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Hochschulen im Wandel: Studieren für mehr Impact

Nachhaltigkeit, sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden und Haltung – im Designstudium geht es längst um mehr als um reines Gestaltungshandwerk. Wir zeigen, wie die neue Generation im Design lernt, die Welt zu bewegen

Ein Kind hängt mit den Armen an einer Klimmzugstange auf einem Spielplatz und schwingt vor und zurück

Jeden Monat stellen wir in PAGE Nachwuchstalente aus den Hochschulen vor. Dabei beobachten wir einen Trend hin zu Kursprojekten und Ab­schluss­arbeiten, die von den großen Problemen unserer Zeit geprägt sind: Klimawandel, soziales Ungleichgewicht und globale Unruhen. In einigen Studiengängen geht das sogar so weit, dass »klassische« Gestaltungspro­jekte, wie etwa das Corporate Design für den Coffee­shop um die Ecke, schon die Ausnahme sind.

»Nachhaltigkeit, Genderthematik, Diskriminierung und Emanzipation sind mittlerweile gängige Themen bei den Studierenden«, so Jesta Brouns, Di­rektorin der Design Factory International in Hamburg. An den Hochschulen wächst eine idealisti­sche, verantwortungsbewusste Designer:innen­genera­tion heran und fordert entsprechend einen Wandel der Lehre und der Branche. Jetzt sind die Hochschulen am Zug, die Studieninhalte zu überdenken, Impulse zu geben und den Absolvent:innen die nötigen Tools in die Hand zu geben – um mit Design die Welt bewegen zu können.

Inhalt

Projekte aus den Hochschulen

Eine Frage der Motivation

»Für die meisten Studierenden beginnt das Verantwortungsbewusstsein bereits bei der Wahl ihres Stu­diengangs«, erklärt Professor und promovierter Ingenieur Fabian Hemmert, der im Bereich Industrial Design an der Bergischen Universität Wuppertal Interface und UX Design lehrt. Er stellt Studierenden in Bewerbungsgesprächen gerne die Frage, was sie mit dem Studium erreichen wollen. Die Antwort sei oft: »Ich will die Welt besser machen.«

Wer jetzt zu studieren beginnt, hat nicht nur den Ernst der Klimasituation begriffen und ist bei Fridays for Future mitgelaufen, er hat auch die Isolation durch die Pandemie erlebt – und jetzt Krieg, Inflation und drohende Rezession. Entsprechend verschieben sich die Prioritäten in der Studienwahl hin zu Hochschulen, die sich diesen Herausforderungen stellen und aktuelle Themen sowie Herangehensweisen in ihre Curricula aufnehmen.

Mit ihrer Ausrichtung auf interdisziplinäre Gestaltung und Nachhaltigkeit war die Kölner ecosign/Akademie für Gestaltung lange Zeit einzigartig. Stu­dierende können dort Module unterschiedlicher Dis­ziplinen von Kommunikationsdesign über Produkt­entwurf bis hin zu Illustration wählen, um so eigene Schwerpunkte zu setzen. Zusätzliche Module thematisierten zum Beispiel die Rolle der Gestaltung im Klimawandel, sozialwissenschaftliche Methodik und neueste Forschungserkenntnisse. Mittlerweile ist das Interesse der Studierenden an nachhaltigem Design jedoch so gestiegen, dass dieses jetzt fest integrierter Bestandteil aller Kurse sowie Entwurfs­prozesse der Akademie ist.

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Connect Booklet »Society-Centered Design bei Mutabor«

Herausforderungen für Gestalter:innen in der Praxis

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Was die Hochschulen bewegt

Die ecosign ist nicht die einzige Hochschule, die neue Prioritäten setzt, um den Bedürfnissen der Stu­die­ren­den gerecht zu werden. Als Antwort auf die Forderung nach mehr gesellschaftlichem und ökologi­schem Ver­antwortungsbewusstsein entstehen spannende neue Studienangebote wie der Masterstu­diengang Public Interest Design an der Uni Wupper­tal.

Doch der Wandel braucht Zeit – sind doch viele Hochschulen staatliche Einrichtungen, deren Curricula oft Jahre im Voraus festgelegt werden. Private Hochschulen haben den Vorteil eines flexiblen Aufbaus und kurzer Entscheidungswege. Ein Schlüssel für die konstante Entwicklung ist, so Jesta Brouns, die schnellere Rotation von Lehrenden, da diese stets neue Kompetenzen und Themen mitbringen. Als Di­rektorin der privaten Design Factory International legt die ehemalige Artdirektorin großen Wert darauf, dass die Dozent:innen Kursinhalte immer wieder hin­terfragen und aktuell halten. Zudem lehren an der Design Factory nur Kreative, die parallel in der Praxis arbeiten. Auch dies soll garantieren, dass Me­thodik und Lehrinhalte mit den Entwicklungen in der Branche Schritt halten.

