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Zertifikat für Gemeinwohl-Ökonomie: Gut für alle

Wer sein Unternehmen nach den Kriterien der Gemeinwohl-­Ökonomie zertifizieren lässt, liefert damit ein Bekenntnis zu mehr ­Nachhaltigkeit. Und auch wenn der Schritt mit Aufwand verbunden ist: Die Agentur visuellverstehen hat ihn nicht einen Moment bereut. Wie so ein Zertifizierungsprozess aussieht

Das Testat der Gemeinwohl-­Zertifizierung listet die 20 zu analysierenden Punkte auf. 100 Prozent ist der höchste zu erreichende Wert

Die Sparda-Bank München hat es getan, Bioland, Vaude und jetzt auch die Agentur visuellverstehen in Flensburg: Sie haben eine Gemeinwohl-Bilanz er­stellt und sich zertifizieren lassen. Unternehmen, die sich der 2010 vom österreichischen Philologen Christian Felber ins Leben gerufenen Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) verpflichten, setzen sich für ein Wirtschafts­system ein, das nicht auf reiner Gewinn­maximie­rung beruht, sondern auch das Wohl der Allgemeinheit fördert.

Seit ihrer Gründung 2012 versuchen die Brüder Malte und Sören Riechmann, in ihrer Branding- und Digitalagentur visuellverstehen Soziales, Ökonomi­sches und Ökologisches in Balance zu halten. »Uns liegen nicht nur unsere Kundinnen und Kunden am Herzen, sondern auch unsere Wirkung auf Gesellschaft und Umwelt«, sagt Sören Riechmann. »Deswegen haben wir uns in einer Gemeinwohl-Bilan­zie­rung, mit unseren unternehmerischen Prozessen und ethischen Werten auseinandergesetzt.«

Workshops und Gespräche

Um eine solche Bilanz zu erstellen, muss man zunächst einmal Mitglied des Vereins zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie e. V. werden. Es folgt die Erstellung eines Berichts, in dem die Agentur ihre Orientierung am Gemeinwohl dokumentiert. Zwanzig Punkte gilt es zu analysieren – von der ökologi­schen Nachhaltigkeit in der Zulieferkette über die Ausgestaltung der Arbeitsverträge bis zur ethischen Haltung im Um­gang mit Geldmitteln.

»Über gut sechs Monate haben wir interne Workshops zu Themen wie Solidarität, Menschenwürde und ökologische Nachhaltigkeit durchgeführt«, berichtet Sören Riechmann. »Die Ergebnisse haben wir im GWÖ-Bericht festgehalten und zur externen Prü­fung geschickt.« Ein unabhängiger Berater der In­ter­national Federation for the Economy for the Common Good e. V. (  www.ecogood.org  ) überprüfte das Ganze gründlich und führte Gespräche mit der Geschäftsführung und Einzelnen der rund dreißig Mit­ar­­bei­­ter:innen. Anschließend bekam visuell­ver­stehen das Testat mit 405 Punkten ausgehändigt – die mög­li­che Zahl reicht von minus 3600 bis plus 1000 Punk­te. »Mit dem Wert sind wir sehr zufrieden«, meint Sören Riechmann. »Gut abgeschnitten haben wir vor al­lem bei unserem Umgang mit den Mitarbeiten­den und unse­rer ethischen sowie sozialen Haltung zu Geldmitteln.«

Das Team von visuellverstehen rückte durch die Erstellung der Gemeinwohl-­Bilanz noch enger zusammen. Ihre Erkenntnisse präsentieren sie in ihrem »Gemeinwohl-Magazin«, das man bei ihnen downloaden kann 

 

An anderen Stellen gab es noch Luft nach oben, nach der Bilanzierung nahm sich visuellverstehen vor, insbesondere vier Themen weiter zu verfolgen: Transparenz der Gehälter, ökologische Weiterbil­dun­gen, verringerte Arbeitszeiten mit dem Ziel einer 32-Stunden-Woche und Beteiligungen von Mitarbei­tenden. Insbesondere der letzte Punkt erwies sich als recht knifflig: »Es wird noch etwas dauern, bis wir hinsichtlich einer stärkeren ökonomischen Beteiligung der Mitarbeitenden am Unternehmen einen fairen und machbaren Weg finden. Aktuell gibt es immerhin schon einen Teambonus, der jährlich als Gewinnbeteiligung ausgezahlt wird und die letzten drei Jahre ein dreizehntes Gehalt überstieg.«

Unterstützung bei Recruiting und Akquise

Umsonst gibt es das Testat nicht. Die Kosten einer Gemeinwohl-Bilanzierung hängen stark von der Un­ternehmensgröße ab. Die Mitgliedschaft im GWÖ-Verein kostet visuellverstehen ungefähr 400 Euro im Jahr, das externe Audit knapp 1500 Euro. Und auch die ­eigenen Personalkosten, beispielsweise für die Erstellung der Bilanz oder die Teilnahme an den Work­shops schlagen zu Buche – ein fünfstelliger Betrag kommt da schnell zusammen. Trotzdem kann Sören Riechmann die Zertifizierung unbe­dingt emp­feh­len: »Sich gemeinschaftlich über zukunfts­­wei­sen­de Themen Gedanken zu machen schweißt nicht nur zusammen, sondern öffnet auch den Blick des Teams für größere Zusammenhänge. Das mo­­­­ti­­viert, weil einem noch bewusster wird, was die ­ei­­­gene Arbeit bewirkt.«

Um die Ergebnisse mit anderen Interessierten zu teilen, präsentierte visuellverstehen die gewonne­nen Erkenntnisse in einem Magazin (siehe oben  ), das den Kreativen wichtiger als die Punktzahl. Denn es verdeutlicht auf 48 Seiten, wie die Agentur tickt und wofür sie steht. Die Gemeinwohl-Zertifizierung bietet auch Vorteile beim Recruiting: »Die Bilanzierung ist ein Pfund, das wir gerne und erfolgreich in die Waagschale wer­fen. Sie hilft nicht nur bei der Akquise von Aufträgen, sondern auch von Mitarbeitenden«, so Sören Riechmann. Ob man es nun Purpose, Wertekultur, Achtsamkeit oder wie auch immer nenne: Den Men­schen sei heutzutage wichtiger denn je, mit wem und für wen sie arbeiteten. Anstelle von Lippenbekenntnissen kann visuellverstehen einen handfesten Bericht auf den Tisch legen.

Zwei Jahre ist das Testat gültig. Aktuell können die Flensburger noch nicht sagen, ob sie im Anschluss direkt einen neuen GWÖ-Bericht vorlegen werden. Sie versprechen aber, dass sie sich nicht auf den ­Ergebnissen ausruhen und sich weiter mit den Themen beschäftigen werden. Und vielleicht wollen sie auch noch nach anderen Zertifizierungsmöglichkeiten Ausschau halten – um wieder neue Impulse zu bekommen.

Dieser Artikel ist in PAGE 04.2022 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PDF-Download: PAGE 4.2022

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