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So funktioniert Recruiting in der Kreativbranche

Ob Nachwuchs oder gestandene Kreative: Designstudios und Agenturen haben nach wie vor viele offene Stellen zu besetzen. Wir sagen, welche Grundlagen Recruiting braucht und wie man Mitarbeitende für sich begeistern kann.

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Wissen, wie Kreative ticken Bei Zum goldenen Hirschen haben Mitarbeitende die Mög­lichkeit, »Herzens­projekte« zu realisieren. Damit will die Agentur sie wertschätzen und schafft gleichzeitig Grundlagen fürs Recruiting. Bild: Zum goldenen Hirschen, Köln

Mitte April verabschiedete sich Senior Art Director Robert Hoffmann-Lohse von MetaDesign. Auf Linked­In postete er einen Beitrag, in dem er sich für »5 amazing years« bedankte: »Thank you so much for every­thing Meta, this was an incredible milestone in my career!« Er nannte Kunden und beschrieb die inspirierende, familiäre Arbeitskultur in der Agentur – er habe viel gelernt, seine Skills weiterentwickelt und jedes Projekt sehr genossen. »I will spend some time with the family, before joining the next exciting journey. Updates will ­follow. Stay tuned.« So endet der authentische Post des Ex­kollegen über seinen Arbeitgeber. Ein Geschenk für die HR-Abteilung der Agentur! »So etwas kann man natürlich nicht planen, aber es tut viel für erfolgreiches Re­cruitung«, sagt Franziska Maiwald, Head of Talent bei MetaDesign in Berlin.

Aus ihrer Sicht spielen solche internen Empfehlun­gen eine wichtige Rolle in der Personalgewinnung – und dafür gelte es, Grundlagen zu schaffen. Kurz: Arbeit­ge­ber müssen dafür sorgen, dass die Mitarbeite­r:in­nen gerne im Unternehmen sind, dass sie die Corporate Culture, den kreativen Anspruch und die Arbeitsweisen leben und nach außen transportieren. Um die Unterstützung aus den Teams bei der Gewinnung neuer Kolleg:innen wertzuschätzen und sie zusätzlich zu mo­tivieren, gibt es bei MetaDesign bei bestimmten offe­nen Stellen ein Bonusprogramm mit Prämien für jeden, der erfolgreich jemanden anwirbt.

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Bild: Zum goldenen Hirschen, Köln

Bewertungsportale als Baustein im Employer Branding

Die Meinungen über die Aussagekraft von Portalen wie kununu, auf denen Arbeitgeber bewertet werden, gehen auseinander. Im Zweifel wiegt bei den meisten Kreati­ven wohl die einzelne persönliche Empfehlung mehr als ein anonym erhobenes Ranking. Trotzdem sei die Reich­weite des Portals nicht zu unterschätzen, sagt Stefanie Kober, Director bei Exxeta, einer Firma, die Unternehmen und Organisationen beim digitalen Wandel unter­stützt (siehe Seite 24). Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Trendence informieren sich zwei Drit­tel der Befragten bei kununu über mögliche Arbeitgeber und achten dabei darauf, ob deren Eigendarstellung mit den Bewertungen und Kommentaren übereinstimmt.

Für die Serviceplan Group, die auf kununu zuletzt ei­ne Bewertung von 4,2 Punkten bei 1400 Abstimmun­gen erhielt und damit unter den Agenturen ganz oben rangiert, spielt dies »sicher eine nicht unwichtige Rolle, insbesondere bei Young Professionals, die ein Gefühl für potenzielle Arbeitgeber bekommen möchten«, so Julia Schweizer, Head of Recruiting bei Serviceplan. »Vor al­lem ein Vergleich zwischen den Arbeitgebern und die einzelnen Kommentare sind aus unserer Sicht hilfreich, um sich einen Eindruck zu machen. Da wir sehr gut bewertet werden, ist kununu auf jeden Fall ein Tool, das unterstützend in der Gesamtbetrachtung wirkt.«

