Ausgerechnet auf einem Parkplatz in Landsberg am Lech konnte man die Vibes der Roaring Twenties auf neue Weise erleben: »Das Labyrinth – 100 Jahre Hitlers Festungshaft« lässt Besucher:innen mit Hilfe von KI-generierten Artworks in die deutsche Geschichte und Kunstwelt der 1920 Jahre eintauchen.
Traurig: Nach nur zwei Jahren schließt heute das kleine Grosz-Museum in Berlin. Georg Grosz war Dadaist, Mitgründer des ersten Dada-Clubs in der Hauptstadt und wesentlich politischer seine Züricher Dada-Freund:innen. Seine Gruppe schuf gesellschaftlich polarisierende Bilder, Kollagen und Installationenund und erst kürzlich dienten Grosz und seine Zeitgenossen als Inspiration für eine ganz besondere Ausstellung in Landsberg.
Landsberg Prison Blues
Die bayrische Kreisstadt am Lech ist wohl – nicht zuletzt durch den hier entstandene Hit von Johnny Cash – traurig berühmt für ihre Gefangenenanstalt; als komfortable Unterkunft für die NSDAP-Putschisten Hitler und Heß, als War Criminals Prison No. 1 der US-Armee oder zuletzt als JVA für die Steuersünder Hoeneß und Schuhbeck.
Hier schrieb Hitler den ersten Teil von »Mein Kampf« und auch sonst hatte der spätere NSDAP-Reichskanzler offenbar eine recht angenehme Zeit in der Zelle, wie seine erst 2010 wieder aufgetauchte Gefangeneakte belegt.
»Die Festungshaft war eine Art Ehrenhaft für politische Straftäter. Hitler empfing hier während seiner erheblich verkürzten Haft wegen Hochverrats hunderte Besucher, die ihn mit Schreibmaschinen, reichlich Alkohol, Lebensmitteln und sonstigen Luxusgütern versorgten«, erklärt Wolfgang Hauck, Multimediakünstler, Theaterleiter und Ausstellungsmacher aus Landsberg am Lech.
Geschichte braucht Raum
Für »Das Labyrinth – 100 Jahre Hitlers Festungshaft« widmete er sich gemeinsam mit der Historiken Dr. Edith Raim der Vor- und Nachgeschichte des sogenannten Hitlerputsches von 1923, die eben in der illustren Hitlerzelle (NS-Sprech Hitler-Stube) in Landsberg und schließlich typisch ästhetisierender nationalsozialistischer Propaganda mündete.
Dr. Raim hob vorallem die einzigartige Situation in Bayern in den 1920er Jahren hervor: »Hitlers Aufstieg bis 1923 wäre an keinem anderen Ort möglich gewesen als in München. Der Hitler-Ludendorff-Putsch ist eng mit den politischen Verhältnissen in Bayern verbunden“, erklärt Raim und Hauck ergänzt:
»Landsberg ist seit 100 Jahren sehr fokussiert auf Hitler, er saß hier nicht nur in Haft, sondern hatte während der späteren NSDAP-Herrrschaft die glühendsten Anhänger in Oberbayern. Die NS-Geschichte wird natürlich von vielen Institutionen und Weissenschaftler:innen aufgearbeitet, aber wie erreicht man die Menschen, die sich gar nicht dafür interessieren?«, so Hauck. Die Lösung: eine Ausstellung auf 10.000 Quadratmetern mitten in der Stadt.
Durch ein Bauzaun-Labyrinth zur Hitler-Zelle
Um die Komplexität des Themas und die nicht lineare Entwicklung hin zur NS-Diktatur nachzuzeichnen, ist die Ausstellung als Labyrinth in 40 kurzen Kapiteln ohne vorgegebene Route konzipiert.»Es war kein gerader Weg, der zu dieser Entwicklung führte, sondern ein Labyrinth aus Irrwegen, Sackgassen und am Ende ein Abgrund ohne Umkehr«, so Hauck.
Für ihn ist klar: Zeitgemäße Geschichtsvermittlung muss mehr bieten als museale Präsentationen. Sie brauche offene Diskursräume, die einen dynamischen und lebendigen Umgang mit Geschichte ermöglichen. So entwicklt er seit 2013 Formate mit Bauzauninstallationen, die temporär, flexibel und dynamisch Geschichte im öffentlichen Raum verhandeln.
»Schon die Nutzung eines Parkplatzes als öffentlicher Raum und der Baustellencharakter verhindern eine Ästhetisierung der Darstellung des Nationalsozialismus. Durch die visuelle Gestaltung mit neuen Bildwerken verhindere ich ebenso, daß die Wiederholung der Propagandabilder der Täter ungebrochen wieder wirksam werden kann.«, so Hauck. Er spielt damit auf ein Ausstellungsposter in Landsberg an, das die propagandistisch gestellte Hitleraufnahme vor der Haftanstalt unkommentiert reproduziert.
Nicht alles war Schwarz-Weiß
Die Bildwelten für den begehbaren Geschichtsparcours hat Wolfgang Hauck mithilfe von KI geschaffen, während Edith Raim ein breites Spektrum an sorgfältig ausgewählten Originalfotos und anderem Quellenmaterial beisteuerte, um die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Zeit anschaulich darzustellen.
»Ich wollte die Zeit der Weimarer Republik in einem neuen Licht zeigen – nicht alles war Schwarz–Weiß. Ich habe mich bewusst am Stil großer Künstler wie George Grosz, Käthe Kollwitz und Otto Dix orientiert und ihren Stil als künstlerisches Zitat und Hommage genutzt, um eine kritische, moralische Sicht auf die damalige Zeit zu vermitteln«, so Hauck.
KI-Tools im Schaffensprozess
Zu seinen Tools gehörten neben Midourney auch der Text-to-Image Generator Ideogram, der Upscaler Gigapixel 8 von Topazlabs, das Allround-Werkzeug Magnific, die KI-Features von Photoshopsowie das Freistellwerkzeug von Canva.
»Jedes Bild hat eine ganz individuelle Entstehungsgeschichte, mal habe ich die Stile gepromptet, mal habe ich in den Tools die Techniken der Künstler:innen aufgegriffen«, so Hauck. Für die Installation ließ er schließlich 80 von rund 120 Bildern auf PVC-Folien im Format 175 x 350 cm drucken.
Die Ausstellung »Das Labyrinth – 100 Jahre Hitlers Festungshaft« ist über die Labyrinth-App online weiterhin verfügbar.