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Was macht gute Society-Centered-Designer:innen aus?

Laut Burkhard Müller, Chief Digital Officer bei Mutabor in Hamburg: »Die Fähigkeit, Business-, User- und Society Value zu verstehen und zu priorisieren. Nur so können wir Lösungen für morgen entwickeln.«

Connect Was macht gute Society-Centered-Designer:innen aus?

Für den ganzheitlichen Ansatz des Society-Centered Designs brauchen Gestalter:innen ein erweitertes Skill Set. Wir fragten Vertreter:innen aus Hochschule und Studium sowie Menschen aus der Praxis, was es braucht, um erfolgreich society-cen­tered zu gestalten, und wie man diese Kom­petenzen am besten vermittelt. Folgende Personen standen uns Rede und Antwort: Pascal Finette, Mitgründer der Beratungsagentur be radical, Gesche Joost, Professo­rin für Designforschung an der Universität der Künste Berlin, Burkhard Müller, Chief Digital Officer bei Mutabor, Erik Spiekermann, Typograf und Designer sowie Stefan Wölwer, Professor für Interaction Design an der HAWK Hildesheim/Holzminden/Göttingen.

Was macht erfolgreiche Society-Centered-Designer:innen aus?
Stefan Wölwer: Sie stellen nicht einzelne Konsument:innen in den Fokus, sondern die Gesellschaft. Und sie verstehen sich auch nicht als Solist:innen im Orchester, sondern verorten sich als Teil eines interdisziplinären Teams, das in der Lage ist, die komplexen Fragestellungen unserer Zeit zu beantworten. Daraus erwächst eine be­son­dere Grund­haltung zum Menschen. Ob wir den darauf aufbauenden Gestal­tungs­pro­zess dann Society-Centered Design, So­cial De­sign oder User Experience Design nennen, ist beinahe egal.

Burkhard Müller: Erfolgreiche Designe­r:innen haben ihre Projekte unter Kon­trol­le, indem sie der Zeit voraus sind, und zwar in jeder Bedeutung: Sie setzen sich inhaltlich mit den Herausforderungen von morgen auseinander – und zwar bevor diese in laufenden Projekten akut werden. Denn nur, wenn sie ihren Auftraggeber:innen ­voraus sind, können sie ihr Projekt treiben, den Kurs vorgeben und auf unvorhersehbare Probleme souverän reagieren. Kun­­d:innen gewinnen so Sicherheit und Vertrauen und kommen nicht in die Ver­legenheit, Sicherheitsentscheidungen auf Basis alter, etablierter Muster zu treffen. Der Blick von außen ist sehr wertvoll, aber man kommt nicht darum herum, sich mit den wirtschaftlichen Zielen der Kun­d:in­­nen auseinanderzusetzen. Nur so stellt man sicher, dass man nicht die erstbesten Lö­sun­gen auftischt – und kann wirklich argumentieren und letztlich überzeugen.

 

 

 

 

»Society-Centered-Designer:innen verstehen sich nicht als Solist:innen im Orchester, sondern verorten sich als Teil eines interdisziplinären Teams, das die komplexen Fragestellungen unserer Zeit beantworten kann«

Stefan Wölwer

Welche zusätzlichen Kompetenzen sind für Society-Centered Design notwendig – im Vergleich zu »klassischem« Kommunikationsdesign?
Wölwer: Um es bewusst plakativ auszudrü­cken: Der vermeintlich »klassische« Kommunikationsdesigner gestaltet ein Buch, die Society-Centered-Designerin eine Bib­liothek. Ersterer verfügt noch über sämtliche not­wendigen Kompetenzen, um ein einzelnes Werk zu gestalten. Entworfen, gedruckt und fertig. Zweitere ist sich bewusst, dass sie die Rahmenbedingungen mitgestaltet, die die umfassen­den Aufgaben einer Bib­liothek erst möglich machen. Somit konzentriert sie sich ganz automatisch auf die Gesellschaft, auf all die Menschen, die lesen wollen, die sich informieren und bilden, ob E-Book oder Print. Auf Inhalt, Lesende und auch auf die techni­sche Infrastruktur.