Sich als Agentur erlebbar machen

Um mögliche Mitarbeitende für sich zu begeistern, müssen sich Arbeitgeber nahbar zeigen. Die Grundlagen dafür sind prinzipiell gut, denn die Kommunikationsbranche ist eng vernetzt. Da hilft es zum Beispiel, wenn man sich in Social Media, in Kolumnen oder Podcasts regelmäßig zu fachlichen Themen äußert, auf Veran­stal­tungen präsent ist und seine Profile auf Behance so­wie – nicht zu vergessen – die eigene Website sorgfältig pflegt und dort zeigt, welcher Spirit im Unternehmen gelebt wird (siehe Tipps weiter unten). »Speziell bei Be­wer­be­r:in­nen aus der Kommunikationsbranche sollte man beachten, dass sie halbherzige Marketingmaßnah­men leicht durchschauen«, sagt Dorothee Reiser, Employer-Bran­ding-Spezialistin bei Personalwerk in Wiesbaden. »Ein authentischer Auftritt ist die Basis dafür, dass sie sich angesprochen fühlen und sich mit ihrem potenziellen Arbeitgeber identifizieren können.«

Um Kandidat:innen zu erreichen, müsse man sich so offen wie möglich präsentieren, Werte und Philo­so­phie in den Vordergrund stellen, und das am besten mithilfe der eigenen Mitarbeitenden. Die Digital­agen­tur dotfly tut das mit einer LinkedIn-Serie unter dem Hashtag #dottiemonial, in der etwa Designerin Judith Ewald schreibt: »Ich arbeite gerne bei dotfly, weil mir als Designerin absolutes Vertrauen 🤝 entgegengebracht wird. Dadurch habe ich die Freiheit und Möglichkeit, meine Arbeit so kreativ 🌈 und qualitativ hochwertig zu machen, wie ich es mir wünsche.«

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Bild: MetaDesign, Foto: Julia Geiss

»Die Empfehlungen unserer Mitarbeiter:innen spielen eine wichtige Rolle in der Personalgewinnung – und dafür gilt es Grundlagen zu schaffen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen gerne im Unternehmen sind, dass sie die Corporate Culture, den kreativen Anspruch und die Arbeitsweisen leben und nach außen transportieren«

Franziska Maiwald, Head of Talent bei MetaDesign

Geeignet sind auch Formate, in denen sich Interessierte direkt ein Bild machen können. Die Brandingagentur wirDesign organisiert zum Beispiel regelmäßig das digitale Meet-up Brands & Bytes. »Wir wollen damit den Austausch aktiv fördern und fordern. Neue Themen und Speakers aus Branding, Coding, UX und UI sind immer willkommen. Den Veranstaltungshinweis teilen wir unter anderem über Newsletter sowie Social Media, und es ist toll zu sehen, dass viele immer wieder dabei sind«, sagt Personalmanagerin Annie Marx.

All dies sind gute Möglichkeiten, um sich als Ar­beit­geber zu positionieren und sich für Bewer­be­rin­nen und Bewerber in­te­res­­sant zu machen. Damit dies funk­tio­niert und ein überzeugendes Ganzes ergibt, sollte dahinter ein star­ker Em­ployer Brand stehen, den man kontinuierlich weiterentwickelt. Ebenfalls essenziell ist, dass man da­bei nicht nur die eigenen Botschaften nach außen sendet, sondern auch genau zuhört, um die Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen. Franziska Maiwald von Me­taDesign merkt zudem an, dass man die Reichweite der bespielten Kanäle nicht vergessen dürfe – eine Arbeitgebermarke entstehe nicht von allein und lande auch nicht automatisch auf dem Schirm potenzieller Bewerber:innen. Es gilt, stets aufmerksam zu sein und zu beobachten, welche Themen die Kreati­ven umtreiben, auch um zu sehen, wo man sich in eine Diskussion einbringen oder etwas repos­ten kann. »Viele Recruitingmaßnahmen finden an der Schnittstelle zwischen HR und Marketing statt, und in jedem Fall muss man sich bewusst sein, dass sie Zeit und damit auch Geld kosten«, so Maiwald.

