Plötzlich Chef – und jetzt? Viele Kreative sind nicht optimal auf Führungspositionen vorbereitet. Wir sprachen mit dem Coaching-Duo Julia Bäumler und Silke Vetter darüber, wie man den Übergang meistert.
Julia Bäumler und Silke Vetter bieten mit ihrem Unternehmen Mind & Motion Coaching, Beratung und Trainings für die Medien- und Kreativbranche an, darunter auch mehrtägige Führungskräftetrainings. Wir sprachen mit ihnen darüber, wie man sich am besten auf eine Führungsrolle vorbereitet und welche Fehler man unbedingt vermeiden sollte.
Nach welchen Mustern wird in Agenturen befördert?
Julia Bäumler: Einerseits dann, wenn jemand fachlich sehr gut ist. Das hat allerdings meist wenig mit seiner Führungsstärke zu tun oder mit seiner Kompetenz, ein Team zu führen. Andererseits gibt es auch Mitarbeiter, die so laut rufen, bis sie befördert werden. Ihnen spielt der Fachkräftemangel in der Branche in die Hände: Agenturen geben guten Kreativen oft das, was sie haben wollen, damit sie bleiben – und das ist eben manchmal eine Führungsposition. Und das Team verdreht derweil die Augen.
Wenn Leute unvorbereitet Führungspositionen übernehmen, führt das oft zu Unzufriedenheit auf allen Seiten. Wie kann man dem begegnen?
Silke Vetter: Zu allererst muss man sich bewusst machen, dass man als Führungskraft einen anderen Job macht als vorher. Zu den bisherigen fachlichen Aufgaben kommt die Verantwortung für die Mitarbeiter und den Geschäftserfolg hinzu. Das ist vielen nicht klar, gerade wenn sie aus einem Team heraus befördert werden. Aufgaben aus dem täglichen Projektgeschäft muss man dann häufig abgeben.
Bäumler: Bevor man so eine Position übernimmt, sollte man klar festlegen, was diese genau beinhaltet, welche Aufgaben damit verbunden sind und welche Verantwortung man darin trägt. Diese Rollendefinition muss klar nach oben und nach unten kommuniziert werden. Es ist wichtig, dass man sich austauscht und nicht nur eine eigene Vorstellung von der Position im Kopf hat.
Es ist wichtig, dass man sich austauscht und nicht nur eine eigene Vorstellung von der Position im Kopf hat.
Vetter: Man sollte sich bewusst machen, welche Art von Führungsperson man sein möchte. Früher oder später wird es unbequeme Situationen geben. Da ist es besser, wenn man sich vorher Gedanken darüber gemacht hat, wie man gerne reagieren würde. Gerade in der Kreativbranche wird gern von flachen Hierarchien gesprochen – aber wenn man in der Verantwortung steht, muss man auch mal jemandem sagen, dass etwas nicht in Ordnung war, oder eine Nachtschicht anordnen, weil der Kunde nicht zufrieden ist. Man kann nicht mehr nur Kumpel sein.
Ist im Agenturalltag denn genug Zeit für so viel Selbstreflexion?
Vetter: Unserer Erfahrung nach nicht wirklich. Auch Mentorenprogramme, die sich als sehr hilfreich erwiesen haben, sind leider eher selten – ebenso wie Coachings und Führungskräftetrainings. Wir werden oft erst dazu gerufen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Also wenn Leute schon länger in einer Führungsposition sind und das nicht so richtig funktioniert, das Team sie nicht akzeptiert oder sie sich in ihrer Rolle unwohl fühlen. Natürlich ist es gut und wichtig, dann daran zu arbeiten – aber idealerweise macht man das Training, bevor man diese Position einnimmt. Wenn man bedenkt, dass bestimmt 80 Prozent der Kündigungen, die von Mitarbeitern ausgehen, aufgrund des direkten Vorgesetzten ausgesprochen werden, ist es überraschend und erschreckend, wie wenig hier im Vorfeld unternommen wird.
Bäumler: Viele Agenturen werfen ihre Führungskräfte ins kalte Wasser. Im Worst Case gibt es niemanden, der Führung mal richtig gelernt hat und sein Wissen weitergeben könnte. Ohne gute Vorbilder ist es schwierig, selbst ein guter Chef zu werden. Deshalb plädieren wir dafür, die Leute vor dem Antritt entsprechend zu schulen – gerade dann, wenn es um das Thema „vom Kollegen zum Chef“ geht. Hier hilft es enorm, ein paar Tools an der Hand zu haben.
Was macht ihr genau bei euren Führungskräftetrainings?
