Schwellentechnologien und Eigenentwicklungen: Der Producer immersiver Medien arbeitet häufig in technischem Neuland.
Von immersiven Medien spricht man meist, wenn es um interaktive Installationen in Verbindung mit Virtual Reality oder Augmented Reality geht. Genau genommen sind aber auch klassische Inszenierungsformen wie ein packendes Bühnenstück, ein spannender Film, ein fesselndes Buch oder eine geheimnisvolle Klanginstallation immersiv – eben alle Medien, die den Nutzer völlig in die inszenierte Welt eintauchen lassen.
Wenn diese Beschreibung umständlich klingt, dann auch deshalb, weil immersive Medien keiner klassischen Mediengattung angehören, sondern eine Kombination aus unterschiedlichen Medien und Interaktionsformen sein können, die im Raum inszeniert werden. Häufig kommen hier Schwellentechnologien zum Einsatz, für die es noch keine etablierten Produktionsroutinen gibt. So muss der Creative Producer in diesem Arbeitsfeld seine Methoden oft selbst entwickeln. In dieser Umgebung fühlen sich Pioniere wohl, die unkonventionell arbeiten und notfalls auch improvisieren können.
Mit immersiven Rauminszenierungen müssen unterschiedlichste Sehgewohnheiten bedient werden
Das klingt nach Experimentieren und Ausprobieren – jedoch müssen gerade mit immersiven Rauminszenierungen höchste Erwartungen erfüllt und unterschiedlichste Sehgewohnheiten bedient werden, denn mediale Rauminstallationen auf Messen, in Museen, im öffentlichen Raum oder auch bei Werbeinstallationen oder auf Business-Events bieten meist eine Publikumssensation und genießen höchste Aufmerksamkeit. Beim Entwickeln wird also durchaus reichlich experimentiert, nicht aber in der Produktion. Die komplexe Installation muss am Ende nicht nur technisch perfekt funktionieren, sondern das Erlebnis des Besuchers muss eindrucksvoll und stimmig sein – ohne Einschränkungen seines eigenen intuitiven Handelns.
Ursprung in der Filmproduktion
Producer kennen wir erst seit Kurzem in diesem Feld. Der Begriff stammt aus der Filmproduktion und bezeichnet dort einen Angestellten oder Freelancer, der sich im Auftrag einer Produktionsfirma um Stoffentwicklung, Finanzierung, Produktion und Vertrieb kümmert, während der Produzent oft auch an der Produktionsfirma beteiligt ist. Dabei unterscheiden die Fachleute unter anderem zwischen Line-Producer (rechte Hand des Regisseurs und verantwortlich für Organisatorisches), Executive-Producer (geschäftsführend zuständig für inhaltliche und finanzielle Rahmenbedingungen) und Co-Producer (assistiert bei Casting, Regie und Logistik).
Florian Reimann, Gründer und Geschäftsführer der Münchner Film- und Fernsehproduktion FR Entertainment, ist selbst Produzent und sagt dazu: »Jeder Producer oder Produzent muss kreativ arbeiten. Sicher überwiegen oft organisatorische oder wirtschaftliche Aufgaben, aber von der Stoffentwicklung bis zur finalen Schnittabnahme wirkt der Producer stets an der Kreation mit oder leitet die kreativen Prozesse direkt. Einen nicht kreativen Producer gibt es nicht.«
Vor diesem Hintergrund hat sich zwar mit immersiven Rauminstallationen ein neues Arbeitsfeld für Creative Producer ergeben, aber das Aufgabenprofil bleibt: Schon immer führten Producer Gestaltung und Dramaturgie, Raum und Inszenierung sowie Medien und Technologie zusammen und gewährleisteten ein rundes Gesamterlebnis.
L’art pour l’art ist hier ebenso fehl am Platz wie Technik um der Technik willen
Dabei gilt: L’art pour l’art ist ebenso fehl am Platz wie Technik um der Technik willen. Gerade Schwellentechnologien reizen immer wieder dazu, Verfahren nur deswegen einzusetzen, weil sie gerade als Hype gefeiert werden. Ein erfahrener Creative Producer wird sich jedoch hüten, auf solche Trends zu setzen. Die erste Virtual-Reality-Welle in den 1990er Jahren oder die 3D-Stereo-Welle in den frühen 2010ern bieten viele Beispiele solcher aufwendigen und zugleich sinn- wie erfolglosen Produktionen. Statt der jeweiligen Technologie muss stets das Erlebnis im Mittelpunkt stehen. Das schafft der Producer immersiver Medien mit Storytelling: abstrakt oder ganz real erzählt. Der User muss eine eindrucksvolle Geschichte erleben, am besten seine persönliche, eigene Geschichte.
