Nachhaltiges Packaging Design: Der lange Weg
Das Umdenken in Richtung Sustainability hat zwar bei vielen Unternehmen stattgefunden, aber an praktikablen Lösungen mangelt es noch. Wir stellen umweltfreundliche Packaging Designs vor, die als Vorbild dienen können!
Packagings dank CO₂-fressender Pilze
Um Innovationen zum Erfolg zu verhelfen, braucht es Leute mit unternehmerischem Spirit wie den Niederländer Jan Berbee, der mit Grown.bio Möbel, Dämmmaterial und Verpackungen aus Pilzen herstellt. Schon einmal, von 2000 bis 2009, hatte er ein Packagingunternehmen, vor allem auf Profit ausgerichtet und kein bisschen nachhaltig. Dann aber begann er, sich mit Plastikmüll und CO₂-Emissionen auseinanderzusetzen. Auf der Suche nach umweltfreundlichem Verpackungsmaterial stieß er auf die US-Firma Ecovative. Sie gilt als Pionier in der Myzelium-Technik. Landwirtschaftliche Abfälle werden zerkleinert und mit Pilzkulturen (Myzel) gemischt. In ein paar Tagen wächst das Material, wird dann erneut zerkleinert und in die gewünschte Form gefüllt, in die es in wenigen Tagen hineinwächst.
Nachdem er ein paar Jahre mit den Amerikanern kooperiert hatte, startete Jan Berbee Grown.bio, baute eine Fabrik und fertigt seitdem als europäischer Partner von Ecovative Myzelium-Packagings. »Pilzzellen haben dafür die perfekten Eigenschaften. Sie sind stoßdämpfend, isolierend, bestehen zu 100 Prozent aus biologischen Rohstoffen und lassen sich in vielen Formen herstellen«, so Berbee, »und sie sind eines der sehr wenigen existierenden CO₂-negativen Packagingmaterialien: Pro Kilogramm absorbiert es 1,7 Kilo CO₂.« Inzwischen arbeitet Grown.bio für verschiedenste Kunden, darunter die Schweizer Biotechfirma mybacs oder den britischen Kosmetikhersteller Haeckels. Jan Berbee, der lieber von Myzelium als von Pilzen spricht (wer will schon Pilze im Haus haben?), bietet allen Interessierten Grow-it-yourself-Kits für zu Hause an, die man unter www.grown.bio bestellen kann. Stellt sich die Frage: Warum gibt es nach wie vor so viel Styropor?
Wanted: Zero Waste Packaging
In Skandinavien wird Nachhaltigkeit traditionell großgeschrieben, und so tüftelt das Stockholmer Designstudio Tomorrow Machine schon länger an solchen Packagings. Bereits 2017 stellten wir die Ideen der Gründerinnen Hanna Billquist und Anna Glansén vor (siehe PAGE 11.17, Seite 28 ff.). Damals ging es um eine Olivenölhülle aus Zucker und eine Reisverpackung aus Bienenwachs. Diese haben die beiden inzwischen verworfen, da sie sich nicht für die industrielle Fertigung eigneten. Nach wie vor aber arbeiten sie an Zero-Waste-Packaging-Lösungen. Die Konzeptionsphase haben diese inzwischen verlassen und stehen jetzt an der Schwelle zur Produktion. Die Einführung ist für nächstes Jahr vorgesehen.
So kurz vor der Realisierung will Tomorrow Machine nicht preisgeben, um welche Materialien es sich handelt, ein bisschen verrät Anna Glansén aber doch: »Sie sind alle vegan, haben unterschiedliche Eigenschaften und eignen sich zum Verpacken von Lebensmitteln und Flüssigkeiten. Eines fühlt sich wie Gelee an, eines erinnert an Glas und eines ähnelt Papier.« Dabei schützen sie nicht nur den Inhalt, sie werden auch Teil des Geschmackserlebnisses, indem sie Aromen, Nährstoffe und Vitamine hinzufügen – ähnlich wie die Schale von Früchten. Allen Materialien gemeinsam ist, dass man sie essen oder im Biomüll entsorgen kann. »Außerdem haben wir ein System entwickelt, mit dem man die Produkte in den Geschäften so präsentieren kann, dass der Kunde aus hygienischen Gründen vor dem Kauf nicht mit ihnen in Berührung kommt«, so Glansén.
