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The Challenge: Kreativ in der Krise

Events und Filmproduktion gehören zu den durchs Social-Distance-Gebot am stärksten betroffenen Branchen. Doch statt sich entmutigen zu lassen, nutzen Kreativfirmen dies für ein radikales Umdenken. Wir haben uns bei den Firmen umgehört, die in Corona-Zeiten vor besonders großen Herausforderungen stehen. Mit überraschend inspirierenden Ergebnissen.

Kreativ in der Krise: Offene Gesellschaft mit Modulen von facts and fiction
Welches Land wollen wir sein? Bei einer Roadshow der Initiative Offene Gesellschaft e. V., deren Module facts and fiction konzipierte und gestaltete, beantworteten Passanten in Städten von Aachen bis Görlitz diese Frage. Eine große Abschlussveranstaltung in Berlin präsentierte die Ergebnisse

Die Nähe allzu vieler Menschen zueinander ist zurzeit tabu. Besonders hart betroffen sind Messen und Konferenzen. Der deutsche Markt hierfür ist der drittgrößte nach China und den USA – wobei Deutschland die meisten internationalen Besucher empfängt. Design und Werbung für diese Branche liegen darnieder. Gleiches gilt für die Kreation rund um große Events, Städtetourismus, Musikveranstaltungen, Clubs und Bars. Auch in der Werbefilmproduktion, wo normalerweise Dutzende Menschen am Set herum­wuseln, sieht es schwierig aus. Drei Inter­views geben Einblicke.

Jörg Krauthäuser von facts and fiction

»Jetzt muss das Zeitalter der Nachhaltigkeit eingeläutet werden, sonst schaffen wir uns selbst ab, nicht als Branche, sondern als Spezies«

Jörg Krauthäuser ist einer der Gründer von facts and fiction. Die Agentur mit Büros in Köln und Berlin entwickelt Ausstellungen und Veranstaltungen für Bundesministerien ebenso wie für Museen und große Unternehmen. Ein Schwerpunkt sind Weltausstellungen, für deren Gestaltung sie international eine der gefragtesten Adressen ist. Vier Länderpavillons – Deutschland, Monaco, Belgien und Jordanien – waren in Arbeit, doch die Expo 2020 in Dubai wurde um ein Jahr verschoben.

Wie fühlt sich die aktuelle Situation für Sie an?
Jörg Krauthäuser: Das ist komplex. Wir wussten, dass unsere Branche, besonders wir mit 68 Festangestellten, bei den Hauptbetroffenen sein wür­den. Aber unter anderem mit der Ausweitung des Kurzarbeitergelds und KfW-Krediten hat die Regierung sofort signalisiert: Wir lassen euch nicht allein. Ganz persönlich denke ich, wenn das die schlimms­te Katastrophe für unsere Generation ist, sind wir gut ­davongekommen im Vergleich zu den vorigen. Wir sollten es als Weckruf begreifen. Mit dem »immer höher, immer schneller, immer weiter« kann es nicht weitergehen, ein Neudenken ist notwendig.

Welche Projekte sind vor allem betroffen bei facts and fiction?
Geplante Veranstaltungen unseres Büros in Berlin für Ministerien und andere Institutionen fielen erst mal ganz aus. Da mussten ganz schnell Leute in Kurzarbeit gehen. Bei den bereits gestarteten Museums- und Ausstellungsprojekten läuft es relativ normal weiter, wie etwa im Humboldt Forum in Berlin, im Niedersächsischen Landesmuseum Han­nover oder dem Buddenbrookhaus in Lübeck. Treffen funktionieren plötzlich ohne lange Anreisen per Telefon oder Video-Calls. Die gewonnene Zeit stecken wir ins Inhaltliche. Das ist das neue Arbeiten. Was fehlt, sind aktuelle Ausschreibungen. Da muss man die nächsten Monate abwarten.

Und die Expo in Dubai?
Wir gestalten die Pavillons und Ausstellungen von Deutschland, Monaco, Belgien und Jordanien. Bei einem hieß es erst mal »Stop, wir machen später weiter.« Bei zwei anderen waren wir schon kurz vor der Abnahme, und das vierte Projekt schließen wir gerade noch ab. Man sollte keinen halbfertigen Bau bei 45 Grad in der Wüste stehen lassen. Auch die Aus­stellungen im Innenraum kann man fertigstellen. Vielleicht werden Inhalte noch angepasst, aber kein Land hat Geld für komplett neue Konzepte.

