Samuel von Tucher trainierte für seinen Bachelor-Abschluss eine kreative KI auf Grafikdesign und entdeckte eine erstaunliche gestalterische Vielfalt
Laut Zukunftsforscher und Google-Engineer Ray Kurzweil erreichen wir ungefähr im Jahr 2045 die Singularität, den Zeitpunkt, an dem die menschliche Intelligenz von Maschinen übertroffen wird. Wie intelligent und schöpferisch Algorithmen bereits sein können, hat Samuel von Tucher im Rahmen seiner Bachelorarbeit untersucht.
Die Ästhetik der GANs
»Generative Neuronale Netzwerke können Designs erzeugen, die sich zwar von menschengemachten Designs unterscheiden, jedoch einen ganz eigenen ästhetischen Wert besitzen«, so von Tucher. Auf Basis eines eigenen Datensatzes aus 12.000 Postern von verschiedenen Designer:innen und Künstler:innen lernte sein Generatives Neuronales Netzwerk (GAN) über mehrere Tage, neue Plakate zu erstellen.
Ein GAN besteht aus zwei konkurrierenden Netzwerken: Einem Generator, der Fälschungen erzeugt, und einem Diskriminator, der lernt echte und gefälschte Bilder zu unterscheiden. Um die Dauer und den Aufwand des Trainigs zu reduzieren, nutzte von Tucher das auf das Flickr-Faces-HQ Dataset vortrainierte StyleGAN2-ADA, das in Tensor Flow implementiert ist. »So hat das Netzwerk schon verstanden, was ein Bild ausmacht, was Kanten sind und wie Flächen aufgebaut sind«, so der Designer.
Zunächst trainierte von Tucher sein GAN auf einen kleinen Datensatz von rund 500 Bildern. Nach und nach vergrößerte er den Datensatz mit Postern, die er unter anderem auf Instagram und Pinterest fand. Bevor von Tucher die Bilder dem Datensatz hinzufügen konnte, mussten er die .png- und .jpg-Dateien allerdings zuerst zuschneiden, transformieren und neu formatieren. »Für TensorFlow musste ich alle Poster randlos als Quadrat im tfRecords-Format speichern«, erklärt von Tucher.
Nach mehreren Tagen war sein PosterGAN in der Lage, eigene Plakate zu erzeugen, die zwar nicht aussehen, wie von Menschen gestaltet, aber einen ganz eigenen Reiz besitzen. Von Tucher untersuchte die Ergebnisse und stellte fest, dass die Künstliche Intelligenz Gestaltungsentscheidungen getroffen hatte.
Farben wählte sie beispielsweise nicht zufällig, sondern hielt sich an eine begrenzte Farbpalette, Harmonie und Kontrastwerte. »Außerdem richtet sich die Platzierung der Elemente auf dem Plakat manchmal nach dem Goldenen Schnitt. Das ist zwar nicht immer der Fall, doch bei manchen Postern ist es dafür umso auffälliger«, berichtet Tucher.
KI ahmt Schriften nach
Besonders kreativ geht das PosterGAN mit Schrift um, denn obwohl es nicht in der Lage ist, neue sinnvolle Wörter oder gar Sätze zu kreiieren, so hat es doch gelernt, schriftartige Zeichen zu erschaffen. » Die KI hat kein Verständnis dafür, was die Typografie bedeutet, oder dass man damit Informationen kommuniziert«, so von Tucher. Stattdessen erzeugt sie kryptische typografische Muster, die die Fantasie anregen.
Zwar ist jedes Plakat seines PosterGANs einzigartig, aber die KI kann nun einmal eine unbegrenzte Anzahl an Plakaten erzeugen. An dieser Stelle kommt der Mensch als Art Director ins Spiel: von Tucher wählte eine limitierte Anzahl an Postern aus, die er nun auf Etsy als A2-Druck anbietet. (Kleiner Spaß: Die Auswahl des Motives erfolgt zufällig.)
»Die ausgegebenen Dateien in Tensorflow sind sehr klein und ebenfalls quadratisch, ich musste sie also für den Druck ins Hochformat zurückbringen und mit einer Bildverbesserungs KI hochskalieren«, so von Tucher. Zwei der KI-Plakate hängen bereits im Rektorat der TU Georg Simon Ohm in Nürnberg, 24 Euro pro Plakat decken von Tuchers Material- und Druckkosten.
Als Trailblazer hervorzuheben ist hier das Projekt »neuralPoster« des Design Studios keinGarten aus Nürnberg. Bereits im Frühjahr 2021 starteten sie ihr Projekt mit einer PosterGAN und legten dazu eine Datenbank mit mehreren Zehntausend zeitgenössischen Postern an.
Auch dieses Kreativ-Team konnte sich damals mit eigenen Augen davon überzeugen, wie schnell ein GAN in der Lage ist, Grafikdesign zu adaptieren, gestalterische Regeln zu erkennen und zu reproduzieren. Im Gegensatz zu von Tucher verkaufen sie die animierten Kreationen ihrer KI inzwischen auch digital als NFTs zum Preis von 0,1 ETH – zur Zeit knapp 300 Euro – auf Opensea.
Interactiondesigner und Entwickler Samuel von Tucher aus Bonn gestaltet schöne und unterhaltsame interaktive Erlebnisse, interessiert sich daneben für KI, maschinelles Lernen, Typografie, UX- und UI-Design sowie Grafikdesign.
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