Dominic Wilcox bezeichnet sich nicht als Künstler oder Designer, sondern als Erfinder. Aus Alltagsgegenständen entwickelt der Brite überraschende Ideen – die Brands für Werbezwecke einsetzen. Im Interview erzählt er, wie es dazu kam.
Nach seinem Studium probierte Dominic Wilcox erst mal eine Weile herum, bis er seine Nische fand: das Erfinden von außergewöhnlichen Gegenständen und Maschinen. Er entwickelte zum Beispiel schon ein Zeitreise-Fernglas, eine Teetasse mit eingebauter Kühlung oder einen autonom fahrenden Schlafwagen. Im Interview berichtet er, wie daraus ein echter Job wurde.
PAGE: Wie wird man Erfinder? Dominic Wilcox: Ich nutze den Begriff noch gar nicht so lange, um zu beschreiben, was ich tue. Es ist ein lustiges Wort. Wenn ich erzähle, dass ich Erfinder bin, höre ich immer: »Wow, du bist Erfinder?! Ich habe noch nie einen getroffen.« Wenn man sich selbst als Künstler beschreibt, denken die meisten an Gemälde. Sagt man Designer, wird Grafikdesigner oder Webdesigner vermutet. Erfinder trifft es also gut, auch wenn ich niemand bin, der in seinem Schuppen herumtüftelt. Ingenieurskram finde ich nicht so aufregend. Ich kenne mich aber ein bisschen aus und weiß, was technisch möglich ist.
Und wie hast du entdeckt, dass es dir liegt, Dinge zu erfinden?
Ich habe zur Vorbereitung auf mein Studium der visuellen Kommunikation einen Grundlagenkurs in Kunst und Design an der Universität Sunderland (Nordengland) belegt. Dort zeigte uns ein Tutor ein Buch mit Erfindungen, alltägliche Objekte mit einem Twist. Das war Kunst. Wir sollten ähnliche Ideen entwickeln, und ich habe etwas gezeichnet. Das hat mir gelegen und Spaß gebracht, und seitdem habe ich nicht mehr damit aufgehört. Vorher ging es in dem Kurs eher darum, Alltagsgegenstände zu malen. Was Kunst ist – aber nichts mit Kreativität zu tun hat, meiner Meinung nach. Kunst ist nicht zwangsläufig kreativ. Malt man beispielsweise ein Stillleben möglichst naturgetreu und fotografisch, steckt darin nur sehr wenig Kreativität.
Mittlerweile erfindest du Gegenstände für Firmen, die diese zu Werbezwecken nutzen.
Wie hast du gemerkt, dass du mit deinen besonderen Erfindungen Geld verdienen kannst?
Es war einfach das Beste, was ich tun konnte. Das hat gar nichts mit Geld zu tun. Dieser Tutor damals, Charlie Holmes, hat mir gezeigt, dass es möglich ist, meine Vorstellungskraft und Persönlichkeit einzusetzen, um auf Ideen zu kommen und diese visuell zu kommunizieren. Das war aufregend, es hat süchtig gemacht. Ich mag die Herausforderung, gewöhnliche Gegenstände in etwas Überraschendes zu verwandeln und Leuten diese Ergebnisse zu zeigen.
Wie ist daraus ein echter Job geworden?
Das hat gedauert. Ich habe nach meinem Abschluss erst mal Englisch in Japan unterrichtet und in einem Buchladen in London gearbeitet. Das Problem war, dass meine Form der Kreativität nirgendwo richtig reinpasste. Es war Kunst, aber irgendwie auch nicht. Die Produktdesignwelt ist auf Massenfertigung ausgerichtet, mich interessierte aber viel mehr die Idee als deren Umsetzung. Ich bewarb am Royal College of Arts in London, der Masterstudiengang Design Products stellt Ideen in den Vordergrund, was genau passte. Ich habe dort mehr über Objekte gelernt, über die Ideenfindung anhand von Experimenten mit Materialien. Im Anschluss hatte ich ein Designstudio mit einem Kommilitonen, drei Jahre lang, dann wollte ich etwas verändern und zog nach Berlin.
