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Was ist eigentlich Empathic Branding?

Empathic Branding ist der nächste Schritt in der Evolution des Brand Designs – denn heute kommunizieren Marken wirklich mit Menschen.

Empathic Branding

Wenn es um Marken geht, hatten deutsche Konsumenten schon immer ein großes Bedürfnis nach Sicherheit und Vertrauen in die Qualität der dahinterstehenden Produkte. Und so war Wiedererkennbarkeit in der Markenkommunikation immer sehr wichtig. Daher steht das Brand Design hierzulande traditionell vor allem für das Ordnen und Zuordnen von Gestaltungselementen. Design soll Orientierung geben und das Qualitätsversprechen einer Marke konsequent, konsistent und langfristig kommunizieren.

Dieses Verständnis hat historische Wurzeln: Die Standards, die Gestalter heute noch stark beeinflussen, wurden bereits in den 1950er Jahren von den Mitgliedern der Hochschule für Gestaltung Ulm begründet. Diese postulierten: Im Design hat alles seinen festen Platz, seine Funktion, seine Ordnung. Der legendäre Chefdesigner von Braun, Dieter Rams, nahm das besonders wörtlich und wollte das Chaos nach dem Krieg mit seinen Designprinzipien beseitigen, aufräumen und neu gestalten. Noch heute gilt er als eine der wichtigsten deutschen Design-Ikonen.

Brand-Manuals: Bedürfnis nach Orientierung

Noch immer haben Brand Designs die Aufgabe, Ordnung und Orientierung zu schaffen. Statische Erscheinungsbilder haben den Vorteil, dass sie für eine konsistente, medienübergreifende Implementierung der Gestaltungsrichtlinien sorgen. Dank ihnen können Kommunikationsmittel jederzeit markengerecht reproduziert beziehungsweise gestaltet werden. So wird eine Marke weltweit aufgrund der einheitlichen und korrekten Darstellung wie gewünscht wahrgenommen.

Dieses typisch deutsche Sicherheitsdenken kann auf Unternehmensseite aber auch ein echter Innovationshemmer werden. Die Angst vor Fehlern lähmt die Ideenentwicklung, besonders bei traditionellen Unternehmen. Diese werden inzwischen reihenweise auf der Instagram-Überholspur von jungen Start-ups abgehängt. Die Frage ist daher, ob derart starre Regeln nicht mittlerweile ausgedient haben. Müssen Designelemente wirklich lückenlos und pixelgenau festgelegt und in aufwendigen Manuals dokumentiert werden, die nichts dem Zufall überlassen?

Müssen Designelemente wirklich lückenlos und pixelgenau festgelegt und in aufwendigen Manuals dokumentiert werden, die nichts dem Zufall überlassen?

Selbst ein absoluter Klassiker der deutschen Designgeschichte war nicht ganz so strikt, wie man vermuten würde: Das Designhandbuch der geplanten »heiteren« Olympischen Spiele 1972 hatte zwar den ernsten und dogmatisch anmutenden Titel »Richtlinien und Normen für die visuelle Gestaltung«, war aber durchaus ein flexibles Designsystem. Otl Aicher hatte als verantwortlicher Gestalter dafür gesorgt, dass das Erscheinungsbild in einem gewissen Rahmen auch »freies Spielen« mit Farben, Formen und Schrift zuließ. Insofern ein Vorreiter für flexibles Brand Design!

Zugegeben: Für Branchen, in denen Werte wie Sicherheit an erster Stelle stehen, zahlen statische Brand Designs sicherlich auf die Marke ein. Ungern möchte man Kunden dort durch wechselnde Gestaltungselemente verunsichern. Nicht ohne Grund steht seit 46 Jahren das Logo der Deutschen Bank, gestaltet von Grafikdesigner Anton Stankowski, unverändert für »Wachstum in einem stabilen Umfeld«.

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Brand-Systeme: Dynamik und Flexibilität

Doch die Welt hat sich seit den 1950er Jahren enorm verändert. Markenunternehmen haben es mit einem stetig wachsenden Wettbewerb zu tun. In immer schnelleren Zyklen werden neue Produkte und Marken aus dem Boden gestampft, um die zunehmend vielfältigeren Zielgruppen zu erreichen. Mit der Digitalisierung kommen zudem immer neue Touchpoints mit vielschichtigen Gestaltungsanforderungen hinzu. Und über zahlreiche Kanäle bekommen Marken direktes Feedback von Konsumenten, was konkrete Handlungen bis hin zu strategischen Korrekturen nach sich ziehen kann. Die Rahmenbedingungen für Marken sind dynamischer geworden, die Ansprüche an die Erscheinungsbilder komplexer. Flexible Brand-Systeme gehen darauf ein, passen sich veränderten Gegebenheiten an und sind trotzdem in der Lage, die Markenidentität treffend zu kommunizieren.

Die Rahmenbedingungen für Marken sind dynamischer 
geworden, die 
Ansprüche an die  Erscheinungsbilder komplexer.