Recruiting: Sinnhaftigkeit statt Prestige

Apropos Geld – ist das Gehalt ein Faktor, der das Re­­crui­ting leichter macht? »Nein«, sagt Thomas Knüwer, Managing Director bei Kolle Rebbe in Hamburg. Wer ein hohes Gehalt wie eine Art Schmerzensgeld zahle, weil er anders nicht überzeugen kann, habe ein Pro­blem. Viel wichtiger sei es zu verstehen, was kreative Menschen antreibt, und dem Raum zu geben. Kolle Rebbe hat in diesem Zusammenhang ein Creator-Programm gestartet, das es Kreativen ermöglicht, eigene Projekte umzu­setzen und dafür auf die Expertise und die Ressourcen der Agentur zuzugreifen. Den Anfang macht Copywrite­rin Jule Fuhrmann mit dem Podcast »Was kann Werbung eigentlich?«, in dem sie mit Gäs­ten diskutiert. So will sie mit Stereotypen aufräumen, sich gegen Diskriminierung in der Branche stellen und Veränderung vorantreiben.

»Früher war es für Kreative vor allem wichtig, auf sicht­baren Kunden und großen Marken zu arbeiten, heu­te suchen viele immer mehr nach Sinnhaftigkeit«, sagt Tho­mas Knüwer. Das zeige sich in Bewerbungs­ge­sprächen sehr deutlich. Er und seine Partner:innen in der Geschäftsführung würden heutzutage viel häufiger nach den Werten der Agentur gefragt, und es läge an ihnen, glaubhaft zu machen, dass bei Kolle Rebbe Vertrauen statt Kontrolle gelte, dass flexible Arbeits­zei­ten – auch in Teilzeit mit Führungsverantwortung – wirklich mög­lich seien und Benefits wie Zuschüsse zum Gym, zu bestimmten Versicherungen oder zum Kauf eines Fahrrads nicht nur nette Add-ons sind, sondern für eine Über­zeu­gung stehen und das Wohlbefinden der Mitarbei­te­r:in­­nen individuell fördern sollen.

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Bild: Kolle Rebbe

»Früher war es für Kreative vor allem wichtig, auf sichtbaren Kunden und großen Marken zu arbeiten, heute suchen viele immer mehr nach Sinnhaftigkeit. Das zeigt sich in Bewerbungsgesprächen sehr deutlich«

Thomas Knüwer, Managing Director bei Kolle Rebbe

Eine ähnliche Idee wie Kolle Rebbe hatte die Kreativ­agentur Zum goldenen Hirschen. Initiiert von Marc Hergarden, Geschäftsführer am Standort Köln, kön­nen Mitarbeitende ihre individuellen »Herzenspro­jek­te« mit Agenturressourcen realisieren. »Der Hauptwert im Recruiting sind zufriedene Mitarbeiter:innen, und Zu­frie­den­heit entsteht unter anderem, wenn man für Themen kre­ativ werden kann, die einem persönlich wichtig sind«, erklärt Hergarden. Zum Beispiel beim Auftaktprojekt, einer Kampagne für einen kleinen, von Corona gebeutelten Tierpark. Den Lead übernahm die Mitarbeiterin, die die Idee hatte, die erforderlichen Fach­kom­petenzen kamen aus den Teams. »Insofern fördert die Initiative Sinnhaftigkeit, Selbstwirksamkeit und ei­­genverantwortliches Arbeiten. Es macht die Menschen stolz und die Kraft des Kollektivs sichtbar – alles Faktoren, die im Recruiting für unsere Branche eine wichtige Rolle spielen«, so Hergarden.