Wie ging es dort weiter?
Dort dachte ich wieder an meinen Plan, ein Buch mit meinen Zeichnungen zu veröffentlichen, den ich zuvor nach kurzen Versuchen aufgegeben hatte. In Berlin hatte ich nichts zu tun und kam darauf, einen Blog zu starten, den ich »Variations on Normal« nannte. Ich stellte sieben Zeichnungen online und baute eine Mailingliste auf. Ein paar Adressen hatte ich noch aus der Studiozeit. Eine große Website stellte meinen Blog vor, und dann ging es relativ schnell, dass Leute meine Bilder kommentierten. Aufregend, plötzlich hatte ich ein Publikum, quasi aus dem Nichts! Das hat mich ermutigt, weiter zu zeichnen. Durch den Blog waren meine Zeichnungen außerhalb meines Skizzenbuchs sichtbar, dadurch ergaben sich erste Aufträge und ab und an Ausstellungen. Ich habe nicht viel verdient, aber genug, um klarzukommen. Irgendwann sprachen mich dann größere Marken an.
»Wer Probleme sucht, findet massenhaft welche – und kann dafür Lösungen entwickeln.«
Für Brands erfindest du Schuhe, die über Blinksignale den Weg weisen, oder eine Maschine, die Cornflakes in den Mund bugsiert. Wie kommst du auf solche Ideen?
Alles ist ein Problem, außer schlafen. Ich muss mich aus der Bettwäsche lösen – das kann man mir doch eigentlich nicht zumuten! Will ich Tee trinken, muss ich eine Tasse hochheben. Wieso tut man mir das an? Das könnte doch eine Maschine erledigen. Wer Probleme sucht, findet massenhaft welche – und kann dafür Lösungen entwickeln. Ich sehe mir außerdem Gegenstände ganz genau an. Zum Beispiel eine Tasse: Sie ist rund – warum eigentlich? Könnte sie eine andere Form haben? Sie hat einen Henkel, da könnte man etwas reintun. Und so weiter.
Wie sieht heute dein typischer Arbeitstag aus?
Ich mache nicht viele Pläne. Ich reagiere auf Dinge, Aufträge oder E-Mails, und das war immer okay, als es um meine eigene Arbeit ging. Durch das »Little Inventors«-Projekt hat sich das verändert, es gibt immer etwas tun. Ich bin ein bisschen organisierter geworden. Das ist wichtig, sonst vergesse ich, zu essen, und bewege mich gar nicht mehr. Mein typischer Tag ist jeden Tag anders.
»Little Inventors« heißen deine Erfinderworkshops für Kinder. Wie funktioniert das genau?
Es geht darum, Kinder zum kreativen Denken anzuregen. Sie zeichnen Erfindungen, die dann von Handwerkern in echte Gegenstände verwandelt werden, teilweise unter Anleitung der Kinder. Zudem werden sie in eigenen »Little Inventors«-Ausstellungen präsentiert. Das zeigt den Kindern, dass ihre Ideen ernst genommen werden. Viele Erfindungen der 6-, 9- oder 10-Jährigen sind brillant – besser als die von Designstudenten. Und sie sind in einer halben Minute darauf gekommen! Ich arbeite seit etwa zwei Jahren an dem Projekt. Eigentlich sollte es eine einmalige Aktion sein, doch es kamen so viele Anfragen. Mittlerweile gibt es »Little Inventors« nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Kanada und China, jeweils in mehreren Städten.
Hat sich durch die Arbeit mit Kindern etwas an deiner eigenen Arbeitsweise geändert?