An staatlichen Hochschulen beginnt der Wandel oft bei einzelnen Lehrenden, die ihre Inhalte anpassen oder neue Kurse anregen. So hat etwa die Diplom-­Designerin Carolin Schreiber, Professorin im Fachbereich Produktdesign an der FH Münster, dort vor zwei Jahren erstmals einen Social-Design-Kurs angeboten. Darin lernen Studierende, gesellschaftli­che Probleme zu analysieren und dafür Lösungs­vorschläge zu entwickeln. Die Ziele und Inhal­te des Kur­ses muss Carolin Schreiber immer wieder erklären – intern und extern. Denn entgegen der bisheri­gen Lehre, die stark wirtschaftlich orientiert war, geht bei ihr weniger um das Erstellen eines Produkts für große Märkte als um die Arbeit mit gesellschaftlich benachteiligten, vulnerablen Zielgruppen.

Die gesellschaftliche Verantwortung des Designs ist auch zentral für das Selbstverständnis von Fons Hickmann, Mitgründer der vielfach ausgezeichneten Berliner Agentur m23 und Professor für Kommunikationsdesign an der UdK Berlin. Er beobachtet weniger den konkreten Wandel in den Lehrthemen, sondern eine Bewegung in der gesamten Designbranche:

»Die Lehrenden, die sich in ihrer eigenen Praxis für politische und soziale Themen einsetzen, tragen das schon immer mit in ihren Unterricht. Was sich geändert hat, ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Themen aufgenommen werden – an der Hochschule und in der Designpraxis.«

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Kursaufbau mit neuen Zielen

Eine solche Ausrichtung stellt neue Anforderungen an künftige Gestalter:innen – und damit auch an die Konzeption der Kurse. Gilt es doch, ihnen Skills mit­zugeben, die über das reine Gestaltungshandwerk hinausgehen und sie auf interdisziplinäre Projekte vorbereiten. »Wir beginnen immer mit einem an die Sozialforschung angelehnten Methodenset, lernen aber auch die nötigen handwerklichen Skills, um Pro­totypen zu realisieren«, erklärt Carolin Schreiber.

Konsequenterweise gibt es in den Social-Design-Kursen an der FH Münster auch kein Briefing für ein Produkt oder eine Kommunikationsmaßnahme, die die Studierenden entwerfen sollen. Stattdessen kooperiert Schreiber mit diversen sozialen Einrichtun­gen und holt Expert:innen dazu, die mit den Studie­ren­den ins Feld gehen. Dort sollen die jungen Ge­stal­ter:innen lernen, in einem Co-Creation-Prozess mit Vertreter:innen ihrer Zielgruppe eigene Lösungsan­sätze zu entwickeln.

Auch an der Design Factory verschieben sich die Schwerpunkte in den Kursen:

»Soziale und politi­sche Themen sind komplex und theoretisch, die Arbeiten müssen dafür umso angewandter und menschenzentrierter sein«

erklärt Jesta Brouns. »Das hat zur Folge, dass wir in der Lehre Recherche, Analyse und Konzept immer mehr priorisieren und größeren Wert auf die Idee und deren Begründung legen.« Die Designlehre entwickelt sich also ebenso wie die Branche weg von dem ungeliebten Klischee des »Schönmachens« hin zu methodi­schem Denken, Zielgruppenverständnis und Beratung.

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Studierende und Lehrende auf Augenhöhe

Diese Veränderung ist allerdings nur dann möglich, wenn Studierende und Lehrende zusammenarbeiten und sich gegenseitig inspirieren. Die Designhochschulen sind dabei gegenüber den meisten anderen Disziplinen im Vorteil, denn in kleinen Semestergruppen und direkter Betreuung lässt sich leichter kommunizieren. So können die Nachwuchsde­si­g­ner:in­nen Projekte anregen, Themen einbringen oder mithilfe der Lehrenden selbst Vorträge und Weiterbildungsmöglichkeiten organisieren.