Experimentiert wurde in dieser Hinsicht schon viel. Beispielsweise 2011 am MIT Media Lab: Dessen Logo konnte dank eines Algorithmus 40 000 verschiedene Formen und zwölf Farbkombinationen annehmen, wodurch jeder Mitarbeiter und jeder Studierende ein eigenes Zeichen erhielt. Dieser neuartige Ansatz des generativen Designs wurde zwar hochgelobt, überforderte im Alltag aber sogar hochdekorierte Wissenschaftler. Das Konzept wurde schon 2014 durch ein weniger flexibles Designkonzept von Pentagram abgelöst. Das neue statische Logo diente dabei als Template für weitere Bildzeichen, die die einzelnen Forschungsgruppen kennzeichnen. So entstand ein einzigartiges Zeichensystem, verständlich, vielfältig und flexibel erweiterbar – wenn auch nicht ganz so experimentell wie der vorherige Entwurf.

Inzwischen haben sich flexible Erscheinungsbilder etabliert. Hat das statische Designmanual mit all seinen Regeln als unfehlbare »Bibel« also ausgedient? Nicht ganz: Richtlinien und Vorgaben sind nach wie vor wichtig. Inzwischen sprechen wir aber eher von visuellen Brandingsystemen, statt von starren unveränderlichen Designelementen. Dabei kommt es auf die richtige Mischung an: Die konstanten Bestandteile müssen klar definiert sein, damit die variablen Parameter kreativ ausgespielt werden können. Hierfür ist das klassische Manual nicht mehr ausreichend. Digitale Brand-Portale versorgen heute alle Beteiligten vom Mitarbeiter bis zur externen Kommunikationsagentur mit relevanten Materialien, Dokumentationen, Templates und Anleitungen für die mitunter komplexen dynamischen Anwendungen. Das alles ist kein Selbstläufer, sondern muss permanent von Gestaltern begleitet, aktualisiert und weitergedacht werden. Brand Design ist heute im Idealfall ein dynamisches Spielfeld mit viel Freiraum und erfordert Mut und Freude am Experiment.

Connect Empathic Branding Grafik Ansgar Eidens

Wechselwirkung von 
Markenidentität und Image
Die Markeninhaber haben ein eigenes Bild der Marke im Kopf: das Selbstbild. Design, Behaviour Culture und Communication können das Image der Marke beim Konsumenten beeinflussen. Der Konsument hat allerdings sein ganz eigenes Bild der Marke im Kopf: das Fremdbild. Feedback vom Konsumenten über seine Bedürfnisse und Erwartungen können wiederum Einfluss auf die Markenidentität haben.

Brand Thinking: Die Marke verinnerlichen

Mittlerweile hat sich ein neues Paradigma herausgebildet: Beim Brand Thinking geht man davon aus, dass Marken nur dann nachhaltig erfolgreich sein können, wenn die Markenbildung mit einer gelebten Unternehmenskultur einhergeht und durch ein stimmiges Brand Design kommuniziert wird. Das gelingt nur, wenn Design im unternehmerischen Prozess verortet ist – und alle Mitarbeiter entsprechend mitziehen. Nur unter diesen Bedingungen ist auch Empathic Branding möglich. Dieses bildet den nächsten Schritt in der Evolution des Brand Designs – denn heute kommunizieren Marken wirklich mit Menschen. Wenn aber eine Marke flexibel und empathisch auf Situationen, Kontexte und Bedürfnisse von Kunden eingehen soll, müssen die Grundlagen dafür geschaffen sein. Das Unternehmen muss sich der Werte der Marke bewusst sein, um mit Inhalten und Storys glaubwürdig und emotional seine Zielgruppe erreichen zu können. Um die situationsbedingte Ansprache gestalterisch umsetzen zu können, braucht es dynamische, modulare Designsysteme – aber eben mit konstanten Grundlagen wie den Markenwerten.

Brand Design ist heute im Idealfall ein dynamisches Spielfeld mit viel Freiraum und 
erfordert Mut und Freude am 
Experiment.

Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie Marken auf aktuelle Situationen und veränderte Bedürfnisse, Ängste und Sorgen der Konsumenten reagieren können. Beispielsweise die Textilindustrie: Selbst konservative Hemdenhersteller haben bewiesen, dass sie in kürzester Zeit neue Produktionslinien aufbauen und dringend benötigte Schutzmasken zu akzeptablen Preisen anbieten können. Dabei bedurfte es keiner umfangreichen Werbekampagnen, es reichte eine einfache Kommunikation des neuen Angebots: Bilder von Unternehmensmitarbeitern mit Maske signalisieren unternehmerische Flexibilität genauso wie Fürsorge, Solidarität und gesellschaftliche Verantwortung. Ganz im Gegensatz zu abstrakten Marketingideen, bei denen etwa durch Bierkonsum der Regenwald gerettet werden soll.

