In seiner Designkritik-Kolumne schreibt Johannes Erler diesmal über das Rebranding von Mailchimp, das für ihn weitaus mehr ist als gute Gestaltung – nämlich ein Appell an den Unternehmergeist von Designern.
Seit es Computer gibt, schwelt die Frage, wie man deren quasi körperlose Qualitäten bewirbt. Die einen, etwa Microsoft oder SAP, setzen auf den Nimbus Ehrfurcht einflößender Technik, die immer mehr kann als man selbst. Die anderen, wie Apple oder IBM, betonen den nahbaren Aspekt ihrer Produkte. Während die einen beim distanzierenden Sie bleiben (schon mal versucht, eine Microsoft-Office-Version freizuschalten?), wird bei den anderen lustig geduzt (und über allem schwebt Paul Rands brillante IBM-B-iene). Es ist noch nicht ausgemacht, was der bessere Ansatz ist, aber Mailchimp, das sich gerade in Kooperation mit der Designagentur Collins ein neues Corporate Design verpasst hat, ist deutlich beim Du, schon immer, jetzt noch mehr, und das gefällt mir aus mehreren Gründen.
Ich sollte wohl noch erklären, was Mailchimp ist. Richtig begriffen habe ich’s nämlich erst, seit das Erscheinungsbild relauncht wurde. Einfach gesagt ist es eine Plattform, die kleinen Unternehmen (und ihren Designagenturen) hilft, sich zu vermarkten. Dafür stehen verschiedene Tools zur Verfügung, die User im Rahmen vorgegebener Möglichkeiten selbst gestalten können. Am bekanntesten ist das Newsletter-System; Mailchimp bietet aber auch Landingpages oder Social-Media-Werbeformate an – und unterstützt anschließend beim Tracking. Der Service kann nicht alles, und für mehr Individualität oder komplexere Lösungen muss der (Design-)Fachmann ran. Aber für den Anfang ist es gut und hilfreich.
Was ich auch erst seit dem Relaunch weiß: Mailchimp, heute ein Millionenunternehmen, wurde von Designern gestartet. Da kommt also was zusammen: eine tolle Idee (siehe Herz), gutes Design (siehe Hand) und cleveres Marketing (siehe Hirn). Für mich drei prima Gründe für die platte Headline.
Designer sind ja alle große Kinder. Mailchimp weiß das.
HIRN. Wenn zu deinen wichtigsten Zielgruppen Gestalter gehören, musst du gut aussehen – dachte sich wohl auch Mailchimp und könnte die neue Identity »Marketing by Corporate Design« getauft haben. Der Beweis, dass das funktioniert, sind ganz viele freundlich gestimmte Berichte über das Rebranding in diversen Designpublikationen. Die Story, die Mailchimp dabei erzählt, klingt wie eine gut geölte, launige Designpräsentation. Ich habe mir das alles durchgeschaut – und kenne nun nicht nur den neuen Auftritt, sondern auch das Unternehmen dahinter. Mission completed! Dazu Mailchimp: »Unser Mitgründer und CEO Ben (Chestnut) erinnert uns oft daran, dass Design die erste Disziplin war, die er besetzte, als er die Company 2001 gründete. Es ist ein Teil dessen, was uns immer schon von anderen unterschieden hat, und es steckt in allem drin, was wir tun.«
HAND. Wenn das Du das Ziel ist, stimmt hier alles. Das Erscheinungsbild ist nicht bahnbrechend neu, aber einladend einfach, sauber dekliniert – und von ansteckender Freundlichkeit. Der Schimpanse, der schon mal verschwunden war, ist nun wieder die markante, comichafte Bildmarke. Die sonnengelbe Farbe und die fast wie gemalt wirkende, gut lesbare Cooper Light als Hausschrift bilden das plakative Framework. Hinzu kommen (ein bisschen zu viele) Illustrationen verschiedener Künstler. Das ist schön und professionell. Besonders gut gefallen mir die Texte. Mailchimp gibt sich Mühe, so zu sprechen, dass ich es verstehe. So hat das Erscheinungsbild am Ende diese amerikanische Leichtigkeit, die es bei uns zu selten gibt. Designer sind ja alle große Kinder. Mailchimp weiß das.
HERZ. Am meisten feiere ich jedoch den Unternehmergeist, der in der Sache steckt. »Unsere Gründer, Ben und Dan, starteten die Company als Nebenprojekt ihrer Designagentur, um ihren kleineren Kunden beim E-Mail-Marketing zu helfen«, sagt Mailchimp. Und davor ziehe ich meinen Hut. Es ist ja so, dass wir Designer oft mehr sind als Gestalter. Wir sind auch Innovatoren, Berater, Therapeuten und vieles mehr, und zu häufig werden wir für einen kleinen Gestaltungsjob geholt und am Ende steht das Gefühl, nebenbei das ganze Unternehmen renoviert zu haben. Das Problem ist meist nur: Wir machen nichts draus – und überlassen das Feld anderen, die es auch nicht besser können. Die Gründer von Mailchimp haben im richtigen Moment angepackt. Und geben nun dem Affen Zucker.