Fest steht: Jede Maßnahme, die Bewerber:innen an­geboten wird, muss glaubhaft sein, sonst hilft sie nicht bei der Personalgewinnung. »Ich kenne niemanden, der seinen Job allein wegen eines höhenverstellbaren Stuhls geil findet«, spitzt Philipp Keller, CEO von Zum gol­de­nen Hirschen in Berlin, zu. »Die Erwartungen der Kan­didat:innen sind mit der Corona-Pandemie schärfer ge­­worden«, sagt die Personalexpertin Dorothee Reiser. Arbeit­geber stehen mehr denn je in der Pflicht, sich nach den Bedürfnissen der Kan­di­da­t:in­nen zu richten und ihr Arbeitgeberprofil zu optimieren – nicht nur in der Außendarstellung, sondern auch bei den »inneren Werten«. Denn nicht zuletzt sei die Pandemie eine Prü­fung hinsichtlich der internen Kom­munikation ge­­wesen. Hat sich der Umgang verändert? Wurden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichermaßen über Neuigkeiten und Homeoffice-Regelungen in­formiert? »Diese ›weichen‹ Faktoren stehen seit Corona im Fokus von Bewerber:innen.«

5 Tipps für erfolgreiches Recruiting

  1. Arbeitgebermarke aufbauen Die Zufriedenheit der Belegschaft ist das größte Kapital für Arbeitgeber. Dafür braucht es starke Unternehmenswerte, die nach innen gelebt und nach außen vermittelt werden.
  2. Word-of-Mouth aktivieren Die Trefferquote ist hoch, wenn Mitarbeiter:innen Mitar­bei­ter:innen anwerben. Dazu muss man sie ermutigen, gegebenenfalls kann ein Bonus­programm einen Push geben.
  3. Persönliche Entfaltung ermöglichen Wer Kreativen die Möglichkeit gibt, eigene Projekte jenseits von Kundenetats umzusetzen, gewinnt dreifach: Sinnstiftung, Selbstwirk­samkeit, Sichtbarkeit.
  4. In fremden Gewässern fischen Eine gute Idee ist es, über den Tellerrand der Kommuni­ka­tionsbranche hinauszublicken. So können gerade auch Kandi­dat:innen aus Unternehmen, Start-ups und Content Creation Agenturteams bereichern – und umgekehrt.
  5. Den Nachwuchs begeistern Ob beim Speed-Recruiting des ADC oder als Dozent:innen an den Hochschulen: Agenturen sollten Juniors und Studierende frühzeitig auf sich aufmerksam machen. Ausbildungsberufe dabei nicht vergessen – auch als Option für die eigene Agentur!

Kandidat:innen direkt ansprechen – echtes Interesse zeigen

Natürlich gibt es auch Situationen, in denen es ganz akut darum geht, bestimmte offene Positionen zu besetzen. In diesem Fall hat die klassische Stellenanzeige, zum Beispiel in den Fachmedien, noch immer ihre Berechtigung. Zielführend ist aber auch die direkte An­sprache von geeigneten Kreativprofis. Es lohne sich und zahle sich aus, über die Jahre ein Netzwerk aufzubauen und dabei immer wieder, aber nicht nervig mit interessanten Kreativen persönlich zu sprechen, auch mit ehe­ma­ligen Bewerberinnen und Bewerbern, meint Sophie Wahren, Senior Recruiter bei der Kreativagentur Buddybrand in Berlin. Sollte es konkret werden, kann man passende Kan­di­datinnen oder Kandidaten über Social Media anschreiben – LinkedIn ist dabei »für unsere Branche die wichtigste Plattform«, erklärt Wahren. Dabei, so Müge Akin, Head of People & Talents bei der Kreativagentur Stagg & Friends, sei es wichtig, sich auf Augenhöhe zu begegnen. »Auch als erfahrene Re­cruiterin muss ich mich auf so ein Gespräch gut vor­bereiten und konkret sagen können, was mich an ihm oder ihr interessiert und warum ich ihn oder sie gerne kennenlernen möchte.«