Tomorrow Machine arbeitet an einer weiteren Innovation, die noch 2020 in Schweden auf den Markt kommen wird. Eine Take-away-Verpackung mit digitalem Recyclingsystem. Sie besteht aus einem einzigen, wiederverwertbaren Material und ist für Läden konzipiert, die etwa Salat to go verkaufen. Jede Packung ist mit einem eigenen QR-Code versehen, der dazu auffordert, die Schüssel in einen Papiercontainer zu werfen. Dafür bekommt man dann 50 Cent gutgeschrieben, die man beim nächsten Besuch des Ladens einlösen kann. Und wie bitte wird die richtige Entsorgung kontrolliert? »Gar nicht«, sagt Anna Glansén. »Natürlich kann man betrügen, aber da es bei jeder Packung nur einmal möglich ist, ist das finanzielle Risiko überschaubar. Das System basiert auf Vertrauen.« Typisch schwedisch eben.
Fast wie Papier: wiederverwendbares Verpackungsmaterial
Im finnischen Espoo sitzt die Firma Paptic. 2015 gegründet, stellt sie das mehrfach wiederverwendbare Verpackungsmaterial Tringa her, das kein Papier ist, kein Vliesstoff und ganz sicher kein Plastik. Auf die Frage, was es denn nun ist, hält sich auch Gründer Esa Torniainen bedeckt: »Das Rohmaterial ist in erster Linie Holzzellstoff. Zusätzlich verwenden wir einen Anteil biobasierter Fasern für mehr Haltbarkeit und eine angenehme Haptik. Die genaue Rezeptur ist unser Geschäftsgeheimnis.« Paptic Tringa kombiniert die besten Eigenschaften traditioneller Materialien: die gute Bedruckbarkeit von Papier, die Langlebigkeit von Vlies und die Vielseitigkeit textiler Stoffe. Damit kommt es für Taschen und Verpackungen aller Art ebenso infrage wie für Geschenkpapier oder als Covermaterial. Hat es seinen Zweck erfüllt, kann es ins Altpapier, ist aber in industriellen Anlagen auch kompostierbar.
Zum schnellen Durchbruch verhelfen wird Paptic Tringa sicher auch die Tatsache, dass es sich auf üblichen Druck- und Veredlungsmaschinen verarbeiten lässt. Galeries Lafayette nutzt es bereits für ihre Einkaufstüten, die finnische Kaufhauskette Stockmann für ihre Versandtaschen, und auch Mumins-Mitbringsel werden damit verpackt. Von April bis Juni, also in der Corona-Hochzeit, gelang es Paptic, in einer Crowdfunding-Kampagne 4,3 Millionen Euro einzusammeln. »Damit«, so Esa Torniainen, »werden wir dafür sorgen, dass Paptic eine Marke wird, die jeder in der Verpackungsbranche kennt.«
Nie wieder Plastik-Blister
Eine schwedisch-deutsche Koproduktion sind die Shaped Paper Pods, kleine Schalen aus Papier, ideal für Portionspackungen und Produkte, die sonst in Plastikblistern verpackt sind. Neben Kosmetika oder Proben lassen sie sich dank einer dünnen Barriereschicht auch zum Verpacken bestimmter Lebensmittel nutzen, etwa Aufstriche, Margarine, Kekse oder Schokoladenadventskalender. Syntegon aus Waiblingen, früher Bosch Packaging Technology, liefert die Maschinen für die Produktion der Papierstrukturschalen, BillerudKorsnäs sorgt für die richtige Konfiguration ihres 3D-formbaren Materials FibreForm. Dieses erlaubt im Vergleich zu Papier zehnmal tiefere Prägungen, was zu schönen 3D-Effekten führt.
Aktuell arbeiten Syntegon und der schwedische Papierhersteller mit Kosmetik- und Lebensmittelunternehmen – welchen, darf nicht verraten werden – an verschiedenen Lösungen. Start der Serienproduktion soll 2021 sein. Manche kennen die Shaped Paper Pods womöglich unter dem Namen Pearl. BillerudKorsnäs hatte eine Designstudie bei der Agentur Grow in Stockholm in Auftrag gegeben. Das Resultat war die muschelförmige Verpackung, die soeben bei den Dieline Awards als Plastic Free Innovation ausgezeichnet wurde.