»Studierende tragen oft Themen an uns Dozen­t:innen heran. Dann sind wir in der Verantwortung, diese mit in die Diskussion mit anderen Lehrenden zu nehmen und daraus kursrelevante Inhalte zu ent­wickeln«, sagt Jesta Brouns. Die ecosign hat dafür eine offene »Suggestion-Box«, in der analog im Visiten­kartenformat oder auch online Vorschläge, Wün­sche und Kritik geäußert werden können.

Auch Carolin Schreiber legt großen Wert auf den Input ihrer Studierenden. Diese können jederzeit Pro­jekte anregen. Wer eine Idee mitbringt, ist dann aber auch in der Pflicht, gemeinsam mit ihr Anträge zu verfassen und Gelder von der Hochschule zu be­an­tragen. Dafür steht er oder sie bei der Veröffent­li­chung als Co-Organisator:in im Impressum und in den Pressemitteilungen.

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Studierende empowern

Interessant an dieser Art der Selbstorganisation ist, dass die Studierenden als treibender Teil eines Projekts sichtbar werden und so schon im Studium positives Feedback und Anerkennung für ihre Arbeit erhalten. Diese Wertschätzung könnte in Zukunft immer wichtiger werden. Denn die intensive Be­schäf­tigung mit der Klimakrise, Krieg und gesellschaftlichen Problemen kann auch Niedergeschlagenheit und Resignation auslösen. »Als Lehrende sind wir in der Verantwortung, den Studierenden Mut zu ma­chen, das nötige gestalterische Rüstzeug in die Hand zu geben und ihnen zur Sichtbarkeit zu verhelfen«, so Fabian Hemmert.

Bernd Draser, der als Lehrbeauftragter für Nachhaltiges Design an der ecosign maßgeblich am Aufbau der Lehrinhalte beteiligt ist, fasst die Aufgabe der Designlehre in dem Wort »Empowerment« zusammen. Es gilt, die angehenden Gestalter:innen mit den nötigen Fähigkeiten und Tools auszustatten, um die Gesellschaft zu nachhaltigerem Handeln zu bewegen und durch Design zu empowern. Nur so können sie ihr Verantwortungsbewusstsein, ihren Tatendrang und ihre transformative Kraft in interdisziplinäre Teams und Projekte tragen – um über die Potenziale von Design aufzuklären, die unbeque­men Fragen zu stellen und greifbare Lösungsansätze zu entwickeln.
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Studieren für mehr Impact: Was der Nachwuchs wirklich lernen will

We are strong: Kindern eine visuelle Stimme verleihen

Eine junge Frau trägt ein Kind auf dem Rücken. Sie stehen vor einem Plakat, auf dem mehrere Kinder abgebildet sind. Darüber steht "Hier dürfen Kinder spielen!"Bild: Leonie Braun

2019 entstand eine spannende Partnerschaft zwischen dem Caritasverband für die Stadt Köln e. V., der Gemeinschaftsgrundschule im Süden und 21 ecosign-Studierenden. Die Viertklässler:innen der »Affen­klasse« hatten zu Beginn des Jahres in einem Brief an die Bezirksvertretung auf die sozial prekäre Lage der Familien im Hochhauskomplex »Köln­berg« aufmerksam gemacht und forder­ten darin ihr in der UN-Kinderrechts­konvention verankertes Recht auf »Ruhe, Freizeit und Spiel« ein.

Dieser Brief inspirierte ein Semesterprojekt, in dem die Studierenden gemeinsam mit den Kindern eine Kampagne entwickel­ten, die der Forderung Nachdruck verleihen sollte. Um für Zusammenhalt unter den Beteiligten zu sorgen, entwarfen die Designe­rinnen und De­signer zunächst ein Branding mit Logo, Typo­grafie und Illustration für Shirts, Buttons und Banner. Emotionale Fotos von den Kindern und der Ausgangssituation sowie ein Film do­kumentierten nicht nur die Zusammenarbeit, sondern kommunizierten auch die Dringlich­keit des Projekts nach außen. Zudem entwickelte das Team Pläne für einen Umbau des sel­ten genutzten Tennisplatzes zu einem Skate­park und erarbeitete in Workshops weitere Ideen für eine Neugestaltung der Spielmöglichkeiten am Kölnberg.