Haltung wird durch konkretes Handeln glaubwürdig und von Konsumenten honoriert. Dazu passende Erscheinungsbilder erzählen eine authentische Story und sind nachvollziehbar. Oberflächliche Kampagnen hingegen »versenden sich«. Konsumenten erwarten immer mehr, dass Marken sie wahrnehmen und sich auf sie einstellen. Durch Empathic Branding entsteht dieses Gefühl der Verbundenheit, das eine enge Beziehung zum Kunden ermöglicht. So kann eine nachhaltige Markenbindung entstehen.

Brand Design: Zukünftige Herausforderungen

Die Zukunft des Brand Designs wird durch neue Technologien angetrieben. Schon heute verändern künstliche Intelligenz und Voice-Based-Services die Markenkommunikation. Gestalter müssen sich neue Fragen stellen: Wie können Sprachassistenten eine gebrandete Stimme erhalten? Wie lassen sich Klangwelten erschaffen, die mit der Marke assoziiert werden? Gleichzeitig macht KI den Designprozess produktiver und ermöglicht überraschende Experimente, die mit herkömmlichen Mitteln bislang nicht machbar waren. Die Anfänge sind gemacht: Generatives Design, automatisierte Layoutgeneratoren und intelligente Bildbearbeitungsprogramme erleichtern die Entwicklung von Brand-Design-Elementen und erweitern den Gestaltungshorizont beträchtlich. Und auch Technologien wie Augmented und Virtual Reality sind weiter auf dem Vormarsch.

Designer werden in Zukunft noch mehr Verantwortung 
tragen und in unternehmerische und gesellschaftliche Fragestellungen 
eingebunden. Dafür braucht es vor allem eines: Empathie.

Man sieht: Gestalter benötigen für zukünftige Aufgaben ein großes Verständnis für digitale Zusammenhänge und Abläufe. Die klassische Aufteilung in »Print« und »Online« wird es sicherlich nicht mehr lange geben. Es geht auch nicht mehr um rein visuelle Gestaltung. Designer müssen in verschiedenen Dimensionen denken können, die zum Beispiel auch Audio, Animation und Interaktionen umfassen: Welche Prozesse werden in Gang gesetzt, wenn ein Logo digital berührt oder –in Zukunft immer öfter – angesprochen wird? Für die Arbeit in internationalen Teams sowie für Marken, die an verschiedenen Orten der Welt und bei unterschiedlichen Zielgruppen erfolgreich sein wollen, ist zudem interkulturelle Kompetenz und Interdisziplinarität zwingend notwendig. Designer werden in Zukunft noch mehr Verantwortung tragen und in unternehmerische und gesellschaftliche Fragestellungen eingebunden. Dafür braucht es vor allem eines: Empathie – und zwar nicht nur für Unternehmen, Marken und Kunden, sondern für Menschen im Allgemeinen.

Autor: Ansgar Eidens, Program Director Brand Design, Brand University of Applied Sciences

Dieser Text entstand im Rahmen von Connect Creative Competence, der Initiative von PAGE zur Förderung neuer Kompetenzen in Agentur, Hochschule und Unternehmen.

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Als ich um 1998 herum im Beruf als Desiger einstieg, sprachen wir vom “modularen Design”, das nicht mehr starren Anwendungsregeln folgte. Das war die grafische Loslösung vom Alten und damit Hinwendung zum botschaftsbezogenen “empathic branding”, bei uns in der Agentur heißt es “emotional branding”. Es ist seit rund 20 Jahren auf dem Vormarsch.
    Es braucht aber auch empathisches Gespür, diese Veränderung in der Wahrnehmung der Kunden zu erkennen. Es wäre wünschenswert, wenn noch mehr Lehrende und andere Vorbilder selbst den Schwenk schaffen vom klassischen pixelgenauen Design hin zum emotionalen Design, das moderne Kanäle mit ihren Stärken nutzt und die Botschaft als Beziehung zum Kunden und klares Unterscheidungsmerkmal in den Vordergrund stellt.
    Immer noch kommen frische Studienabsolventen zu uns, die uns von SWOT-Analysen und sehr viel anderer grauer Theorie erzählen, ohne wirklich die Frage nach der Botschaft zu stellen, geschweige denn, sie zu fühlen oder zu beantworten. Das mag zu einem Teil auch dem jugendlichen Alter geschuldet sein, dass Empathie noch nicht ausgeprägt ist.
    Den Funken zu säen sollte aber die Ausbildung, das Studium schon vornehmen.

    Als Agenturbranche ist es unsere Aufgabe, Kunden und deren Kunden zu begeistern. Mit rückwarts gerichteten Analysen und Zahlen? Geschäftsführer stehen auf Zahlen und Analysen, da fühlen sie sich Zuhause und wohl. Jemanden aber mit dem zu füttern, was er ohnehin schon kennt, wird ihn zwar satt machen, aber nicht glücklich.
    Bindung entsteht durch Begeisterung!

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