Mehr oder weniger Zellstoff?
Immer öfter ersetzen Papier und Karton Plastik, und das ist gut so. Die Deos von Ben&Anna etwa bestehen nicht nur aus natürlichen Zutaten – sie haben auch eine Verpackung aus Recyclingpapier. Daran könnten sich viele Hersteller nicht nur von Biokosmetik ein Beispiel nehmen. Absolut umweltverträglich ist aber auch Papier nicht, zumindest nicht die Sorten aus Zellstoff, bei deren Produktion viel Wasser verbraucht wird und große Mengen Schwefelsäure und andere Chemikalien zum Einsatz kommen.
Anders sieht es bei Graspapier aus, das maximal zur Hälfte aus Gras besteht und dessen Herstellung deutlich weniger Wasser und Chemikalien benötigt. Inzwischen sieht man öfter mal Packungen aus Graspapier, für Gemüse im Supermarkt oder für die Umschläge, in denen die Little-Bee-Fresh-Bienenwachstücher ins Haus kommen. Verpackungen aus Graspapier bietet die Druckerei Egger aus Landsberg am Lech an. Problematisch verhält sich dieses jedoch im Recycling. Deinking-Firmen kriegen schon mal die Krise, wenn sich im Recyclingprozess das Gras- mit normalem Papier vermischt und unschöne Einschlüsse verursacht.
Ohne Plastik: Designer als Innovationstreiber
Auch wenn Kunststoffverpackungen noch allgegenwärtig sind – eigentlich wollen die Verbraucher kein Plastik und mögen Brands mit überzeugend nachhaltigem Auftritt. Diese Einstellung können Designer für die Argumentation gegenüber ihren Kunden nutzen. Zu ihrem Job gehört es auch, diese über neue Entwicklungen sowie über Vor- und Nachteile der verschiedenen Materialien zu informieren und kreative Ideen für nachhaltigere Verpackungen – und im übrigen auch Corporate Designs – zu finden.
Informationen gibt es reichlich, etwa auf den Sites der Hersteller oder in Blogs (ein paar finden Sie hier auf PAGE online). Es braucht nicht mehr, als sich über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. Das sind wir all denen, die unermüdlich an neuen Verpackungsmaterialien arbeiten, um unsere Welt ein kleines bisschen nachhaltiger zu machen, schuldig.
Tolle Ideen für umwelt- freundliches Packaging
Biobasierte und biologisch abbaubare Kunststoffe
Biobasierte (bio-based) Kunststoffe sind ganz oder teilweise aus Biomasse, also zum Beispiel aus Mais und Zuckerrohr, hergestellt. Biologisch abbaubare (biodegradeable) Kunststoffe zersetzen sich unter bestimmten Bedingungen und hinterlassen beim Abbau nur CO₂ und Wasser. Biobasierte Kunststoffe können, aber müssen nicht biologisch abbaubar sein. Umgekehrt sind biologisch abbaubare Kunststoffe nicht zwingend auch biobasiert.
Drei biobasierte Kunststoffe im Vergleich
- PLA (Polylactid/Milchsäure)
Vorteile Ist bei 60 Grad kompostierbar und bereits erhältlich, lässt sich im 3D-Drucker verarbeiten.
Nachteile Eignet sich aufgrund der fehlenden Gasbarriere nicht für Getränkeflaschen, beim Abbau entsteht Mikroplastik, noch kein Recyclingsystem vorhanden.
- PHA (Polyhydroxyalkanoate)
Vorteile Ähnliche Eigenschaften wie Polypropylen (PP) und Polyethylen (PE), besser biologisch abbaubar als PLA.
Nachteile Teuer in der Herstellung, durch die fehlende Gasbarriere kein Ersatz für PET.
- PEF (Polyethylenfuranoat)
Vorteile Kann PET ersetzen, ist 3D-druckbar, wird bald auf dem Markt verfügbar sein.
Nachteile Nicht biologisch abbaubar.
TIPP! Wenn Sie diesen Artikel im Print-Layout lesen möchten, können Sie hier die gesamte PAGE-Ausgabe 09.20 herunterladen! Noch mehr smarte Ideen gegen Plastikmüll finden Sie in unserem Artikel »No Plastic!«