Wie können Marken heute durch erzählerische Konzepte ihre Zielgruppe für sich gewinnen und zur Interaktion bewegen? Eine kurze Geschichte über unkonventionelles Storytelling
Ein echter Dauerbrenner: Marken setzen seit jeher darauf, sachliche Informationen durch Geschichten emotional aufzuladen, um ihrer Zielgruppe bessere Identifikationsmöglichkeiten zu bieten und sie stärker an sich zu binden. Die Bedingungen für narrative Kommunikation haben sich jedoch radikal verändert. Je mehr Brands auf Storytelling setzen, desto schwerer wird es, sich von der Konkurrenz abzuheben. Außerdem ist die Erwartungshaltung gestiegen: Abgenutzte Schema-F-Geschichten haben längst ausgedient, stattdessen sind moderne Erzählungen gefragt, die für Überraschung sorgen und sich dadurch tief ins Gedächtnis der Zielgruppe einprägen.
Durch die mediale Entwicklung haben sich die Erzählmethoden zudem drastisch gewandelt: Geschichten werden nicht mehr nur innerhalb eines Kanals vorgetragen, sondern überspannen oft mehrere. Darüber hinaus haben die Konsument:innen ihre rein rezipierende Rolle aufgegeben und sind selbst zu Miterzählern avanciert, die sich an Storytelling beteiligen, etwa bei der H&M-Kampagne »Beyond the rainbow«. Hier ist der interaktive Erzählraum zum Thema Pride per App auf der visuellen Ebene mit dem Realraum verwoben (siehe unten).
Einige Marken kreieren außerdem Games, in denen die User:innen als Avatare zu Mitwirkenden werden. Anlässlich seines 100-jährigen Jubiläums inszenierte das Luxuslabel Gucci seine Markengeschichte nicht nur in der multimedialen Ausstellung »Gucci Garden Archetypes« in Florenz, sondern auch in einem zweiwöchigen Event auf der Spieleplattform Roblox. Die User:innen konnten die von verschiedenen Gucci-Werbekampagnen inspirierten Räume durchwandern, wobei sich ihre Avatare verwandelten – die Muster der Wände und des Bodens legten sich wie eine Haut über die Figuren. Der virtuelle Garten umfasste auch einen Shop, in dem man Gucci-Artikel für seinen Avatar erwerben konnte, deren Design sich von den Exponaten in der realen Ausstellung ableitete – verwendbar auf der gesamten Roblox-Plattform. Das Beispiel macht deutlich: Die Linearität des Erzählens löst sich zunehmend auf.
Dass speziell die Modebranche verstärkt auf narrative Konzepte setzt, hat mehrere Gründe. Kleidung wird immer mehr online geshoppt, sodass in der realen Welt die Touchpoints schwinden, über die sich der Kontakt zur Marke emotionalisieren lässt. Darüber hinaus muss sich die Fashionindustrie intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Neben sachlichen Informationen über CO₂-, Wasser- und Energieeinsparungen et cetera versuchen einige Marken, ihr ökologisches und soziales Engagement in Geschichten zu übersetzen, die, anders als reine Fakten, auf Anhieb in den Köpfen der Zielgruppe hängenbleiben.
5-Level-Storytelling
Collina Strada brachte Ende 2020 im Rahmen des digitalen Film- und Fashionfestivals GucciFest das Videogame »Collina Land« heraus. Hillary Taymour, Gründerin des New Yorker Modelabels, entwickelte hierfür zusammen mit dem Fotografen Charlie Engman und dem Multimedia Artist Freeka Tet eine interaktive Welt, die die Pre-Fall-2021-Kollektion präsentiert und gleichzeitig die ökologischen und sozialen Werte der Marke widerspiegelt. »Collina Land« umfasst fünf Level: eine Eis-, eine Farm-, eine gezeichnete sowie eine Wüsten- und eine Unterwasserwelt. Die User:innen können diese mit den Avataren der Models erkunden, die die Kleider der Kollektion tragen. Um das jeweils nächste Level zu erreichen, müssen sie Aufgaben zum Thema Ökologie erledigen, etwa Müll sammeln, Feuer löschen oder Polarbären zusammenbringen.