Jimmy Ernst, Glückstadt – New York: lyrischer Dokumentarfilm über die Kunst des Buchdrucks, mit großen Namen und Bildern von Candida Höfer.
Für internationale Wissenschaftskreise war das kleine Glückstadt an der Elbe in den 20er und 30er Jahren ein durchaus renommierter Ort. Denn dort stand die Druckerei J.J. Augustin, die Bücher in allen Sprachen der Welt setzte – bis hin zu Runen und arabischen und chinesischen Schriftzeichen. Und dort lernte auch Jimmy Ernst (1920-1984), 15jähriger Sohn des berühmten Surrealisten Max Ernst und seiner Frau Louise Straus. Während die Eltern 1935 bereits nach Paris geflohen waren, nahmen die Augustins Jimmy auf – und ermöglichten ihm 1938 schließlich die Flucht nach New York und in ihre neue Dependance, die bis heute als JJ Augustin Inc in Locust Valley existiert.
In sehr langsamen und poetischen Bildern verknüpft Regisseur Christian Bau in »Zwiebelfische« die Lebensgeschichte Jimmy Ernsts mit der Entwicklung der Druckerei, lässt sie von Zitaten aus den Memoiren »Nicht gerade ein Stilleben« untermalen, erzählt von Jimmy Ernsts Reise von Glückstadt nach New York – und von der Faszination der Buchdruckkunst. Immer wieder kehrt er dabei in die Druckerei zurück, die heute mit ihren Setzkästen und Maschinen von einer anderen Zeit erzählt.
Faszinierend ist dabei vor allem wie Augustin einst das Setzen chinesischer Zeichen entwickelte – und zwar, als 1926 »Das Jahrbuch des Clubs chinesischer Studenten« gedruckt werden sollte, der Vorrat an 7.200 chinesischen Zeichen dazu aber nicht ausreichte. Er musste um unglaubliche 12.000 Schriftzeichen erweitert werden, die in »Chinesischen Zirkeln«, in runden Setzkästen, arrangiert wurden, in dessen Mitte der Setzer stand.
Doch wie behält man den Überblick bei einem »Alphabet«, das man nicht kennt? Und wie findet man die Zeichen einer Sprache, die man nicht versteht? Entwickelt wurde ein System, das die Schriftzeichen ihrer Gestalt nach in einer durchnummerierten Liste ordnete, deren Zahlen wiederum auf den Lettern verzeichnet waren.
Das System wurde ein großer Erfolg und das Repertoire unter anderem Griechisch, Hebräisch und Fremdalphabete wie das äthiopische, koptische, tamilische, tibetische und das japanische erweitert.
»Zwiebelfische«, wie Buchdrucker Buchstaben nennen, die sich aus einer anderen Schrift oder einem anderen Schriftschnitt in den Satz verirrt haben, lebt ganz von seinen Bildern. Immer wieder fährt die Kamera über fremde Alphabete, geheimnisvolle Zeichen und an Setzkästen entlang. Es ist ein Film für Interessierte – an Buchdruck, Typo – oder der Kunst von Jimmy Ernst.
Am Ende des Films wandelt Ernst’s Witwe Dallas durch die Ausstellung »BilderTräume« in der Nationalgalerie Berlin und zeigt anhand von Ernst’s Bildern, wie sehr sich die Faszination für Zeichen, die ihn bei JJ Augustin packte, durch sein Werk zieht.
Foto oben: Jimmy Ernst mit 15 Jahren
Ein »Chinesischer Zirkel« in der Druckerei Augustin
Schriftzeichen aus aller Welt in der Druckerei Augustin