PAGE online

Packaging für D2C-Marken – nachhaltig und innovativ. So geht’s!

Viele kleine D2C-Brands und der Trend zu mehr Nachhaltigkeit machen den Packaging-Markt zu einem spannenden Betätigungsfeld für Designer:innen. Wir zeigen spannende Beispiele und geben Tipps, wie Designstudios hier einsteigen können.

Werbefoto für die Hafermilch Oatside. Zwei Personen halten mehrere Tetrapacks der Hafermilch in der Hand.
Always look on the Oatside of life: Tatsächlich muss man bei den vielen lustigen Illus und Comics auf dem Packaging der Pflanzenmilch Oatside aus Singapur gelegentlich an »Das Leben des Brian« denken. Die Gestaltung kommt von Monumento, und laut dem mexikanischen Studio gibt es für Oatside nichts, was zu verrückt wäre. Von Wortspielen über Aufkleber bis hin zu Pflanzen mit Stiefeln.

Was kleine Marken angeht, gibt es viel zu tun. Das bestätigt Andreas Milk, Geschäftsführer der auf Food spezialisierten Agentur MILK in Frankfurt am Main, die sowohl für große Kunden wie Nestlé als auch für kleine wie den Kaffee BE.AN der Rösterei Hoppenworth & Ploch arbeitet (siehe unten).

»Das Geschäftsmodell Direct to Customer (D2C) erlaubt es kleinen Brands, am Gatekeeper Lebensmit­tel­einzelhandel vorbei zu agieren und ihre Produkte online anzubieten. Dadurch gibt es mehr Player im Markt und somit auch mehr Chancen für Gestalte­r:in­nen.« Challenger Brands nennt man diese Produkte, die frischen Wind in etablierte Kategorien wie Kaffee Schoko­lade oder Hafermilch bringen.

Mit Designcodes brechen

Vor allem wenn es in erster Linie um die visuelle Gestaltung geht und weniger um strategische Beratung oder Marktforschung, können auch kleine Studi­os oder Einzelkämpfer:innen Packagings entwerfen. »Ein junges, unerfahrenes Studio kann interessante neue Impulse setzen«, so Andreas Milk. »Dieses Un­angepasste und Unkonventionelle steht Challenger Brands gut, die Unerfahrenheit der Kreativen kann zum Vorteil werden, weil sie mit gängigen Designcodes der Kategorie brechen und einfach mal aus der Reihe tanzen.«

Packaging Design für den Pfandbecher aus Edelstahl für Kaffeebohnen und -pulver "Bean"

Packaging Design für den Deckel des Pfandbechers aus Edelstahl für Kaffeebohnen und -pulver "Bean"
Gerne wieder
Kleine Marken sind die ideale Spielwiese, um neue Lösungen zu finden. So entwickelte MILK für die Kaffeerösterei Hoppenworth & Ploch nicht nur das Design der Kaffeemarke BE.AN. Zusammen mit circolution – Hersteller smarter Mehrwegver­packungen aus Edelstahl – entstand dieser Pfandbehälter, der Einweg­glas ersetzen soll. Man kann ihn in teilnehmenden Märkten über den normalen Pfandautomaten zurückgeben, er lässt sich etwa 80-mal wiederverwenden. Schöne Idee, die sich auch auf viele andere Produkte übertragen ließe.

Modernes Packaging: Den eigenen Stil zeigen

Keine schlechten Aussichten also, aber was, wenn man noch nie eine Verpackung gestaltet hat? »Pack­age Design ist keine Raketenwissenschaft«, sagt An­dreas Milk. »Für gängige Materialien wie Glas, Metall, Kunststoff oder Karton hat die Industrie Standardlösungen entwickelt, diese Kompetenz muss ich als Gestalter nicht unbedingt mitbringen. Wenn es dann keine strategische Herleitung braucht, weil das Start-­up eine klare Positionierung hat, kann ich mich voll aufs Artwork konzentrieren.«

Aber wie kommt man eigentlich an solche Jobs? »Für Studios und kleinere Agenturen, die sich meist kein Suchmaschinenmarketing leisten können, sind neben dem eigenen Empfehlungsnetzwerk die sozi­a­len Medien das Mittel der Wahl«, so Andreas Milk. »Vor allem auf Instagram stöbern Kund:innen herum. Meist mehr auf der Suche nach einem bestimm­ten Stil als nach perfekter Packaging-Expertise.«