So entsteht Immersion: Creative Producer führen Gestaltung und Dramaturgie, Raum und Inszenierung sowie Medien und Technik zu einem runden Gesamterlebnis zusammen, das den Betrachter vollständig einnimmt.
Technik verstehen, nicht beherrschen
Producer immersiver Medien benötigen ein ausgeprägtes technisches Verständnis. Der Creative Producer muss die eingesetzten Werkzeuge nicht alle selbst virtuos beherrschen, aber er muss ihre Prinzipien und Möglichkeiten kennen. Dazu zählen natürlich die klassischen Kreativwerkzeuge für Grafik und Bildbearbeitung, für Animation und Compositing sowie für Videoschnitt. 3D-Animationssoftware wie Cinema 4D, Maya oder 3ds Max sollte man zumindest dem Prinzip nach verstehen. Auch die gängigen Game-Engines, Raumklangverfahren wie Spatial Audio und Programmierumgebungen wie Pure Data, Max/MSP, vvvv, Processing oder Java gehören in den Werkzeugkasten, denn mit ihnen werden die Komponenten verbunden, die Sensoren ausgelesen, Schnittstellen zum Kommunizieren gebracht und viele andere Echtzeitaufgaben erledigt. Hinzu kommen zumeist Hardware wie VR-Brillen, Tracking-Tools wie Leap Motion oder Kinect sowie aktuelle Projektions- und Audiotechnik und einiges mehr.
Gerade die nicht geregelten und selbst definierten Rollen machen die extreme Dynamik in diesem Feld möglich. Wer Sicherheit braucht, ist hier falsch
Das alles wird natürlich kaum eine Person alleine beherrschen, aber dafür gibt es im Team eines Creative Producers Spezialisten, die je nach Anforderung meist als Freelancer ins Projekt gebucht werden. So entstehen dynamische Teams auf Zeit, die genau die richtigen Kompetenzen für ein Projekt einbringen. Der Producer immersiver Medien muss also in der Regel nicht selbst produzieren, aber die Prinzipien verstanden haben, damit er mit all den Spezialisten im Team konstruktiv kommunizieren kann. Präsentationswerkzeuge wie Keynote sowie Planungs- und Kommunikationstools wie ClickUp oder Slack allerdings muss er sicher einsetzen können und routiniert beherrschen, denn Planen und Kommunizieren gehören zu den Kernaufgaben des Creative Producers.
Creative Producer: Ideen anschaulich machen
Aber nicht nur technisches Wissen braucht der Creative Producer, sondern – wie der Name schon sagt – vor allem in der Entwicklungsphase ein hohes Maß an Kreativität. Dabei geht es meist nicht um das eigentliche Entwerfen und Entwickeln – das leisten zumeist die Kreativen im Team, also Artdirektoren und Autoren. Der Producer immersiver Medien stimmt diese Prozesse jedoch aufeinander ab und sorgt vor allem für Pre-Visualisierungen, die den Kunden überzeugen und allen Projektpartnern und Mitwirkenden (auch im eigenen Team) das Vorhaben insgesamt erklären und das geplante Ergebnis greifbar machen.
Diese Pre-Visualisierungen gewinnen zunehmend an Bedeutung, weil die Projekte meist hochkomplex und zugleich hochinnovativ sind. In anderen Worten: Etwas Vergleichbares hat meist weder der Kunde noch das Team bisher gesehen. Also muss der Producer immersiver Medien für Anschaulichkeit sorgen, wobei die schnellsten und direktesten Werkzeuge dafür oft immer noch Stift und Papier sind. Skizzieren sollte ein Creative Producer also können – je schneller, desto besser.