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Bild: wirDesign

»Dozententätigkei­ten stellen sogar einen doppelten Gewinn dar, denn so können wir uns als Agentur vorstellen und dabei viel über das Denken und die Bedürfnisse von jungen Kreativen erfahren – und diese Sicht mit in unser Recruiting nehmen«

Annie Marx, Personalmanagerin bei wirDesign

Dann lohnen sich Headhunter und Personalvermittlungen

Headhunter und Personalvermittlungen hält Müge Akin für eine geeignete Möglichkeit, wenn die Anforderungen sehr speziell sind und Zeit ein Faktor für die Besetzung einer Position ist. In jedem Fall macht es hier Sinn, mit Consultants zusammenzuarbeiten, die sich in der Branche gut auskennen – etwa mit Da­niel Wellschmiedt, mit Dagmar Hübner von The People Business, mit Juliana Danner von On and Offer oder mit den Firmen Get & Keep, Designerdock oder Markenpersonal. Zügige Antworten auf Bewerbungen und ein trans­paren­ter Prozess verstehen sich von selbst, und klare Angaben zu Zeitspannen können entscheidend sein, wenn sich ein Kandidat oder eine Kandidatin zwischen mehreren Stellen entscheiden möchte. Ebenfalls selbst­verständlich sollte die Möglichkeit sein, sich mobil und mit wenigen Klicks zu bewerben. Alles andere passe nicht mehr zu Lebensrealität von Digital Natives, deren Kom­petenz schließlich überall gesucht werde, beton­te Philipp Brune, CEO bei Strichpunkt, in einem Webi­nar zu Employee & Candidate Excitement, das die Designagentur zusammen mit Exxeta durchführte.

Doch nicht nur in der eigenen Branche, also mit Designstudios, Krea­tivagenturen und Freelance-Desig­ne­­r:innen, müssen Personal- und Talentsucher:in­nen gut vernetzt sein. Zunehmend wichtiger wird der Blick auf Unternehmen und Start-ups und generell die Tech-Bran­­che. So kommt eine der Führungskräfte von MDX, einer neuen Spezialunit für digitale Produktentwicklung bei MetaDesign, vom betahausX, einem Coworking Space für Gründer in Berlin. Thomas Knüwer von Kolle Rebbe findet: »Wir sollten nicht mehr nur im eigenen Teich fischen.« Er benennt eine weitere Gruppe Kreativer, die bislang eher unterhalb des Radars unterwegs war, die aber durchaus auch für Agenturen interessant sein könn­te. »All die Fotografen und Videographer, die die Hintergrundarbeit erfolgreicher Influencer und Content Creators machen – ihnen sollten wir die Möglichkeiten unserer Branche zeigen.«

Recruiting im Verband

Auch wenn sich die Kreativbranche insgesamt als in­teres­san­tes Arbeitsumfeld positioniert, profitieren die einzelnen Agenturen. So kann eine Verbandsmit­glied­schaft, je nach Option als Einzelperson oder als Agentur, eine Recruitingmaßnahme sein, manchmal sogar eine sehr direkte. Der Art Directors Club für Deutschland etwa führt Speed Recruitings durch, zuletzt pande­miebedingt digital, davor unter an­derem im Rahmen des ADC Festivals. »Die ersten Events waren ein voller Erfolg: 93,8 Prozent der Agenturen konnten eine oder mehrere Bewerber:innen für eine offene Stelle in Betracht ziehen. Deshalb findet das Speed-Re­cruiting ab jetzt mehrmals jährlich statt!«, steht auf der Website.