Ich hoffe, dass wir alle uns ständig verändern! Ich habe immer daran geglaubt, dass eine spielerische Herangehensweise in der Ideenfindung sehr hilfreich ist. »Little Inventors« bestätigt das immer wieder. Ich lerne auch viel Neues, treffe so viele verschiedene Persönlichkeiten auf einmal, erlebe so vielfältige Ideen. Erfinder brauchen ja immer Probleme, die sie lösen können. In wohlhabenden Ländern sind die zwei beliebtesten Erfindungen bisher ein Roboter, der das Kinderzimmer aufräumt, und ein Stift, der die Hausaufgaben erledigt. Wie wird es dagegen in einem sehr armen Land aussehen, was werden die Kinder dort erfinden, wo es echte Probleme gibt? Was würden Kinder mit Behinderungen erfinden? Das wird sich zeigen, wenn wir mit dem Projekt weitermachen – es geht ja gerade erst los.
»Kreativität ist eine Form von Intelligenz, mit der man neue Verbindungen herstellen kann. Das ist in allen Bereichen des Lebens hilfreich.«
Ist es möglich, jemandem Kreativität beizubringen?
Wenn man das könnte, würden Schulen es tun. Und häufig ist das Gegenteil der Fall. Vielleicht liegt es daran, dass viele Kreativität mit Kunst gleichsetzen – wer kreativ ist, muss also Künstler oder Designer sein. Der erste Schritt wäre, dass sich das ändert. Je mehr Leute begreifen, dass Kreativität nicht nur Kunst und Design bedeutet, desto besser. Dann hätte Kreativität einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft. Ich sehe es so: Wer gut Probleme lösen kann, ist kreativ. Kreativität ist eine Form von Intelligenz, mit der man neue Verbindungen herstellen kann. Das ist in allen Bereichen des Lebens hilfreich, in der Finanzwelt ebenso wie in der Medizin. Doch viele Menschen glauben nicht daran, kreativ sein zu können, sie probieren es gar nicht erst. Sie stellen sich an, als müssten sie von einem Kliff springen, und sagen direkt: Nein, das kann ich nicht, es wird ein Desaster.
Was meinst du, woran das liegt?
Vielleicht wurden sie in der Schule nicht dazu ermuntert, kreativ zu denken. Oder jemand hat eine ihrer Ideen als schlecht bezeichnet, deshalb haben sie es nie wieder versucht. Kreativität erfordert allerdings, dass man sie immer wieder anwendet. Sobald man aufhört, traut man es sich nicht mehr zu. Es ist ein bisschen so, als würde man einen sehr großen Stein den Berg hochrollen. Stoppt man zwischendurch die Bewegung, scheint es unmöglich, weiterzumachen. Oft beginnt es in der Teenagerzeit, dass Leute meinen, keine kreativen Fähigkeiten zu haben. Ich glaube, jeder ist kreativ, viele haben aber den Glauben daran verloren.
Es wirkt so, als würde es dir sehr leichtfallen, ständig auf gute neue Ideen zu kommen. Stimmt der Eindruck?
Ich habe dieses riesige Buch voller Ideen, das ich einfach nur öffnen muss, und – schwups – fällt mir etwas ein.
Oh, so eins brauche ich auch!
Nein, nein, das gehört mir, und ich werde es für immer behalten! Ob es mir leichtfällt, auf Ideen zu kommen – war das die Frage? Nein. Na ja, manchmal ist es relativ einfach, manchmal auch nicht. Es gibt Aufträge, für die ich sofort eine Idee habe. Oft ist dieser erste Einfall der beste. Es kann auch sein, dass ich erst mal nachdenke, zeichne, schreibe, kritzle und dabei hoffe, dass in meinem Gehirn neue Verknüpfungen entstehen. Und manchmal passiert gar nichts, dann denke ich: My goodness, ich habe gerade einen ganzen Tag meines Lebens in mein Skizzenbuch gestarrt. Das frustriert. Irgendwann kommt aber die Idee, durch klassische, harte Kopfarbeit.