Welches Land wollen wir sein? Bei einer Roadshow der Initiative Offene Gesellschaft e. V., deren Module facts and fiction konzipierte und gestaltete, beantworteten Passanten in Städten von Aachen bis Görlitz diese Frage. Eine große Abschlussveranstaltung in Berlin präsentierte die Ergebnisse

Wie geht es generell weiter?
Fukushima war nötig, damit Deutschland die Atomkraft abschaltet. Vielleicht war die Covid-19-Pandemie für den nächsten Schritt nötig: statt höher, schneller weiter hin zu intelligenteren, verantwortungsbewuss­ten Konzepten. Wenn wir das jetzt nicht ernst nehmen, schaffen wir uns selbst ab, nicht als Branche, sondern als Spezies. Nachhaltigkeit ist die große Marschrichtung, etwa indem man regionaler denkt. Vielleicht werden Veranstaltungen dezentraler ge­plant, Wanderausstellungen könnten eine große Rolle spielen. Im kleineren, ruhigeren Rahmen etwas zu erleben ist womöglich viel intensiver, und man kann sich mehr Zeit für den Austausch vor Ort nehmen, wenn anderes sich statt mit unsinnigem Reisen in kurzen Video-Calls erledigen lässt. Die ganze Branche könnte sich neu aufbauen, genau wie die Gesellschaft sich ökologisch und demo­kratisch neu aufstellen muss. Was es in der Agentur bei uns in den letzten zehn Wochen an Ideen gab, hatten wir in der Radikalität insgesamt die letzten zehn Jahre nicht.

Gibt es schon konkrete Konzepte?
Mit mehreren Landschaftsverbänden bauen wir ein System auf, mit dem Schulen digitale Ausflüge buchen können. Ohne einen Bus zu mieten und irgend­wo hinzufahren, können sich etwa Kölner Schüler einen Tag im Museum in München oder New York bewegen – mit einem Führer, den die Kamera begleitet und dem sie online live Fragen stellen. Man schaut also nicht nur ein Video an, sondern hat ein Live-Erlebnis mit Rückkanal, im Klassenraum oder zu Hause. Entscheidend ist, dass beide Seiten kommunizieren und interagieren können.

Wo steht facts and fiction Ende 2020?
Ich bin Optimist. Trübsal blasen bringt nichts, im Gegenteil. Gerade weil die Ereignisse so extrem sind, bergen sie gesellschaftlich eine Riesenchance. Als Designbranche läuten wir nicht neue Zeitalter ein, aber wir begleiten sie und geben ihnen ein Gesicht. Es heißt nun mehr denn je, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, Relevanz in unsere Arbeiten zu bringen und mit kreativen Lösungen dazu beizutragen, dass möglichst allen Menschen eine lebenswerte Existenz auf dieser unserer Erde möglich ist . . . und Spaß soll es bestenfalls allen auch noch machen!

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Cedric Ebener von CE+Co

»Nicht die körperliche Nähe macht das Gemeinschaftserlebnis aus, sondern die kollektiv erlebte Emotion«

Menschen mit Erlebnissen zusammenzuführen ist die Leidenschaft von Cedric Ebener. Zum Beruf macht er dies mit der auf Live-Kommunikation und Experience Design spezialisierten Agentur CE+Co. Der Hamburger vertritt außerdem als ADC-Vorstandsmitglied den Fachbereich Event und Kommunikation im Raum. Große Herausforderungen stehen also an, aber auf Facebook schlug Ebener jüngst vor: »Ab jetzt jedes Jahr im Februar: Lockdown. Komplett. Alle mal runterkommen.«

Sie sind in der Branche bestens vernetzt. Wie ist die Stimmung?
Cedric Ebener: Seit der Corona-Krise spricht unser ADC-Fachbereich alle zwei Wochen in großer Runde miteinander. Bis zu vierzig oder fünfzig Leute sind dabei, gestandene Branchengrößen aus allen namhaften Agenturen und führende Freelancer. Ich bin immer sehr beeindruckt von diesen Runden. Obwohl viele von uns Konkurrenten sind, nimmt keiner ein Blatt vor den Mund. Extrem offen wird besprochen, wie man mit finanziellen Herausforderungen, Auftragsverlusten oder neuen Regula­rien umgeht. Es ist eine extrem kollegiale und konstruktive Stimmung.

Wohin zielt das Konstruktive?
Wir hinterfragen die sozialen Auswirkungen der ­Situation. Das Zusammentreffen von Menschen und das gemeinsame Erleben sind der Kitt, der uns als Gesellschaft zusammenhält. Aber genau das fehlt zurzeit. Als Profis fürs Erzeugen intensiver zwischen­menschlicher Begegnungen überlegen wir, wie wir diese Intensität den Menschen aktuell zukommen lassen können.

