert, Kreativdirektion bei der auf crossmediales Corporate Publishing spezialisierten Agentur Kuhn, Kammann & Kuhn, zu den Herausforderungen bei der Umsetzung digitaler Mitarbeitermagazine: siehe PAGE 04.2013.