Connect Booklet »Society-Centered Design bei Mutabor«

Herausforderungen für Gestalter:innen in der Praxis

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Müller: Wie beim User-Centered Design steht die Lösung von Problemen mithilfe von De­sign im Vordergrund. Society-Centered Design hat zudem eine deutlich größere ­stra­tegische Komponente. Desig­ne­r:in­nen brau­chen die Fähigkeit, Business-, User- und Society Value zu verstehen und zu priorisieren. Nur wer die Businessziele sowie die User- und Society-Bedürf­nisse verstanden hat, ist auch in der Lage, neue Lösungen zu entwickeln.

Erik Spiekermann: Designer:innen soll­ten stets gut informiert sein, viel lesen, neugierig sein und ihren Auftrag­gebe­r:in­nen voraus sein. Nur so können wir Rat geben und unsere Auftraggeber:innen erfolgreich machen.
Gesche Joost: Kritische Reflexion, Pro­b­lem­lösungskompetenz, eine solide in­ter­disziplinäre Grundbildung sowie techno­logische Skills sind meiner Ansicht nach zentral und müssen in der Lehre heute gemeinsam in communities of practice erarbeitet werden.

Pascal Finette: Mit einer Refokussierung vom Individuum zur Gesellschaft ändert sich der Blickwinkel von kompli­zier­ten zu komplexen Fragestellungen. Pro­duktde­si­gner:innen müssen lernen, in Systemen zu denken und zu agieren, und sich mit einer zunehmenden Komplexität wohlfühlen. Das bedeutet ein recht fundamenta­les Umdenken und nicht nur das Lernen von neuen, sondern auch das »Unlearning« von alten Denkmustern.

 

 

»Der Blick von außen ist sehr wertvoll, aber man kommt nicht darum herum, sich mit den wirtschaft­lichen Zielen der Kund:innen auseinanderzusetzen«

Burkhard Müller

Wie technisch versiert müssen Society-­Centered-Designer:innen sein?
Wölwer: Sie müssen nicht zwingend coden können, aber sie sollten über ein grundsätzliches Technologieverständnis verfügen. Denn die Gesellschaft wird nun mal über digitale Medien verbunden, da sollte man diese technischen Infrastrukturen auch verstehen. Society-Centered Design erfordert die ganzheitliche Betrachtung von komplexen Zusammenhängen.

Wie bereitet man Designer:innen darauf am besten vor? 
Wölwer: Ich rate ihnen, nicht auf die eigene vermeintliche Kreativität zu setzen, son­dern sich selbst lediglich als Teil eines Lösungsprozesses zu betrachten. Daraus erwächst dann hoffentlich die Erkenntnis, dass es auf die Mitmenschen ankommt – jene im Team und vor allem auf die, für die wir gestalten. Was ich vermitteln will: Star­te nicht alleine zu einem Hundertmetersprint, sondern zu einem Staffellauf, wo es auf jeden ankommt.

Müller: Ich habe eine ganz simple Formel für erfolgreiche Projektarbeit: Die härtes­ten Nüsse werden zu Beginn geknackt. Vie­le Designer:innen heben sich die kompliziertesten Aufgaben für den Schluss auf – und verbauen sich so bereits zu Beginn die Möglichkeit, wirklich wegweisen­de, neue Lösungen zu finden. Der einzige Weg ist die tiefe Auseinandersetzung mit Business Goals sowie mit User- und So­cie­ty-Bedürfnissen.

 

 

 

»Designer:innen sollten immer gut informiert sein, viel lesen, neugierig sein, ihren Auftrag-geber:innen voraus sein. Nur so können wir Rat geben und unsere Kund:innen erfolgreich machen«

Erik Spiekermann

Sollten Studierende auch in andere Wissens- und Forschungs­bereiche hineinschnuppern – zum Beispiel in Sozial-, Wirtschafts- oder Umweltwissenschaften?
Wölwer: Unbedingt! Aber nicht durch den Besuch einzelner Vorlesungen, die dann überfordern, sondern vielmehr durch gemeinsame Projekte! Dadurch lernen sie viel von anderen Wissens- und Forschungsbereichen. Vor allem lernen Studierende so, auch das eigene Handeln zu erklären, zu begründen und zu hinterfragen und die Kom­plexität heutiger gesellschaftlicher Fra­­ge­stellungen zu verstehen. Sonst bleibt es näm­lich bei vordergründig aufpolierten, angeblich so kreativen Ideen, die schneller in der Schublade landen, als man vorher das Skizzenpapier herausnehmen konnte.

