Inclusive Design wird oft mit Design für Menschen mit Behinderungen gleichgesetzt. Dabei ist es viel mehr als das.
Inclusive Design ist eine Philosophie, die uns ermutigt, für möglichst unterschiedliche Menschen zu entwerfen. Eine Denkweise, die uns hilft, Produkte und Dienstleistungen im Zusammenspiel mit Blick auf Faktoren wie Körperbau, Alter, Geschlecht sowie sexueller, ethnischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Identität zu entwickeln. Das ethische Argument für integratives Design liegt auf der Hand, trägt es doch dazu bei, intersektionale Diskriminierung abzubauen und Chancengleichheit herzustellen. Natürlich hat dies auch einen geschäftlichen Nutzen: Design für eine größere Vielfalt von Menschen führt zu einer größeren Kundenbasis und stärkt die Marke.
Und dennoch, allen nutzerzentrierten Ansätzen zum Trotz schließt das Ergebnis unserer Arbeit immer wieder Menschen aus. Wer denkt schon konsequent über die Vielfalt der Menschen nach, die wir mit unseren Produkten erreichen und zufriedenstellen könnten? Oder auch darüber, dass wir, wenn wir von einer marginalisierten Position aus gehen, auch Gestaltungsansätze für die Mehrheitsgesellschaft gewinnen könnten? Und selbst wenn es Budget und Zeitdruck zulassen: Wie ist es um unsere Empathie tatsächlich bestellt? Sind wir überhaupt in der Lage, für »andere« zu gestalten? Verfügen wir über die nötige Diversität der Erfahrung, der Perspektive und der Kreativität? Mit der Beschäftigtenvielfalt in den Technologie und Designberufen ist es jedenfalls nicht weit her.
»Die Verbreitung von Design Thinking hat bewirkt, dass immer mehr Unternehmen es als Rechtfertigung nutzen, Diversität in ihren Teams zu ignorieren«
Jesse Weaver, Direktor des Entrepreneurial Design Studio an der University of Colorado Boulder
Dabei wissen wir es doch: Neben den funktionalen, technischen und wirtschaftlichen Anforderungen entscheiden letztendlich Kultur und Identität darüber, wie sich ein Entwurf bewährt. Und beides sind überaus komplexe Phänomene, die von permanenten Verhaltensänderungen und Erfahrungen leben, Faktoren also, die weitgehend außerhalb unserer Kontrolle liegen. Nur ein Bewusstsein dafür und breit aufgestellte, multikulturelle Projektteams können die gedankliche und praktische Vielfalt hervorbringen, die Antworten auf die drängenden Fragen unserer diversifizierten Gesellschaft zu geben vermag. Mit der Titelgeschichte von PAGE 12.2020 wollen wir Sie denn auch dabei unterstützen, die Voraussetzungen für inklusive Designprozesse zu schaffen – auf dass binäres Schwarz-Weiß-Denken bald ein Ende finde und ein nuancenreiches Lösungsspektrum entstehen kann: Wir sind viele!