Eine weitere Möglichkeit, den kreativen Nachwuchs für sich zu begeistern, sind gezielte Aktivitäten an ausgewählten Hochschulen. Dozententätigkeiten seien so­gar ein doppelter Gewinn, sagt Annie Marx von wirDesign. »Denn einerseits können wir uns als Agentur vorstellen, andererseits – und das ist aus meiner Sicht noch wichtiger – viel über das Denken und die Bedürfnisse junger Kreativer erfahren und diese Sicht mit in unser Recruiting nehmen.« Gute Erfahrungen machte sie mit Hoch­schulevents wie etwa mit den »Fixen Schnitzeln« der HTW Berlin, dem Design-Dating der Fachhochschu­le Bielefeld oder dem Workshop refill der studenti­schen Kommunikationsagentur Werbeliebe e.V. in Pforzheim. Da­rü­­ber hinaus lohne es sich, ganz klassisch an den Schwarzen Brettern der Unis präsent zu sein, zum Beispiel mit Praktikumsstellen, sagt Franziska Maiwald.

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Bild: Stagg & Friends

Recruiting-Tool Social Media: »Wir meinen es ernst und zeigen das auch«

Die Agentur Stagg & Friends lässt ihre Social-Media-Kanäle – Facebook, LinkedIn und Instagram – im Wech­sel von den Mitarbeiter:innen bespielen, um sich erlebbar und für Bewerber:innen interessant zu machen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem »Remote First«-Prinzip, dem Stagg & Friends seit 2020 folgt. Einerseits erweitere die radikale Abkehr von festen Büros und Anwesenheitspflicht den Radius beim Recruiting, andererseits sei es aber umso wich­tiger, Menschen für sich zu gewinnen, die »unsere Zukunfts­vi­sion von eigenverantwortlichem Arbeiten teilen und bei denen dies möglich ist«, erklärt Müge Akin, Head of People & Tal­ents bei der Kreativagentur.

So berichtete eine Kollegin, wie sie ihren Job mit der zeit­intensiven Pflege ihrer Pferde vereinbart. Eine andere pos­tet aus Bayern, wo sie »trotz« Vollzeitstelle auch mal länge­r ihre Eltern besucht, ohne Urlaub zu nehmen. »Solche Geschichten zeigen, dass wir es ernst meinen, und sollen mögliche Kandidat:innen auf uns und unser Verständnis von Remote Work aufmerksam machen«, so Müge Akin.

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Stagg & Friends demonstriert auf Instagram, was Remote Work für sie bedeutet. Das soll auch potenzielle Bewerber:innen anziehe

Recruiting-Tool KI: The Happy People Bot

Daten und künstliche Intelligenz spielen auch im Recruiting zunehmend eine Rolle. Die Digitalberatungsfirma Exxeta hilft Firmen dabei, alle relevanten Touchpoints an ein Dashboard anzubinden, sodass genau analysiert werden kann, wie effizient die ein­zelnen Kanäle, Medienformate und Varianten von Stellenanzeigen sind – und zwar nicht bloß, was die Menge der Bewerbun­-
gen betrifft, sondern auch hinsichtlich ihrer Qualität, die durch die Weiterleitungsquote an die Fach­abteilun­gen und die tatsächlichen Einstellungen sichtbar wird. Eine solche Candidate Data Platform lässt sich mit allen gängigen Data-Analytics-Technologien ausgehend vom vorhan­de­nen Tech Stack des Unternehmens realisieren.

Auch in puncto Mitarbeitendenbin­­dung kann Datentransparenz viel tun. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Happy People Bot, den Exxeta als Whitelabel-App entwickelte. Dazu schreibt ein implementierter Microsoft-Teams-Bot alle Personen einmal in zwei Wo­chen zufallsbasiert an und erbittet Feedback. Der Happy People Index misst kontinuierlich das Stimmungsbild im Unternehmen und sammelt Daten, um mit geeigne­ten und durch die Mitarbeiter:innen gevo­teten Maßnahmen – etwa einem virtuellen Sportangebot – auf eine positive Arbeitsatmosphäre und langfristige Unternehmenszugehörigkeit einzuzah­len. Das Besondere daran: Für Unternehmen mit großer Belegschaft lässt sich der Bot auch durch eine KI-basierte Text­analyse ergänzen, um Themen und zu­gehö­rige Probleme aus den Frei­text­ant­wor­ten iden­tifizieren zu können.

