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Siebert-Kolumne: Diener ohne Geist

Die aktuelle Debatte, ob KI-Systeme überhaupt kreativ sind, polarisiert. Unser Kolumnist Jürgen Siebert meint, dass es nicht um einen Wettbewerb Mensch gegen Maschine gehen sollte. Lasst uns stattdessen überlegen, an welcher Stelle uns die intelligenten Systeme helfen können und sie als Werkzeug betrachten.

Siebert Kolumne Thema Künstliche Intelligenz
© Karin Kraemer, www.karin-kraemer.net | www.instagram.com/karin__kraemer

Um die Mechanismen und die Leistung künstlicher Intelligenz ranken sich fantasievolle Vorstellungen. Manche glauben, dass KI als Vorstufe einer umfassenden menschlichen Intelligenz zu betrachten sei. Andere fürchten, dass Designerinnen und Designer bald durch Bots ersetzt werden. Solche Ansichten gehen an der Realität vorbei. Tatsächlich werden unter künstlicher Intelligenz Verfahren der Informatik zusammengefasst, die in der Lage sind, für bestimmte eingegrenzte Problembereiche selbstständig Lösungen zu errechnen. Es ist eine statistische Methode, kein kreativer Prozess.

Schaut man sich KI in der Praxis genauer an, zeigt sich, dass sie nicht vergleichbar ist mit den kognitiven Leistungen eines menschlichen Gehirns. Machine Learning verknüpft Eingabe- und Ausgabedaten auf der Basis vorgegebener Regeln. Mit dem menschlichen Lernen hat es nicht viel gemein. KI ist ein technischer Prozess, auch wenn es bei sehr tiefen Netzwerken den Anschein haben mag, dass da eine verstandesmäßige Leistung hinter dem Ergebnis einer »Kreation« steht.

Doch wie wird KI in Zukunft das Design beeinflussen? Sehr wahrscheinlich so wie der mechanische Webstuhl 1785, wie die Zeilengießmaschine 1886 oder das Desktop-Publishing 1985: Die Technik übernimmt das einförmige, repetitive Teilstück eines Ar­beitsprozesses. Auch im Kreativbereich wird sie uns den lang­wei­­li­gen Part abnehmen, etwa die Beschäftigung mit Farbprofilen, die Erstellung von Designvarianten oder die Steuerung eines Pro­jektworkflows. Die qualitative Kontrolle solch KI-gestützter Vor­gänge erledigen kreative Menschen. Gestern, heute und morgen.

Und weil auf KI basierende Designprozesse Kreative vor neue Heraus­forderungen stellen, wird es auch keine Massenentlassungen geben, sondern massenweise Jobumbauten. Sie beginnen mit einem neuen Verständnis von Kreation, Prototyping und Autorschaft. In der Folge werden neue Berufsbilder in der Kreativindustrie ent­stehen, für die dringend aktualisierte Ausbildungskonzepte ein­geführt werden müssen. Erst am Ende dieser Evolution folgt die eigentliche Revolution: neue Wertschöpfungsmodelle, deren ethi­sche, juristische und qualitative Fragen uns bald beschäftigen werden.

Aktuell stecken wir noch mitten in der polarisierten Debatte, ob KI-Systeme überhaupt kreativ sind. Das eine Lager diffamiert sie als nutzlos, das andere sieht ganze Berufsgruppen ihrer Schöpfungskraft beraubt. Tatsächlich geht es nicht um einen Wettbewerb Mensch gegen Maschine. Vielmehr sollten wir die intelligenten Systeme als Werkzeug betrachten und uns überlegen, an welcher Stelle sie helfen können.

Digitale Intelligenz ist ein Diener ohne Geist.

Der Architekt Horst Rittel identifizierte schon vor zehn Jahren im Buch »Thinking Design« Momente im Workflow, die man getrost Computern überlassen kann: automatisieren (schneller, verlässlicher, billiger), delegieren (ungeliebte, mühsame Tätigkei­ten), zuarbeiten (aufwendig, zeitraubend), augmentieren (neue Aspekte in die Arbeit einbringen). Als »Ideal« bezeichnet Rittel einen computergestützten Arbeitsablauf, der mit einem kreativen Kick-off am Bildschirm beginnt, während sich die Technik im Hintergrund um stupide Pflichten wie Reinzeichnung, Fehlerkon­trolle, Korrekturen und die laufende Kalkulation kümmert.

Dieses Ideal digital gesteuerter Gestaltung ist an fortschrittli­chen Arbeitsplätzen bereits Realität. Varietät erzeugen, neue Ideen ausprobieren, da hilft digitale Intelligenz enorm. Allerdings kann sie in der zweiten Hälfte der Kreation, bei der Reduktion von Varietät, nichts beitragen, denn sie ist ein Diener ohne Geist.

Wie der kreative Prozess mit einem digitalen Diener aus­se­hen sollte, beschreibt der Artikel »Autonomous Tools and Design« (als PDF frei downloadbar). Die Autoren empfehlen einen »Triple Loop«, im weitesten Sinne kognitive Feedbackschleifen, von de­nen die ersten beiden vertraut sind: Entwerfen und Reflektieren. In einer dritten Schleife müssen die Designer:innen herausfinden, wie das mentale Modell ihres Designprozesses mit dem der Maschine interagiert. Mit anderen Worten: Designerinnen und Designer müssen erkennen, was ihr KI-gestütztes Werkzeug zu leisten vermag, und sie müssen von den ersten Ergebnissen rückschließen, wo sie die Weichen im Prozess umprogrammieren sollten. Letztlich ist das System immer nur so intel­ligent wie das Modell und die Daten, die es verarbeitet.

PDF-Download: PAGE 02.2023

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