Von konstruktiver Designkritik profitiert nicht nur der einzelne Gestalter, sondern der ganze Berufsstand – und die Gesellschaft insgesamt. Warum aber ist Designkritik so schwer und was können die Akteure besser machen?
Abbildungen: Sämtliche Screenshots, sofern nicht anders vermerkt, stammen von der Facebook-Seite des Branchendiensts Horizont.net und wurden in der fünften Kalenderwoche 2018 gepostet (Screenshots vom 14. März 2018)
Das Wort »Kritik« ist in unserem Sprachgebrauch überwiegend negativ besetzt. Dabei kann sie genauso neutrale oder positive Urteile enthalten. Diese Bedeutungsebene kommt allerdings häufig zu kurz.
»Viele haben unter ›Designkritik‹ abgespeichert, dass man sich gegenseitig Meinungen um die Ohren haut. Aber eigentlich ist es eine Einladung zum Gespräch – ich möchte mich mit anderen verständigen und die Differenzen behandeln«
erläutert Birgit Bauer, Professorin im Fachbereich Gestaltung und Kultur an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
Professionelle Designkritik, die auf der Grundlage von Fachwissen in die Tiefe geht und über einzelne Projekte hinausweist, findet vornehmlich auf theoretischer Ebene in der Designforschung statt. Auch in den Jurys von Designwettbewerben wird – abhängig von der Zusammensetzung der Juroren und dem Zeitdruck, unter dem sie stehen – relativ fundiert über Design gesprochen und diskutiert, ebenso wie in Fachmedien und -blogs. Eine andere Form findet im Alltag eines jeden Gestalters statt: Immer dann, wenn man sich – allein oder im Team – für einen Entwurf und gegen einen anderen entscheidet. Daneben ist die unreflektierte »Kritik« in Form von Sternchen oder Likes in Social Media vorherrschend – und die Kommentare im Netz, die oft wenig durchdacht, dafür umso provokanter formuliert sind. Vor allem sie sind schuld am schlechten Ruf der Designkritik.
Kritik – differenzierte Betrachtung statt Verriss. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist »Kritik« meist negativ besetzt – man verbindet damit ein (ab)wertendes Urteil, das eher auf Fehler abhebt. Dabei ist der Begriff von seinem Ursprung her neutral, denn das Wort geht auf das griechische Verb krínein zurück, das »(unter)scheiden, trennen« bedeutet. Daraus hat sich die Kritik als »Kunst der Beurteilung« entwickelt, als beschreibende Analyse und Beurteilung künstlerischer Leistungen. Somit kann Kritik sowohl positiv würdigende als auch negativ wertende, kritische Komponenten enthalten. Die Fähigkeit, Kritik so zu üben, dass sie motiviert, statt zu kränken, sowie Kritik als nützlichen Handlungshinweis zu verstehen statt als Angriff auf die eigene Person ist als Kritikkompetenz wichtiger Bestandteil der allgemeinen sozialen Kompetenz.
Wieso geht Designkritik oft so schief?
In den meisten Designprojekten steckt viel Herzblut. Die Macher sind verletzbar und reagieren bei negativer Kritik oft emotional. Gleichzeitig neigen viele Betrachter dazu, Design zu schnell (ab-)zuwerten. Das führt dazu, dass wir Gespräche über Design oft viel zu vehement führen. Dieses Phänomen lässt sich besonders im Internet beobachten, beispielsweise in den Kommentarspalten von Onlinemedien (ja, auch auf PAGE Online) und in sozialen Netzwerken.
Hier kochen die Emotionen schnell hoch – 2018 etwa beim Redesign der Identity von Kofferhersteller Rimowa, das Bureau Borsche aus München und Commission Studio aus London zusammen entwickelt haben. In diesem Fall erregte nicht nur die Gestaltung selbst die Gemüter der Kritiker, sondern auch ein Gastkommentar von Christine Lischka, Geschäftsführerin von Serviceplan Design, die viele als unnötig scharfe Kollegenschelte empfanden. Dass die Kritik auf den so angesehenen wie beliebten Mirko Borsche abzielte, sorgte zusätzlich für Aufmerksamkeit und Protest. Im Netz meldeten sich schnell bekannte Designer wie Heinrich Paravicini und Johannes Erler zu Wort, und auch Mirko Borsche selbst schaltete sich ein. Die Formulierungen waren auf beiden »Seiten« mal mehr, mal weniger glücklich (siehe Ausschnitte in diesem Artikel, alle Screenshots stammen aus März 2018).
Die Diskussion weist über das konkrete Projekt hinaus und wirft die Frage nach Fairness und Angemessenheit von öffentlicher Designkritik auf. »An solch exponierter Stelle Kollegen und ihre Arbeit herunterzuputzen leuchtet mir einfach nicht ein«, sagt Johannes Erler, Betreiber des Hamburger Designbüros Bureau Johannes Erler. Schließlich dienten Fachmedien als Schnittstelle zu potenziellen Auftraggebern. »Als Gestalter müssen wir ständig dafür kämpfen, dass die Relevanz unserer Arbeit anerkannt wird. Mit undifferenzierten Kommentaren schneiden sich Designer ins eigene Fleisch, weil sie den ganzen Berufsstand in Mitleidenschaft ziehen.«
So geht's weiter
Welche Kriterien für faire Designkritik gibt es?
Wie formuliere ich Designkritik richtig?
Kritisieren lernen
Warum ist Designkritik so wichtig?
Designkritik im Team
»Als Gestalter will man die Dinge verbessern – deshalb zielt die meiste Kritik auf Aspekte ab, die sich optimieren lassen«