Da speziell das Onboarding und Networ­king in Remote-Work-Zeiten so herausfordernd ist, hat das UX-Team bei Exxeta dafür eine Anwendung inklusive Gamifi­ca­tion-An­satz entwickelt, die bald ebenfalls als White­label zur Verfügung stehen soll. Fokus ist hier das Matching von Kolleg:in­nen auf der Grundlage gemeinsamer privater oder fachlicher Interessen.

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Alle zwei Wochen bittet der Happy People Bot die Mitarbeitenden, ihm ihre Stimmung mitzuteilen
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Über ein Dashboard können die Ergebnisse des Happy People Bot eingesehen werden. Möglich ist die Imple­mentierung einer KI, die Freitextein­gaben auswertet

Thomas Knüwer ermutigt seine Juniors, sich in ihren Fachschaften als Alumni zu engagieren. Gerade beim Nachwuchs kommen Aktionen gut an, die zeigen, dass sich jemand genaue Gedanken über die Themen und Bedürfnisse der Zielgruppe gemacht hat. An die Aktion »Kolle Rebbe Junior Suite«, mit der er und seine Kol­le­g:innen junge Kreative während der ADC Festivals 2013 bis 2019 in ihren Privatwohnungen übernachten ließen, weil die Unterkünfte in Hamburg in dieser Zeit zu teuer waren, erinnert sich Thomas Knüwer noch heute als »ei­ne unserer erfolgreichsten Recruiting-Aktionen«.

Neben dem Nachwuchs aus den Hochschulen spielen auch Auszubildende eine Rolle bei der Talentgewinnung. »Wir hören als Branche die Kritik, dass wir zu akademisch sind«, berichtet Thomas Knüwer. »Wenn wir jungen Menschen die Möglichkeit geben, in einer Agen­tur oder einem Designstudio eine Ausbildung in ei­nem gestalterischen Beruf zu machen, binden wir sie zum einen früh an uns, zum anderen können wir auch hier diverser werden.«

All das zeigt: Recruiting in der Kreativbranche bedeutet, die Akteur:innen aufmerksam zu beobachten und zu erkennen, was sie im Job reizt. So kann man Grundlagen schaffen und die passenden Talente im richtigen Moment für sich begeistern.

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Recruiting-Tool Agenturwebsite: »Wir sehen dich!«

Wenn Kreative sich über einen möglichen Arbeitgeber informieren, legen sie Wert auf Cases – aber nicht nur. Sie wollen sich auch ein Bild machen vom Agenturklima und die Menschen kennenlernen, die dort beschäftigt sind. Die Wiesbadener Designagentur 99° hatte dafür eine besonders charmante Idee: Alle Mitarbeiter:innen zeigen sich in einer Kachel mit persönlichen Gegenständen inklusive Mini­geschichten. »Wir hatten das Gefühl, dass im Moment auch in den Agenturen selbst ein Wandel passiert: Designe­rin­nen und Designer stellen sich immer mehr die Frage nach der eigenen Identität innerhalb ihres Arbeitsumfelds. Die Agentur wird zunehmend zum ›Rahmen‹, in dem ich mich als Individuum präsentieren kann«, erklärt Agenturgründer David Bascom. Darüber hinaus ist er überzeugt, dass ein Team nur funktionieren kann, wenn man sich auch »physisch« in die Augen schauen kann. 99° blickt den Besu­che­r:innen ihrer Website direkt »in die Augen«, die Köpfe folgen alle der Mausbewegung des Users und suggerieren damit: »Wir sehen dich!«

Die Resonanz auf die Website sei enorm, sagt David Bascom. Viele Bewerber:innen greifen die »Flat-Lay«-Idee direkt auf und schicken statt des klassischen Bewerbungs­fotos eine Collage aus Objekten und Dingen, die sie ausmachen. »Da Persönlichkeiten in Bewerbungsgesprächen für uns oft wichtiger sind als die Arbeiten selbst, haben wir so den perfekten Einstieg in ein spannendes Gespräch.«

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