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Unsocial Media: Neuer Teil der Siebert-Kolumne

Anprangern in Social Media hat nichts mit politischem Engagement zu tun, sagt unser Kolumnist Jürgen Siebert.

Jürgen siebert, Sieberts FundstückeBild: Norman Posselt

»Die Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf!«, schrieb Kurt Tucholsky 1929. Wären die sozialpolitischen Romane seiner Zeit wirklich gut geschrieben, würden sich ihre Sätze »einhämmern« und der guten Sache dienen, so der Schriftsteller und Journalist, der 1935 im schwedischen Exil gestorben ist. »Wer schludert, der sei verlacht (. . .) Wer aus Zeitungswörtern und Versammlungssätzen seines dahinlabert, der sei ausgewischt, immerdar.« Heute würde man wohl sagen: »Der sei entfolgt!«

Ich folge auf Social Media keinen Berufskolleginnen und -kollegen mehr, die überwiegend ihre Weltsicht propagieren. Dabei interessiere ich mich sehr für Politik. Deswegen folge ich zwei Dutzend politischen Profis, vor allem Journalisten; sogar einer Handvoll Politikern, sofern sie authentisch kommuni­zie­ren und keine parteipolitischen Reflexe von sich geben.

Mich interessiert natürlich auch die politische Meinung meiner kreativen Freunde. Aber es ist ein Unterschied, ob ich diese von Angesicht zu Angesicht bei einem Bier austausche oder auf ei­nem leicht entzündlichen digitalen Flugblatt serviert bekom­me. Nie­mand sollte die Struktur, die Dynamik und das soziale Geflecht dieser Kanäle unterschätzen. Ich möchte meine Freunde nicht in ihren eigenen Worten untergehen sehen.

Wenn Sprache eine Waffe ist, bräuchte es für die sozialen Netze einen Waffenschein. Denn je mehr Follower ich habe, umso größer werden Geschoss und Geschütz auf beiden Seiten. Selbst Journalisten, also Profis im Umgang mit Worten, machen Fehler im Gefecht. Wer kennt sie nicht, die Frust-Tweets aus der Business Class in Richtung Fluggesellschaft, wenn’s beim Service mal klemmt. Mit geballter Followerpower gegen den Vorstand stänkern … das ist zwar die falsche Adresse, aber es geht ja auch gar nicht um die Verbesserung des Services, sondern um Zerstörung.

Damit wären wir bei der unappetitlichsten Disziplin im Netz: dem Anprangern. Keine Branche, auch nicht die Kreativbranche, ist frei von Menschen, die Empörungswellen gegen andere lostreten … und damit auch nicht frei von jenen, die sich plötzlich im Zentrum eines Shitgewitters wiederfinden.

Zur Veranschaulichung ein Rollenspiel: Sie machen seit Jahren einen guten Job, doch Ihren Tweet von letzter Woche, den fand ich echt beleidigend. Ich nenne Sie »Hassschreiber/in« und ermutige meine Follower, das genauso zu sehen. Mit einem fiesen Hashtag jage ich eine Armee von Trollen auf Sie, bis Ihnen die Worte ausgehen, bis keiner unserer gemeinsamen Freunde je wieder mit Ihnen spricht, bis Sie Ihren Job verlieren. Ich bin so berauscht von meinem moralischen Anspruch, dass ich gar nicht merke, wie auch mir die Freunde wegbröckeln. Krieg der Worte, Opfer auf beiden Seiten.

Wer Menschen im Netz ausknipst, ist kein Aktivist sondern ein verbaler Heckenschütze.

Bevor du jemandem im Netz vorführst, denke doch bitte daran, dass dein Gegenüber keine Kunstfigur aus einer TV-Serie ist, sondern ein Mensch. Wenn du diesen Menschen mit Macht anprangerst, wirst du sein Leben auf den Kopf stellen … ga­rantiert für eine (schlaflose) Nacht, manchmal für eine Woche, manch­mal länger. Wer Menschen im Netz ausknipsen will, ist kein Aktivist, sondern ein schamloser Heckenschütze.

Ein solches Tun hat nicht das Geringste mit politischem Engagement zu tun. Wirklich etwas zu verändern, andere zu überzeugen, ist nämlich harte Arbeit. Klicktivismus ist Scheinheiligkeit. Oder wie der österreichische Schriftsteller und Kabarettist Helmut Qualtinger zu sagen pflegte: »Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.«

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