Müller: Genau. Sie sollten auf keinen Fall noch zwei Studiengänge parallel starten. Der beste Weg ist, wenn sie sich ganzheitlich mit ihren Projekten auseinandersetzen. Die Fähigkeit kann man gar nicht früh genug ler­nen, weil sie im Job tagtäglich gefordert ist.

 

 

 

 

 

»Kritische Reflexion, Problemlösungskompetenz, eine solide interdisziplinäre Grundbildung und technologische Skills sind meiner Ansicht nach zentral«

Gesche Joost

Welche (persönlichen) Eigenschaften müssen Designer:innen für erfolg­reiches Society-Centered Design mitbringen?
Wölwer: Respekt, Wertschätzung, Neu­gier­de, Allgemeinwissen, Gestaltungswil­len.

Müller: Einfache Lösungen für komplexe Probleme finden; in kurzer Zeit ein Thema möglichst ganzheitlich verstehen; Empathie für Nutzer-, Gesellschafts- und Wirtschaftsziele; Lernbereitschaft sowie die Be­reitwilligkeit, das bessere Argument der per­sönlichen Meinung vorzuziehen; die Fähigkeit, den Kurs zu ändern.

Wo lauern Gefahren für Society-Centered-Designer:innen?
Wölwer: Die Gefahr lauert im ver­meint­­li­chen Verstehen des Problems. Häufig den­ken Designerinnen und Designer nur über die naheliegenden Lösungen nach, ohne über diese hinauszuschauen. Sie schaffen kurz­fristi­ge Interventionen statt nachhaltiger Sys­temänderung. Es reicht aber nicht, für die Rettung urbaner Lebensqualität in der Stadt einen Parkstreifen zu begrünen. Vielmehr brauchen wir das Verständnis kon­textueller Aspekte, beispielsweise von Lo­gistik und von Planungsverfahren, um den Ver­kehrskollaps und die Umweltverschmutzung nachhaltig zu vermeiden.

Müller: Society-Centered Design als Methodik führt Nachhaltigkeit und Gesellschaft von Anfang an in die Produktentwicklung mit ein. Zum Start jedes Projekts müssen sich alle Projektbeteiligten ehrlich fragen, welche Ziele verfolgt werden. Soll für ein NGO ein unkommerzielles Produkt entwickelt werden, das die Welt verbessert? Oder soll für einen DAX-Konzern ein Produkt entwickelt werden, um die Marktstel­lung auch in einer sich verändernden Gesellschaft zu sichern? Um von Beginn an für Klarheit zu sorgen, arbeiten wir mit ­Intensity Levels, die von den Auftrag­ge­ber:in­nen definiert werden.

 

 

»Mit einer Refokus­sierung vom Individuum zur Gesellschaft ändert sich der Blickwinkel von komplizierten zu komplexen Fragestellungen«

Pascal Finette

Das braucht es für gutes Society-Centered Design

  • Respekt und Wertschätzung
  • Großes Allgemeinwissen
  • Neugierde und Lernbereitschaft
  • Gestaltungswillen
  • Schnelles und umfassendes Verständnis von Zusammenhängen
  • Empathie für Nutzer-, Gesellschafts- und Wirtschaftsziele
  • Bereitschaft, das bessere Argument der persönlichen Meinung vorzuziehen
  • Mut, den Kurs zu ändern
  • Einfache Lösungen für komplexe Probleme finden

Mehr über die von Mutabor entwickelte Society-Centered-­De­sign-Methodik.

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Herausforderungen für Gestalter:innen in der Praxis

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