Packaging Design für die Desserts von Dimi. Jeweils vier Gläschen einer Sorte sind mit einer Banderole aus bedruckter Pappe umschlossen

Deckel der Desserts von Dimi in nostalgischem Design
Apples & Raspberries
Dimi-Gründer Jeff Aziakou aus Philadelphia möchte mit seinen Einzelportionen im Glas die Qualität alter amerika­nischer Dessertklassiker zurückbringen. Entsprechend fällt das von Monumento gestaltete Branding wunderbar nostalgisch aus. Mit den schönen Illustrationen und dem handgeletterten Logo sind die Verpackungen eigentlich zu schade zum Aufreißen.

Das Studio Monumento aus dem mexikanischen Monterrey arbeitet häufig für kleine Brands. Gründer und Chief Creative Officer Raúl Salazar empfiehlt ebenfalls das Selfmarketing über Social Media und designorientierte Plattformen wie zum Beispiel Behance. »Wir ­ha­ben schon festgestellt, dass Kunden viel Wert auf echte Projekte legen. Wenn man aber noch keine hat, sollte man ein Portfolio mit Mockups aufbauen, das den eigenen Stil zeigt und in Case Studies deutlich macht, wie man konzeptionell an eine Aufgabe herangeht.«

Packaging gehört zur Lieblingssparte von Lukas Diemling, Gestalter aus Graz. Und so sieht er zu, sol­che Projekte auf seiner Website, auf Instagram oder Behance entsprechend prominent zu präsentieren. Die jüngste Arbeit ist eine Etikettengestaltung für den Winzer Matthias Warnung. »Ich arbeite schon seit über zehn Jahren für ihn, die ersten Etiketten sind noch in meinem Kinderzimmer entstanden«, erzählt Diemling. Special Skills brauche es für ein Wein­eti­kett nicht, Printerfahrung würde aber nicht schaden, vor allem wenn man mit Veredelungen arbeite. »Bei komplexeren Projekten, wie etwa den Nahrungsergänzungsmitteln, die ich mal für Organic Elements ent­wickelt habe, kommt dann noch einiges an Vorschriften dazu.«

Etikettendesign des Weißweins Zion von Winzer Matthias Warnung. Die Etikette ist grafisch -abstrakt und in knalligem lila, grün und gold gestaltet
Perfekter Ort
Zion heißt der Riesling von Winzer Matthias Warnung. Das hebräische Wort bezeichnet einen imaginären, idealen Ort, lässt sich aber auch als Denkmal, Kompassnadel oder Fixpunkt übersetzen. Das Etikett von Lukas Diemling ist eine grafische Abstraktion des Wortes, das mit seinen geraden Linien Vollkommenheit darstellt. Das handgezeichnete Muster durchbricht die Perfektion. Die Ähnlichkeit mit einer Kompassnadel unterstreicht den Zion-Bezug. Die verwendete Schrift ist die RM Neue von CoType.
Bild: Lukas Diemling

Packaging Design: Initiative ergreifen

Nicht selten denkt man beim Gang durch den Super­markt oder beim Stöbern auf Online-Marktplätzen: Diese Verpackung hätte ich wahrlich besser gestalten können. »Für Anfänger und Anfängerinnen, die über­haupt keine Referenzen haben, kann es eine Option sein, ein neu­es Design zu entwickeln und es als Kalt­akquise dem betreffenden Unternehmen zu schicken. Es muss ei­nem allerdings bewusst sein, dass das ein extrem mühsames Geschäft ist, aber manchmal hat man Glück und es ist der richtige Moment«, meint Madeleine Lindner, Geschäftsführerin von Hajok in Hamburg. Die Agentur mit rund fünfzig Angestellten ist auf Packaging spezialisiert und betreut »Global Player und Local Champions«, wie sie sagt. Funktio­niert die Kaltaquise nicht, hat man immerhin etwas fürs eigene Portfolio.

Etikettendesign des Gins #stillthirsty mit Prägung und Handlettering
Still Thirsty
Das hochgeprägte Etikett, der handgeschriebene Name und das knallige Neon lassen den von der Agentur Hajok entwickelten Gin #stillthirsty hochwertig und individuell wirken. Der Name steht dafür, dass die Kreativen auch nach 25 Jahren noch durstig auf mehr sind. 120 Flaschen ließ Hajok produzieren, eine zweite Auflage ist geplant. Angelehnt an die Herkunft von Geschäftsführerin Madeleine Lindner und von Gründer Klaus P. Hajok waren Rooibos aus Südafrika und Tannennadeln aus Baden-Württemberg zwei der insgesamt zehn Botanicals.