Ist das dein Geheimnis – nicht aufgeben?
Auf jeden Fall. Man darf nie den Glauben daran verlieren, dass die gute Idee existiert. Du musst nur den Platz in deinem Kopf finden, an dem sie aufbewahrt wird – also immer wieder verschiedene Türen öffnen! Hinter vielen von ihnen verbirgt sich leider nichts. Aber die Idee ist da, du wirst sie finden. Bezweifelt man das, sinken recht schnell die Chancen, auf sie zu stoßen. Es gibt außerdem unterschiedliche Wege, seine Kreativität zu entdecken und herauszukitzeln. Ich habe zum Beispiel mal einen Comedy-Improvationskurs besucht, um mich in eine Situation zu begeben, die mich zu schnellen Lösungen zwingt.
Nutzt du deine Zeichnungen, um Ideen herauszulocken, oder zeichnest du erst, wenn die Idee da ist?
Ich zeichne, schreibe Wörter auf, die irgendetwas mit dem Thema zu tun haben – in der Hoffnung, dass mir dadurch etwas Gutes einfällt. Die Gedanken auf Papier zu bringen, hilft bei der Konzentration. Es ist, als wäre da dieser riesige Ideenstrudel im Kopf, der aus Informationsmassen besteht. Aus diesem herumwirbelnden Chaos eine Idee herauszufischen ist vergleichbar mit einer plötzlichen Lücke im Wolkenhimmel, die den Blick auf die Sonne freigibt, für einen kurzen Moment. Vom Skizzieren erhoffe ich mir, dass es mir hilft, diesen außergewöhnlichen Punkt zu erreichen. Meine Skizzen sind sehr durcheinander, und in der Realität sind Skizzenbücher nicht wirklich attraktiv. Sie enthalten einfache Linien, mit denen man versucht, schnell zu visualisieren, was im Kopf gerade vorgeht. Bei ein paar Künstlern sieht das natürlich schon gut aus. Aber generell finde ich: Wenn dein Skizzenbuch wunderschön ist, bist du nicht so kreativ, wie du sein könntest – du probierst wahrscheinlich zu früh, deine Ideen zu finalisieren.
Hast du Pläne für die Zukunft?
Nein, für mich zumindest nicht. Ich hoffe, dass die »Little Inventors« erfolgreich sein werden und weiterwachsen. Für mich selbst hatte ich nie großen Ehrgeiz. Ich gucke einfach immer: Was mache ich heute? Mit den »Little Inventors« habe ich das erste Mal Ambitionen und die Möglichkeit, größer und weiter zu denken, denn es geht um mehr als nur um mich.
Dominic Wilcox’ Buch »Variations On Normal« kann auf seiner Website bestellt werden.
Der sehr gelungene Kurzfilm »The Reinvention Of Normal« von Liam Saint-Pierre zeigt weitere Erfindungen und animierte Illustrationen von Dominic Wilcox:
Das Interview stammt aus PAGE 10.17 – die Ausgabe ist hier erhältlich.
die kernproblematik ist, in der jetztzeit, dass es sehr schwierig ist hersteller zu finden welche die entsprechenden entwicklungen (ich verwhre mich irgendetwas als “erfindung” zu bezeichnen) in lizenz auf den markt bringt.
fürchterlich ist auch die bezeichnung “start up”
das ist wohl die blödeste bezeichnung für SCHEITERN wo man auch noch fremdes geld verbrennt.
die kernproblematik ist, in der jetztzeit, dass es sehr schwierig ist hersteller zu finden welche die entsprechenden entwicklungen (ich verwhre mich irgendetwas als “erfindung” zu bezeichnen) in lizenz auf den markt bringt.
fürchterlich ist auch die bezeichnung “start up”
das ist wohl die blödeste bezeichnung für SCHEITERN wo man auch noch fremdes geld verbrennt.