Nicht einfach mit Mundschutz und anderthalb Meter Abstand.
Es geht noch viel weiter. Die Parameter fürs Empfinden von Raumatmosphären ändern sich gerade – eventuell nachhaltig. Räume, die bisher angenehm erschienen, empfinden wir künftig womöglich als ungemütlich oder zu voll. Das betrifft nicht nur die Live-Kommunikation, sondern auch Retail, Office Design, Gastronomie et cetera.

Auf Menschenmassen, mit denen man sich auf Messen oder bei Events drängt, kann man ja gut verzichten.
Nicht die körperliche Nähe macht das Gemeinschaftserlebnis aus, sondern die kollektiv erlebte Emotion. Die Frage ist, wie das in der Distanz entstehen kann, ob auf anderthalb Meter Abstand oder weltweit an Bildschirmen. Mit welchen Methoden erzeugen wir eigentlich Emotionalität in der Live-Kommunikation und wie lässt sich das auf die neue Situation und ins Digitale übertragen? Was für eine Dramaturgie wollen wir entwickeln und welche Tech­nik können wir dafür verwenden?

Celtic Caribbean Flavours: Einen ebenso spektakulären wie witzigen schottisch-karibischen Kulturmix inszenierte CE+Co für Ardbeg Whisky 2019 beim Karneval der Kulturen in Berlin. In naher Zukunft spielt aber wohl das Standbein Retail Design für die Agentur die größere Rolle.

Das sieht nach dauerhafter Digitalisierung auf breiter Front aus.
Die Meinungen in der Branche sind geteilt. Die einen glauben, dass Live-Erlebnisse nach der Krise begehrter sind als je zuvor. Andere fürchten, dass aktuell so viel digitales Know-how gesammelt wird, dass die Live-Kommunikation nicht wieder auf die Beine kommt. Wir bei CE+Co denken an hybride Modelle unter der Klammer des Experience Design. Genau da liegt ja unsere Kompetenz. Schon vor ­Corona waren unsere Projekte stärker als üblich auf zwischenmenschliche Kommunikation und Interaktion ausgerichtet. Real und digital – das wird in Zukunft sehr gefragt sein. Überhaupt werden wir in Zukunft mehr Sein als Schein, weniger Kulisse und mehr Content erleben. Das wird unserer Branche und vor allem unseren Auftraggebern sehr guttun.

Auf dem Weg dahin ist aber auch eine Marktbereinigung zu befürchten.
Ich will nicht leugnen, dass der Prozess für viele Agen­turen sehr schmerzhaft ist. Gerade die Messebranche wird sich wohl mit am intensivsten verändern. Aber die Entwicklungen sind nicht aufzuhalten. Zumindest bei den ADC-Kollegen setzt kaum einer nur auf Erhalt, die Lust auf Veränderungen ist spürbar.

ie ist die Lage bei CE+Co momentan ganz konkret?
Das Büro hat 15 Festangestellte, die Kurzarbeit machen. Dramatischer betroffen sind unsere Freelancer, also Konzepter, Architekten, Grafiker, Motion Designer, Texter oder Dramaturgen. Aber wir bemühen uns, unser Netzwerk involviert zu halten.

Da kann schon Existenzangst aufkommen.
Ja, gerade wir Kreative jedoch können über den Tel­ler­rand schauen und solche Ängste in Neugier und Perspektive umwandeln. Natürlich gibt es Schwund und Schmerz im Wandel. Aber neue Konstellatio­nen von Menschen und Firmen werden entstehen. Und es macht Spaß, Neues denken und tun zu dürfen. Unser täglich Brot ist es ja, kreative Lösungen zu finden. Meist für die Herausforderungen unserer Kunden, jetzt eben verstärkt auch für uns.

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Johannes Schröder und Jenny Krug von czar

»Herausstechen werden Projekte, die kreativ mit der absurden Corona-Realität umgehen«

Bei der internationalen Werbefilmproduktion Czar entstehen unter anderem die genia­len Spots aus der Reihe »#LikeABosch« oder zuletzt der Insekten-Sexfilm »Artenvielfalt beginnt in deinem Garten« für Hornbach. Dann bremste Corona die kreativen Höhenflüge erst mal gründlich aus. Ein Gespräch mit Executive Creative Producer Jenny Krug in Hamburg und dem preisgekrönten Regisseur Johannes Schröder in Berlin.