Bäumler: Die Teilnehmer lernen zunächst, welche Führungsstile es überhaupt gibt und setzen sich mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen auseinander. Außerdem vermitteln wir Kommunikationstools, wie aktives Zuhören, und üben Mitarbeiter- und Beurteilungsgespräche. Die Motivation von Mitarbeitern und Delegieren sind auch wichtige Themen. Es geht darum, sich selbst als Führungsperson kennenzulernen anhand wichtiger Fragen, wie: Wie wirkt mein Verhalten auf andere? Welche Typologie habe ich bei mir im Team? Wie gehe ich am besten damit um?
Was sind die größten Fehler, die man als Führungskraft machen kann?
Bäumler: Seine Mitarbeiter klein zu halten und auf allem den Daumen draufzuhaben. Ein guter Leader befähigt und entwickelt seine Mitarbeiter. Sonst bleibt alles bei ihm liegen und er zerreibt sich zwischen Projektarbeit und Teamführung. Und für das Team ist es unglaublich demotivierend, wenn ihm sämtliche Gestaltungsmöglichkeiten genommen werden.
Als Führungskraft muss man nicht permanent die Welt selbst neu erfinden.
Vetter: In Agenturen hat man es in der Regel mit kompetenten Mitarbeitern zu tun, die einen ähnlichen Hintergrund haben wie man selbst. Warum sollte man denen nicht zutrauen, an akuten Problemlösungen mitzuarbeiten? Als Führungskraft muss man nicht permanent die Welt selbst neu erfinden. Das rührt von einem autoritären Führungsstil her, der viele Jahre gelebt wurde. Aber heute geht es viel mehr ums Situative, bei dem man sein Team in Entscheidungen involvieren kann und muss. Gleichzeitig müssen junge Führungskräfte lernen, Entscheidungen auch allein zu treffen. Der Umgang kann noch so kollegial und nett sein – am Ende ist man der Vorgesetzte. Aber wenn man damit offen und fair umgeht, wird das Team die Entscheidungen akzeptieren. Schwierig wird es, wenn man versucht, es allen recht zu machen und sich durchzuschlängeln, ohne anzuecken.
Nicht jeder fühlt sich zum Chef berufen. Das kann in der Agenturszene schnell zum Karrierekiller werden.
Vetter: Es kommt natürlich darauf an, welcher Typ man ist. Es gibt Menschen, die total zufrieden damit sind, sich eher vertikal zu entwickeln und auf einem bestimmten Gebiet zum Experten zu werden. Allerdings gibt es dann eher keine großen Gehaltssprünge. Andere haben Lust darauf, die nächste Stufe zu erklimmen und Verantwortung für ein Team zu übernehmen.
Bäumler: Man muss ehrlich zu sich selbst sein und sich nicht zu sehr davon beeinflussen lassen, was einem die Gesellschaft oder die Branche vorgeben. Fragt euch: Wer bin ich und was möchte ich wirklich machen?
Wieso gibt es eurer Meinung nach so wenige Frauen in Führungspositionen? Was muss sich ändern?
Viele Frauen haben gar nicht gelernt, sich selbst in einer solchen Position zu sehen.
Vetter: Es gibt sicherlich Frauen, denen das schlichtweg nicht liegt – genauso wie unter den Männern auch. Aber viele Frauen haben gar nicht gelernt, sich selbst in einer solchen Position zu sehen – und bewerben und verkaufen sich entsprechend nicht richtig. Es geht also in erster Linie darum, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und ihnen klar zu machen, dass es nicht reicht, einen guten Job zu machen. Führungspositionen werden einem nicht in den Schoß gelegt, man muss sich schon bemerkbar machen. Männern gelingt es oft besser, sich als erfolgreich zu positionieren und nach Beförderungen zu fragen. Frauen trauen sich oft nicht – auch dann, wenn sie es gerne machen würden. Es hat sich aber schon viel bewegt. In der zweiten Führungsebene von Agenturen gibt es heute deutlich mehr Frauen als noch vor zehn Jahren.
Um Frauen in diesem Bereich noch mehr zu unterstützen sind wir gerade dabei eine Community aufzubauen. Bei MiMo’s Finest Ladies tauschen wir uns aus, geben aber auch Tools an die Hand sicherer bei sich zu sein und für die eigenen Ziele zu kämpfen. Wir agieren über Facebook planen aber auch Veranstaltungen zu diesen Themen.
Noch mehr Tipps zur Vorbereitung auf einen Chefposten und für die ersten Schritte im neuen Job gibt’s in PAGE 01.2019, die ab 28. November 2018 erhältlich sein wird.