Der Weg zum Creative Producer
Als Koordinator all dieser Kompetenzfelder tritt der Creative Producer als Generalist auf, der das gesamte Projekt lenkt. Wie wird man ein solcher Generalist? Der Weg in diesen Beruf ist nicht vorgegeben. Nicht einmal die Berufsbezeichnung ist geschützt oder zumindest klar definiert. Diesen Umstand kann man beklagen, aber gerade die nicht geregelten und selbst definierten Rollen machen die extreme Dynamik in diesem Feld möglich. Wer Sicherheit braucht, ist hier falsch. Wer auf Routinen setzt, wird hier nicht viel bewegen. Mediale Pioniere können sich aber entfalten und aufwendige Projekte mit ihren Ideen prägen.
Wer auf Routinen setzt, wird hier nicht viel bewegen. Mediale Pioniere können sich aber entfalten und aufwendige Projekte mit ihren Ideen prägen
Wie kommt man da hin, wenn kein Weg vorgegeben ist? Man sucht sich einen eigenen Weg! Ein Studium bietet eine methodische Basis für die konzeptionellen und kreativen Anforderungen. Zu empfehlen sind hier insbesondere die Gestaltungs- oder Designfakultäten unserer Hochschulen, die neben klassischen Inhalten wie Kommunikationsdesign häufig auch Studiengänge mit wesentlichem Medien- oder Informatikbezug anbieten – wie etwa der Studiengang Interaktive Medien an der Hochschule Augsburg. Die Wahl des richtigen Studiengangs in diesem vielfältigen Angebot ist nicht einfach, aber wichtiger ist die eigene Haltung zum Studium. Wer später Verantwortung übernehmen möchte, sollte schon im Studium damit beginnen.
Als ideal erweist sich immer wieder, vor dem Studium eine Lehre als Mediengestalter zu absolvieren. Das bringt nicht nur die nötige produktionstechnische Praxis, sondern ermöglicht es, in einem darauffolgenden Studium deutlich fruchtbarer und projektorientierter zu arbeiten. Der Mediengestaltergeselle ist im Studium nicht mehr durch das Erlernen der Technik belastet und kann sich ganz auf Methodik und Konzeption konzentrieren und die akademischen Freiheiten wirklich nutzen. Das zahlt sich immer aus – vor allem in einem Beruf wie dem des Creative Producers. Ein hervorragendes Beispiel für einen solchen Werdegang bietet Henry Hilge, der gemeinsam mit Markenfilm SPACE an innovativen immersiven Erlebnissen arbeitet (siehe hier).
Die Zukunft: Berührung und Gemeinschaft
In Zukunft werden räumlich-mediale Inszenierungen sicher weiter an Bedeutung gewinnen. Womöglich ergeben sich Standardisierungen in Bereichen, wo heute noch weitgehend frei entwickelt wird, etwa bei Spatial Audio oder 360-Grad-Video.
Grundlegend Neues könnte entstehen, wenn wir nicht nur Sehen und Hören bedienen, sondern auch andere Sinne einbeziehen. Das gilt besonders für die Haptik, denn der Tastsinn könnte die unmittelbare Nähe in lokalen Rauminszenierungen perfekt nutzen. Bisher stoßen wir hier an eine prinzipielle Grenze: Virtuelles kann nur Virtuelles berühren – und Physisches wiederum nur Physisches. So können sich diese Welten zwar überlagern – wie in Augmented Reality –, aber sich gegenseitig nicht wirklich durchdringen. Die problematische Darstellung der eigenen Hände in aktuellen interaktiven Virtual-Reality-Environments zeigt dieses Dilemma eindrücklich: Echte Hände können ohne mediale Prothesen virtuelle Dinge eben nicht anfassen. Gelänge es, die Berührung im Virtuellen einfacher und sinnlicher zu gestalten als bisher, würde das ganz neue VR-Erfahrungen ermöglichen.
Aber auch die Isolation des Einzelnen durch VR-Brillen oder andere Head-Mounted Displays widerspricht der Motivation des Menschen, etwas Gemeinsames und Authentisches zu erleben. Inszenierungskonzepte, die unmittelbare soziale Interaktion ohne technische Barrieren ermöglichen und unsere Gesichter nicht verbergen, könnten die erfolgreichen und interessanten Projekte der Zukunft sein!
Zum Autor: Robert Rose ist Professor für zeitbasierte Medien an der Hochschule Augsburg.
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