»Packaging ist ein weites Feld, als Neueinsteiger:in sollte man zunächst überlegen, welcher Bereich einen am meisten interessiert – Kaffee, Kosmetik, Spiritu­osen – und dort Beispiele gestalten«, so Madeleine Lindner. Diesen Ratschlag befolgten die Kreativen gleich selbst: Auch um so Spirituosenhersteller als ­potenzielle Kundschaft auf sich aufmerksam zu machen, kreierte Hajok den eigenen Gin #stillthirsty. Mit dem schönen Etikettenpapier Gmund Kaschmir in 100 Gramm, einer Blindprägung, der cyanfarbe­nen Handschrift von dem Agenturgründer Klaus P. Hajok und den neonfarbenen Halsetiketten sagt die Flasche ganz deutlich: »Wir können Spirituosen«. »Der Gin war ein Herzenzprojekt von uns, das wir schon lange umsetzen wollten«, so Madeleine Lindner. »Wenn wir dadurch unser Portfolio erweitern können – umso besser.«

Packaging in Eigenregie

Einen ähnlichen Weg ging Elevate. Die Agentur aus München ist auf Corporate Branding, Markenstrategie und -beratung spezialisiert, Packaging-Projekte fanden sich bislang noch nicht im Portfolio. Das änderte sich, als die Pharmazeutin Leonie Poppe und die Ärz­tin Sophia Wachner – Frau des Elevate-Geschäftsführers und Gründers Patrick Wachner – ein Pro­dukt ent­wickelten. Brickx heißen die Premium­nahrungs­ergänzungsmittel, die natürlich auch eine Verpackung brauchten. »Standard in der Welt der Supplements ist nach wie vor Kunststoff«, so Patrick Wachner. »Wir wollten aber etwas Nachhaltiges, am besten ein Nachfüllsystem.« Außerdem sollte das Packaging die Premiumpositionierung der Marke Brickx widerspiegeln.

Patrick Wachner machte sich auf die Suche nach passenden Herstellern. »Die erste Hürde waren die meist deutlich fünfstelligen Abnahmemengen. Außerdem hatten diese Anbieter oft internationale Lie­ferketten. Wir hätten dann zwar ein nachhaltiges Produkt gehabt, es aber aus Japan importieren müssen.« Schließlich fanden sie einen finnischen Hersteller, der ihnen ein Material liefert, das industriell kompostierbar, biologisch abbaubar und frei von Mi­kroplastik ist. Daraus fertigt ein Spritzgusstechniker in München die Tiegel und prägt sie auch gleich. Da Brickx nun auch in den stationären Handel möchte, musste noch eine Umverpackung her – eine in Bayern bedruckte Faltschachtel.

Plastikfreie Verpackung für Clean Protein

Nachfüllbeutel und Tiefel die Clean Protein
Plastikfrei
»Zero plastic is fantastic« – mit diesem Claim betont die Agentur Elevate die Nachhaltigkeit der Brickx-Tiegel, die zudem sehr hochwertig aussehen. Die Nachfüll­beutel bestehen aus Zuckerrohrabfällen und kompostierbarer Biofolie. Die Faltschachtel, in der der Tiegel im stationären Handel steckt, ist aus dem FSC-zerti­fizierten Karton Chromolux gefertigt – mit der ungestrichenen Seite außen.

»Wir hatten sehr viel kreativen Spielraum, weil wir nicht an bestehende Prozesse und Produktionsumgebungen gebunden waren«, sagt Patrick Wachner. »Die gewonnenen Erfahrungen und die Strahlkraft von Brickx möchten wir nutzen, um stärker in den Packaging-Markt hineinzukommen.« Und tatsäch­lich suchte bereits der ein oder andere Pharmahersteller, dem die Brickx-Tiegel positiv aufgefallen sind, das Gespräch mit Elevate.