Für die #homemoviechallenge der Czar-­Regisseure lieferten Sie einen sehr lustigen Clip zur Lockdown-Starre. Aufarbeitung persönlicher Erfahrungen?
Johannes Schröder: Die Realität sah tatsächlich anders aus. Ich war schon seit Januar im »Lockdown« – bei der Postproduktion unserer Hörspiel­serie »Makel« für die neue Podcast-App FYEO von ProSieben. Inzwischen habe ich ein neues Hobby: Spazierengehen in Brandenburg.

 

Wie ist die Lage bei Czar Deutschland?
Jenny Krug: Anfangs war noch viel in der Postproduktion zu tun und einige Pitches liefen noch. Bei der Produktion sind wir relativ früh zum großen Teil auf Kurzarbeit gegangen – wenn auf unbestimmte Zeit keine Arbeit da ist, weiß man ja nicht, wie lang man das überleben kann. Schwierig ist das vor allem für die Freien mit geringen Rücklagen, also für Fahrer, Maskenbildner oder Beleuchter. Inzwischen kommen aber wieder Anfragen und Zusagen.

Wie sehen die neuen Projekte aus?
Schröder: Zuerst hieß es bei den Kunden meist: Können wir aus dem Material der letzten Jahre Vignettenfilme zusammenschneiden, wenn nötig auch mit Stock-Images? Inzwischen stellen sich bei den ersten neuen Drehs neue Fragen, etwa welche Realität wir eigentlich erzählen – eine mit Maske oder ohne. Ich mache relativ viel Comedy, das Thema Ab­stand hätte da Riesenpotenzial … Man stelle sich nur vor, wie Menschen bei anderthalb Meter Abstand in die gleiche Tür treten wollen. In einem halben Jahr würde das aber vielleicht schon gestrig wirken.

Gibt es da schon Entscheidungen?
Schröder: Die Ermittlungen laufen noch. 😉

Wie gut kann man mit den neuen Regularien arbeiten?
Krug: Die Probleme sind wohl nicht allen Seiten klar. Bei manchen Skripts, die wir bekommen, fragt man sich, wie das praktisch beim Dreh gehen soll mit Maske und Social Distancing. Man braucht definitiv viel mehr Zeit. Normalerweise laufen am Set ja pa­rallel Dutzende Prozesse, vom Einleuchten über das Schminken bis zum Gespräch über den ersten Shot. Alles muss man nun entzerren, weil nicht so viele Leute gleichzeitig da sein sollen.

Werden Werbefilmmacher auch in Zukunft ständig durch die Gegend reisen?
Schröder: Hoffentlich müssen wir nicht mehr für ein paar Stunden PPM (Pre-Production-Meeting) irgendwohin fliegen. Ich hatte mich schon zunehmend gefragt, ob meine Arbeitsrealität mit meiner Wahrnehmung der Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz zusammengeht.

Was ist mit internationalen Locations?
Krug: Wir drehen mindestens zu 60 oder 70 Prozent im Ausland. Das könnte sich reduzieren, wird aber sicher nicht komplett wegfallen, denn meist ist es kostengünstiger und man kann nun mal im Winter in Deutschland nicht alles drehen.

Würden mehr deutsche Locations weniger Traumwelt und mehr Authentizität bringen?
Schröder: Man hat schon viel zu oft versucht, Dinge authentisch darzustellen. Dabei ist nichts anbiedern­der als Menschen in scheinbar echten Momenten, die dann doch ein Produkt in die Kamera halten. Durch den Lockdown gab es noch mal authentische Bilder im Überfluss.

Was kommt stattdessen?
Schröder: Aus Angst, Zuschauer zu verärgern, galt Comedy ja zeitweilig als zu polarisierend – jetzt könnte der Trend wieder zu Aufheiterung gehen. Aber auch zu generischen Bildwelten, denn bei Stock­bildern knutschender Pärchen gibt es nun einmal keine Probleme mit Masken und Abstand. Herausstechen werden aber Projekte, die kreativ mit der absurden Corona-Realität umgehen. Wobei meine Frage ist, ob und wie die Leute überhaupt wieder anfangen, zu kaufen und zu konsumieren – jetzt, wo viele langsamer und kleiner leben.
Krug: Am Ende steht hoffentlich ein sinnvolleres und realistischeres Arbeiten. Mit überlegteren, relevanteren Konzepten und näher dran am Leben der Menschen, die wir erreichen wollen.

Like A Bosch - preisgekrönter Werbefilm für Jung von Matt
Like a Boss – oder Bosch? Jede Menge Preise kassierte Czar zuletzt mit den Spots der Jung-von-Matt-Kampagne »#LikeABosch« – ein Zitat aus der Comedy-Show »Saturday Night Live«.

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