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DemenzDinge: Social Design im Tandem

Mosaikrahmen für an Demenz erkrankte Mosaikleger:innen

Ihre Social-Design-Kurse im Fachbereich Produktdesign der FH Münster hält Professorin Carolin Schreiber klein, um so auch eine engmaschige Betreuung gewährleisten zu können. In dem einsemestrigen Projekt »DemenzDinge« standen den fünf Studierenden zudem zwei Soziologinnen zur Seite. Nach einer Einführung in die Grundlagen der Sozialforschung begleiteten diese die Gruppe in eine Einrichtung für Demenz­erkrankte. Dort übernahmen dann ausgewählte Pa­tient:in­nen, Angehörige und Pflegekräfte die Rolle von Co-Designer:innen.

Ziel des Kurses ist es zu lernen, durch narrative Interviews, teilnehmende Beobachtung sowie visuelle Stimulation mittels Skizzen herauszufinden, wel­ches Produkt im Leben der Co-Designer:innen eine positive Veränderung bewirken kann. Diese Ideen entwickelten die Studierenden in iterativen Schleifen weiter zu konkreten Produktprototypen. So entstan­den kleine Alltagshilfen und Produkte, wie eine Fern­bedienung mit reduzierten Tasten und zugehöri­gem TV-Programm-Flyer, um die Bedienung zu erleichtern, oder ein Mosaikrahmen, der es einem an Demenz erkrankten Glaskunsthandwerker erlaubt, seine Kreativität trotz eingeschränkter kognitiver Fähigkeiten auszuleben.
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»Sh!neey«: Gesellschaftliche Normen hinterfragen

Cover des Magazins Sh!neey vor rosa Plüschhintergrund

In der UdK-Grafikdesignklasse von Fons Hickmann geht es hoch her. Er fördert bei seinen Studierenden nicht nur eine politische und kritische Haltung, sondern ermutigt auch dazu, im freien Umfeld der Hochschule zu experimentieren und die Grenzen der Gestaltung auszureizen. So schufen Angelika Pientka, Leonor Gläser, Pauline Luca Wunderlich und Antonia Gericke 2022 im Kurs »Projekt Null« die erste Ausgabe des Magazins »Sh!neey« – einer kritischen Publikation über Inklusion, Gendergleichberechtigung und von den Me­dien propagierte Körperideale. Diese komplexen The­men visualisierten die Designerinnen in der schrillen Ästhetik der 2000er, also ihrer eigenen Jugendzeit. Das »politisch korrekte Gegenexemplar zur ›Bravo‹«, so die Macherinnen, soll in Text und Bild hinter­fragen, wie ihre Generation mit unterschiedlichen Me­dien aufwuchs, was damals fehlte und was sich seither verändert hat.

Doppelseite des Magazins Sh!neey vor rosa Plüschhintergrund Doppelseite des Magazins Sh!neey vor rosa Plüschhintergrund
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Zukunft gestalten: Designpotenziale im Podcast

Coverbild des Podcasts "Zukunft gestalten". Illustration mit einer Glühbirne, die funkelt vor gelbem Hintergrund

Was kann Design in Zukunft bewirken? Diese Frage beantworten Absolvent:innen der Bergi­schen Universität Wuppertal kurz und unterhaltsam im In­terview mit Fabian Hemmert, Professor für UX und Interface Design. Er entwickelte den Podcast »Zukunft gestalten«, um seinen Studierenden zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, und lädt regelmäßig Absolventinnen und Absolventen dazu ein, ihre Projektkonzepte zu erklären. Im lockeren Gespräch mit ihm schildern sie ihre Idee, geben Einblicke in die Entwicklung und beschreiben Schlüsselelemente der Gestaltung. Neben spannenden Apps, Produk­ten und Kommunikationskonzepten stellt der Pod­cast auch die Philosophie der Hochschule vor und verdeutlicht den Anspruch der Studierenden, mit jedem Projekt eine bessere Zukunft zu gestalten. Bei der Produktion des Podcasts wird Fabian Hemmert von Studierenden unterstützt, die das mobile Ton-Equipment für die Aufnahmen bedienen. Zu hören gibt es die 20-minütigen Folgen auf allen gängigen Portalen.

Episodencover der ersten Folge des Podcasts Zukunft gestalten

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Spannende Artikel zum Thema Social Design, Sustainability und Designlehre

Dieser Artikel ist erschienen in PAGE 02.2023. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PDF-Download: PAGE 02.2023

Storytelling für nachhaltiges Design ++ Designhochschulen im Wandel ++ Green Web: Konzepte und Tipps ++ Boomende Kreativszene aus Afrika ++ Umweltfreundliche Printproduktion ++ ENGLISH SPECIAL Yuri Suzuki ++ Circular Experience Design ++ Revival als Variable Font: Neue Television

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