Packaging Design: Mehr experimentelle Möglichkeiten

Hinsichtlich des Designs sind kleine Marken oft experimentierfreudiger, schließlich wollen sie bewusst anders sein und sich vom Auftritt großer Marken unterscheiden. Gilt das auch mit Blick auf das Material und die Nachhaltigkeit? »Genau wie andere Herstel­ler stoßen auch Start-ups bei Materialien auf Herausforderungen und Grenzen – technischer oder wirtschaftlicher Art«, so Andreas Milk. »Aber wenn es Produkte mit einer hohen Marge sind und wenn die Gründer:innen bereit sind, Profit gegen Nachhaltig­keit zu tauschen, gibt es bei kleinen Brands durchaus mehr Möglichkeiten für Experimente als bei Pack­agings in Millionenauflagen, bei denen alles extrem standardisiert und effizient sein muss.«

Monumento hat häufiger mit einem engen finan­ziellen Rahmen zu tun. »Kleine Marken unterliegen zwar weniger Zwängen, haben in der Regel aber auch begrenzte Budgets«, sagt Raúl Salazar. »Verpackungs­innovationen sind nach wie vor sehr teuer, und bei den meisten Lieferanten muss man Stückzahlen produzieren lassen, die weit über dem Volumen kleiner Brands liegen.« Madeleine Lindner von Hajok kann in puncto Nachhaltigkeit keine wirklichen Unterschie­de feststellen. »Gehört diese zur DNA der kleinen Brand ist das natürlich ein Thema, sonst nicht unbedingt. Und gerade die großen Marken müssen in Bezug auf Nachhaltigkeit etwas tun, schon allein wegen der vie­len EU-Verordnungen.«

Es braucht Mut und etwas Vorleistung, um ein neu­es Gestaltungsfeld zu erobern. Aber wenn es klappt, dann winken spannende Jobs mit viel kreativer Frei­heit und interessante Gründerpersönlichkei­ten, de­ren Geschichten sich wunderbar zum Visualisieren eignen – auch auf einem Packaging.

Packaging Design für Malerpinsel
Schöner streichen: Die Werkzeuge der britischen Firma Eco Union sind durchweg umweltfreundlich. Um das zu kommunizieren und dafür zu sorgen, dass die Verpackung genauso gut und schön ist wie die Produkte selbst, beauftragte sie das Studio Buddy Creative aus Exeter. Die Kreativen gestalteten ein Packaging mit Retrocharme, das Eco Union zum Hingucker im Pinselregal macht.

Packaging-Tipps für Newbies und Fortgeschrittene

  1. Austauschmöglichkeit gesucht? Auf der Homepage der European Brand and Packaging Design Association finden sich zahlreiche Informationen rund ums Thema Packaging und eine große Community an europäischen Designer:innen, die sich untereinander unterstützen und austauschen. Kürzlich erschien das »epda Design Agency Boost Book«, das die zehn wichtigsten Er­kenntnisse aus den letzten dreißig Jahren zusammenfasst.
  2. Kein Packaging im Portfolio? Die Agentur Packaging Circus bietet die Visualisierung einer Idee als 3D-Mockup mit Licht, Textur, Struktur und Mapping an (sayhello@packagingcircus.com).
  3. Ersten kleinen Kunden an Land gezogen? Ink n Art aus Göteborg und Madika aus Landsberg am Lech bieten verschiedenste Faltschachteln in kleinen Auflagen an.
  4. Der Kunde legt Wert auf Nachhaltigkeit? Im »Sustain­able Packaging Supplier Guide« finden sich rund 140 Anbieter zu zwölf Materialkategorien: Von »Poly Bags & Films« über »Paper Mailers« bis zu »Raw Materials«. Die Website A Better Source präsentiert nachhaltige Materialien und viele Artikel zum Thema nachhaltiges Design. Der Paper Calculator des Environmental Paper Network berechnet und vergleicht die Umweltauswirkungen verschiedener Papiere. Mit dem Project Calculator der Non-Profit-­Organisation Re-nourish lässt sich die Effizienz eines Packaging-Projekts maximieren – und so die damit verbundene Umweltbelastung reduzieren und Geld sparen.

Dieser Artikel ist in PAGE 07.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PDF-Download: PAGE 07.2023

Packaging für junge D2C-Marken ++ Designlehre an der Hochschule ++ Type und UI Design fürs IoT ++ B2B Branding ++ ENGLISH SPECIAL House of Gül ++ New Work: Tools & Workflows ++ Making-of: iOS-App Heavy Mental ++ VR-Produktion bei BECC Agency ++ E-Commerce: Transparente Check-outs ++ Start in die Designlehre

9,90 €
AGB

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Das könnte dich auch interessieren